Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 25.11.2022, Az.: 5 A 2022/22

Bahnhof; begünstigend; Eisenbahn; Eisenbahnrechtlicher Planungsvorbehalt; Freistellung; Grundstück; Klagebefugnis; Planungsvorbehalt; Rechtsschutzbedürfnis; Freistellung nach § 23 AEG

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
25.11.2022
Aktenzeichen
5 A 2022/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 51228
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2022:1125.5A2022.22.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Klagebefugnis der Gemeinde folgt nicht aus dem Umstand, dass sie nach § 23 Abs. 1 AEG im eigenen Namen die Freistellung eines Grundstücks in ihrem Zuständigkeitsgebiet vom eisenbahnrechtlichen Planungsvorbehalt beantragen kann.

  2. 2.

    Die Freistellungsentscheidung ist für die Gemeinde rechtlich gesehen ein begünstigender Verwaltungsakt, weshalb der Klage auch das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten aller Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für nicht notwendig erklärt.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die eisenbahnplanungsrechtliche Freistellung dreier Flurstücke im Bereich des ehemaligen Bahnhofs G..

Die "niedersächsische H. verband seit dem 1. Juli 1900 zunächst I. mit J.. Am 7. November 1901 wurde die Strecke über K. nach G. erweitert. In G. bestand Anschluss an die L. (M., N. über O. bis P.). Der Personenverkehr zwischen G. und J. wurde bereits am 24. September 1966 wieder eingestellt. Der Gesamtverkehr auf dem Abschnitt G. -K. wurde am 25. September 1974 eingestellt. Der Abschnitt zwischen G. und Q. wurde von 1976 bis 1991 als Museumsbahn betrieben. Aktuell kann nach den Angaben der Arbeitsgemeinschaft R. nur ein etwa 800 Meter langer Gleisabschnitt von ihren Museumszügen befahren werden. Seit dem 31. Mai 1987 endet der Gesamtverkehr der L. in G..

Der ehemalige Bahnhof G. befindet sich in Ortsrandlage von S.. Im Jahr 2002 wurde der ehemalige Bahnhof G. bei Bahn-km 22,54 abgebunden und bei Bahn-km 22,8 ein neuer Endhaltepunkt G. errichtet. Zwischen dem neuen Endhaltepunkt und dem ehemaligen Bahnhof ist ein Bahnübergang über die T. Straße zurückgebaut worden. Zwischen dem alten Bahnhof G. und dem restlichen Schienennetz besteht keine Gleisverbindung mehr. Den neuen Abschluss der Kursbuchstrecke M. U. -G. ("L.") bildet ein Prellbock hinter dem neuen Endhaltepunkt G..

Die Arbeitsgemeinschaft ist Eigentümerin eines Reststückes der ehemaligen Strecke der niedersächsischen V. im Bereich Q. /W.. Dort betreibt sie eine Museumseisenbahn. Sie schloss am 19. Dezember 2005 mit der Beigeladenen zu 1. X. und der Y., jeweils vertreten durch die Z. einen "Gestattungsvertrag", wonach ihr ab dem 1. Dezember 2005 die Nutzung der drei Flurstücke, AA. in Form der Erhaltung und Nutzung der AB. -Infrastruktur und Geländefläche als Eisenbahnbetriebsmuseum unter Berücksichtigung der Denkmalschutzauflagen sowie in Form von Geh- und Fahrrechten auf dem Gelände zusteht (§ 1 Abs. 1 des Gestattungsvertrages).

Zwei der Flurstücke AC. wurden von der Beigeladenen zu 1. AD. am 9. Mai 2015 zur Versteigerung aufgerufen. In § 6 des objektspezifischen Teils des Einlieferungsvertrages ist festgehalten, dass dem Ersteher bekannt sei, "dass der Kaufgegenstand noch nicht gemäß § 23 AEG von Bahnbetriebszwecken freigestellt ist und aufgrund von weiterhin betriebsnotwenigen Anlagen u./o. Geh- und Fahrtrechten des Veräußerers oder mit diesem nach § 15 AktG verbundenen Unternehmen auch nicht freigestellt werden kann." Sollten die Freistellungsvoraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen, zu deren Schaffung der Veräußerer nicht verpflichtet ist, werde der Veräußerer auf Antrag des Erstehers das Freistellungsverfahren bei dem C. betreiben.

Die Beigeladene zu 2. ersteigerte die genannten Flurstücke mit dem Bahnhofsgebäude und sämtlichen Nebengebäuden und beantragte mit Schreiben vom 15. Februar 2021 bei der Beigeladenen zu 1. AD. die Einleitung eines Verfahrens zur Freistellung gemäß § 23 AEG. Es sei in Abstimmung mit der Klägerin eine geordnete städtebauliche Entwicklung in Form eines Bebauungsplans geplant.

Am 28. April 2021 beantragte die Beigeladene zu 1. AD. die Freistellung des ehemaligen Bahnhofs G. gemäß § 23 AEG (Flurstücke AE.; Streckenkilometer 21,700 bis 22,7400).

Am 21. Oktober 2021 wurde der Freistellungsantrag im Bundesanzeiger öffentlich bekannt gemacht.

Am AF. Dezember 2021 erließ die Beklagte einen Freistellungsbescheid für die im Antrag benannten Flurstücke Bahn-km 21,700 bis 22,7400 der Strecke M. P. -N.. Die Beklagte nahm Bezug auf § 23 AEG. Für die genannten Flurstücke bestehe kein Verkehrsbedürfnis mehr und die Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung sei nicht mehr zu erwarten.

Der Freistellungsbescheid wurde der Klägerin am 16. Dezember 2021 zugestellt. Mit Schreiben vom 10. Januar 2022 hat die Klägerin Widerspruch gegen den Freistellungsbescheid eingelegt.

Mit Bescheid vom AG. April 2022 hat die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Der Widerspruch sei bereits unzulässig, denn sie sei nicht widerspruchsbefugt. Die Klägerin sei gemäß § 20 NROG nicht Trägerin der Regionalplanung und könne insofern nicht in ihren eigenen Rechten betroffen sein. Davon abgesehen sei ausweislich der auf der Internetseite des Landkreises dargestellten Übersichtskarte zum Raumordnungsprogramm die streitgegenständliche Fläche auch nicht als Fläche kenntlich gemacht, die Bahnzwecken dienen solle. Lediglich nördlich und südlich seien Bahnflächen ausgewiesen. Insofern weiche der Freistellungsbescheid nicht vom Raumordnungsprogramm ab. Es gebe derzeit keine Reaktivierungsbemühungen hinsichtlich des alten Bahnhofs. Die Entwicklung des Schienenverkehrs sei abgesehen davon keine der Klägerin gesetzlich zugewiesene Aufgabe, sodass sie auch insoweit nicht in ihren eigenen Rechten betroffen sein könne. Die Freistellung sei auch kein Hindernis für eine etwaige Wiederherstellung oder erneute Widmung der betroffenen Eisenbahnanlage. Eine erneute Widmung bleibe immer möglich, weil nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 5 AEG mit der Freistellung lediglich die eisenbahnrechtliche Fachplanungshoheit ende. Dies bedeute ausschließlich, dass für die betroffene Fläche die öffentlich-rechtliche kommunale Planungshoheit wieder uneingeschränkt Gültigkeit habe. Im Rahmen der damit gegebenen Möglichkeiten sei die Klägerin in der Lage, ihre planerischen Vorstellungen bezüglich eines Fortbestandes der freigestellten Bahnfläche umzusetzen.

Gegen den Freistellungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides hat die Klägerin am 12. Mai 2022 Klage erhoben. Der streitgegenständlichen Strecke komme bei einer Ertüchtigung der gewidmeten Bahnstrecke eine zentrale Bedeutung zu, die den Zwecken und Zielen der Stadt diene (ausgebautes Schienennetz, um sowohl die Stadt von Lärm und Abgasen zu befreien als auch den Unternehmen und Bürgern eine angemessene Basis zum Wirtschaften zu schaffen; gestiegene Energiekosten, CO2-Fußabdruck, touristische Besucher). Eine etwaige erneute Widmung könne Jahre in Anspruch nehmen und unverhältnismäßig hohe Kosten produzieren. Es sei unklar, ob die aktuell an einer Ertüchtigung interessierten Unternehmen finanziell und personell in der Lage sein würden, diese Zeit zu überbrücken. Es drohe der Verlust von Arbeitsplätzen und Unternehmen. Die Stadt stehe daher seit mehreren Jahren mit der Arbeitsgemeinschaft R. in Kontakt, die die Wartungsarbeiten auf der Strecke durchführe und den Gestattungsvertrag innehabe. Unternehmen in der Region verfolgten ein konkretes Interesse im Rahmen entsprechender Bundesmittel die noch vorhandene und gewidmete Bahnstrecke zu ertüchtigen. Der Freistellungsbescheid bevorzuge dagegen einseitig die ausschließlich privaten und kommerziellen Interessen der Beigeladenen zu 2.

Die Klage sei zulässig. Die Klägerin sei in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG i. V. m. § 1 Abs. 3 und 2 Abs. 1 BauGB geschützten Planungshoheit betroffen. Ein Anspruch auf Beibehaltung der eisenbahnspezifischen Zweckbestimmung einer Bahnanlage könne den in § 23 Abs. 2 AEG genannten öffentlichen Stellen zustehen, zu denen auch die Gemeinde gehöre. Art. 28 Abs. 2 GG sichere auch die Effektivität der Wahrnehmung der eigenen Aufgaben durch die Gemeinden. Auf der Ebene des einfachen Bundesrechts ergebe sich die kommunale Planungshoheit als wehrfähige Position im Sinne des öffentlichen Rechts aus den § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Angesichts der Tatsachen, dass auf den streitgegenständlichen Flächen vermutlich rechtswidrig "Tiny-Häuser" stünden und der Anschluss der Flächen an den ÖPNV sicherzustellen sei, stelle sich die Frage einer Fachplanung auf der Grundlage des allgemeinen Bauplanungsrechts, sodass zumindest im Hinblick auf eine effiziente Wahrnehmung der Selbstverwaltungsaufgaben ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltungsgarantie möglich erscheine.

Für den Nachweis der Ernsthaftigkeit eines langfristigen Nutzungsinteresses im Sinne von § 23 Abs. 1 AEG sei eine konkrete Bereitschaft zur Übernahme der Bahnanlagen nicht erforderlich, weil die von § 23 Abs. 1 AEG verlangte langfristige Prognose solche konkreten Dispositionen der beteiligten Akteure nicht verlange.

Bauleitpläne seien den gültigen Zielen der Raumordnung anzupassen. Die Gemeinde müsse aktiv werden, wenn geänderte oder neue Ziele der Raumordnung eine Anpassung der Bauleitpläne erforderten. Die Eisenbahnstrecke G. -W. sei im Raumordnungsprogramm des Landkreises als "Vorbehaltsgebiet Anschlussgleis für Industrie und Gewerbe" dargestellt, die hiernach zu erhalten seien. Diese Darstellung bestehe unverändert fort, obwohl der ehemalige Bahnhof G. durch eine ungefähr 15m breite Lücke vom Eisenbahnnetz abgetrennt sei. Hieraus sei die Erwartung abzuleiten, dass die Bahninfrastruktur nicht ohne weiteres aufgegeben werden solle, sondern den Bürgern im Sinne einer langfristigen Daseinsvorsorge als Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vorzuhalten sei. Auch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wie die Wirtschafts- und Tourismusförderung würden durch die Entwidmung der Flächen tangiert.

Nach der Rechtsprechung des VG Schleswig (Urteil vom 4.11.2019 - 3 A 75/18 -) könne § 23 AEG Drittschutz entfalten, wenn Grundstücke mit noch nicht oder ohne die nach § 11 AEG erforderliche Genehmigung stillgelegten Betriebsanlagen einer Eisenbahn betroffen seien.

Die Klage sei auch begründet. Der Freistellungsbescheid sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen von § 23 AEG lägen nicht vor, weil gegenwärtig und zukünftig ein Verkehrsbedarf bestehe. Die in O. ansässigen Firmen AH. AG, AI. GmbH & Co. KG und AJ. Inc. könnten den ehemaligen Bahnhof G. nutzen, indem Ganzgüterzüge diesen anführen und die Fracht sodann in kleineren Einheiten oder per LKW-Pendel nach O. gefahren werde. Entsprechende Anlagen könnten im Bereich der Ladestraße entstehen, sofern Einigkeit mit der Eigentümerin der Ladestraße bestehe. Die Arbeitsgemeinschaft hege weitsichtige Pläne, in die insbesondere die Gesichtspunkte Abstellanlage und Verbesserung des ÖPNV in den Mittelpunkt rückten. Die Strecke könne in der Zukunft auch als Testgebiet für fahrerlose Systeme genutzt werden. Außerdem würde eine Beibehaltung des gewidmeten Status die Errichtung einer potentiellen Wasserstoffinfrastruktur für Brennstoffschienenfahrzeuge begünstigen.

Gegen eine Ertüchtigung in G. spreche auch nicht, dass die Gleisanlagen in O. als Ausweichanschlussstelle besser angebunden werden könnten. Denn diese biete höchstwahrscheinlich weder eine Kapazitätssteigerung im Güterverkehr, die in G. möglich sei, noch eine Verbesserung für den ÖPNV. Insbesondere die Schülerbeförderung kranke an begrenzten Fahrzeugkapazitäten. Eine Wiederanbindung des ehemaligen Bahnhofs G. ermögliche es, direkt am Bedarfsort Triebwagen vorzuhalten, ohne dass aufwändige Umläufe herbeigeführt werden müssten.

Hinsichtlich der Darstellung der Eisenbahnstrecke G. -W. im Raumordnungsprogramm des Landkreises AK. als "Vorbehaltsgebiet Anschlussgleis für Industrie und Gewerbe" wird ergänzend vorgetragen, dass die Nachbarstadt AL. die Wiederherstellung der Bahnstrecke zwischen den Ortsteilen AM. und AN. verfolge. Immer sei es von Vorteil, wenn die Widmung als Eisenbahnbetriebsfläche noch gegeben sei. Zwar gebe es für den ehemaligen Bahnhof G. derzeit keine vergleichbare Bestrebung. Dies bedeute aber nicht, dass sich dies nicht unter - auch verkehrspolitisch - besseren Rahmenbedingungen ändern könne. Erste Ansätze enthalte der Deutschlandtakt. In diesen sei die heutige Bahnstrecke AO. ("L.") voll integriert. Von einem dauerhaften Betrieb im schon heute angebotenen Stundentakt sei daher auszugehen. Für diese Stichstrecke könne eine Bahnbetriebsfläche in Gestalt des ehemaligen Bahnhofs G. langfristig eine wichtige betriebliche Option werden. Denn die Strecke verfüge zwischen N. und G. bis auf die täglich bediente Awanst AP. in O. über keinerlei Weichenverbindungen und Nebengleise mehr. Hinsichtlich Zugbereitstellung, Behandlung oder sogar Kreuzung bei einer denkbaren Weiterführung der Strecke komme deshalb nur die Fläche des ehemaligen Bahnhofs G. in Frage. Die Freistellung sei auch unter klimapolitischen Aspekten langfristig kontraproduktiv und unumkehrbar. Die Klägerin habe ein nachhaltiges Interesse daran, die Funktionalität der "L." in Zukunft weiter verbessern zu können. Schon heute sei sie mit fünf modern ausgebauten Haltepunkten im Stadtgebiet das Rückgrat für die Erschließung im öffentlichen Verkehr.

Die Beigeladene zu 2. habe bisher keine Absichten verlauten lassen, wie sie sich eine konkrete Entwicklung auf der Fläche vorstelle. In der Presse sei von vermutlich illegal aufgestellten "Tiny-Houses" und Wohnmobilstellplätzen zu lesen. Die Ernsthaftigkeit dieser Absichten sei zu bezweifeln. Zu langsam scheine der Fortschritt. Die Arbeitsgemeinschaft habe bis zum 31. Dezember 2026 ein Nutzungsrecht für das Gleisareal des Bahnhofs G.. Die Arbeitsgemeinschaft habe 2017 mit umfangreichen Freischnitt- und Pflegemaßnahmen begonnen, um das Areal aktiv ins Vereinsgeschehen einzubeziehen. Die Versteigerung des Bahnhofsgeländes nach den Freischnittmaßnahmen hätten bisher die Umsetzung der Pläne für die V. behindert, die im Schulterschluss mit der Stadt und dem Landkreis den höheren allgemeinen Nutzen aufwiesen, als die Pläne der Beigeladenen zu 2.

Es lägen keine verifizierten Daten dafür vor, dass das Gelände des ehemaligen Bahnhofs G. als Bahnbetriebsfläche nach § 11 AEG stillgelegt sei. Die obligatorische öffentliche Bekanntmachung sei nicht erfolgt. Die Rechtsprechung sehe die Stilllegung der Eisenbahninfrastruktur nach § 11 AEG als ungeschriebene Voraussetzung des § 23 Abs. 1 AEG an. Das Stilllegungsverfahren nach § 11 AEG sei auch dazu bestimmt, die Interessen Dritter zu schützen, die ernsthaft gewillt seien, die Eisenbahninfrastruktureinrichtung zu übernehmen. Die Präklusionsvorschriften des eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahrens fänden keine Anwendung gegenüber dem Einwand, ein Stilllegungsverfahren sei versäumt worden. Die versäumte Durchführung eines Stilllegungsverfahrens führe zur Rechtswidrigkeit des Freistellungsbescheides.

Die Klägerin sehe es als ihre Aufgabe der gemeindlichen Daseinsvorsorge, die Fläche des ehemaligen Bahnhofs G., die sich für alle Aufgaben eines modernen Bahnhofs wie Wartung, Abstellung und Bereitstellung von Zügen eigne, langfristig für Bahnbetriebszwecke vor Ort planerisch zu erhalten.

Aufgrund der topografischen Lage der Stadt sei schlichtweg nicht hinreichend Platz, um für den bereits jetzt bei den ortsansässigen Unternehmen anfallenden Bahnverkehr ausreichend Rangiermöglichkeiten zu haben. Aufgrund der Regelungen des AEG sei es faktisch unmöglich, die streitgegenständliche Strecke bei später entstehendem Bedarf im Wege eines neuen Planfeststellungsverfahrens samt neuer Widmung für den Bahnverkehr wieder zu ertüchtigen. Die Beklagte habe es unterlassen, vor Erlass des Freistellungsbescheides die Eigentümerin der angrenzenden Bahntrasse, nämlich die Arbeitsgemeinschaft R., zu hören, obwohl diese eine gleichgestellte Eisenbahn im Sinne einer nicht-öffentlichen Eisenbahn sei. Die Arbeitsgemeinschaft habe sehr wohl ein Interesse an der Nutzung der bestehenden Bahninfrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung als Eisenbahnstrecke, nämlich als historisch-touristische Museumseisenbahn.

Die Klägerin beantragt,

den Freistellungsbescheid des Beklagten vom 2. Dezember 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2022 aufzuheben und

die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei bereits unzulässig. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 5 AEG beschränke sich die Wirkung einer Freistellungsentscheidung auf die Aufhebung der eisenbahnrechtlichen Fachplanungshoheit, sodass es der Klägerin als Folge der Freistellung nach § 23 AEG nunmehr unbenommen sei, ihre planerischen Vorstellungen ohne Rücksicht auf fachplanerische Vorgaben hinsichtlich der Freistellungsfläche umzusetzen. Von einer Erschwernis für kommunale Planungen, dem Entzug von Gemeindegebiet einer kommunalen Planung, oder einer Störung kommunaler Einrichtungen könne daher vorliegend keine Rede sein - die planerischen Möglichkeiten der Klägerin würden durch die angefochtene Freistellung nicht eingeschränkt, sondern erweitert. Sie könne sich daher nicht auf die Verletzung einer ihr zustehenden Rechtsposition berufen.

Im Übrigen sei der Freistellungsbescheid auch rechtmäßig. Im Freistellungsverfahren hätten sich keine Hinweise auf ein weiterhin bestehendes Verkehrsbedürfnis im Sinne von § 23 AEG ergeben. Langfristig sei eine Nutzung, die sich im Rahmen der ursprünglichen Zweckbestimmung bewege (§ 23 Abs. 1 Satz 1 AEG) nicht zu erwarten. Infolge umfassender Rückbaumaßnahmen an den Schienenwegen im streitgegenständlichen Bereich in den 1970er, 80er und 90er Jahren verfüge die Freistellungsfläche über keine nennenswerte Anbindung mehr an das Schienennetz. Im Jahr 2003 sei im Rahmen der Errichtung des Endhaltepunktes G. der zwischen dem ehemaligen Bahnhof und dem Endhaltepunkt verlaufende Schienenweg zurückgebaut worden, um die Anlage eines dort befindlichen Bahnübergangs einzusparen. Eine Wiedererrichtung dieses zurückgebauten Bahnüberganges wäre erforderlich, um eine Schienenanbindung für die ehemaligen Bahnhofsanlagen wiederherzustellen. Einer solchen Wiedererrichtung stehe aber das Verbot höhengleicher Bahnübergänge nach § 2 Abs. 1 EKrG entgegen, sodass eine höhenungleiche Lösung gefunden werden müsste. Umfassende Baumaßnahmen für ein Überführungsbauwerk oder Umfahrungen wären erforderlich, was angesichts der schon seit langer Zeit eingetretenen eisenbahnbetrieblichen Bedeutungslosigkeit der streitgegenständlichen Bahnhofsanlagen und der Auswirkungen der erforderlichen Baumaßnahmen auf die Umwelt und die Belange der Anlieger in dem betroffenen Bereich grob unverhältnismäßig und damit realistisch nicht zu erwarten sei.

Die Durchführung eines Stilllegungsverfahrens nach § 11 AEG sei auch nicht Voraussetzung für die Freistellung. Durch den oben genannten Abbau der zu dem streitgegenständlichen Bahnhof führenden Schienenwege habe dieser seine Bedeutung für den Schienenverkehr im Laufe der Zeit verloren und sei spätestens im Jahr 2003 für den öffentlichen Schienenverkehr vollständig funktionslos gewesen, nachdem er durch den neuen Endhaltepunkt ersetzt, vom Schienennetz abgetrennt und für Zwecke des öffentlichen Eisenbahnbetriebs nicht mehr betrieben worden sei. Nach der in diesem Zeitpunkt geltenden Fassung des § 11 AEG sei dafür keine Stilllegungsgenehmigung erforderlich gewesen, sondern nur für "die dauernde Einstellung des Betriebes einer Strecke, eines für die Betriebsabwicklung wichtigen Bahnhofs oder die mehr als geringfügige Verringerung der Kapazität einer Strecke". All diese Merkmale seien vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen nicht erfüllt.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Beigeladene zu 1. trägt vor, weder im Landes-Raumordnungsprogramm des Landes Niedersachsen noch im Schienenpersonennahverkehrskonzept 2030+ der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen würden die Strecken AQ. G. -I. oder M. N. -P. berücksichtigt. Es bestehe kein Verkehrsbedürfnis mehr und eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung sei langfristig nicht mehr zu erwarten. Die Strecke existiere heute faktisch nicht mehr. Die Freistellungsfläche verfüge über keine Anbindung an das Streckennetz. Es seien auch keine Eisenbahninfrastrukturanlagen mehr vorhanden, für die ein Verkehrsbedürfnis bestehe. Es bestünden keine entsprechenden vertraglichen Bindungen. "Zweckbestimmung" im Sinne von § 23 AEG sei die Nutzung der Infrastruktur für Zwecke einer öffentlichen Eisenbahn des Bundes. Die Betriebsinteressen einer Museumseisenbahn unterlägen nicht den Regelungen des § 23 AEG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unzulässig.

Zum einen ist die Klägerin nicht klagebefugt. Eine Verletzung der Klägerin in ihren eigenen Rechten ist unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten ausgeschlossen.

Eine Klagebefugnis ergibt sich nicht schon daraus, dass der angefochtene Bescheid der Klägerin zugestellt worden ist. Diese Zustellung erfolgte lediglich nach den Regeln des § 23 Abs. 3 Satz 1 AEG. Die Klägerin ist dadurch zwar Zustellungsadressatin, aber nicht Inhaltsadressatin des Bescheides geworden, was für eine Klagebefugnis erforderlich wäre.

Eine Klagebefugnis folgt auch nicht aus dem Umstand, dass sie als Gemeinde nach § 23 Abs. 1 AEG im eigenen Namen die Freistellung eines Grundstücks in ihrem Zuständigkeitsgebiet vom eisenbahnrechtlichen Planungsvorbehalt beantragen kann. Denn dieses Antragsrecht beruht auf der Überlegung, dass die Gemeinde durch den bestehenden eisenbahnrechtlichen Planungsvorbehalt in ihrer eigenen Planungshoheit verletzt werden könnte. Die gemeindliche Planungshoheit vermittelt nach ständiger Rechtsprechung eine wehrfähige, in die Abwägung einzubeziehende Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen auf dem eigenen Gemeindegebiet, wenn das Vorhaben nachhaltig eine hinreichend bestimmte Planung der Gemeinde stört oder wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder erheblich gemeindliche Einrichtungen beeinträchtigt (BVerwG, Urteil vom 6.11.2013 - BVerwG 9 A 9.12 -, juris; BVerwG, Urteil vom 30.5.2012 - BVerwG 9 A 35.10 -, juris). Unter "nachhaltigen Störungen" der gemeindlichen Planung sind unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf die Planung zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 11.5.1984 - BVerwG 4 C 83.80 -, juris). Die Planung muss gänzlich verhindert oder doch grundlegend behindert werden (BVerwG, Urteil vom 21.3.1996 - BVerwG 4 C 26.94 -, juris). Eine solche Beeinträchtigung der Planungshoheit im Zusammenhang mit einem bestehenden eisenbahnrechtlichen Planungsvorbehalt wäre nur dadurch denkbar, dass dieser entgegen eines Antrags der Gemeinde auf Freistellung fortbesteht, die Freistellung mithin abgelehnt wird. Dies ist vorliegend aber gerade nicht der Fall. Durch die Freistellung selbst ist die Störung einer konkreten Planung der Gemeinde schlechthin ausgeschlossen. Sie ergibt sich auch nicht aus einer erhofften Veränderung der verkehrlichen Infrastruktur. Denn die Planungshoheit umfasst nicht das Recht einer Gemeinde, ihre Verkehrsinfrastruktur unangetastet zu lassen (BVerwG, Beschluss vom 18.3.2008 - BVerwG 9 VR 5.07 -, juris Rn. 8). Auch die von der Klägerin angeführten Reflexwirkungen auf die Raumplanung, den öffentlichen Nahverkehr und die Interessen ortsansässiger Unternehmen sind nicht wehrfähig ausgestaltet. Eine Gemeinde ist im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nicht befugt, als Sachwalterin von Rechten Dritter bzw. des Gemeinwohls Belange ihrer Bürger geltend zu machen (BVerwG, Urteil vom 15.12.2016 - BVerwG 4 A 4.15 -, juris Rn. 13).

Eine Klagebefugnis ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 11 Abs. 1 AEG. Insoweit geht die Kammer schon nicht davon aus, dass ein solcher Verstoß vorliegt, weil weder die Strecke N. -G. noch der Bahnhof G. im Sinne von § 11 Abs. 1 AEG stillgelegt sind und der Betrieb der von G. nach AR. und nach Q. führenden Strecken und der Laderampe in G. vor Inkrafttreten des AEG erfolgt ist und keine Verpflichtungen nach § 11 AEG hat auslösen können. Solche Verpflichtungen sind auch nicht durch Inkrafttreten des AEG nachträglich begründet worden, weil sie dem Interesse am Weiterbetrieb eisenbahnbetrieblicher Infrastruktur dienen, nicht aber deren Reaktivierung und Wiederaufbau.

Unabhängig davon wären die Verpflichtungen aus § 11 Abs. 1 AEG nicht drittschützend und würden keine wehrfähige Rechtsposition der Klägerin begründen. Zwar ist anerkannt, dass § 11 AEG ein (beschränktes) subjektives Recht eines übernahmewilligen Dritten im Hinblick auf Verstöße gegen die Angebots- und Verhandlungspflicht vermitteln kann. Im Gegensatz zu einem übernahmewilligen Dritten, dessen sich das Gesetz zur Erreichung des Ziels, die öffentliche Infrastruktur zu erhalten "bedient", sichert die Betriebspflicht im Übrigen allerdings das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Eisenbahninfrastruktur. Ein zugunsten Dritter wirkender Schutznormcharakter auf Einhaltung der Anforderungen des § 11 Abs. 1 AEG besteht demgegenüber nicht.

Der Klägerin fehlt zum anderen das Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches folgt insbesondere nicht aus Art. 28 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 57 NV. Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, dass es ihr Ziel sei, die Bahninfrastruktur im streitgegenständlichen Bereich gewidmet zu erhalten. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 5 AEG ist Rechtsfolge der Freistellung, dass mit der Freistellungsentscheidung die eisenbahnrechtliche Fachplanungshoheit endet. Damit gilt ab diesem Zeitpunkt (ggf. wieder) die gemeindliche Planungshoheit (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 28.5.2014 - 7 LC 16/13 -, juris Rn. 47). Die Freistellung hat hier also eine Erweiterung der gemeindlichen Planungshoheit der Stadt zur Folge, die zuvor durch den Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB eingeschränkt gewesen ist. Die Freistellungsentscheidung ist für die Gemeinde also rechtlich gesehen ein begünstigender Verwaltungsakt. Es ist ihr nunmehr unbenommen, ihre planerischen Vorstellungen ohne Rücksicht auf fachplanerische Vorgaben hinsichtlich der Freistellungsfläche umzusetzen. Bei umgekehrter Betrachtung steht das Fachplanungsprivileg der Gemeinde nicht zu, sodass dessen Erhalt ihre Rechtsposition auch nicht verbessern kann. Vielmehr tritt die Stadt hier für fremde Rechte ein, die ihr in rechtlicher Hinsicht keinen Vorteil verschaffen können. Eine Gemeinde ist im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes aber - wie bereits zitiert - nicht befugt, als Sachwalterin von Rechten Dritter bzw. des Gemeinwohls Belange ihrer Bürger geltend zu machen (BVerwG, Urteil vom 15.12.2016 - BVerwG 4 A 4.15 -, juris Rn. 13).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil diese keinen eigenen Klagabweisungsantrag gestellt und sich damit auch keinem Unterliegensrisiko ausgesetzt haben.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten der Beklagten für das Vorverfahren kann schon deshalb nicht als notwendig angesehen werden, weil der Bevollmächtigte der Klägerin im Widerspruchsverfahren noch nicht mandatiert war; insoweit geht der erst in der mündlichen Verhandlung aufgenommene Antrag ins Leere. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Kammer sieht keinen Grund, die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4, § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen. Die Kammer weicht weder von der Rechtsprechung der dort genannten Divergenzgerichte ab, noch wirft der Rechtsstreit über den konkreten Einzelfall der Klägerin hinausgehende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf die nicht aus der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung beantwortet werden könnten.