Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.02.1999, Az.: II 386/96

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
10.02.1999
Aktenzeichen
II 386/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 33054
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0210.II386.96.0A

Fundstelle

  • DB 1999, 1477

Amtlicher Leitsatz

Eine mehrjährige Tätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 3 EStG n.F. muss sich auf mehrere Jahre erstrecken, sie muss aber 12 Monate nicht überschreiten.

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 1993 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 18.06.1996 wird dahin abgeändert, dass von den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ein Betrag von 108. 835 DM gem. § 34 Abs. 3 Einkommensteuergesetz tarifbegünstigt zu versteuern ist. Die Ausrechnung der danach zu zahlenden Einkommensteuer wird dem Finanzamt übertragen. Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens hat das Finanzamt zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Dem Finanzamt wird Vollstreckungsnachlass gegen Sicherheitsleistung gewährt.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten, ob dem Kläger (Kl.) nachträglich gezahlte Bezüge teilweise gem. § 34 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) tarifbegünstigt zu versteuern sind.

2

Der Kl. war im Streitjahr 1993, wie auch schon im Vorjahr, nichtselbständig beschäftigt. Der Arbeitgeber des Kl. sprach dem Kl. gegenüber Kündigungen aus, die nach Auffassung des Kl. "letztlich unberechtigt" waren. Wegen der Kündigungen wurde dem Kl. teilweise nur eine verkürzte Vergütung, teilweise, so im zweiten Halbjahr 1992, überhaupt keine Vergütung mehr gezahlt. Der Kl. strengte gegen seinen Arbeitgeber einen Arbeitsgerichtsprozess an. Der Arbeitsgerichtsprozess endete im Streitjahr mit einem Vergleich. Danach verpflichtete sich der Arbeitgeber, für die Zeit vom 23.06.1992 bis einschl. 28.02.1993 Vergütungen im Gesamtbetrag von 108. 835 DM nachzuzahlen. Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere wegen Höhe der Beträge im Einzelnen, wird auf die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 07.04.1994 verwiesen (Einkommensteuerakte - EStA - 1993 S. 10). Der Arbeitgeber zahlte den Nachzahlungsbetrag im Mai 1993 in einem Betrage an den Kl. aus.

3

Der Kl. begehrte bei seiner Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr, ihm für den auf das Vorjahr entfallenden Teilbetrag des Nachzahlungsbetrages in Höhe von 96. 099 DM die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG zu gewähren. Das Finanzamt (FA) lehnte dies ab, weil es sich bei dem nachgezahlten Betrag von 96. 099 DM lediglich um Arbeitslohn für eine im Vorjahr (1992) ausgeübte Tätigkeit gehandelt habe, also nicht um eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Einspruchsbescheid vom 18.06.1996 verwiesen. Hiergegen richtet sich die Klage.

4

Der Kl. meint im Klageverfahren nunmehr, er könne für den gesamten Nachzahlungsbetrag (108. 835 DM) die Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch nehmen. Es handele sich bei dem nachgezahlten Betrag um die Vergütung für eine fast dreivierteljährige Tätigkeit, die im Zeitpunkt der Nachzahlung im Jahre 1993 mit der Vergütung für die Tätigkeit des Kl. in diesem Jahr zusammengefallen sei und deshalb zu einer erheblichen Zusammenballung von Entgelten geführt habe. Nach dem Zweck des Gesetzes solle die Tarifvergünstigung gerade derartige Steuermehrbelastungen ausgleichen.

5

Der Kl. beantragt sinngemäß,

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wie erkannt zu entscheiden.

7

Das FA beantragt

Klagabweisung

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und bleibt bei seiner Auffassung, der Kl. könne die Tarifbegünstigung nicht in Anspruch nehmen. Die Tarifbegünstigung komme nur für eine "mehrjährige Tätigkeit" in Betracht, wie sich aus § 34 Abs. 3 EStG ergebe. Eine solche Tätigkeit liege jedoch nur vor, wenn sie sich über mehr als 12 Monate erstreckt habe. Das seihier jedoch nicht der Fall gewesen. Das FA beruft sich hierzu auf die Lohnsteuerrichtlinien - LStR - (Abschn. 102 der LStR 1993).

9

Beide Parteien haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Gründe

10

Die Klage ist begründet. Der Kl. kann für die nachgezahlte Vergütung eine Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch nehmen.

11

Nach § 34 Abs. 3 des EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung kann eine Tarifbegünstigung beansprucht werden für Vergütungen, die für eine "mehrjährige" Tätigkeit gezahlt werden. Eine solche mehrjährige Tätigkeit ist dem Kl. hier durch die Nachzahlung vergütet worden. Das Einkommensteuergesetz in der für das Streitjahr geltenden Fassung gilt so seit dem Jahre 1990. Schon die Vorgänger-Vorschrift des § 34 Abs. 3 EStG sah allerdings eine ähnliche Steuervergünstigung für Vergütungen dieser Art vor. Nach dem Wortlaut des bis zum Jahre 1989 geltenden Gesetzes waren von der Begünstigung Einkünfte betroffen, "die die Entlohnung für eine Tätigkeit darstellen, die sich über mehrere Jahre ersteckt". Zu dieser Tatbestandsvoraussetzung der Vorgänger-Vorschrift hat der Bundesfinanzhof - BFH - in Abkehr von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs mit Urteil vom 12.05.1961 (VI 107/59 U, Bundessteuerblatt III 1961, 399) entschieden, dass die Tätigkeit nicht den Zeitraum von 12 Monaten überschreiten muss, um begünstigt zu sein. Der Wortlaut des Gesetzes sei nicht eindeutig. Der Zweck des Gesetzes, Zusammenballungen von Einkünften zu begünstigen, erfordere jedoch, auch solche Einkünfte zu begünstigen, die nicht 12 Monate überschreiten, jedoch für eine Tätigkeit gezahlt werden, die sich über mehrere Veranlagungszeiträume erstreckt (ebenso BFH-Urteil vom 06.10.1993 I R 98/92, abgedruckt in BFH/NV 1994, 775, ebenfalls zu Vorschrift des § 34 Abs. 3 EStG a.F.).

12

Der Wortlaut der neuen Vorschrift des § 34 Abs. 3 EStG in derfür das Streitjahr geltenden Fassung hat die tatbestandlichen Voraussetzungen der Tarifbegünstigung neu bezeichnet. Nunmehr muss es sich um die Vergütung für eine "mehrjährige Tätigkeit" handeln. Dass mit der Änderung der Wortwahl eine Änderung der tatbestandlichen Voraussetzungen bezweckt war, lässt sich nicht feststellen (vgl. wie hier auch Offerhaus, Betriebsberater 1990, Seite 331). Der Wortlaut "mehrjährige Tätigkeit") deutet vielmehr eher noch als der bisherige Wortlaut darauf hin, dass die Tätigkeit sich lediglich auf mehrere Jahre, also Veranlagungszeiträume, erstreckt haben muss. In den Kommentierungen werden deshalb zu diesem Tatbestandserfordernis auch weiterhin die o.a. Urteile des BFH zitiert. Nach der Kommentar-Literatur ist danach auch weiterhin lediglich erforderlich, dass die Tätigkeit mindestens zwei Veranlagungszeiträume "berührt haben muss" (wie hier Blümich/Falk, § 34 Anm. 100; Littmann, § 34 Anm. 34; Schmidt,§ 34 Anm. 55). Demgegenüber sehen die Richtlinien indes eine mehr als zwölfmonatige Tätigkeit vor (Abschnitt 102 LStR, a.a.O.; Abschn. 200 Abs. 3 Einkommensteuerrichtlinien - EStR - 1993). Diese Auffassung des Richtliniengebers ist indes vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt. Der Wortlaut "mehrjährige Tätigkeit") würde, wenn hierin eine rein zeitliche Bestimmung gesehen werden müsste, sogar eher eine mindestens vierundzwanzigmonatige Tätigkeit erfordern, denn nur bei einer wenigstens zweijährigen Tätigkeit könnte von einer mehrere Jahre dauernden, also "mehrjährigen" Tätigkeit gesprochen werden.

13

Nach dem Zweck des Gesetzes ist jedoch, wie bisher, lediglich Voraussetzung, dass die Vergütung für eine Tätigkeit gezahlt wird, die sich über mehrere Jahre, also Veranlagungszeiträume, erstreckt hat. Mit der Tarifbegünstigung sollen Mehrbelastungen durch die Zusammenballung von Einkünften ausgeglichen werden. Nach diesem Zweck reicht es aber aus, dass die Tätigkeit sichüber mehrere Veranlagungszeiträume erstreckt hat, ohne dass dadurch schon eine Dauer von mindestens 12 Monaten erreicht worden ist. Die Änderung im Wortlaut des Gesetzes hat mithin lediglich redaktionelle Bedeutung.

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Danach sind hier die Voraussetzungen für eine Tarifbegünstigung erfüllt. Dem Kl. ist die Vergütung für eine Tätigkeit nachgezahlt worden, die sich vom Sommer 1992 bis zum Februar 1993 erstreckt hat, also über mehr als einen Veranlagungszeitraum. Ihm steht daher die Tarifbegünstigung zu (wie hier Offerhaus, a.a.O.).

15

Dem FA wird die Ausrechnung der Steuer nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

16

Die Revision wird im Hinblick auf die anderslautende Anweisung in den Lohn- und Einkommensteuerrichtlinien wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.