Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.02.1999, Az.: V 111/98 Ki

Verfassungsmäßigkeit der Grenze des Kinderfreibetrags; Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
04.02.1999
Aktenzeichen
V 111/98 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 19471
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0204.V111.98KI.0A

Fundstelle

  • JuS 1999, LVII Heft 11 (Kurzinformation)

Amtlicher Leitsatz

Die Kindergeld- bzw. kinderfreibetragsschädliche Grenze von 12.360 DM ist nicht verfassungswidrig, §§ 63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG.

In dem Rechtsstreit
hat der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 4. Februar 1999,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsidentin ... des Finanzgerichts ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten.

Tatbestand

1

Die Klägerin bezog bis einschließlich Dezember 1997 für ihren Sohn Kindergeld. Der Sohn ist am 20. August 1979 geboren und befindet sich seit dem 1. August 1997 bei der ... in ... (GmbH) in der Ausbildung zum Industriemechaniker. Laut Ausbildungsbescheinigung der GmbH vom 21. Juli 1997 erhielt er im ersten Ausbildungsjahr (vom 1. August 1997 bis 31. Juli 1998) eine Ausbildungsvergütung i.H.v. monatlich 1.090,00 DM und im zweiten Jahr monatlich 1.148,00 DM. Dazu kamenjährlich je 50 v.H. der Vergütung als Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Der Beklagte errechnete für den Sohn daraus im Jahr 1998 Bruttobezüge i.H.v. 14.489,00 DM. Nach Abzug des Arbeitnehmerfreibetrages ergaben sich Einkünfte i.H.v. 12.489,00 DM, so dass der Sohn damit um 129,00 DM über der sogenannten kindergeldschädlichen Grenze von 12.360,00 DM gemäß §§ 63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) lag. Der Beklagte setzte deshalb das Kindergeld ab 1. Januar 1998 für Jan auf 0 DM herab.

2

Dagegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage. Zur Begründung trägt sie vor: Der Vorschrift § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG fehle eine Härteregelung. Die geringste Überschreitung der kindergeldschädlichen Grenze führe dazu, dass die Kindergeldberechtigten keine Umsetzung der verfassungsrechtlich gebotenen Entlastung für Kinder erhielten (Art. 2, 3, 6 und 20 Grundgesetz). In Grenzfällen stünden die Kindergeldberechtigten unter Einbeziehung der Einkünfte und Bezüge des Kindes wesentlich schlechter da und erhielten im Ergebnis weniger als das steuerrechtlich gebotene Existenzminimum dies ermöglichen solle. Ihr, der Klägerin, gehe im Jahr 1998 2.640,00 DM Kindergeld verloren. Dem stehe die Überschreitung der Einkommens- und Bezügegrenze von 129,00 DM gegenüber. Dadurch entstehe ein tatsächlicher Verlust von 2.511,00 DM. Eine solche krasse Folge sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Sie hindere die steuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums und die grundgesetzlich gebotene Förderung der Familie. Diese Förderung dürfe nicht abrupt enden. Es sei auch relativ einfach und unproblematisch, eine verfassungsgemäße Übergangsregelung zu finden. Eine finanzielle Beeinträchtigung trete nicht ein, wenn die Einkünfte- und Bezügegrenze höher überschritten sei als die Förderung durch das Kindergeld ausmache. Das Einkommensteuerrecht (vgl. §§ 33 a Abs. 1 und 2, 16 Abs. 4,17 Abs. 3 EStG) und auch das Erbschaftsteuerrecht kennten Übergangsregelungen. Die fehlende Härteregelung dürfe auch nicht dazu führen, dass ein Kind - etwa durch Krankheitstage - bemüht seinkönnte, die kindergeldschädliche Grenze mit seinen Einkünften und Bezügen nicht zu überschreiten. Auch die Höhe dieses Grenzbetrages sei mit 12.360,00 DM verfassungswidrig. Sie orientiere sich am Existenzminimum des Einzelnen. Das liege im Streitjahr zwischen 13.400,00 und 15.900,00 DM, sei jedoch mindestens mit 14.640,00 DM zu bemessen. Es sei auch nicht richtig, das Kindergeld sofort zu streichen, wenn vorausschauend die kindergeldschädliche Grenze vermutlich überschritten werde. Es sei richtig, zunächst das zustehende Kindergeld zu zahlen und gegebenenfalls später zurückzufordern.

3

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 23. Oktober 1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 1998 aufzuheben und ab Januar 1998 Kindergeld i.H.v. 220,00 DM für den Sohn zu gewähren.

4

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Er bleibt bei seiner Ansicht.

6

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im übrigen verweist der Senat auf die Finanzgerichtsakte und die unter Nr. ... beim Beklagten geführte Kindergeldakte.

7

Der Prozessbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung Unterlagen über die Einkünfte des Sohnes im Jahr 1998 vorgelegt. Danach betrugen die Bruttobezüge 15.127,00 DM.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Die Klägerin hat ab Januar 1998 für ihren Sohn keinen Anspruch auf Kindergeld mehr.

9

Einen Anspruch auf Kindergeld hat der Berechtigte für Kinder i.S.d. § 63 EStG. Dazu gehören Kinder, die das 18. und noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden, wenn ihre Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmtoder geeignet sind, nicht mehr als 12.360,00 DM im Kalenderjahr betragen, §§ 63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG. Nur unter den beschriebenen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Kindergeld für volljährige Kinder, die sich in der Ausbildung befinden. Die Ansicht der Klägerin, für die Gruppevolljähriger 18. bis 27. Jahre alten Kinder bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Kindergeld, dieser könne jedoch wegen zu hoher Einkünfte oder Bezüge des Kindes wegfallen, deckt das Gesetz nicht.

10

Die gesetzliche Regelung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere war der Gesetzgeber nicht gehalten, bei der Gewährung von Kindergeld für volljährige Kinder, die sich in der Ausbildung befinden und eigene Einkünfte haben, für das Kind im Rahmen des Existenzminimums der Familie das Existenzminimum für alleinstehende Erwachsene zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Art. 6 Grundgesetz gebietet darüber hinaus, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum steuerfrei bleiben muss (vgl. den Beschluss des II. Senats vom 10. November 1998 2 BvL 42/93 C I 1, DB 1999, 186 [187]). Diese Gebote sind grundsätzlich auch für die Gewährung von Kindergeld zu beachten. Sie knüpfen jedoch an die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber den minderjährigen Kindern an. Volljährige Kinder haben grundsätzlich keinen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern. Gegebenenfalls können sie ausbildungsbedingten Bedarf fordern (vgl. Palandt, BGB, 58. Aufl. § 1610 Rdz. 37 und 38). Für die Sicherstellung des Existenzminimums muss das volljährige Kind unter Einsatz der eigenen Einkünfte sorgen, und dafür erhält es selbst insoweit die steuerliche Freistellung. Deshalb ist es nicht geboten, den Eltern nochmals die steuerliche bzw. kindergeldgünstige Freistellung des Existenzminimums für einen alleinstehenden Erwachsenen zu gewähren (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG, Anm. 130). Gleichwohl berücksichtigt das Gesetz in einer Art Übergangsregelung bei der Besteuerung der Eltern bzw. der Zahlung von Kindergeld für 18. bis 27. Jahre alte Kinder in der Ausbildung ausbildungsbedingte Mehraufwendungen. Einkünfte und Bezüge des erwachsenen Kindes, das sich in der Ausbildung befindet, wirken sich bei den Eltern steuer- bzw. kindergeldschädlich erst aus, wenn sie - im Streitjahr - 12.360,00 DM übersteigen. Dieser Betrag orientiert sich am Existenzminimum (vgl. Schmidt/Glanegger, 17. Aufl. EStG, § 32 Rdz. 28). Nach dem Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 1999 (Drucksache 13/9561) lag dieses für Erwachsene 1999 bei 12.624,00 DM und 1998 um 2 v.H. niedriger als 1999, mithin bei 12.376,00 DM. Die geringfügige Abweichung gegenüber dem Betrag von 12.360,00 DM in § 32 Abs. 4 EStG ist nicht verfassungswidrig. Die Gewährung von Kindergeld an volljährige Auszubildende mit eigenen Einkünftenrechtfertigt sich - wie dargestellt - unter dem Gesichtspunkt der Aufwendungen für die Berufsausbildung der Kinder. Derartige Aufwendungen müssen aber von Verfassungs wegen nicht genauso behandelt werden wie die Mittel für die Sicherung des Existenzminimums (vgl. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 1994 1 BvR 12/86, BVerfGE 89, 346).

11

Entgegen der klägerischen Ansicht ist über die Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG hinaus keine weitere Übergangsregelung geboten. Zwar ist ihr zuzugeben, dass die starre Grenze in Fällen geringfügiger Über- bzw. Unterschreitung Ungleichheiten mit sich bringt. Insoweit mag eine andere Regelung zweckmäßiger sein. Verfassungswidrig ist das Gesetz deshalb jedoch nicht (anderer Ansicht Kanzler a.a.O., allerdings ohne besondere Begründung).Wie oben bereits ausgeführt, muss der Gesetzgeber dem Kind selbst u n d der Familie für das Kind das Existenzminimum nicht zubilligen. Soweit mit der Kindergeldberechtigung sonstige Vergütungen wegfallen (vgl. z. B. Baukindergeld, günstigere Berechnung der zumutbaren Eigenbelastung, vgl. Paus, FR 1996, 337), könnte der Gesetzgeber eine kindergeldunabhängige Regelung finden. Es ist nicht zwingend, das Kindergeld zu sichern, damit diese Vergünstigungen erhalten bleiben.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

13

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen, weil in dem Rechtsstreit keine Rechtsfrage des einfachen Rechts von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist. Die Verfassungsmäßigkeit der angewandten Vorschriften hat der Senat selbst bejaht.