Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.02.2004, Az.: 6 A 106/03
Bestimmung der statthaften Klageart gegen eine im Realschulabschlusszeugnis dokumentierte Bewertung des Sozialverhaltens; Verfassungsmäßigkeit der Bewertung des Sozialverhaltens von Schülern; Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Bewertung des Sozialverhaltens
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 18.02.2004
- Aktenzeichen
- 6 A 106/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 35803
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2004:0218.6A106.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO
- § 35 S. 1 VwVfG
- Art. 2 Abs. 1 GG
- Art. 6 Abs. 2 GG
- § 2 Abs. 1 S. 2 NSchG
- § 35 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 NSchG
Fundstellen
- NVwZ-RR 2004, 576-580 (Volltext mit amtl. LS)
- SchuR 2004, 126-129 (Volltext)
- WissR 2004, 370-371
Verfahrensgegenstand
Schulabschluss
Redaktioneller Leitsatz
Die in einem Realschul-Abschlusszeugnis festgehaltene Bewertung des Sozialverhaltens ist als ein selbstständig anfechtbarer Verwaltungsakt anzusehen.
Die auf Verwaltungsvorschriften beruhende Praxis der niedersächsischen Schulen, das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler zu bewerten, ist im Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ein Verwaltungsgericht darf die Bewertung des Sozialverhaltens eines Schülers lediglich darauf überprüfen, ob sie auf der Grundlage eines fehlerfreien Bewertungsverfahrens zu Stande gekommen ist und ob die Grenzen des Bewertungsspielraums überschritten worden sind, weil die Klassenkonferenz bei ihrer Entscheidung von falschen Tatsachen ausgegangen ist, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze missachtet oder sachfremde und damit willkürliche Erwägungen angestellt hat.
Eine Schule darf eine persönlichkeitsimmanente Zurückhaltung des Schülers nicht beanstanden und allein deswegen sein Sozialverhalten negativ bewerten.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Bockemüller,
den Richter am Verwaltungsgericht Wagner,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Baumgarten sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau B. und Herr Dr. C.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird unter entsprechender teilweiser Aufhebung der Entscheidung der Klassenkonferenz vom 11. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 17. Februar 2003 verpflichtet, das Sozialverhalten der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4000,00 Euro festgesetzt.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die in ihrem Realschul-Abschlusszeugnis zum Ausdruck gekommene Bewertung ihres Sozialverhaltens.
Die im August 1985 geborene Klägerin besuchte bei der Beklagten den Realschulzweig. Am 11. Juni 2002 beschloss die Klassenkonferenz über das der Klägerin zu erteilende Abschlusszeugnis. Die Konferenz kam zu dem Ergebnis, das Sozialverhalten der Klägerin sei mit "entspricht den Erwartungen mit Einschränkungen" zu bewerten, und fasste den Beschluss, im Abschlusszeugnis der Klägerin unter der Rubrik "Sozialverhalten" keine Eintragungen vorzunehmen. Dementsprechend enthält das ihr mit Datum vom 14. Juni 2002 erteilte Zeugnis über den Sekundarabschluss I - Realschulabschluss unter anderem die folgende Formulierung:
"Sozialverhalten: --------------------------"
Die Konferenz entschied auf der Grundlage von Zensurenlisten der in der Klasse der Klägerin unterrichtenden Lehrkräfte; diese Listen enthielten die aus der Sicht des jeweiligen Lehrers zu erteilende Note für das Sozialverhalten der Klägerin. Wegen der weiteren Noten und Bemerkungen wird auf das Zeugnis verwiesen (Bl. 22 der Gerichtsakte).
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2002, das der Beklagten am darauf folgenden Tag zuging, erhob die Klägerin Widerspruch gegen die Bewertung ihres Sozialverhaltens im Abschlusszeugnis. Zur Begründung trug sie vor, ihr Sozialverhalten sei nicht negativ zu bewerten. Im vorangegangenen Halbjahreszeugnis habe sie noch die Bewertung "entspricht den Erwartungen in vollem Umfang" erhalten. Innerhalb weniger Wochen könne sich das Verhalten kaum derart negativ ändern.
Am 17. Dezember 2002 beschloss die Klassenkonferenz, dem Widerspruch könne nicht abgeholfen werden. Der Konferenz lag eine von der Klassenlehrerin der Klägerin - der Zeugin D. - unter dem 10. Dezember 2002 verfasste schriftliche Zusammenstellung der "Bewertungsgesichtspunkte zur Beurteilung des Sozialverhaltens" der Klägerin vor. In der Zusammenstellung, die auf Beiträgen der die Klägerin unterrichtenden Lehrkräfte beruhte, sind die folgenden Bewertungsgesichtspunkte und Einzelbewertungen mit kurzer Begründung aufgelistet:
Reflexionsfähigkeit: "befriedigend"
Konfliktfähigkeit: "befriedigend"
Vereinbaren und Einhalten von Regeln, Fairness: "gut"
Übernahme von Verantwortung: "ausreichend"
Mitgestaltung des Gemeinschaftslebens: "mangelhaft"
Wegen der Ausführungen zur Begründung der Einzelbewertungen wird auf die Zusammenstellung verwiesen (Bl. 42 Gerichtsakte).
Unter dem 20. Januar 2003 teilte die Bezirksregierung Braunschweig der Klägerin mit, ihr Widerspruch sei unzulässig, weil es sich bei der Bewertung des Sozialverhaltens nicht um einen Verwaltungsakt handele. Im Übrigen sei die Klägerin durch das Zeugnis rechtlich nicht beschwert, weil die angegriffene Bewertung im Zeugnis gar nicht erscheine und keinen Einfluss auf die Entscheidung über den Schulabschluss habe. Die Bezirksregierung behandelte den Widerspruch als Beschwerde und wies diese zurück, weil die Bewertung nicht zu beanstanden sei. Dabei führte sie unter anderem aus, für die Bewertung des Sozialverhaltens stünden nach dem Zeugniserlass vier Abstufungen zur Verfügung. Da die Schule zu der Auffassung gekommen sei, das Sozialverhalten habe den Erwartungen nur mit Einschränkungen entsprochen, also eine Verschlechterung um eine Stufe angenommen habe, sei diese Bewertung im Abschlusszeugnis durch Striche auszuweisen.
Nachdem die Klägerin um einen förmlichen Bescheid gebeten hatte, wies die Bezirksregierung den Widerspruch unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 20. Januar 2003 mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2003, der der Klägerin am 21. Februar 2003 zugestellt wurde, als unzulässig zurück.
Am 19. März 2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht - unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung der Widerspruchsbegründung - im Wesentlichen Folgendes geltend: Die Klage sei zulässig, weil es sich bei dem Abschlusszeugnis um einen Verwaltungsakt handele. Durch die im Zeugnis zum Ausdruck gekommene negative Bewertung, auf die man sie bereits angesprochen habe, seien ihre Aussichten, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, stark eingeschränkt. Alle für die Bewertung des Sozialverhaltens maßgeblichen Gesichtspunkte seien bei ihr nicht negativ ausgeprägt gewesen. Die Klägerin verweist dazu auf das ihr von der Berufsschule erteilte Abschlusszeugnis vom 9. Juli 2003, in dem ausgeführt wird, ihr Sozialverhalten verdiene besondere Anerkennung. Sie vermute, bei der Bewertung ihres Sozialverhaltens durch die Beklagte handele es sich um eine "kleine Rache" für ein beim VG Braunschweig eingeleitetes und inzwischen abgeschlossenes Eilverfahren (Az. 6 B 206/01). Außerdem bestehe die Vermutung, dass sie als Zeugin Jehovas aus religiösen Gründen diskriminiert werden sollte.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung der Entscheidung der Klassenkonferenz vom 11. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 17. Februar 2003 zu verpflichten, ihr Sozialverhalten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass eine Verpflichtungsklage nicht zulässig sei. Bei einer Einzelnote in einem Zeugnis handele es sich nicht um einen mit einer Klage angreifbaren Verwaltungsakt. Die Klägerin sei auch nicht in ihren Rechten verletzt, weil sie den Realschulabschluss erhalten habe und das Sozialverhalten dafür keine Rolle spiele. Im Übrigen sei die Bewertung des Sozialverhaltens rechtlich nicht zu beanstanden. Ihr liege zu Grunde, dass die Klägerin an der Abschlussfeier der Schule und der Abschlussfahrt nach Italien nicht teilgenommen habe. Dabei habe es sich um Schulveranstaltungen gehandelt, für die eine Teilnahmepflicht der Schüler bestanden habe. Die in diesem Verhalten der Klägerin zum Ausdruck gekommene mangelhafte Mitwirkung an der Gestaltung des Gemeinschaftslebens rechtfertige es, ihr Sozialverhalten insgesamt mit der Bewertung "entspricht den Erwartungen mit Einschränkungen" zu beurteilen.
Die Klägerin entgegnet dazu, es habe sich um freiwillige Veranstaltungen gehandelt, deren Kosten ihre Eltern nicht hätten tragen können. Teilgenommen habe sie aber vor allem deswegen nicht, weil ihr Verhältnis zu der damaligen Klassenlehrerin gestört gewesen sei und die Probleme sich am Ende des Schuljahres zugespitzt hätten. Die Klassenlehrerin habe sie und eine Mitschülerin, die an den Veranstaltungen dann ebenfalls nicht teilgenommen habe, äußerst negativ vor der gesamten Klasse vorgeführt. Diese Motivation müsse bei der Bewertung ihres Sozialverhaltens berücksichtigt werden. Da sie sich an allen anderen Aktivitäten der Klasse beteiligt habe, könne die Nichtteilnahme an den beiden Veranstaltungen allein nicht die negative Bewertung ihres Gesamtverhaltens rechtfertigen.
Die Kammer hat zu der Frage, welche Umstände für die Bewertung des Sozialverhaltens der Klägerin maßgeblich waren, Beweis erhoben durch Vernehmung der Realschullehrerin D. und des Hauptschullehrers E. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).
I.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1, 2. Fall VwGO) zulässig. Wendet sich ein Schüler gegen die in seinem Realschul-Abschlusszeugnis dokumentierte Bewertung des Sozialverhaltens, so ist die Klage nicht gegen die in dem Zeugnis zum Ausdruck gekommene Entscheidung über den Realschulabschluss, sondern gegen die angegriffene Einzelbewertung zu richten. Bei der Bewertung des Sozialverhaltens in einem Realschul-Abschlusszeugnis handelt es sich um einen selbstständig anfechtbaren Verwaltungsakt i. S. des § 35 Satz 1 VwVfG.
In wie weit die in Abschlusszeugnissen enthaltenen Einzelnoten als Verwaltungsakte anzusehen sind und eigenständig angegriffen werden können, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird der Verwaltungsaktscharakter von Zeugnisnoten generell verneint (z.B. P.Stelkens/U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 35 Rn. 129 m.w.N.). Zum Teil wird nur die Abschlussnote als Verwaltungsakt angesehen (z.B. Littmann in: Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Loseblattausgabe, Stand: Februar 2004, § 59 Anm. 8). In der Rechtsprechung wird dagegen überwiegend eine Verpflichtungsklage für möglich gehalten und dabei teilweise auch die Einzelnote unter bestimmten Voraussetzungen als Verwaltungsakt qualifiziert (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 22.01.2001, NVwZ-RR 2001, 384 [OVG Bayern 22.01.2001 - 19 A 1901/00] m.w.N.; VG Meiningen, Urt. vom 30.10.1996 - 8 K 558/94.Me -).
Die Auffassungen, die den Verwaltungsaktscharakter von Einzelnoten in Abschlusszeugnissen generell verneinen, überzeugen nicht. Auch solche Noten können tatsächliche Auswirkungen auf Berufswahl und Berufsausübung des Schülers haben und in diesem Sinne Rechtsfolgen herbeiführen. Derartige tatsächliche Auswirkungen mit objektiv berufsregelnder Tendenz sind als Eingriffe in das Grundrecht der Berufsfreiheit anzusehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.., S. 384 m.w.N.; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., Art. 12 Rn. 12; Tettinger in: Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 12 Rn. 72 ff.). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass nach der Gegenansicht die Rechtssicherheit nur eingeschränkt gewährleistet wäre: Rechtsschutz wäre vor Gericht nur durch eine allgemeine Leistungsklage zu erlangen, für die keine bestimmten Fristen gelten. Nach Auffassung der Kammer gilt daher Folgendes:
Die in einem Abschlusszeugnis ausgewiesenen Einzelnoten sind nicht als Verwaltungsakte anzusehen und damit nicht selbstständig angreifbar, soweit sie lediglich die Grundlage für die in dem Zeugnis zum Ausdruck gekommene Entscheidung über den Abschluss bilden. In diesen Fällen hat nur die Entscheidung über den Schulabschluss den für die Annahme eines Verwaltungsakts erforderlichen Regelungscharakter. Bei den ihr zu Grunde liegenden Noten handelt es sich um unselbstständige Bestandteile der Gesamtbewertung, die nur mit einer gegen die Gesamtbewertung gerichteten Klage angegriffen werden können. Die rechtliche Überprüfung der Gesamtbewertung schließt dann die Prüfung einzelner bemängelter Noten ein (vgl. OVG Lüneburg, Urt. vom 04.04.1984 - 13 OVG A 88/93 ).
Als Verwaltungsakte sind dagegen diejenigen Einzelnoten eines Abschlusszeugnisses eigenständig angreifbar, denen eine selbstständige rechtliche Bedeutung zukommt und die die Rechtspositionen des Schülers unmittelbar betreffen (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.., S. 384). Das ist schon dann der Fall, wenn die Note nach den maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen für die Entscheidung über den Schulabschluss keine Bedeutung hat, für die weitere Schullaufbahn des Schülers aber erheblich ist oder seine Chancen beim Eintritt in das Berufsleben beeinflussen kann (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O..; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 11.04.1989, NVwZ-RR 1989, 479, 480 [VGH Baden-Württemberg 11.04.1989 - 9 S 2047/88]; Brockmann in: Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Loseblattausgabe, Stand: Februar 2004, § 34 Anm. 5.1.1). Da in diesen Fällen kein rechtlicher Zusammenhang zwischen der Einzelnote und der Entscheidung über den Schulabschluss besteht, könnte der Schüler mit der Anfechtung dieser Entscheidung die Überprüfung der Einzelnote gar nicht erreichen. Auch das Abschlusszeugnis ist als solches kein zumindest teilweise anfechtbarer Verwaltungsakt, sondern lediglich eine öffentliche Urkunde, in der die zuvor von der Klassenkonferenz getroffenen Entscheidungen dokumentiert werden (ebenso VG Hannover, Beschl. vom 22.04.2002 - 6 A 363/02 -, Littmann, a.a.O..; anders Brockmann, a.a.O..).
Nach diesen hier entsprechend anzuwendenden Grundsätzen ist die in einem Realschul-Abschlusszeugnis festgehaltene Bewertung des Sozialverhaltens als ein selbstständig anfechtbarer Verwaltungsakt anzusehen. Nach dem Sprachgebrauch der schulrechtlichen Bestimmungen handelt es sich dabei zwar nicht um eine Zeugnisnote im engeren Sinne, sondern um eine einem anderen Stufensystem folgende Bewertung besonderer Art (vgl. Nr. 3.7.3, 3.1 und 3.4 des Erlasses des MK vom 22.03.1996 - SVBl. S. 87 - in der hier maßgeblichen, zuletzt durch Erlass vom 08.03.2000 - SVBl. S. 135 - geänderten Fassung, im Folgenden: Zeugniserlass). Auch diese Bewertung hat jedoch eine selbstständige rechtliche Bedeutung und wirkt sich unmittelbar auf Rechtspositionen des Schülers aus. Sie ist nicht Grundlage für die Entscheidung über den Erwerb eines Abschlusses an der Realschule (vgl. die §§ 6 bis 8 der VO über die Abschlüsse im Sekundarbereich I vom 07.04.1994 - Nds. GVBl. S. 197 -, zul. geänd. durch VO vom 04.02.2000 - Nds. GVBl. S. 2 - ), kann jedoch die Chancen des Schülers beim Eintritt in das Berufsleben maßgeblich beeinflussen. Die Bewertung bringt zum Ausdruck, inwieweit der Schüler in der Lage gewesen ist, eine Balance herzustellen zwischen seinen individuellen Ansprüchen, den Interessen anderer sowie den für ein Gemeinschaftsleben notwendigen Regeln, und beruht unter anderem auf Beobachtungen zu Konfliktfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein (vgl. Nr. 3.7.2 des Zeugniserlasses sowie Bade, SVBl. 2001, 147, 148). Dabei handelt es sich um Fähigkeiten, die für viele Berufe von entscheidender Bedeutung sind. Die Bewertung des Sozialverhaltens in einem Abschlusszeugnis, das bei Bewerbungen üblicherweise vorzulegen ist, kann die Aussichten auf eine Arbeitsstelle daher verbessern oder - im Falle eines negativen Ergebnisses - auch verschlechtern. Dabei ist ohne Bedeutung, ob das Zeugnis eine ausformulierte Bewertung enthält oder das für diese Eintragung vorgesehene Feld stattdessen - wie im Zeugnis der Klägerin - mit Strichen "entwertet" ist. Striche wurden dort nach der ständigen Praxis der niedersächsischen Schulen in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Konferenzentscheidung vom Juni 2002 in Abschlusszeugnissen nur gesetzt, wenn das Sozialverhalten negativ bewertet worden war. Dieses Verfahren war weithin bekannt und in einem ministeriellen Erlass vorgegeben (vgl. Nr. 6.7, 6.9 des Zeugniserlasses und Bade, a.a.O.., S. 149).
Grundsätzlich kann der gegen eine Einzelbewertung vorgehende Schüler neben einem Verpflichtungsantrag einen zusätzlichen, mit der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machenden Antrag auf Ausstellung eines berichtigten Zeugnisses stellen (§ 113 Abs. 4 VwGO analog; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 113 Rn. 177). Dafür besteht jedoch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung regelmäßig - wie hier - noch kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die beklagte Schule auch bei einem Erfolg der Verpflichtungsklage nur zur Neubewertung und damit nicht zwangsläufig zu einer Änderung des Bewertungsergebnisses verpflichtet wäre. Unabhängig davon hätte die Klägerin bei veränderter Bewertung einen von der Beklagten soweit ersichtlich nicht bestrittenen Berichtigungsanspruch.
II.
Die Klage ist auch begründet. Die Entscheidung der Klassenkonferenz vom 11. Juni 2002 über die Bewertung des Sozialverhaltens der Klägerin und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte das Sozialverhalten neu bewertet.
1.
Die auf Verwaltungsvorschriften beruhende Praxis der niedersächsischen Schulen, das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler zu bewerten, ist im Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Schulen dürfen das Sozialverhalten von Schülern bewerten. Weder das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) noch das Grundrecht des Schülers auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) begründet einen Anspruch darauf, Aussagen zum Sozialverhalten zu unterlassen (BVerwG, Beschl. vom 29.05.1981, NJW 1982, 250 [BVerwG 29.05.1981 - 7 B 170/80]; Nds. OVG, Beschl. vom 16.07.2002 - 13 PA 113/02 -; Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Aufl., S. 489 m.w.N. auch zu abweichenden Auffassungen). Der staatliche Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen (Art. 7 GG, 4 Nds. Verfassung, § 2 NSchG) ist nicht auf die Wissensvermittlung beschränkt, sondern umfasst auch die Gesamterziehung des jungen Menschen und damit die Anleitung zu einem angemessenen Sozialverhalten. Soweit die Vorgaben für das Sozialverhalten vom Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen gedeckt sind, dürfen die Schulen dieses Verhalten auch bewerten und die Bewertungen in Zeugnissen zum Ausdruck bringen. Allerdings muss die Schule bei der Bewertung des Sozialverhaltens für die unterschiedlichen Wertvorstellungen offen sein, die in diesem Bereich möglich und mit dem staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag sowie der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Verfassung vereinbar sind. Demgemäß haben die Schulen jede Indoktrinierung zu einem bestimmten Sozialverhalten zu unterlassen, wenn auch andere Verhaltensweisen mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen vereinbar und von der Verfassung geschützt sind (vgl. BVerwG, a.a.O..). Die niedersächsischen Regelungen über die Bewertung des Sozialverhaltens entsprechen im Grundsatz diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Inwieweit die Praxis, negative Bewertungen des Sozialverhaltens in Abschlusszeugnissen nicht auszuformulieren, sondern durch Striche zu kennzeichnen, in Rechte des Schülers und der Eltern eingreift, kann das Gericht offen lassen. Die Klägerin rügt nicht diese Praxis, die nur die Gestaltung des Zeugnisses betrifft, sondern wendet sich gegen die dem Zeugnis zu Grunde liegende Entscheidung der Klassenkonferenz. Der Anspruch der Eltern und Schüler auf angemessene Information über die schulischen Leistungen dürfte durch die fragliche Praxis aber auch nicht verletzt sein (vgl. dazu Nds. OVG, Beschl. vom 16.07.2002 - 13 PA 113/02 -; VG Hannover, Beschl. vom 22.04.2002 - 6 A 363/02 - und allgem. BVerwG, Beschl. vom 29.05.1981, NJW 1982, 250 [BVerwG 29.05.1981 - 7 B 170/80]). Es mag zweifelhaft sein, ob die entsprechende Regelung im Zeugniserlass sinnvoll ist, zumal es eine solche Vorschrift für negative Fachnoten nicht gibt und diese in den Abschlusszeugnissen daher anzugeben sind (vgl. Nds. OVG, a.a.O..; VG Hannover, a.a.O..; Brockmann, a.a.O.., § 34 Anm. 5.1.1). Die Rechtsstellung des Schülers oder der Eltern dürfte durch diese Praxis aber nicht berührt sein.
Die Bewertung des Sozialverhaltens durch die niedersächsischen Schulen verstößt auch nicht gegen das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip der Verfassung, die den Gesetzgeber verpflichten, in grundrechtsrelevanten Bereichen des Schulrechts die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen. Ob und gegebenenfalls inwieweit die Bewertung des Sozialverhaltens danach der Regelung in einem förmlichen Gesetz oder wenigstens in einer Rechtsverordnung bedarf, ist im Einzelnen umstritten (vgl. BVerwG, Beschl. vom 29.05.1981, NJW 1982, 250 [BVerwG 29.05.1981 - 7 B 170/80] m.w.N.). Diese Fragen können hier aber offen bleiben. Der niedersächsische Gesetzgeber ermächtigt die Klassenkonferenzen dazu, das Gesamtverhalten der Schülerinnen und Schüler zu beurteilen (§ 35 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NSchG in der hier maßgeblichen, im Zeitpunkt des Konferenzbeschlusses vom Juni 2002 geltenden Fassung vom 03.03.1998 - Nds. GVBl. S. 137 -, zul. geänd. durch Gesetz vom 18.12.2001 - Nds. GVBl. S. 806 -). Dies umfasst die Bewertung des Sozialverhaltens (ebenso Brockmann, a.a.O.., § 35 Anm. 4.1.3). Dass die Einzelheiten der Bewertung in Verwaltungsvorschriften geregelt sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (im Ergebnis ebenso Nds. OVG, Beschl. vom 16.07.2002 - 13 PA 113/02 -; Brockmann, a.a.O.., § 34 Anm. 5.1.2). Die Bewertung ist eine originär pädagogische Aufgabe. Dies im Detail zu regeln, würde den Gesetzgeber wegen der Komplexität des Bewertungsvorgangs und der zu beachtenden Flexibilität von Einzelbestimmungen überfordern (vgl. BVerwG, Beschl. vom 06.03.1998, NVwZ 1998, 859 - zur Leistungsbewertung in versetzungsrelevanten Fächern -).
2.
Die Beklagte hat das Sozialverhalten der Klägerin rechtsfehlerhaft bewertet.
Die Bewertung des Sozialverhaltens durch die Klassenkonferenz ist der verwaltungsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogen. Bei fachlich-pädagogischen Bewertungen von Schülerleistungen, wie sie für die Festsetzung der Zeugnisnoten erforderlich sind, steht den Lehrern ein Bewertungsspielraum zu (vgl. VG Braunschweig, Beschl. vom 04.09.2000 - 6 B 421/00 -; Urt. vom 30.10.2003 - 6 A 663/02 - m.w.N.). Dies gilt entsprechend für die Bewertung des Sozialverhaltens. Auch insoweit ist davon auszugehen, dass es für die Bewertung wesentlich auf nicht reproduzierbare Eindrücke der unterrichtenden Lehrkräfte von dem Schüler und seinem Verhalten ankommt und dem Verwaltungsgericht die für eine abgewogene eigene Beurteilung erforderliche pädagogisch-fachliche Kompetenz fehlt. Die Lehrkräfte müssen im Übrigen bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Berufspraxis bei der Beurteilung des Schülerverhaltens entwickelt haben. Die konkrete Bewertung erfolgt im Rahmen eines Bezugssystems, das von den persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Lehrkräfte beeinflusst wird. Die komplexen Erwägungen, die einer Bewertung zu Grunde liegen, lassen sich nicht regelhaft erfassen. Eine gerichtliche Kontrolle würde insoweit die Maßstäbe verzerren. Denn in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren eines einzelnen Schülers könnte das Gericht die Bewertungskriterien, die für alle anderen Schüler maßgebend waren, nicht abschließend feststellen. Es müsste eigene Bewertungskriterien entwickeln und an die Stelle derjenigen der Lehrkräfte setzen. Dies wäre mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbar, weil einzelne Schüler so die Möglichkeit einer vom Vergleichsrahmen der Lehrkräfte unabhängigen Bewertung erhielten.
Das Gericht darf die Bewertung des Sozialverhaltens daher lediglich darauf überprüfen, ob sie auf der Grundlage eines fehlerfreien Bewertungsverfahrens zu Stande gekommen ist und ob die Grenzen des Bewertungsspielraums überschritten worden sind, weil die Klassenkonferenz bei ihrer Entscheidung von falschen Tatsachen ausgegangen ist, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze missachtet oder sachfremde und damit willkürliche Erwägungen angestellt hat.
Nach diesen Maßstäben ist die angegriffene Bewertung wegen rechtserheblicher Bewertungsfehler aufzuheben.
Die Kammer hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klassenkonferenz bei der Bewertung des Sozialverhaltens der Klägerin die anerkannten Bewertungsgrundsätze beachtet hat. Allgemein anerkannte Bewertungsregeln, die bei der Bewertung des Sozialverhaltens zu beachten sind, ergeben sich aus dem Erlass "Zeugnisse in den allgemein bildenden Schulen" (SVBl. 1996, 87) in der hier maßgeblichen, im Zeitpunkt der Konferenzentscheidung vom 11. Juni 2002 geltenden Fassung des Erlasses vom 8. März 2000 (SVBl. 2000, 135). Dieser Zeugniserlass beschränkt sich zwar darauf, in Ziffer 3.7.2 die Gesichtspunkte aufzuführen, die bei der Bewertung des Sozialverhaltens "vor allem" zu berücksichtigen sind, und enthält damit keine abschließende Aufzählung der Bewertungsgrundsätze. Ihm sind aber die Gesichtspunkte zu entnehmen, die in jedem Fall von allen niedersächsischen Schulen bei der Verhaltensbeurteilung in Zeugnissen mindestens zu beachten und für den Zuständigkeitsbereich des Niedersächsischen Kultusministeriums als allgemein anerkannt anzusehen sind. Nach den vorliegenden Unterlagen und den Zeugenangaben in der mündlichen Verhandlung hat das Gericht nicht zu der Überzeugung kommen können, dass hier alle im Zeugniserlass aufgeführten Bewertungsgesichtspunkte berücksichtigt worden sind.
Die Zeugen haben in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die Klassenkonferenz am 17. Dezember 2002 auf der Grundlage der von der Zeugin D. erstellten Bewertungsübersicht vom 10. Dezember 2002 über den Widerspruch der Klägerin entschieden hat. Diese Übersicht führt fünf der sechs im Zeugniserlass genannten Bewertungsgesichtspunkte an. Es fehlt aber der im Erlass ebenfalls ausdrücklich bezeichnete Gesichtspunkt "Hilfsbereitschaft und Achtung anderer".
Zwar hat die Zeugin D. in der mündlichen Verhandlung erklärt, das Kriterium der "Hilfsbereitschaft" sei berücksichtigt worden. Dies ist nach den übrigen Angaben und Unterlagen aber nicht nachvollziehbar. Die Zeugin hat nicht plausibel erklären können, aus welchem Grund der fragliche Gesichtspunkt in ihrer Bewertungsübersicht nicht genannt ist. Ausdrücklich hat sie auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung erklärt, warum der Gesichtspunkt in der Übersicht fehle, wisse sie nicht mehr. Die Bewertungsübersicht hatte ersichtlich den Zweck, der Klassenkonferenz unter Angabe der Einzelkriterien und -bewertungen einen begründeten Entscheidungsvorschlag zu unterbreiten. Diesen Zweck konnte die Übersicht nur erfüllen, wenn sie alle von der Zeugin für entscheidungserheblich angesehenen Gesichtspunkte anführte. Wenn zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigt worden wären, hätte Anlass bestanden, dies im Konferenzprotokoll oder jedenfalls in der dem Protokoll anliegenden Bewertungsübersicht ausdrücklich zu vermerken. Hinzu kommt, dass die Beklagte auch in ihrer schriftlichen Klageerwiderung zwar die in der Bewertungsübersicht genannten Kriterien als Grundlagen der Bewertung genannt, den Gesichtspunkt "Hilfsbereitschaft und Achtung anderer" aber nicht erwähnt hat (vgl. den Schriftsatz vom 10.04.2003). Schließlich hatte die Zeugin zu Beginn ihrer Anhörung in der mündlichen Verhandlung ihre Vorgehensweise bei der Bewertung noch dahin gehend erläutert, dass sie die in der Bewertungsübersicht aufgeführten Einzelbewertungen addiert und sodann den Durchschnittswert ermittelt habe. Von einem weiteren Kriterium ist zu diesem Zeitpunkt der Verhandlung noch nicht die Rede gewesen. Dies alles spricht nach Auffassung der Kammer dafür, dass der fragliche Bewertungsgesichtspunkt bei der Entscheidung der Klassenkonferenz schlicht übersehen worden ist.
Selbst wenn der Gesichtspunkt berücksichtigt worden wäre, wäre nach den vorliegenden Unterlagen und Einlassungen der Zeugen jedenfalls nicht ersichtlich, dass er in die Endbewertung eingeflossen ist.
Aus den dargelegten Gründen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesichtspunkt "Hilfsbereitschaft und Achtung anderer" bei der Konferenzentscheidung vom 11. Juni 2002 beachtet worden ist. Dahin gehende Anhaltspunkte lassen sich insbesondere nicht dem Konferenzprotokoll entnehmen, das sich hinsichtlich des Beschlusses zum Sozialverhalten der Klägerin auf die Mitteilung des Ergebnisses (keine Eintragung im Zeugnis) beschränkt.
Das Gericht kann auch nicht ausschließen, dass sich die Nichtbeachtung des anerkannten Bewertungsgesichtspunktes bei der Bewertung zu Lasten der Klägerin ausgewirkt hat. Die Zeugin D. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es im Hinblick auf den Gesichtspunkt "Hilfsbereitschaft und Achtung anderer" keine Probleme mit der Klägerin gegeben habe.
Darüber hinaus hat die Beklagte das Bewertungsergebnis nicht nachvollziehbar begründet. Das Gericht hat daher nicht zu der Überzeugung gelangen können, dass die Bewertung ohne Verstoß gegen Denkgesetze und insgesamt willkürfrei zu Stande gekommen ist.
Die Zeugin D. hat in der mündlichen Verhandlung auf die Frage nach ihrem der Bewertungsübersicht vom Dezember 2002 zu Grunde liegenden Bewertungssystem erklärt, sie sei davon ausgegangen, dass jeder der im Zeugniserlass (Ziffer 3.7.3) für die Bewertung des Sozialverhaltens vorgesehenen Abstufungen eine Zeugnisnote ("sehr gut", "gut" etc.) zugeordnet werden könne. Hiervon ausgehend hätte der Bewertungsübersicht der Zeugin vom Dezember 2002 ein fünfstufiges Bewertungssystem zu Grunde gelegen, weil nach dieser Zusammenstellung für die einzelnen Bewertungsgesichtspunkte Zeugnisnoten bis hin zur Note "mangelhaft" zu vergeben sind. Das fünfstufige Bewertungssystem galt im vorliegenden Fall aber noch gar nicht. Für die in einem Zeugnis zum Ausdruck kommende Bewertung des Sozialverhaltens kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der Zeugniskonferenz an. Wären im Fall der Widerspruchserhebung nachträglich eintretende Änderungen der Sach- oder Rechtslage zu berücksichtigen, so wäre nicht mehr gewährleistet, dass die Leistungen sowie das Verhalten der Schüler und Schülerinnen eines Jahrgangs nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden. Zum Zeitpunkt der Zeugniskonferenz vom 11. Juni 2002 galt der Zeugniserlass aber noch in der Fassung des Erlasses vom 8. März 2000, der in Ziffer 3.7.3 für die Bewertung des Sozialverhaltens vier Abstufungen vorsah (s. SVBl. 2000, 135). Die fünfte Abstufung - die Zwischenstufe "entspricht den Erwartungen" - wurde erst durch Erlass vom 8. Februar 2002 eingefügt (SVBl. 2002, 128); dieser Erlass trat am 1. August 2002 in Kraft und war daher im vorliegenden Fall auch für die Abhilfekonferenz noch nicht anwendbar.
Es ist zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Bewertungsbeiträge der Lehrkräfte das Sozialverhalten aus Vereinfachungsgründen zur Vorbereitung einer Konferenzentscheidung nicht nach den an sich dafür vorgesehenen besonderen Abstufungen bewerten, sondern auf die "Noten" des für die Leistungsbewertung geltenden Notensystems (Ziffer 3.4.1 des Zeugniserlasses) zurückgreifen. Es muss dann aber ersichtlich sein, dass die Besonderheiten des Bewertungssystems (insbesondere die geringere Zahl der Bewertungsstufen) berücksichtigt sind und die Zuordnung nach einheitlichen Kriterien erfolgt, sodass Missverständnisse über das Ergebnis der Einzelbewertungen ausgeschlossen werden können. Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass den Bewertungsbeiträgen der Lehrkräfte ein einheitliches Bewertungssystem zu Grunde gelegen hat.
So hat der Zeuge E. in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe als Fachlehrer bei der Bewertung des Sozialverhaltens Noten von 1 bis 6 ("sehr gut" bis "ungenügend") vergeben; dabei stünden die ersten drei Noten für eine positive Bewertung, die den beiden oberen Abstufungen zur Bewertung des Sozialverhaltens entsprächen, also den Bewertungsstufen "verdient besondere Anerkennung" und "entspricht den Erwartungen in vollem Umfang". Wenn dies so gewesen ist, dann ist der Zeuge bei seinem Bewertungsbeitrag ersichtlich von einem anderen System als die Zeugin D. ausgegangen. Diese hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, die Bewertungsbeiträge aller Lehrkräfte seien einheitlich zu dem Ergebnis "befriedigend" gekommen. Diese Note ist für die Zeugin hingegen Ausdruck einer negativen Bewertung ("entspricht den Erwartungen mit Einschränkungen") gewesen.
Die Zeugen haben in der mündlichen Verhandlung auch nicht nachvollziehbar darlegen können, warum das Sozialverhalten der Klägerin am Ende des Schuljahres um eine volle Stufe schlechter bewertet worden ist als in dem vorangegangenen Halbjahreszeugnis. Der Zeuge E. hat dazu konkrete Vorfälle nicht nennen können. Auch dem Vortrag der Zeugin D. in der mündlichen Verhandlung hat die Kammer nicht entnehmen können, welche Ereignisse im Einzelnen letztlich zu der veränderten Bewertung geführt haben und dass die Erkenntnisse aus dem zweiten Schulhalbjahr unter Berücksichtigung des für die Bewertung am Schuljahresende maßgeblichen Verhaltens der Schülerin im gesamten Schuljahr (Ziffer 3.1 Sätze 2 und 3 des Zeugniserlasses) angemessen gewichtet worden sind (Ziffer 3.1 Satz 4 des Zeugniserlasses analog).
Soweit nach den Angaben der Zeugin D. in die Bewertung des Sozialverhaltens auch eingeflossen ist, dass die Klägerin an freiwilligen Freizeitaktivitäten der Klasse (wie Malerarbeiten im Klassenraum, Picknicks, Abendessen und Besuchen kultureller Veranstaltungen außerhalb der Schulzeit) nicht teilgenommen habe, beruht die Bewertung auf sachfremden Überlegungen. Das Gericht übersieht nicht, dass die Zeugin sich in anerkennenswerter Weise in einem weit über ihre Dienstpflichten hinausreichenden Umfang und mit erheblichem zeitlichen Aufwand außerhalb der Unterrichtszeiten für ihre Schülerinnen und Schüler engagiert hat. Die Nichtteilnahme an solchen freiwilligen Aktivitäten durfte sie bei der Bewertung des Sozialverhaltens jedoch aus rechtlichen Gründen nicht zu Lasten der Schülerin berücksichtigen.
Nach Ziffer 3.1 Satz 6 des Zeugniserlasses beruht die Bewertung des Sozialverhaltens auf den Beobachtungen, die sich über den Unterricht hinaus auch auf das "Schulleben" erstrecken; nach Ziffer 3.7.2 des Erlasses ist die Mitgestaltung des "Gemeinschaftslebens" ein wesentlicher Bewertungsgesichtspunkt. Diese Begriffe muss die Schule aber so auslegen und anwenden, dass die vorrangigen gesetzlichen Regelungen nicht verletzt werden. Nach dem Zweck der Ermächtigung in § 35 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 NSchG i.V.m. dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen nach § 2 Abs. 1 NSchG wird es jedenfalls im Grundsatz rechtlich nicht zu beanstanden sein, wenn die Schule in ständiger Praxis das außerschulische Verhalten mit unmittelbarem Bezug zum Schulbesuch - also zum Beispiel das Verhalten bei verbindlichen Schulveranstaltungen - in die Bewertung einbezieht. Etwas anderes gilt aber für freiwillige Aktivitäten, also solche Veranstaltungen, bei denen die Teilnahme nach den schulrechtlichen Bestimmungen oder kraft Anordnung der verantwortlichen Lehrkraft der Entscheidung des Schülers oder der Erziehungsberechtigten überlassen ist (anders im Ergebnis Avenarius/Heckel, a.a.O.., S. 546). Wäre auch die Nichtteilnahme an solchen Aktivitäten bei der Bewertung des Sozialverhaltens zu berücksichtigen, so würde dies letztlich zu einer faktischen Ausweitung der Teilnahmepflichten führen. Jeder Schüler hätte mit negativen Folgen zu rechnen, wenn er an diesen Veranstaltungen nicht teilnähme, und wäre damit einem Zwang zur Teilnahme ausgesetzt, der einer Teilnahmeverpflichtung gleich käme. Hierdurch würden faktische Teilnahmepflichten entstehen, die über die gesetzliche Schulpflicht der Schüler nach § 58 und § 71 Abs. 1 Satz 1 NSchG hinaus gingen und für die es eine gesetzliche Grundlage nicht gibt (vgl. auch die Ergänzenden Bestimmungen zu § 58 NSchG, Ziffer 1.1, abgedr. bei Littmann, a.a.O.., § 58, sowie die Erklärung der Kultusministerkonferenz vom 25.05.1973, Erlass des MK vom 18.06.1973, SVBl. S. 191, 282, Ziffer III 1). Im Übrigen handelt der Lehrer, der die Nichtteilnahme an solchen freiwilligen Aktivitäten negativ bewertet, widersprüchlich, indem der den Schülern die Teilnahme einerseits überlässt oder kraft schulrechtlicher Bestimmung überlassen muss, die Nichtteilnahme andererseits aber sanktioniert.
Schließlich ist nach den Angaben der Zeugen nicht ersichtlich, dass die Konferenz bei ihrer Bewertungsentscheidung die Zurückhaltung, die die Klägerin in dem maßgeblichen Zeitraum im Klassenverband unstreitig gezeigt hat, sachgerecht gewürdigt hat. Die größere Zurückhaltung eines Schülers im Klassenverband kann persönlichkeitsimmanent sein, auf dem vorwerfbaren Verhalten anderer Schüler oder sonstigen, von dem zu beurteilenden Schüler letztlich unverschuldeten Konflikten beruhen oder aber auf die mangelnde Gemeinschaftsfähigkeit des Schülers zurückzuführen sein. Nur in dem letzten der genannten Fälle darf die festgestellte Zurückhaltung des Schülers ohne weiteres negativ bei der Bewertung des Sozialverhaltens berücksichtigt werden. Mit der uneingeschränkt negativen Bewertung einer persönlichkeitsimmanenten Zurückhaltung würde sich die Schule in Widerspruch setzen zu ihrem gesetzlichen Auftrag, die Wertvorstellungen zu vermitteln, die dem Grundgesetz und der Niedersächsischen Verfassung zu Grunde liegen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 NSchG). Zwar ist das Menschenbild des Grundgesetzes nicht das eines isolierten, sondern das eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums (BVerfG, Urt. vom 20.07.1954, BVerfGE 4, 7, 15 f.) [BVerfG 20.07.1954 - 1 BvR 459/52]. Unabhängig von dieser in der Verfassung vorausgesetzten sozialen Komponente der menschlichen Existenz geht jedoch die Menschenwürdegarantie von dem Gedanken aus, dass jeder Mensch als Individuum zu respektieren ist: Der Mensch ist kraft seines unantastbaren Eigenwertes in seiner Identität und Persönlichkeit zu achten und zu schützen; das Grundgesetz garantiert die Achtung und den Schutz des Einzelnen in seinem "Sosein" (vgl. BVerfG, a.a.O.., S. 16; Herdegen in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Loseblattausgabe, Stand Februar 2003, Art. 1 Abs. 1 Rn. 48; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., Art. 1 Rn. 5; Höfling in: Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 1 Rn. 29 f.). Damit wäre es nicht vereinbar, wenn die Schule eine persönlichkeitsimmanente Zurückhaltung des Schülers beanstanden und allein deswegen sein Sozialverhalten negativ bewerten würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die soziale Zurückhaltung eines Schülers stets unberücksichtigt bleiben muss. Hinzukommen muss aber jedenfalls ein Verhalten, dem hinreichend klar zu entnehmen ist, dass der Schüler soziale Kontakte in einer den Wertvorstellungen der Verfassung nicht entsprechenden Weise ablehnt. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Anforderungen hier erfüllt sind.
Die Zeugin D. hat erklärt, das von ihr beobachtete Verhalten der Klägerin, sich von der Klassengemeinschaft abzuwenden, habe auch auf Schüchternheit beruht. Dem ist nicht zu entnehmen, dass sie bei der Bewertung geprüft hat, ob eine persönlichkeitsimmanente Zurückhaltung vorliegt und inwieweit das hierauf zurückzuführende Verhalten der Klägerin negativ bewertet werden durfte. Der Zeuge E. hat zur Begründung der negativeren Bewertung am Schuljahresende angegeben, bei vielen Schülern sei im letzten Halbjahr vor dem Schulabschluss eine gesteigerte Motivation zu beobachten; eine solche Veränderung des Verhaltens habe er bei der Klägerin nicht feststellen können. Auch diese Äußerung lässt nicht erkennen, dass die Frage nach einer persönlichkeitsimmanenten Ursache des Verhaltens hinreichend berücksichtigt worden ist.
Das Gericht kann nach allem offen lassen, ob auch die Einlassungen der Beklagten und der Zeugen zu der Frage, inwieweit die Konferenz die Nichtteilnahme der Klägerin an der Abschlussfahrt nach Italien negativ berücksichtigt hat, auf einen Bewertungsfehler hindeuten. Insoweit bestehen aber zumindest erhebliche Zweifel. Bei der Abschlussfahrt dürfte es sich um eine Studienfahrt i.S.v. Nr. 3.2 des Schulfahrtenerlasses vom 30. Juni 1997 (SVBl. S. 266) gehandelt haben. Die Teilnahme an solchen Fahrten ist nach Nr. 4.2 des Erlasses für die Schülerinnen und Schüler freiwillig. Nach den schriftlichen Angaben der Beklagten hat die Konferenz die Fahrt gleichwohl als Schulveranstaltung angesehen, auf dieser Grundlage eine Teilnahmepflicht der Schüler angenommen und die abgelehnte Teilnahme entsprechend negativ berücksichtigt (Schriftsätze vom 10.04.2003 und 13.02.2004). Die Zeugin D. dagegen hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, zur Teilnahme an der Italienfahrt habe sie die Klägerin nicht zwingen können, die Nichtteilnahme sei folglich nicht negativ bewertet worden.
Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass für die "Vermutungen" der Klägerin, die Schule habe wegen eines früheren gerichtlichen Verfahrens "Rache" üben, die Zeugin D. habe sie religiös diskriminieren wollen, nach den Erkenntnissen aus der mündlichen Verhandlung jede Grundlage fehlt.
Da der Beklagten weiterhin ein Bewertungsspielraum zur Verfügung steht, führen die festgestellten Bewertungsfehler nur dazu, dass die angegriffenen Entscheidungen aufzuheben sind und die Beklagte im Übrigen zu verpflichten ist, das Sozialverhalten der Klägerin neu zu bewerten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 711, 708 Nr. 11 ZPO.
Die Kammer lässt die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4000,00 Euro festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt in Anwendung des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Wagner
Dr. Baumgarten