Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 07.11.2022, Az.: 3 B 3808/22
Antragsbefugnis; Jugendhilfeleistung; Klagebefugnis gegen Bewilligung von JH-Leistungen; Sorgerecht, Teilentzug
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 07.11.2022
- Aktenzeichen
- 3 B 3808/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59703
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 42 Abs 2 VwGO
- § 27 SGB 8
- § 31 SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Werden einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht auf Beantragung von JH-Leistungen und das Recht zur Gestaltung des Umgangs für das betroffene Kind vom Familiengericht vorläufig entzogen, fehlt diesem Elternteil die Klage- bzw. Antragsbefugnis gegen einen Bescheid, mit dem das Jugendamt eine Jugendhilfleistung bewilligt hat.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 08.09.2022 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.08.2022 anzuordnen,
hat keinen Erfolg, da er unzulässig ist.
1.
Mit dem von der Antragstellerin angegriffenen Bescheid vom 08.08.2022 bewilligte die Antragsgegnerin für den Sohn C. der Antragstellerin eine Jugendhilfeleistung in Form der sozialpädagogischen Familienhilfe (im Folgenden: SPFH), die anschließend im Haushalt des Kindesvaters durchgeführt wurde. Vorausgegangen war eine familiengerichtliche Entscheidung vom 08.07.2022, mit der der Antragstellerin vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für C. entzogen und dieses auf den Kindervater übertragen worden war, der den Jungen am 07.07.2022 gegen den Willen der Antragstellerin in seinen Haushalt aufgenommen hatte. Nach den unwidersprochenen Angaben der Antragsgegnerin hatte sich die Antragstellerin in der Folgezeit geweigert, einen förmlichen Antrag auf Einrichtung der SPFH zu stellen, deren Einrichtung aber nach Darstellung der Antragsgegnerin so dringlich war, dass die vom Kindesvater beantragte Entscheidung des Familiengerichts auf Ersetzung der Unterschrift der Antragstellerin nicht abgewartet werden konnte.
Ihre gegen den Bescheid vom 08.08.2022 gerichtete Klage vom 08.09.2022 und den gleichzeitig gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Antragstellerin im Folgenden nicht begründet.
Im Nachgang zu einem Anhörungstermin am 14.09.2022 entzog das zuständige Familiengericht der Antragstellerin mit Beschluss vom 20.09.2022 (Az. 8 F 8282/22 EASO) im Wege der einstweiligen Anordnung unter Abänderung seines Beschlusses vom 08.07.2022 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung sowie das Recht zur Regelung des Umganges für C. und übertrug diese Teile des Sorgerechts auf das Jugendamt der Antragsgegnerin als Ergänzungspfleger. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss des Familiengerichts Bezug genommen.
Die Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 04.11.2022 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
2.
Der Antragstellerin fehlt für ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz die Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung. Sie kann nicht (mehr) geltend machen, der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.08.2022 verletze sie in eigenen Rechten. Denn dieser Bescheid greift in die der Antragstellerin nach dem Beschluss des Familiengerichts vom 20.09.2022 noch verbliebenen Teile des Sorgerechts offenkundig nicht ein.
Die Bewilligung von SPFH ist als Jugendhilfeleistung zwar nicht von einem förmlichen – insbesondere nicht von einem schriftlich und eigenhändig unterschriebenen – Antrag abhängig, setzt aber voraus, dass von der/dem oder den insoweit Sorgeberechtigten ein entsprechender Hilfebedarf an den Jugendhilfeträger herangetragen worden ist bzw. dass die/der Sorgeberechtigte(n) mit der Durchführung einer solchen Hilfe einverstanden sind. Eine Bewilligung und Durchführung einer Jugendhilfeleistung gegen den Willen der/des insoweit Sorgeberechtigten wäre rechtswidrig.
Der Antragstellerin stehen aber diejenigen Teile des Sorgerechts, die von der Bewilligung und Durchführung der SPFH betroffen (gewesen) sind, nach dem Beschluss des Familiengerichts vom 20.09.2022 nicht mehr zu. Denn betroffen davon sind namentlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Beantragung von Jugendhilfeleistungen, das zwangsläufig einhergeht mit dem Recht, eine bewilligte Jugendhilfeleistung auch fortlaufend in Anspruch zu nehmen, sowie das Recht zur Regelung des Umgangs für das Kind, mit dem ebenso zwangsläufig die Gestattung des Umgangs der die Jugendhilfe leistenden Personen mit dem Kind verbunden ist.
Rechtlich nicht betroffen von der Bewilligung und Durchführung der SPFH ist demgegenüber ein etwaig der Antragstellerin nach dem Beschluss vom 20.09.2022 noch verbliebener Rest eines aus dem Sorgerecht abzuleitenden „Erziehungsrechts“. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass das Familiengericht mit seiner Entscheidung vom 20.09.2022 der Antragstellerin auch das Erziehungsrecht, soweit es sich inhaltlich auf diejenigen Angelegenheiten bezieht, die Gegenstand einer zu bewilligenden bzw. bereits eingerichteten Jugendhilfeleistung sein sollen bzw. bereits sind, entzogen und auf das Jugendamt der Antragsgegnerin übertragen hat. Denn der Entzug des Rechts, Jugendhilfeleistungen zu beantragen, des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Gestaltung des Umgangs für das Kind verlören ihre praktische sorgerechtliche Wirksamkeit, wenn über den „Umweg“ eines weiter bestehenden umfassenden „Erziehungsrechts“ derjenige Elternteil, dem diese Sorgerechtsanteile entzogen wurden, gleichwohl weiterhin eine materielle Rechtsposition behielte, die es ihm ermöglichte, gegen die Bewilligung bzw. Durchführung einer Jugendhilfemaßnahme mit Rechtsbehelfen vorzugehen und damit seinen Widerstand gegen die als erforderlich angesehenen Jugendhilfemaßnahmen rechtswirksam aufrecht zu erhalten. Gerade dieser Widerstand gegen die Durchführung von erforderlichen Jugendhilfemaßnahmen ist nämlich der Grund namentlich für den Entzug des Rechts, Jugendhilfemaßnahmen zu beantragen, das – wie angeführt – das Recht, bewilligte Jugendhilfeleistungen für das Kind auch in Anspruch zu nehmen, zwangsläufig beinhaltet.