Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.11.2022, Az.: 2 A 3031/21

Chat; NS-Regime; rechtsextrem; Soldat auf Zeit; WhatsApp

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
09.11.2022
Aktenzeichen
2 A 3031/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59693
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Soldat, der an einer Chatgruppe teilnimmt, die rechtsextreme Inhalte teilt, ist gemäß § 55 Abs. 5 SG fristlos zu entlassen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit.

Der Kläger ist zum D. 2018 mit dem Dienstgrad Gefreiter, vorgesehen für die Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes, in die Bundeswehr wieder eingetreten. Am E. 2018 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Die Dienstzeit wurde auf vier Jahre festgesetzt. Regulär wäre sie mit Ablauf des 17. Januar 2022 geendet. Zuletzt hatte der Kläger den Dienstposten als Transportsoldat Streitkräfte in der F. inne.

Am 19. Oktober 2020 erhielt die Dienststelle des Klägers Kenntnis davon, dass er Mitglied in einer WhatsApp-Gruppe mit dem Namen „Behinderte Spasties“ sei. Durch die Auswertung diverser Mobiltelefone konnten in der Gruppe gepostete Inhalte ermittelt werden. Am 20. März 2021 teilte ein Teilnehmer ein Bild von Adolf Hitler, der den Hitlergruß zeigt. Das Bild trägt die Unterschrift „Auf Grund von Corona Anstatt Hände schütteln Wird wieder normal Gegrüßt!". Am 29. April 2020 teilte ein Nutzer ein Bild, auf dem vier lachende dunkelhäutige Kinder zu sehen sind. Über diesen Kindern steht der Satz „WHEN YOU STEP ON A MINE BUT YOU DON‘T WEIGHT ENOUGH TO ACTIVATE IT“. Am 11. September 2020 postete ein Nutzer mehrere Bilder. Auf dem ersten ist Donald Trump zu erkennen, über ihm steht der Satz „Biste Weiss, biste Nice“. Ein im Anschluss verschicktes Bild zeigt einen Mann mit Vollbart, Hut und der Aufschrift „Ein Mexikaner, ein Jude und ein Neger gehen in ne Bar. Sagt der Barkeeper: Verpisst Euch ihr Wichser“. Ein weiteres Bild zeigt eine Person, die mit freiem Oberkörper eine Gasflasche auf dem Rücken trägt, von der ein Schlauch in den Mund führt. Außerdem hält sie eine Schwimmflosse in der Hand. Auf dem Bild steht der Text „Tauchlehrgang für Asylbewerber“. Es folgt ein weiteres Bild mit dem Dialog: „Trotzdem bleibst du für immer ein Neger.“, „Ja ich weiß.“, „Nein du schwarz.“. Der Kläger hat alle Bilder zur Kenntnis genommen und postete selbst Bilder bzw. Memes.

Am 20. Oktober 2020 wurde der Kläger von seiner Dienststelle als Zeuge vernommen. Dort teilte er mit, er sei heute aus der Gruppe ausgetreten. Das habe er bislang nicht gemacht, da in der Gruppe schwarzer Humor geteilt worden sei, der lustig gewesen sei. Zu den Inhalten und der Frage, ob er selbst Inhalte geteilt habe, verweigerte er die Aussage. Am 21. Oktober 2020 wurde der Kläger als Soldat vernommen. Hier äußerte er nochmals, er habe die Inhalte als Satire und schwarzen Humor wahrgenommen. Er habe in der Gruppe auch Bilder geteilt und sei etwa seit März 2019 Mitglied gewesen. Es sei ein Fehler gewesen, den er zutiefst bereue. Er habe unter anderem ein paar Bilder aus dem Dritten Reich und von Adolf Hitler gepostet. Bislang sei er aus der Gruppe nicht ausgetreten und habe sie auch nicht gemeldet, da er Angst gehabt habe, als Verlierer dazustehen.

Das Truppendienstgericht Nord ordnete mit Beschluss vom 22. Oktober 2020 die Durchsuchung und Beschlagnahme des Mobiltelefons des Klägers an. Auf dem Mobiltelefon wurde ein Video entdeckt, in dem Adolf Hitler zu sehen ist, der ausführt, deutsche Jungen der Zukunft müssten schlank und rank, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und Hart wie Kruppstahl sein. In der nächsten Sequenz, die mit der Überschrift „Heute….“ eingeleitet wird, ist ein Auszug einer Rede von Katrin Göring-Eckardt im Deutschen Bundestag zu sehen, die unter anderem ausführt, Jungen dürften Glitzernagelack verwenden und Einhornstaub versprühen. Die Inhalte eines weiteren Videos verherrlichen die Taten der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Es sind schießende Panzer, Adolf Hitler und Wehrmachtssoldaten zu sehen, die den Hitlergruß zeigen. Im einem weiteren Video ist eine Moschee zu sehen und der Text „In Bayern wurde eine Moschee eröffnet, und beim ersten Gebet sind einige Bayern eingedrungen und haben ein paar Schüsse in die Luft geschossen. Ich sende Dir die Aufzeichnung, damit Du hörst, wie der Prediger sein Gebet geändert hat“. Es ertönen Geräusche von Schusswaffen und statt sein Gebet weiterzusprechen, beginnt der Prediger zu jodeln. In einem weiteren Video ist ein Lehrer zu sehen, der in einen Klassenraum hereinkommt. Gegenüber seinen dunkelhäutigen Schülern, die teilweise Kopftücher tragen, sagt er: „Danke Merkel. Ich sehe, eine rein deutsche Klasse werde ich bis zum meinem Ende wahrscheinlich nicht mehr erleben. Stattdessen darf ich mich mit Mohameds und [nicht verständlich] rumschlagen. (…) Das soll wohl das neue Deutschland sein. (…) Ich bin keiner, der euch am Bahnhof applaudiert. Ich scheiße auf euch. (…) Schauen wir mal, wer da ist?“. Anschließend nimmt der Lehrer ein Klemmbrett in die Hand, auf dem sich wohl eine Klassenliste befindet, und äußert: „Ist das ´ne Namensliste oder ein neuer Al-Qaida-Kader?“. Dann kommt ein dunkelhäutiger Mann zu spät zum Unterricht, woraufhin der Lehrer entgegnet: „Guten Morgen. Hatte das Schlauchboot wieder Verspätung?“.

Der nächste Disziplinarvorgesetzte des Klägers beantragte dessen fristlose Entlassung. Sein nächsthöherer Disziplinarvorgesetzte schloss sich diesem Antrag an. Der Kläger erklärte hierzu, mit der geplanten Personalmaßnahme und Stellungnahme seines nächsten Disziplinarvorgesetzten nicht einverstanden zu sein und verzichtete auf die Abgabe einer schriftlichen Äußerung.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2021 wurde der Kläger gemäß § 55 Abs. 5 SG mit Ablauf des Tages der Aushändigung der Verfügung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen. Zur Begründung heißt es, er habe schuldhaft gegen seine Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 8 SG), zum Gehorsam (§ 11 SG) und die Pflicht zum Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 SG) verstoßen, indem er rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Inhalte in einer WhatsApp-Gruppe versandt habe. Er habe damit das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht und gleichzeitig eine Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 1 SG verwirklicht. Dies gefährde die militärische Ordnung, auch aufgrund der aus dem Verhalten innewohnenden Nachahmungsgefahr. Würde das Verhalten des Klägers in der Öffentlichkeit bekannt, bestünde die Vermutung, dass das Ansehen der Bundeswehr durch seinen Verbleib ernstlich gefährdet würde. Entlastende Aspekte könnten nicht festgestellt werden. Die Bundeswehr praktiziere eine Null-Toleranz-Linie gegenüber jedem Fall extremistischer Betätigung.

Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt, die die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2021 zurückwies. Ergänzend zum Ausgangsbescheid wird darin ausgeführt, ein Soldat müsse aktiv für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Der Kläger habe jedoch eingeräumt, aktiv Bilder aus dem Dritten Reich und von Adolf Hitler geteilt zu haben. Der Verbleib in der WhatsApp-Gruppe spreche zudem klar gegen eine Distanzierung von den dortigen Inhalten. Erst als andere Mitglieder der Gruppe vernommen worden seien, sei der Kläger ausgetreten, sodass sein Verhalten nicht als echte Lossagung gewertet werden könne. Darauf, ob eine Beeinträchtigung tatsächlich eingetreten sei, komme es nicht an. Eine militärische Einheit könne zudem nicht geführt werden, wenn sich die Vorgesetzten auf die Untergebenen nicht verlassen könnten. Vom Kläger als Staatsbürger in Uniform könne und müsse erwartet werden, dass er sich vollständig von extremistischen Handlungen und Bestrebungen distanziere, damit nicht der Eindruck entstehe, diese würden in der Bundeswehr geduldet.

Der Kläger hat am 6. April 2021 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, § 55 Abs. 5 SG sei restriktiv auszulegen. Hier fehle es an einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr. Eine Außenwirkung der in Rede stehenden WhatsApp-Gruppe sei nicht eingetreten, sodass das Ansehen der Bundeswehr nicht gefährdet sei; die Öffentlichkeit habe von seinem Verhalten nichts mitbekommen. Er bekenne sich ausdrücklich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung; die Inhalte der WhatsApp-Gruppe seien für ihn schwarzer Humor gewesen. Zudem müsse seine Persönlichkeit gewürdigt werden. Er engagiere sich sozial und sei Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und habe 2019 Spenden für leukämiekranke Kinder gesammelt. Diese Aktivitäten sprächen klar gegen rassistische, antisemitische, neonazistische oder rechtsextremistische Aktivitäten. Ebenfalls wäre eine vorausgehende Pflichtenmahnung erforderlich gewesen. Da er aus der Gruppe ausgetreten sei, bestehe auch keine Wiederholungsgefahr. Zudem bestünden Zweifel an einer pflichtgemäßen Ermessensausübung durch die Beklagte. In der WhatsApp-Gruppe seien 26 Soldaten Mitglied beteiligt gewesen, Anträge auf Entlassung seien jedoch nur in sieben Fällen gestellt worden. Ein dienstgradhöherer Kamerad aus der gleichen Einheit sei nicht entlassen und nur eine Disziplinarmaßnahme verhängt worden. Zudem gehe der Bescheid auf das Verhältnis der fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG zu möglichen Disziplinarmaßnahmen nicht ein, die hier ausreichend gewesen wären. Soweit er im Rahmen seiner Vernehmung eingeräumt habe, dass er entsprechende Inhalte in der Gruppe geteilt habe, könne das nicht gegen ihn verwendet werden. Auch sei die Akteneinsicht durch die Beklagte unvollständig bewilligt worden. Unklar sei, was die Durchsuchung seines Mobiltelefons ergeben habe; die Chat-Verläufe müssten vorgelegt werden. Er habe die WhatsApp-Gruppe auf stumm geschaltet und bedauere die Mitgliedschaft.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2021 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 15. März 2021 aufzuheben und die Hinzuziehung seines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, das Ansehen der Bundeswehr sei störanfällig gegenüber Militärangehörigen, die Zweifel an der unbedingten Respektierung des sittlichen Wertes der Menschenwürde aufkommen ließen. Ob das Verhalten des Klägers öffentlich bekannt geworden sei, spiele keine Rolle. Eine fehlende Distanzierung von rechtsextremistischen Gedankengut reiche aus, um einen Verstoß gegen § 8 SG anzunehmen. Durch sein Verhalten habe sich der Kläger nicht eindeutig von der Gewalt- und Willkürherrschaft des Nazi-Regimes distanziert. Er hätte ohne nennenswerten Aufwand die Gruppe verlassen können und habe sogar eigene Inhalte versandt. Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung durch das Verbleiben des Klägers in Dienst könne bereits aufgrund der Kernbereichsverletzungen bejaht werden. Selbst wenn nur der Randbereich der militärischen Ordnung betroffen sei, liege eine Nachahmungsgefahr vor. Es seien auch keine milderen Maßnahmen in Gestalt einer Disziplinarmaßnahme denkbar. Diese sollten auf den Soldaten in der Weise einwirken, dass ihm sein Fehlverhalten vor Augen geführt werde und er dies nach Verhängung der Disziplinarmaßnahme ablege. Die Entlassung des Klägers diene hingegen dem Schutz der Bundeswehr vor künftigem Schaden. Zudem sei das Vertrauensverhältnis zwischen der Bundeswehr und dem Kläger zerstört. Auch liege kein Ermessensfehler vor, denn § 55 Abs. 5 SG beinhalte ein intendiertes Ermessen. Atypische Fälle seien hier nicht ersichtlich. Der Kläger sei weder besser noch schlechter behandelt worden als andere Soldaten. Jeder Sachverhalt werde individuell geprüft und bei Nachweisbarkeit von vergleichbarem Fehlverhalten werde der Soldat entlassen. Die Akteneinsicht sei vollständig gewährt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage hat nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 13. September 2022 der Einzelrichter zu entscheiden (§ 6 Abs. 1 VwGO).

Die Klage ist zulässig. Dass die Dienstzeit des Klägers regulär mit Ablauf des 17. Januar 2022 endete, führt nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses. Zwar hat der Kläger seit diesem Zeitpunkt keinen Anspruch darauf, in den Dienst zurückzukehren. Jedoch verliert der Soldat durch die sofortige Entlassung aus dem Dienst gemäß § 55 Abs. 5 SG seinen Anspruch auf Dienstbezüge und Versorgung nach § 56 Abs. 3 SG (vgl. auch VG Köln, Beschl. v. 9.12.2020 - 23 L 1987/20 -, juris Rn. 7 ff.). Würde die Entlassungsverfügung aufgehoben werden, bestünde ein Anspruch auf Nachzahlung der Bezüge. Zudem folgt aus einer „unehrenhaften Entlassung“ aus der Bundeswehr eine darüber hinaus wirkende Beschwer, die sich nicht durch Zeitablauf erledigt. Sollte sich der Kläger erneut bei der Bundeswehr bewerben, stünde sie einer Einstellung (wohl dauerhaft) entgegen.

Die Klage ist allerdings unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.

Zu den Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 9. Juli 2021 - 5 ME 81/21 -, juris Rn. 22 ff. m.w.N., ausgeführt:

„Die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG ist keine disziplinarische Maßnahme, sondern dient dem Schutz vor künftigem Schaden; die Vorschrift soll eine drohende ernstliche Gefahr für die Bundeswehr (in Gestalt einer ernstlichen Gefahr für die militärische Ordnung oder das Ansehen) verhindern (…). Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen, ob ohne die Entlassung eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens gegeben wäre, steht der Entlassungsdienststelle kein Beurteilungsspielraum zu (…); die Verwaltungsgerichte haben diese Voraussetzungen im Rahmen einer „objektiv nachträglichen Prognose“ vielmehr vollumfänglich zu überprüfen (…), wobei maßgeblicher Zeitpunkt einer solchen Prognose der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (…) ist.

Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung (der militärischen Ordnung oder des Ansehens) „ernstlich“ sein muss, hat das Gesetz eine Entscheidung bezüglich der Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem er-strebten Zweck (= Schutz der militärischen Ordnung bzw. des Ansehens der Bundeswehr) getroffen und damit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit konkretisiert, dem das Gesetz darüber hinaus durch die Begrenzung der Entlassung auf die ersten vier Dienstjahre Rechnung trägt; für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist kein Raum (…). Jedoch kann im Rahmen der Prüfung, ob eine ernstliche Gefahr (für die militärische Ordnung oder das Ansehen) besteht, in bestimmten Fällen zu berücksichtigen sein, ob der Gefahr auch durch eine Disziplinarmaßnahme als ein notwendiges, aber auch milderes Mittel begegnet werden kann mit der Folge, dass ein Schaden für das Schutzgut nicht zu befürchten sei (…). Dies hat die Rechtsprechung im Fall von Affekthandlungen bei geringer Vorbildfunktion des Soldaten angenommen, also in Fällen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und auch eine Nachahmungsgefahr nicht vorliegt (…).

Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung (der militärischen Ordnung oder des Ansehens) im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist. Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigten (…). Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt oder bei leichterem Fehlverhalten eine Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr hinzukommt (…). Eine Nachahmungsgefahr besteht, wenn es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht, so dass ohne die fristlose Entlassung ein Anreiz zu ähnlichem Verhalten für andere Soldaten gegeben wäre (…). Jedenfalls die beiden Fallgruppen der Wiederholungs- und Nachahmungsgefahr erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen (für die militärische Ordnung oder das Ansehen) beurteilen zu können (…).

Zur Auslegung des Begriffs der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG ist vom Zweck auszugehen, der Verteidigung zu dienen (…). Dementsprechend ist unter dem Begriff der militärischen Ordnung der Inbegriff der Elemente zu verstehen, welche im Rahmen der geltenden Rechtsordnung für die Gewährleistung der Verteidigungs- und Einsatzbereitschaft erforderlich sind (…). Die militärische Ordnung entspricht damit der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, was die personelle und materielle Funktionsfähigkeit beinhaltet. Die materielle Funktionsfähigkeit bezieht sich auf Bewaffnung, Ausrüstung, Gerät, Material und Versorgungsgüter (…); die personelle Funktionsfähigkeit hängt von der individuellen Einsatzbereitschaft des einzelnen Soldaten und einem intakten inneren Ordnungsgefüge ab (…).

Bei einer Gefährdung des Ansehens geht es um den guten Ruf der Streitkräfte oder auch einzelner Truppenteile bei Außenstehenden, vor allem in der Öffentlichkeit, aus der Sicht eines den jeweiligen Lebensverhältnissen gegenüber aufgeschlossenen, objektiv wertenden Betrachters (…). Eine ernstliche Gefährdung des Ansehens ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Soldaten mit den berechtigten Erwartungen an die Integrität unvereinbar wäre, wenn also bei Bekanntwerden des Verhaltens das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit der Streitkräfte erschüttert wäre (…).“

Diesen Ausführungen folgt der Einzelrichter.

Der Kläger hat seine Dienstpflicht aus § 8 SG verletzt. Nach § 8 SG muss der Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts erweist sich mit der in § 8 SG normierten Pflicht insbesondere ein Verhalten als unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des verbrecherischen NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.2.2003 - 2 WD 8.02 -, juris Rn. 15; Beschl. v. 18.11.2003 - 2 WDB 2.03 -, juris Rn. 24; Nds. OVG, Beschl. v. 3.3.2015 - 5 ME 5/15 -; Beschl. v. 18.1.2016 - 5 ME 218/15 -; Beschl. v. 11.11.2019 - 5 ME 165/19 - u. Beschl. v. 18.11.2019 - 5 ME 164/19 -). Denn das NS-Regime, das zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung seiner Diktatur die Menschenrechte systematisch missachtete und verletzte sowie zur Realisierung seiner Eroberungs-, Raub- und Ausrottungspläne mit Weltherrschaftsvisionen Angriffskriege entfesselte, in deren Verlauf Millionen Menschen Leben, Gesundheit sowie Hab und Gut verloren, ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes schlechthin unvereinbar (BVerwG, Urt. v. 12.2.2003 - 2 WD 8.02 -, juris Rn. 14; Beschl. v. 18.11.2003 - 2 WDB 2.03 -, juris Rn. 24). Das gilt auch für die zentralen Bestandteile dieser Ideologie und politischen Zielvorstellungen sowie alle Bestrebungen, die objektiv oder subjektiv darauf angelegt sind, im Sinne der „nationalsozialistischen Sache“ zu wirken (BVerwG, Beschl. v. 18.11.2003 - 2 WDB 2.03 -, juris Rn. 24).

In Anwendung dieser Grundsätze teilt der Einzelrichter die Einschätzung der Beklagten, dass sich der Kläger durch sein Verhalten von der Gewalt- und Willkürherrschaft des Nazi-Regimes nicht distanziert habe. Er hat es unterlassen, für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Wer sich nationalsozialistischer Symbolik bedient, begründe damit für einen neutralen Beobachter objektiv den Anschein, er stehe nicht mehr hinter dem Staat des Grundgesetzes und verletzt die Pflicht, sich von derartigen Bestrebungen zu distanzieren (so auch Nds. OVG, Beschl. v. 18.11.2019 - 5 ME 164/19 -, nicht veröffentlicht, wonach die Entlassung eines Soldaten auf Zeit gemäß § 55 Abs. 5 SG rechtmäßig sei, der im Beisein seiner Kameraden den „Hitler-Gruß“ auf dem Kasernengelände gezeigt habe).

Der Kläger war über einen langen Zeitraum - von März 2019 bis Oktober 2020 - Mitglied einer Gruppe, in der die dargestellten rechtsradikalen und rassistischen Inhalte geteilt wurden. Er hat dort auch selbst Einträge gepostet. Hierzu sagte er bei seiner Vernehmung am 21. Oktober 2020 aus, unter anderem Bilder aus dem Dritten Reich und von Adolf Hitler gepostet zu haben. Die in der WhatsApp-Gruppe geteilten Bilder verherrlichen oder billigen die Tätigkeiten des NS-Regimes und sind in hohem Maße rassistisch und diskriminierend. Der Kläger hat weder die Gruppe verlassen, noch sonst erkennbar gezeigt, dass er die Inhalte missbilligt, sondern nationalsozialistisches Gedankengut empfangen und verbreitet. Das Verbleiben in der Gruppe und die Teilnahme am Chat zeigt, dass er nicht in dem von § 8 SG geforderten Maß für die demokratische Grundordnung eintritt, sondern sie ablehnt.

Der Kläger hat auch schuldhaft - nämlich vorsätzlich - gehandelt, denn er war mit Wissen und Wollen Teilnehmer der WhatsApp-Gruppe und hat die dort geteilten Inhalte zur Kenntnis genommen und gebilligt, ohne dagegen zu protestieren oder die Gruppe zu verlassen. Außerdem hat er selbst nationalsozialistische Inhalte gepostet. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem mitgeteilt, dass der Gruppenname „Behinderte Spasties“ bereits bestanden habe, als er der Gruppe hinzugefügt worden sei. Schon zu diesem Zeitpunkt hätte er hellhörig werden und den Verbleib in der Gruppe hinterfragen müssen. Dass er die in der WhatsApp-Gruppe geteilten Inhalte für schwarzen Humor hielt und sie nicht als offensichtlich rechtsradikal und rassistisch einstufte, führt nicht zu einem schuldlosen Handeln, sondern gibt vielmehr Aufschluss über seine § 8 SG zuwiderlaufende Gesinnung.

Es liegt auch eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr vor, denn das Verhalten des Klägers ist mit den berechtigten Erwartungen an die Integrität der Bundeswehr unvereinbar. Sein Verhalten ist geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsstaatlichkeit der Streitkräfte zu erschüttern. Der Kläger hat im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt. Bei seinem Verhalten handelt es sich mit Blick auf die Ziel- und Schutzrichtung des § 55 Abs. 5 SG nicht um eine „Bagatelle“, sondern um ein Verhalten, welches von der Öffentlichkeit aufmerksam registriert und keinesfalls toleriert wird. Ein solches Verhalten ist deshalb in besonderer Weise geeignet, zu einem erheblichen Ansehensverlust der Bundeswehr zu führen. Das Ansehen wird ganz wesentlich getragen von ihrer Teilhabe an der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung und dem Vertrauen darauf, dass sie sich den Werten des Grundgesetzes verpflichtet weiß (Nds. OVG, Beschl. v. 2.8.1999 - 5 M 1921/99 -, juris Rn. 18; Beschl. v. 11.11.2019 - 5 ME 165/19 -; OVG SH, Urt. v. 19.10.2015 - 2 LB 25/14 -, juris Rn. 36). Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 ist das Ansehen des Militärs in besonderem Maße störanfällig gegenüber dem Auftreten eines Soldaten, welches - wie hier - Zweifel an der unbedingten Respektierung des sittlichen Wertes der Menschenwürde nährt (vgl. OVG RP, Urt. v. 25.8.1995 - 10 A 12774/94 -, NVwZ-RR 1996, 401, 402; Nds. OVG, Beschl. v. 2.8.1999 - 5 M 1921/99 -, juris Rn. 18; Beschl. v. 11.11.2019 - 5 ME 165/19 -; OVG SH, Urt. v. 19.10.2015 - 2 LB 25/14 -, juris Rn. 36). Deshalb rechtfertigt das dem Kläger vorgeworfene Fehlverhalten auch nicht bloß eine disziplinarische Maßnahme. Von einer Affekthandlung kann bei einer eineinhalb Jahre andauernden Mitgliedschaft in einer WhatsApp-Gruppe, in der rechtsextreme Inhalte geteilt werden, nicht ausgegangen werden.

Nicht zutreffend ist außerdem die Überlegung des Klägers, eine Gefährdung des Ansehens könne nur eintreten, wenn die Dienstpflichtverletzung bereits öffentlich geworden sei. Mit dem an das Polizeirecht angelehnten Begriff der Gefährdung macht § 55 Abs. 5 SG vielmehr deutlich, dass bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts ausreicht (Nds. OVG, Beschl. v. 4.12.2012 - 5 LA 357/11 -, juris Rn. 9), die hier zweifelsfrei zu bejahen ist. Darauf, dass die WhatsApp-Gruppe eine nicht öffentliche Gruppe ist, kommt es folglich nicht an.

Ermessensfehler sind ebenfalls nicht ersichtlich. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Entlassung des Klägers gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger anders als seine Kameraden behandelt wurde. Diese waren laut Angaben des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung teilweise nicht mehr Soldaten auf Zeit innerhalb der ersten vier Dienstjahre. Zudem muss jeder Sachverhalt individuell aufgearbeitet und beurteilt werden, sodass sich eine Pauschalierung verbietet. Zum anderen hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht. In seiner Person liegen die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung vor. Dass er sich nach eigenem Vorbringen sozial engagiert habe, sein bisheriges Verhalten einwandfrei gewesen sei und die geteilten Bilder frei zugänglich im Internet gewesen seien, ändert nichts an den schwerwiegenden Vorwürfen, die zur Entlassung geführt haben.

Dass dem Kläger relevante Akteninhalte nicht im Rahmen der Akteneinsicht zur Verfügung gestellt worden sind, ist nicht ersichtlich. Ihm ist zudem mit richterlicher Verfügung vom 27. Oktober 2021 ergänzende Akteneinsicht gewährt worden. Anschließend hat er nicht weiter bemängelt, keine vollständige Akteneinsicht erhalten zu haben.

Zur weiteren Begründung nimmt der Einzelrichter auf die Begründungen in den Bescheiden vom 18. Januar 2021 und vom 15. März 2021 Bezug, denen er folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Über den Antrag des Klägers, die Hinzuziehung seines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird durch gesonderten Beschluss entschieden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.