Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 02.11.2022, Az.: 12 A 2839/19

Ablehnungsgesuch; Anzeige; Besorgnis der Befangenheit; Cousin; Dritter; finanzieller Vorteil; nicht Verfahrensbeteiligter

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
02.11.2022
Aktenzeichen
12 A 2839/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 63486
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2022:1102.12A2839.19.00

Amtlicher Leitsatz

Die Besorgnis der Befangenheit einer Richterin besteht nicht, wenn sich aus einem Urteil für ihren Cousin als nicht verfahrensbeteiligten Dritten ein nur höchst mittelbarer (finanzieller) Vorteil ergeben kann.

Tenor:

Die mit dienstlicher Erklärung der Kammervorsitzenden vom 21.06.2022 angezeigten Umstände begründen nicht die Besorgnis ihrer Befangenheit.

Gründe

Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 Halbsatz 1 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Zur Entscheidung berufen ist nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO das Gericht, dem der Anzeigende angehört, ohne dessen Mitwirkung; das sind hier die drei Beisitzer der Kammer.

Ein Ausschluss der Kammervorsitzenden von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes nach § 41 Nr. 3 ZPO besteht nicht. Danach ist ein Richter ausgeschlossen in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war. Die Kammervorsitzende und ihr Cousin sind zwar in der Seitenlinie im dritten Grad verwandt. Das vorliegende Verfahren ist aber, das führt die Klägerin richtig aus, keine "Sache" des Cousins. Sache im Sinne des § 41 Nr. 3 ZPO ist nur die Prozesssache, d.h. der konkrete bei Gericht anhängige, vom Richter zu entscheidende Rechtsstreit und maßgeblich ist allein die formelle Stellung im konkreten Prozess (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 54 Rn. 6). Der Cousin ist in dem Verfahren nicht Prozesspartei.

Gemäß § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter allerdings sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Nach Absatz 2 derselben Vorschrift findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Allein die subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (Nds. OVG, Beschl. vom 29.04.2022 - 14 OB 134/22 -, juris Rn. 7 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschl. vom 11.12.2012 - 8 B 58.12 -, juris Rn. 19).

Hinreichende objektive Gründe für Zweifel an der Unparteilichkeit der Kammervorsitzenden liegen nicht vor.

Zwar lässt sich der Cousin der Kammervorsitzenden, obwohl er am Verfahren nicht beteiligt ist, dem "Lager" der Klägerin zuordnen. Ein objektiver Grund für eine mögliche Besorgnis, dass die Kammervorsitzende das Verfahren deshalb nicht mehr unparteilich leitet, kann sich daraus jedoch nicht ergeben, da der Cousin nur ein äußerst mittelbares Interesse an einem Obsiegen der Klägerin hat. Für ihn wird sich auch im Falle des Obsiegens der Klägerin kein konkreter (finanzieller) Vorteil ergeben.

Da es sich vorliegend um ein sogenanntes steckengebliebenes Genehmigungsverfahren handelt, würde im Falle eines Obsiegens der Klägerin lediglich das Genehmigungsverfahren fortgeführt. Zwar würde sich das fortzuführende Genehmigungsverfahren voraussichtlich auch auf die hier nicht streitbefangene WEA 2 erstrecken, es ist jedoch weder heute noch für den Fall einer Entscheidung des Gerichts zugunsten der Klägerin absehbar, ob das Genehmigungsverfahren letztendlich zu der Erteilung einer Genehmigung für die geplante WEA 2 führen wird. Tatsächlich sind zum jetzigen Zeitpunkt maßgebliche Antragsunterlagen noch nicht erstellt und damit gewichtige Fragen noch offen.

Darüber hinaus würde der Cousin der Kammervorsitzenden selbst dann, wenn die Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb der WEA 2 erteilt werden sollte, keine unmittelbaren Vorteile erlangen. Die Anlage wird nicht auf seinem Grundeigentum errichtet und er wird die Anlage auch nicht betreiben. Er wird lediglich höchst mittelbar einen finanziellen Vorteil erlangen, da mit der Klägerin vertraglich vereinbart ist, dass er ab Baubeginn ein Nutzungsentgelt für 25 Jahre erhält, wenn er für die Errichtung der Anlage eine - erfahrungsgemäß finanziell abgegoltene - Abstandsbaulast zu Lasten seines Grundstücks eintragen lässt.

Diese Erwägungen dürften im Übrigen dazu geführt haben, dass weder der Beklagte in seinen Stellungnahmen vom 04.07.2022 noch eine der Beigeladenen eine Besorgnis der Befangenheit geäußert haben.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).