Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 21.08.2006, Az.: VgK-18/2006

Eilantrag zur Aussetzung eines Vergabeverfahrens zur Planung eines Neubaus für ein Gymnasium auf Grund des Vorliegens etwaiger Verfahrensfehler; Keine Verpflichtung zur vorherigen Festlegung einer Höchstzahl der aufzufordernden Bewerber der Vergabestelle; Notwendigkeit der Wertung von Angeboten unter Wahrung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatzes

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
21.08.2006
Aktenzeichen
VgK-18/2006
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 23732
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

VOB-Vergabeverfahren "Planung und schlüsselfertiger Neubau für das Gymnasium ... einschließlich Finanzierung; ..."

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer
durch
die Vorsitzende ORR'in Dr. Raab,
die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ökonom Brinkmann
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Eilantrag der Antragstellerin, die Auftraggeberin im Wege einer vorläufigen Maßnahme im Sinne des § 115 Abs. 3 Satz 1 GWBüber das auf Grund der Zustellung des Nachprüfungsantrages ohnehin bestehende Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB hinaus zu verpflichten, das Vergabeverfahren auch im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der Versendung von Aufforderungen zur Angebotsabgabe einstweilen auszusetzen, wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kostenentscheidung bleibt dem Beschluss im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Begründung

1

I.

Der Antragsgegner hat mit Datum vom 09.06.2006 die Planung und den schlüsselfertigen Neubau für das Gymnasium ... einschließlich Finanzierung europaweit als Verhandlungsverfahren ausgeschrieben. Gemäß der Bekanntmachung soll die Zahl der Teilnehmer nach Maßgabe der Teilnahmebedingungen beschränkt werden, es sollen aber mindestens 5 Teilnehmer zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. In den Teilnahmebedingungen wird auf ein abzuforderndes Formular "Teilnahmewettbewerb" hingewiesen, welches von den Bietern ausgefüllt, mit den in den Teilnahmebedingungen geforderten Anlagen versehen und rechtsverbindlich unterschrieben bis zum 14.07.06 bei der Vergabestelle des Antragsgegners einzureichen ist. Für die Auswahl unter den Teilnehmern, die einen vollständigen Teilnahmeantrag vorgelegt haben, soll deren wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit maßgeblich sein, die nach den hierfür genannten Kriterien anhand der geforderten Nachweise beurteilt und gewertet werden soll. In diese Wertung sollen die wirtschaftliche und finanziellen Leistungsfähigkeit zu 75% und die technische Leistungsfähigkeit zu 25% eingehen.

2

Vor Ablauf der Angebotsfrist legte der Antragsgegner eine differenzierte Matrix zur Wertung der eingehenden Teilnahmeanträge fest. Die Matrix weicht in der jeweiligen Summe nicht von der bekannt gemachten Gewichtung ab, sondern untergliedert diese nach den in der Bekanntmachung genannten Kriterien.

3

Insgesamt gingen 19 Teilnahmeanträge bei der Vergabestelle ein. Die Anträge wurden geprüft und nach Maßgabe der Bewertungsmatrix gewertet. Hiernach beträgt der von den Bewerbern erreichte höchste Nutzwert 94,17%, der niedrigste 35,83%. Der Teilnahmeantrag der Antragstellerin liegt mit 64,17% auf Rang 10.

4

Die Vergabestelle entschied sich dafür, nur die fünf ranghöchsten Teilnehmer zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern. Mit Schreiben vom 31.07.05 wurde die Antragstellerin darüber informiert, dass sie nicht zum Kreis der erfolgreichen Bewerber gehört.

5

Mit Anwaltsschriftsatz vom 03.08.06 rügte die Antragstellerin diese Entscheidung. Unter Hinweis darauf, dass die Bekanntmachung keine Beschränkung der Anzahl der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Wirtschaftsteilnehmer enthalten habe, forderte sie den Antragsgegner auf, ihre Entscheidung aufzuheben und auch sie zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern.

6

Mit Schreiben vom 04.08.06 wies der Antragsgegner die Rüge unter Hinweis auf die Rechtsprechung zurück. Mit der Auswahl von fünf geeigneten Bewerbern habe er die Forderungen nach § 8a Nr. 3 VOB/A erfüllt. Es gebe keine Verpflichtung, eine Begrenzung der Anzahl der aufzufordernden Bewerber in der Bekanntmachung anzukündigen. Er sei auch nicht verpflichtet, alle geeigneten Bewerber im weiteren Verfahren zu berücksichtigen und habe seine Auswahl unter den geeigneten Bewerbern ermessensfehlerfrei nach Maßgabe der mitgeteilten Kriterien getroffen.

7

Nach nochmaliger Rüge wandte sich die Antragstellerin mit Anwaltschriftsatz vom 04.08.06 per Fax an die Vergabekammer Lüneburg und beantragte ein Nachprüfungsverfahren nach § 107 GWB.Zur Begründung trägt sie vor, der Antragsgegner habe erst nach Einreichung der Teilnahmeanträge vergaberechtswidrig die Höchstzahl der einzuladenden Bewerber begrenzt und im Ergebnis eine willkürliche und von sachfremden Erwägungen getragene Auswahl unter den geeigneten Bewerbern getroffen.

8

Die Antragstellerin beantragt

  • gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB ohne mündliche Verhandlung das Vergabeverfahren einstweilen auszusetzen.

  • den Antragsgegner zu verpflichten, die Antragstellerin zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern,

  • die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten für die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

  • der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.

9

Der Antragsgegner beantragt

  • den Antrag auf Aussetzung des Vergabeverfahrens abzulehnen,

  • den Antrag in der Hauptsache abzuweisen,

  • gemäß § 115 Abs. 2 GWB zu gestatten, den Zuschlag nach Ablauf der Zweiwochenfrist zu erteilen bzw. die fünf besten Bieter unter Zusendung der Verdingungsunterlagen zur Angebotsabgabe aufzufordern

  • der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

10

Zunächst gehe der Antrag gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB ins Leere, da eine Aufforderung zur Angebotsabgabe und Versendung der Ausschreibungsunterlagen nicht erfolgt sei.

11

Die Rechte der Antragstellerin seien nicht gefährdet. Dagegen überwiege das Interesse an einer zügigen Fortsetzung des Vergabeverfahrens.

12

Der Nachprüfungsantrag sei im Übrigen unbegründet. Die Ankündigung einer Höchstzahl an einzuladenden Bewerbern in der Bekanntmachung sei möglich, aber nicht zwingend. Man habe bewusst hierauf verzichtet, um eine gewisse Flexibilität für den Fall einer Punktgleichheit mehrerer Bewerber bzw. bei sehr engem Punktabstand zu behalten. Die Wertung sei unter Wahrung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatzes nach den vorher festgelegten Kriterien erfolgt. Hierbei sei entsprechend der Ankündigung in der Bekanntmachung gewichtet worden. Angesichts der Qualitätsunterschiede der eingereichten Unterlagen sei entschieden worden, alle Bewerbungen mit einem Nutzwert von mehr als 75% zu berücksichtigen. Die Antragstellerin gehöre mit dem ermittelten Nutzwert von 64,17% nicht zum Kreis der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Bewerber.

13

II.

Der auf § 115 Abs. 3 Satz 1 GWB gestützte Eilantrag der Antragstellerin ist sowohl unzulässig als auch unbegründet. Es bedarf im vorliegenden Fall nicht der Anordnung weiterer vorläufiger Maßnahmen, um Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 7 GWB zu schützen. Die Rechtspositionen des Antragstellers werden bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens vielmehr - auch im Falle einer etwaigen Aufforderung zur Angebotsabgabe seitens des Auftraggebers - bereits durch das mit der Zustellung des Nachprüfungsantrags verbundene Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB Gewähr leistet.

14

Nach dem derzeitigen Stand des Nachprüfungsverfahrens und einer ersten Prüfung der Sach- und Rechtslage hat der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin allerdings keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Dem Auftraggeber war es entgegen der Antragstellerin weder nach § 3 a Nr. 1 lit. c, Nr. 4 i.V.m. § 8 a Nr. 3 VOB/A in der zurzeit geltenden Fassung noch auf Grund der mangels rechtzeitiger Umsetzung durch die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltenden Regelung des Art. 44 Abs. 3 Unterabsatz 1 der EG-Vergaberichtlinie 2004/18/EG vom 31. März 2004 verwehrt, im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs anhand der mit Vergabebekanntmachung vom 09.06.2006 unter III.2 veröffentlichten Kriterien eine Auswahl unter den Bewerbern zu treffen und nicht alle geeigneten Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern. Die Auswahl lediglich der fünf erstplatzierten Bewerber zur Angebotsabgabe ist rechtlich nicht zu beanstanden.

15

1.

Der Eilantrag ist bereits unzulässig. Gemäß § 115 Abs. 3 GWB kann die Vergabekammer auf besonderen Antrag eines Antragstellers in einem Vergabenachprüfungsverfahren mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen, wenn Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 7 GWB im Vergabeverfahren auf andere Weise als durch den drohenden Zuschlag gefährdet sind. Derartige Anträge sind zwar generell zulässig, da sie immer dann statthaft sind, wenn das Verfahren in der Hauptsache vor der Vergabekammer - wie im vorliegenden Fall - anhängig ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 04.03.2002, Az.: 1/SVK/019-02; VK Lüneburg, Beschluss v. 29.04.2005, Az.: VgK-19/2005).

16

Der Antragstellerin fehlt für den Eilantrag jedoch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dieses liegt nur vor, wenn die Rechte des Antragstellers nicht bereits durch das bestehende Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB ausreichend geschützt sind und der Antragsteller seine Rechtsposition durch eine Entscheidung nach § 115 Abs. 3 GWB verbessern könnte (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 115, Rdnr. 58). Im vorliegenden Fall wird die Rechtsposition des Antragstellers aber bereits durch das Zuschlagsverbot gem. § 115 Abs. 1 GWB hinreichend geschützt. Sollte die Vergabekammer im Zuge des Hauptsacheverfahrens zu dem Ergebnis gelangen, dass die Entscheidung des Auftraggebers, die Antragstellerin nicht zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern, vergaberechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, so kann sie den Auftraggeber im Hauptsachebeschluss gem. § 114 Abs. 1 GWB verpflichten, erneut in das Vergabeverfahren - bis hin zum Stadium des Teilnahmewettbewerbs - einzutreten, dabei die Rechtsauffassung der Vergabekammer zu berücksichtigen und insbesondere auch die Antragstellerin zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern. Der Anordnung weiterer vorläufiger Maßnahmen gem. § 115 Abs. 3 GWB bedarf es daher vorliegend nicht.

17

2.

Der auf § 115 Abs. 3 GWB gestützte Eilantrag der Antragstellerin ist darüber hinaus jedoch auch unbegründet. Ein Antrag nach § 115 Abs. 3 GWB kommt grundsätzlich in den Fällen in Betracht, in denen die Chancen des Antragstellers, den Auftrag zu erhalten, durch rechtswidrige Maßnahmen im Rahmen des Vergabeverfahrens gemindert werden (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 115, Rdnr. 57).

18

Bei der Ermessensentscheidung der Vergabekammer, ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat sie den Entscheidungsmaßstab des § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zu Grunde zu legen. Damit setzt ein positiver Antrag voraus, dass die beantragte Maßnahme unter Abwägung aller betroffenen Interessen zur Sicherung der Rechte der Antragstellerin notwendig ist. Dabei können auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als zusätzlicher Abwägungsgesichtspunkt ein Rolle spielen (vgl. Boesen, a.a.O., Rdnr. 59). Zwar regelt § 115 Abs. 3 Satz 2 GWB ausdrücklich nur, dass die Vergabekammer den Beurteilungsmaßstab des Abs. 2 Satz 1 zu Grunde zu legen hat. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass nicht auch zusätzlich der Gesichtspunkt der Erfolgsaussicht in der Hauptsache einzubeziehen ist (vgl. VK Sachsen, Beschluss v. 04.03.2002, Az.: 1/SVK/019-02). Da § 115 Abs. 3 GWB eine vorläufige Sicherung von Rechten des Antragstellers bewirken soll, scheiden solche Maßnahmen im Eilverfahren aus, wenn im Hauptsacheverfahren Rechte des Antragstellers nicht verletzt sind oder voraussichtlich nicht verletzt sind. Wie jedes Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes - § 115 Abs. 3 GWBähnelt den Regelungen in §§ 935, 940 ZPO und § 123 VwGO - bedarf es für einen erfolgreichen Antrag eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Scheidet ein Anordnungsanspruch erkennbar oder überwiegend wahrscheinlich aus, verbietet sich eine Anordnung gem. § 115 Abs. 3 GWB.

19

Im vorliegenden Fall ist jedoch - vorbehaltlich der abschließenden Hauptsacheentscheidung im anhängigen Nachprüfungsverfahren - überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch hat. Das mit dem Nachprüfungsantrag verfolgte Ziel der Antragstellerin, ebenfalls zur Abgabe eines Angebotes im streitbefangenen Vergabeverfahren aufgefordert zu werden, stützt die Antragstellerin auf die Tatsache, dass der Auftraggeber unter Ziffer IV.1.2 der Vergabebekanntmachung vom 09.06.2006 hinsichtlich der Beschränkung der Zahl der Wirtschaftsteilnehmer, die zur Angebotsabgabe bzw. Teilnahme aufgefordert werden, zwar die den Anforderungen des § 8 a Nr. 3 VOB/A genügende Mindestzahl von 5 genannt hat. Er habe es aber versäumt, gleichzeitig auch eine Höchstzahl der zu berücksichtigenden Bewerber zu nennen. Deshalb sei es dem Auftraggeber nunmehr im Nachhinein verwehrt, unter den geeigneten Bewerbern eine Auswahl zu treffen und das Angebot der Antragstellerin nicht zu berücksichtigen.

20

Unstreitig hat der Auftraggeber der Antragstellerin auf ihr Rügeschreiben vom 03.08.2006 mit Schreiben vom 04.08.2006 bestätigt, dass auch sie im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs als geeignetes Unternehmen eingestuft wurde. Der Auftraggeber wies jedoch darauf hin, dass die Projektgruppe des Landkreises ... zur Auswahl der Bewerber auf der Grundlage der in Punkt III. 2. der Vergabebekanntmachung geforderten Erklärungen und Nachweise sowie der dort genannten Gewichtung aber eine weitere Rangfolge erarbeitet, die im Ergebnis zur Entscheidung führte, die Antragstellerin im weiteren Verfahren nicht zu berücksichtigen. Diese Entscheidung und die entsprechende Begründung hat der Auftraggeber in dem in der vorliegenden Vergabeakte enthaltenen Vermerk zur Auswertung des öffentlichen Teilnahmewettbewerbs im Verhandlungsverfahren vom 21.07.2008 in einer den Anforderungen des § 30 VOB/A genügenden Weise dokumentiert. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es dem Auftraggeber jedoch weder auf der Grundlage des § 8 a Nr. 3 VOB/A noch unter Berücksichtigung der infolge der nicht rechtzeitigen Umsetzung durch die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltenden Regelung des Art. 44 Abs. 3 Unterabsatz 1 der EG-Vergaberichtlinie 2004/18 EG vom 31. März 2004 (vgl. Müller-Wrede, Unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/18/EG, VergabeR 6/2005, S. 693 ff., S. 603) verwehrt, eine Auswahl unter den im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs für geeignet befundenen Bewerbern zu treffen. Der Auftraggeber war und ist nicht gehalten, sich zusätzlich zur Nennung der Mindestzahl der aufzufordernden Bewerber auch hinsichtlich einer Höchstzahl zu binden.

21

Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein subjektiver Anspruch des einzelnen Bewerbers auf Beteiligung an einem nichtoffenen Verfahren oder - wie im vorliegenden Fall - an einem Verhandlungsverfahren gem. § 3 a Nr. 4 VOB/A nicht besteht (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 101, Rdnr. 35). Der Auftraggeber hat allerdings seine Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben, wobei er das Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 GWB zu beachten hat, also keinen Bewerber aus vergaberechtsfremden Aspekten diskriminieren darf (vgl. OLG Naumburg, Beschluss v. 15.01.2002, 1 Verg 5/00). Allein die Tatsache, dass der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung nicht mitgeteilt hat, wie viele Bewerber er letztlich über die genannte Mindestzahl hinaus zur Angebotsabgabe auffordern wird, engt sein Auswahlermessen jedoch nicht dahingehend ein, dass er allen Bewerbern - und somit auch der Antragstellerin - die Teilnahme am weiteren Verhandlungsverfahren hätte ermöglichen müssen.

22

Weder § 3 a VOB/A noch § 8 a VOB/A oder § 17 a VOB/A bestimmen, dass sich der Auftraggeber bereits in der Bekanntmachung festlegen muss, von wie vielen Bewerbern er Angebote einholen will. Eine solche Pflicht ergibt sich auch nicht aus der EG-Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG vom 14. Juni 1993. Wie § 101 Abs. 3 GWB eröffnet Art. 22 Abs. 1 BKR dem öffentlichen Auftraggeber beim nichtoffenen Verfahren grundsätzlich eine Auswahlmöglichkeit unter den Teilnehmern. Er muss nicht von allen Bewerbern ein Angebot einholen, sondern kann sich auf eine angemessene Zahl beschränken. Nach Art. 20 Abs. 2 BKR kann der Auftraggeber zwar diese Zahl oder eine Marge vorab festlegen. In seinem solchen Fall ist die Zahl bzw. Marge in der Bekanntmachung anzugeben. Ein zwingendes Gebot, eine Marge zu bestimmen, kann dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 BKR jedoch nicht entnommen werden. Auch findet sich in der BKR keine Regelung, wie zu verfahren ist, wenn der öffentliche Auftraggeber diese nicht vorab festgelegt hat oder festlegen wollte (vgl. BayObLG, Beschluss v. 20.04.2005, Az. Verg 26/04, zitiert nach VERIS).

23

Aber auch aus der neuen Formulierung in der nunmehr - bis zur ausstehenden Umsetzung in nationales Recht - unmittelbar geltenden Regelung des Art. 44 Abs. 3 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2004/18 EG vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge lässt sich die zwingende Angabe einer Höchstzahl der aufzufordernden Bewerber nicht ableiten. Dort heißt es:

"Bei den nichtoffenen Verfahren, beim Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung und beim wettbewerblichen Dialog können die öffentlichen Auftraggeber die Zahl an Bewerbern, die sie zur Abgabe von Angeboten auffordern bzw. zu Verhandlungen oder zum wettbewerblichen Dialog einladen werden, begrenzen, sofern geeignete Bewerber in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Die öffentlichen Auftraggeber geben in der Bekanntmachung die von ihnen vorgesehenen objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien oder Vorschriften, die vorgesehene Mindestzahl und gegebenenfalls auch die Höchstzahl an einzuladenden Bewerbern an."

24

(Hervorhebungen durch die Kammer)

25

Dabei sind die öffentlichen Auftraggeber auf der Grundlage der Richtlinie 2004/18 EG zwar nunmehr verpflichtet, mindestens die vorgesehene Mindestzahl der einzuladenden Bewerber anzugeben. Von einer Verpflichtung auch der Angabe einer Höchstzahl ist jedoch nur dann auszugehen, wenn sich der Auftraggeber im Zeitpunkt der Bekanntmachung und damit im Vorfeld des Teilnahmewettbewerbs bereits diesbezüglich wenigstens intern festgelegt hat. Ausweislich der vorliegenden Vergabeakte hat sich der Auftraggeber jedoch nur hinsichtlich der Mindestzahl, nicht aber hinsichtlich der Höchstzahl der aufzufordernden Bewerber festgelegt. Er hat hierfür einen nachvollziehbaren Grund genannt: Für den Fall, dass mehr als fünf Bewerber nach Auswertung mittels der Bewertungsmatrix punktgleich abschneiden würden bzw. dass sich ein sehr enger Abstand zu dem nächstfolgenden Bewerber ergebe, solle eine gewisse Flexibilität erhalten bleiben.

26

Die Auffassung der Vergabekammer, dass auch Art. 44 Abs. 3 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2004/18/EG die Auftraggeber nicht zur Festlegung und Veröffentlichung einer Marge für die einzuladenden Bewerber zwingt, wird auch durch die aktuelle Formulierung im Vordruck zur Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union (vgl. Anhang II zur Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 der Kommission vom 07.09.2005 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen im Rahmen von Verfahren öffentlicher Aufträge gemäß Richtlinie 2004/17/EG und der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, Abl. der EU vom 01.10.2005 L 257/1) gestützt. Dort heißt es unter IV.1.2:

"Beschränkung der Zahl der Wirtschaftsteilnehmer, die zur Angebotsabgabe bzw. Teilnahme aufgefordert werden (nichtoffenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog)

Geplante Zahl der Wirtschaftsteilnehmer ...

ODER geplante Mindestzahl ... und, falls zutreffend, Höchstzahl ...

objektive Kriterien für die Auswahl der begrenzten Zahl von Bewerbern: ..."

27

(Hervorhebung durch die Kammer)

28

Daraus lässt sich nur schließen, dass der Richtliniengeber dem Auftraggeber zwar die Möglichkeit geben wollte, bereits vorab eine - ihn dann bindende - Marge festzulegen. Er wollte ihn jedoch nicht dazu zwingen. Zwingend ist vielmehr entweder allein die Angabe einer festen Zahl der aufzufordernden Wirtschaftsteilnehmer oder wenigstens einer geplanten Mindestzahl, die im Falle des Verhandlungsverfahrens nicht unter drei liegen darf. Diese Voraussetzungen hat der Auftraggeber erfüllt.

29

Da weder das Gesetz noch vergaberechtliche Grundsätze im nichtoffenen Verfahren oder im Verhandlungsverfahren eine Festlegung der Höchstzahl der aufzufordernden Bewerber bereits in der Vergabebekanntmachung verlangen, war der Auftraggeber befugt abzuwarten, wie viele Interessenten sich auf die öffentliche Teilnahmeaufforderung hin melden, und dann eine angemessene Zahl aufzufordernder Bewerber zu bestimmen (vgl. BayObLG, Beschluss v. 20.04.2005, Az.: Verg 26/04). Der Auftraggeber war auf Grund des Transparenzgrundsatzes gem. § 97 Abs. 1 GWB, des Diskriminierungsverbotes gem. § 97 Abs. 2 GWB, der Regelung des Art. 44 Abs. 3 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2004/18/EG (lediglich) gehalten, die Auswahl der einzuladenden Bewerber aus dem Kreis der im Teilnahmewettbewerb für geeignet befundenen Unternehmen anhand von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen auf der Grundlage der von ihr vorab festgelegten und in der Bekanntmachung veröffentlichten objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien vorzunehmen. Dies hat der Auftraggeber ausweislich der vorliegenden Vergabeakte auch getan. Er hat die zu den einzelnen Bewertungskriterien eingereichten Unterlagen und Nachweise gesichtet, die Angaben zu den Kriterien "Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit" nach den Vorgaben für die Benotung bewertet und diese Noten anschließend mit den vorgegebenen Prozentsätzen für die Gewichtung multipliziert. Aus dieser Systematik ergab sich für jede eingereichte Bewerbung ein so genannter Nutzwert, der als Prozentsatz (maximal 100%) dargestellt ist. Diese rechtlich einwandfreie Bewertung zeigte, dass drei der 19 Bewerber einen Nutzwert von über 90% erreichten, weitere zwei bei 78 bzw. 79% lagen. Hingegen betrug der Nutzwert des nächstplatzierten Bewerbers lediglich 74%. In dieser Situation ist es nicht zu beanstanden und keinesfalls willkürlich, die Grenze bei einem Nutzwert von 75% zu ziehen und lediglich die fünf erstplatzierten Bieter zur Abgabe eines Angebots aufzufordern. Der Auftraggeber hat sich auch insoweit an seinen zuvor festgelegten Maßstab gehalten, mehr als fünf Bewerber nur bei geringem Abstand des/der Nächstplatzierten einzubeziehen. Die Antragstellerin gehört im Übrigen nicht zu den Nächstplatzierten, sondern befindet sich mit einem Nutzwert von 64% auf Rang 10.

30

Es ist damit überwiegend wahrscheinlich, dass der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg haben wird. Ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch im oben beschriebenen Sinne liegen damit nicht vor.

31

Der Eilantrag war daher zurückzuweisen.

32

III.

Die Kostenentscheidung für das Verfahren nach § 115 Abs. 3 GWB bleibt dem Beschluss in der Hauptsache vorbehalten.

33

IV.

Entscheidungen der Vergabekammern nach § 115 Abs. 3 GWB sind gem. § 115 Abs. 3 Satz 3 GWB nicht selbstständig anfechtbar.

Dr. Raab
Rohn
Brinkmann