Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.04.2022, Az.: 14 OB 134/22
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.04.2022
- Aktenzeichen
- 14 OB 134/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59533
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 17.01.2022 - AZ: 3 A 77/21
Tenor:
Die Selbstanzeige der Vorsitzenden Richterin am Oberverwaltungsgericht C. ist unbegründet.
Gründe
I.
Die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht C. hat am 31. Januar 2022 in einer Dienstlichen Äußerung angezeigt, dass sie mit Herrn Richter am Verwaltungsgericht D., der an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt habe, verschwägert sei. Er sei ihr Stiefsohn. Über das Verfahren habe sie mit ihm zu keinem Zeitpunkt gesprochen.
Den Beteiligten ist mit gerichtlichem Schreiben vom 31. Januar 2022 Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden Richterin am Oberverwaltungsgericht C. binnen einer Woche zu äußern. Hiervon haben sie keinen Gebrauch gemacht.
II.
Die in der Selbstanzeige dargelegten Umstände rechtfertigen eine Ablehnung der Vorsitzenden Richterin am Oberverwaltungsgericht C. nicht.
Über ein Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber - wie hier - von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Unter einer Ablehnung in diesem Sinne ist die Ablehnung nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 1 ZPO zu verstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.10.1997- 11 B 30.97 -, juris Rn. 4). Danach kann ein Richter sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Weder liegt hier ein gesetzlicher Ausschlussgrund vor (dazu unter 1.) noch liegen Gründe vor, die eine Befangenheit besorgen ließen (dazu unter 2.).
1. Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts nur in den dort genannten Fällen kraft Gesetzes ausgeschlossen. Die Voraussetzungen für den Ausschluss eines Richters von der Ausübung des Richteramtes nach dem hier allein in Betracht kommenden § 41 Nr. 3 ZPO in Sachen einer Person, mit der er in gerader Linie verwandt oder verschwägert ist, sind vorliegend nicht gegeben. Zwar ist die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht C. mit dem Richter am Verwaltungsgericht D. gemäß § 1590 Abs. 1 Satz 1 BGB verschwägert. Denn nach dieser Vorschrift sind die Verwandten eines Ehegatten, mithin auch Kinder (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB), mit dem anderen Ehegatten verschwägert.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Verfahren jedoch nicht um die „Sache“ des Herrn Richter am Verwaltungsgericht D.. Denn dies setzt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 41 Nr. 3 ZPO voraus, dass Herr Richter am Verwaltungsgericht D. Beteiligter am vorliegenden Verfahren im Sinne des § 63 VwGO wäre. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Herr Richter am Verwaltungsgericht D. war Mitglied des Kollegialgerichts, das im ersten Rechtszug über den Antrag auf Berichtigung des Verweisungsbeschlusses der Kammer vom 10. Juni 2021 entschieden hat. Die Mitwirkung eines verwandten bzw. verschwägerten Familienmitglieds an einer angefochtenen gerichtlichen Entscheidung wird aber sowohl von den persönlichen und familienbezogenen Ausschließungsgründen des § 41 Nr. 1 bis 3 ZPO als auch von den Ausschlussgründen nach § 41 Nr. 4-8 ZPO aufgrund von Sachnähe oder Vorbefasstheit nicht erfasst.
2. Gemäß § 54 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung eines Richters statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Allein die subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.12.2012 - 8 B 58.12 -, juris Rn. 19). Dies zugrunde gelegt, stellt allein die Mitwirkung des Herrn Richter am Verwaltungsgericht D. an der angefochtenen Entscheidung nicht generell einen Ablehnungsgrund im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO dar. Eine solche generalisierende, allein auf die Tatsache des familiären Näheverhältnisses abstellende Betrachtung würde im Endergebnis auf dem Umweg über § 42 ZPO zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO führen, da sie faktisch einem Ausschluss kraft Gesetzes gleichkäme (vgl. BGH, Beschl. v. 20.10.2003 - II ZB 31/02 -, juris Rn. 7, 8). Gründe dafür, dass die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht C. willens ist, die Entscheidung, die Herr Richter am Verwaltungsgericht D. nicht als Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bzw. Berichterstatter (§ 87a Abs. 3 VwGO) allein getroffen, sondern an der er als Mitglied eines Kollegialgerichts mitgewirkt hat, aus sachfremden Erwägungen zu bestätigen oder zu ändern bzw. in die kollegiale Senatsentscheidung derartige sachfremde Erwägungen einfließen zu lassen, sind weder dargetan noch ersichtlich.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.