Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 19.09.2008, Az.: 6 B 198/08

Begründung; Nichtversetzung; Prognoseentscheidung; Versetzung; Versetzung, vorläufige

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
19.09.2008
Aktenzeichen
6 B 198/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 45047
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2008:0919.6B198.08.0A

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2009, 69 (amtl. Leitsatz)
  • SchuR 2009, 105-107
  • SchuR 2009, 139

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die vorläufige Teilnahme des Schülers am Unterricht der nächsthöheren Klasse der Grundschule erreicht werden soll, kommt nicht in Betracht, wenn die Schulbehörde den Schüler unter Anordnung sofortiger Vollziehung zum Besuch einer Förderschule verpflichtet und das Verwaltungsgericht diese Entscheidung im Eilverfahren bestätigt hat.

  2. 2.

    Für die Prognose, ob eine erfolgreiche Mitarbeit in der nächsthöheren Klasse der Schule zu erwarten ist, muss die Klassenkonferenz den tatsächlichen Leistungsstand und das tatsächliche Leistungsvermögen des Schülers zugrunde legen. Dies gilt auch für den Fall, dass mögliche Fördermaßnahmen zuvor unterblieben sind.

  3. 3.

    Ein versehentlich fehlender Vermerk auf dem Zeugnis, dass der Schüler die Ziele in einem weiteren Lehrgang der 2. Klasse nicht erreicht hat, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Versetzungsentscheidung. Die Schule kann diese Information nachreichen.

  4. 4.

    Zur Begründungspflicht der Schule bei Versetzungsentscheidungen.

Gründe

1

Der Antrag, mit dem die Antragsteller begehren, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1. vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des gegen seine Nichtversetzung in die 3. Klasse eingeleiteten Hauptsacheverfahrens am Unterricht dieses Schuljahrgangs teilnehmen zu lassen, ist nicht begründet.

2

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dazu muss der Antragsteller grundsätzlich glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch). Besondere Anforderungen gelten für den Fall, dass die begehrte Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Da die einstweilige Anordnung grundsätzlich nur zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ausgesprochen werden darf, ist sie in diesen Fällen nur möglich, wenn sonst das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt würde. So darf die Entscheidung in der Hauptsache ausnahmsweise vorweggenommen werden, wenn ein Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben würde und wenn es dem Antragsteller darüber hinaus schlechthin unzumutbar wäre, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl.z.B. VG Braunschweig, B.v. 10.03.2006 - 6 B 52/06 -, www.dbovg.niedersachsen.de - im Folgenden: dbovg -; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 190 ff.). Diese Anforderungen sind derzeit nicht erfüllt.

3

Der Eilantrag der Antragsteller ist auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Eine die Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung erhöhende Vorwegnahme der Hauptsache liegt schon dann vor, wenn die begehrte Entscheidung des Gerichts dem Antragsteller für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens die Rechtsposition vermitteln würde, die er in der Hauptsache anstrebt (vgl. Nds. OVG, B.v. 23.11.1999 - 13 M 3944/99 -, NVwZ-RR 2001, 241; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 179 f.). Dies ist hier der Fall. Die Antragsteller wollen mit dem Antrag die vorläufige Teilnahme des Antragstellers zu 1. am Unterricht der 3. Klasse der Grundschule und damit für die Dauer des Hauptsacheverfahrens diejenige Rechtsposition erreichen, die sie im Hauptsacheverfahren anstreben (vgl. VG Braunschweig, B.v. 10.09.2004 - 6 B 321/04 -, dbovg; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 1399).

4

Gegenwärtig ist nicht ersichtlich, dass dem Kind ohne die beantragte einstweilige Anordnung erhebliche, die sofortige Entscheidung des Gerichts erfordernde Nachteile drohen und damit die besonderen Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen bei einem auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichteten Eilantrag von einem Anordnungsgrund ausgegangen werden kann. Der Antragsteller zu 1. ist aufgrund des für sofort vollziehbar erklärten Bescheides der Landesschulbehörde vom 30. Juni 2008 derzeit gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 NSchG zum Besuch der G. in Salzgitter (Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen) verpflichtet. Die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides hat die Kammer im Eilverfahren bestätigt (B.v. 20.08.2008 - 6 B 196/08 -). Die Grundschule kann die Rechtspflicht zum Besuch der Förderschule durch die von den Antragstellern im Ergebnis angestrebte vorläufige Versetzung nicht beseitigen: Ob der Schüler aufgrund eines sonderpädagogischen Förderbedarfs zum Besuch der Förderschule verpflichtet ist und welche Schule er zu besuchen hat, bestimmt nach den Regelungen des Schulgesetzes die Schulbehörde (s. § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG); Gegenstand der von der Schule zu treffenden Versetzungsentscheidung ist dagegen die Frage, ob von dem Schüler eine erfolgreiche Mitarbeit im nächsthöheren Jahrgang der Schule erwartet werden kann (vgl. § 59 Abs. 4 NSchG). Schon wegen der unterschiedlichen Entscheidungsinhalte und Kompetenzen kann die Versetzungsentscheidung die Förderschulzuweisung nicht überlagern. Der Schüler und seine Erziehungsberechtigten sind damit nicht in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigt: Sie können beim Verwaltungsgericht um Eilrechtsschutz gegen die Förderschulzuweisung nachsuchen, bei einem in der ersten Instanz erfolglos gebliebenen Eilantrag Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht erheben - was die Antragsteller im vorliegenden Fall auch getan haben - und bei Erfolg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht mit dem Ziel beantragen, die vorläufige Teilnahme des Schülers am Unterricht der nächsthöheren Klasse zu gewährleisten. Sofern ein schutzwürdiges Interesse an der Klärung der Versetzungsfrage - auch für den weiteren Besuch der Förderschule - fortbesteht, können die Antragsteller dieses nach derzeitigem Sachstand jedenfalls ohne erhebliche Nachteile in einem Hauptsacheverfahren geltend machen.

5

Unabhängig davon haben die Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch bislang nicht glaubhaft gemacht. Nach den vorliegenden Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass der Widerspruch und eine eventuell nachfolgende Klage gegen die von der Antragsgegnerin verfügte Nichtversetzung in die 3. Klasse mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg hätten.

6

Rechtsgrundlage für die Entscheidung, den Antragsteller zu 1. nicht zu versetzen, sind die Regelungen in § 59 Abs. 4 Satz 1 und § 60 Abs. 1 Nr. 2 NSchG i.V.m. der Verordnung über die Durchlässigkeit sowie über Versetzungen und Überweisungen an allgemeinbildenden Schulen (Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung) vom 19. Juni 1995 (Nds. GVBl.S. 184), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Oktober 2006 (Nds. GVBl.S. 470). Danach kann ein Schüler den nächsthöheren Schuljahrgang erst besuchen, wenn die Klassenkonferenz entschieden hat, dass von ihm eine erfolgreiche Mitarbeit in diesem Schuljahrgang erwartet werden kann (Versetzung). Nach § 10 Abs. 1 der Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung wird ein Schüler der Grundschule (ohne Eingangsstufe) in der Regel nicht vom 2. in den 3. Schuljahrgang versetzt, wenn er am Ende des 2. Schuljahrgangs in zwei der Lehrgänge Lesen, Schreiben und Mathematik das Ziel nicht erreicht hat. Diese Voraussetzungen für eine Nichtversetzung liegen nach gegenwärtigem Sachstand vor.

7

Der Antragsteller zu 1. hat die Ziele der Lehrgänge Schreiben und Mathematik nicht erreicht. Dies ist für den Lehrgang Mathematik - anders als für den Schreiblehrgang - auf dem von der Antragsgegnerin ausgestellten Zeugnis vom 9. Juli 2008 zwar nicht dokumentiert. Auch dem Protokoll der Zeugniskonferenz vom 1. Juli 2008 lässt sich nicht entnehmen, in welchen Lehrgängen der Schüler nach den Bewertungen der Lehrkräfte die Ziele nicht erreicht hat. Die Klassenlehrerin Frau H. hat jedoch in einem Schreiben an die Landesschulbehörde vom 15. Juli 2008 erklärt, im Zeugnis müsse ergänzt werden, dass der Schüler das Ziel des Rechenlehrgangs nicht erreicht habe. Dies deckt sich mit den Angaben, die Frau H. in einem Telefongespräch mit dem Berichterstatter der Kammer am 16. September 2008 gemacht hat. Danach hat die Mathematiklehrerin in der Zeugniskonferenz vorgetragen, der Antragsteller zu 1. habe das Ziel des Mathematiklehrgangs nicht erreicht; der entsprechende Zusatz sei dann aber versehentlich nicht in das Zeugnis aufgenommen worden. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Die Bewertung ist vor allem auch wegen der umfänglichen, die Leistungen im Fach Mathematik betreffenden Defizite des Kindes, die die beteiligten Lehrkräfte im Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs dargestellt haben, plausibel (vgl. dazu den Beschluss der Kammer vom 20.08.2008 - 6 B 196/08 -). Unter Berücksichtigung dieser Umstände hält die Kammer die Behauptung der Antragsteller nicht für glaubhaft, die Klassenlehrerin Frau H. habe in einem Telefonat mit der Antragstellerin zu 2. am 4. Juli 2008 angegeben, ihr Sohn habe das Ziel des Mathematiklehrgangs knapp erreicht. Auch Frau H. hat diese Darstellung der Antragsteller nicht bestätigt.

8

Ob die Schülerin oder der Schüler nach der Beurteilung der Schule die Ziele der Lehrgänge am Ende des 2. Schuljahrgangs im Sinne des § 10 Abs. 1 der Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung nicht erreicht hat, bestimmt sich maßgeblich nach der in der Zeugniskonferenz mitgeteilten Bewertung der zuständigen Fachlehrerin oder des zuständigen Fachlehrers. Die zusammenfassende Beurteilung, ob der Schüler die Ziele erreicht oder nicht erreicht hat, trifft die Lehrkraft auf der Grundlage der von ihr vorgenommenen Einzelbewertungen im Rahmen des ihr durch das Schulgesetz grundsätzlich eingeräumten pädagogischen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraums (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 NSchG). Durch den entsprechenden Zusatz auf dem Zeugnis wird die Gesamtbewertung, ob das Ziel der Lehrgänge erreicht ist, lediglich dokumentiert; er hat ausschließlich deklaratorische und keine konstitutive Bedeutung. Allein aus der Tatsache, dass ein solcher Zusatz auf dem Zeugnis fehlt oder die Bewertung unzutreffend wiedergibt, können daher keine Rechtsfolgen für die Versetzungsentscheidung nach § 10 Abs. 1 der Durchlässigkeitsund Versetzungsverordnung abgeleitet werden.

9

Die der Entscheidung der Klassenkonferenz zugrunde liegenden Leistungsbewertungen im Hinblick auf die Lehrgänge Schreiben und Mathematik sind nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sachlage rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsteller haben auch nicht glaubhaft gemacht, dass vom Antragsteller zu 1. eine erfolgreiche Mitarbeit im 3. Schuljahrgang der Grundschule erwartet werden kann, obwohl er die Ziele in den Lehrgängen Schreiben und Mathematik nicht erreicht hat.

10

Für die Prognoseentscheidung der Klassenkonferenz über die erfolgreiche Mitarbeit in der nächsthöheren Klasse sowie die ihr gemäß § 3 Abs. 1 der Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung zugrunde liegenden Leistungsbewertungen sind fachlich-pädagogische Beurteilungen erforderlich, die der verwaltungsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogen sind (vgl. Nds. OVG, B.v. 20.03.2008 - 2 ME 83/08 -, dbovg; VG Braunschweig, B.v. 27.08.2004 - 6 B 339/04 -, dbovg). Die Konferenz hat bei der von ihr zu treffenden Entscheidung einen pädagogischen Beurteilungsspielraum, da die Prognose, ob eine erfolgreiche Mitarbeit in der höheren Klasse zu erwarten ist, von pädagogischen Erwägungen bestimmt wird, die von der Bewertung seiner Leistungen sowie einer individuell auf den Schüler bezogenen Einschätzung der weiteren Entwicklung ausgehen müssen. Auch den Fachlehrern steht für die der Versetzungsentscheidung zugrunde liegenden Leistungsbewertungen ein Beurteilungsspielraum zu, soweit sie auf pädagogischen Beurteilungen beruhen. Eine unabhängig vom Bezugs- und Vergleichsrahmen der Lehrkräfte erfolgende Bewertung durch das Gericht würde die Maßstäbe verzerren, einzelnen Schülern die Bewertung nach besonderen Kriterien eröffnen und damit letztlich den Grundsatz der Chancengleichheit verletzen.

11

Soweit der dargestellte pädagogische Beurteilungsspielraum reicht, darf das Gericht die Prognoseentscheidung und die Leistungsbewertung lediglich darauf überprüfen, ob sie auf der Grundlage eines fehlerfreien Bewertungsverfahrens zustande gekommen und ob die Grenzen des Bewertungsspielraums überschritten worden sind, weil die Lehrkräfte von falschen Tatsachen ausgegangen sind, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze missachtet oder sachfremde und damit willkürliche Erwägungen angestellt haben. Nach diesen Grundsätzen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung der Klassenkonferenz und die ihr zugrunde liegenden Leistungsbewertungen rechtsfehlerhaft sind.

12

Der Vergleich der Formulierungen im Zeugnis vom 9. Juli 2008 (1. und 2. Schulhalbjahr) und vom 30. Januar 2008 (1. Schulhalbjahr) deutet nicht auf sachfremde Erwägungen oder die Missachtung anerkannter Bewertungsgrundsätze hin. Die Behauptung der Antragsteller, die Lehrerinnen hätten die Leistungen des Antragstellers zu 1. in den Lehrgängen Schreiben und Mathematik zuletzt schlechter bewertet, obwohl die Zeugnisse den Lernstand in gleichen Formulierungen darstellten, trifft nicht zu. Die Formulierungen in den Zeugnissen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Zutreffend hat die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass der Antragsteller zu 1. nach dem Zeugnis vom 30. Januar 2008 Schreibschrifttexte mit "einigen" Fehlern abschreiben konnte, das Zeugnis vom 9. Juli 2008 insoweit aber von "vielen" Fehlern spricht; kurze geübte Texte konnte der Schüler nach dem Zeugnis vom 30. Januar 2008 mit "vielen" Fehlern schreiben, nach dem letzten Zeugnis dagegen mit "sehr vielen" Fehlern. Im Hinblick auf den Lernstand im Lehrgang Mathematik heißt es im Zeugnis vom 9. Juli 2008: "I. kennt einige Aufgaben des kleinen Einmaleins." Diese Formulierung fehlt im vorangegangenen Zeugnis. Entgegen der Auffassung der Antragsteller handelt es sich bei diesem Satz nicht um eine im Ergebnis positive Bewertung des Lernstandes. Nach dem vom Niedersächsischen Kultusministerium herausgegebenen Kerncurriculum Mathematik für die Grundschule, in dem die von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Bildungsstandards konkretisiert und damit die Bildungsziele für die einzelnen Schuljahrgänge vorgegeben werden, gehört es zu den von den Schülerinnen und Schülern am Ende des 2. Schuljahrgangs erwarteten Kompetenzen, dass sie die Kernaufgaben des kleinen Einmaleins automatisiert wiedergeben und deren Umkehrungen und die Ergebnisse weiterer Aufgaben ableiten (Kerncurriculum für das Unterrichtsfach Mathematik in den Schuljahrgängen 1 - 4, Hannover 2006, verfügbar unter www.nibis.de, S. 21). Mit der Kenntnis einiger Aufgaben sind diese Bildungsziele nicht erreicht: Erforderlich ist neben der Fähigkeit zur automatisierten Wiedergabe aller Kernaufgaben (1 · x, 2 · x, 5 · × und 10 · x), dass der Schüler durch die Erkenntnis der zentralen mathematischen Zusammenhänge eine Strategie entwickelt, die es ihm ermöglicht, sich auf der Basis der von ihm sicher beherrschten Grundsätze weitere Aufgaben zu erschließen (vgl. das Kerncurriculum, a.a.O., S. 12, 19 und 38). Dass der Antragsteller zu 1. diese Kompetenzen erworben hat, ist nicht ersichtlich. Weitreichende Defizite des Schülers im Fach Mathematik bestätigen im Übrigen auch die nachvollziehbaren Stellungnahmen, die die Lehrkräfte im Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs abgegeben haben. Die Kammer verweist insofern auf ihre Ausführungen im Beschluss vom 20. August 2008 (6 B 196/08, S. 17 und 19 f.).

13

Auch die Formulierung der Klassenlehrerin Frau H. in ihrem Schreiben vom 7. August 2008, der Antragsteller zu 1. habe sich "in seinen Leistungen gebessert", lässt nicht auf Bewertungsfehler schließen. Im selben Satz führt die Lehrerin aus, gleichwohl erreiche das Kind noch bei weitem nicht das Klassenziel. Die Äußerungen können daher nur so verstanden werden, dass positive Tendenzen in Teilbereichen der geforderten Leistungen erkennbar waren, diese aber angesichts der erheblichen Defizite in wesentlichen Anforderungsfeldern keinen maßgeblichen Einfluss auf die Konferenzentscheidung und die ihr zugrunde liegenden Bewertungen hatten. Auch dies wird im Ergebnis durch die Ausführungen der Lehrkräfte im Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs bestätigt.

14

Die Antragsteller haben auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Lehrkräfte die Leistungen des Antragstellers zu 1. entgegen den für Schüler mit Lese- und Rechtschreibschwäche geltenden Grundsätzen bewertet haben. Die Klassenlehrerin Frau H. hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 7. August 2008 im Einzelnen ausgeführt, der Schüler habe bei jedem Test die Möglichkeit gehabt, zeitlich länger als seine Mitschüler zu arbeiten; ihm sei die Möglichkeit eingeräumt worden, sich Aufgaben, die der Rest der Klasse selbstständig habe erarbeiten müssen, erläutern zu lassen; in besonderen Fällen habe er Aufgaben auch mündlich lösen dürfen. Substanziierte Einwände haben die Antragsteller gegen diese Darstellung nicht erhoben. Bei den von der Lehrerin dargelegten Erleichterungen handelt es sich um anerkannte Maßnahmen zum Nachteilsausgleich für Schülerinnen und Schüler mit Lese- und Rechtschreibschwäche (vgl. den Erlass des MK zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen v. 04.10.2005 - SVBl.S. 560 - , Nr. 4.1). Nach derzeitigem Sachstand ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin damit die besonderen Bewertungsgrundsätze für diesen Schülerkreis, der im Übrigen grundsätzlich den für alle Schülerinnen und Schüler geltenden Maßstäben der Leistungsbewertung unterliegt (Erlass des MK v. 04.10.2005, a.a.O.), unzureichend beachtet hat.

15

In einem Verfahren nach § 123 VwGO, in dem gegen die Nichtversetzungsentscheidung der Schule die vorübergehende Teilnahme des Schülers am Unterricht der nächsthöheren Klasse begehrt wird, muss der Antragsteller die Tatsachen glaubhaft machen, aus denen sich Beurteilungsfehler der Klassenkonferenz oder Bewertungsfehler der Lehrkräfte bei der Notenvergabe herleiten lassen (VG Braunschweig, B.v. 27.08.2004, a.a.O.). Dies haben die Antragsteller nicht getan. Die bloße Behauptung eines Bewertungsfehlers genügt diesen Anforderungen jedenfalls nicht.

16

Die Klassenkonferenz kann ausnahmsweise zwar auch dann die Versetzung in die 3. Klasse aussprechen, wenn die Ziele in zwei der Lehrgänge Lesen, Schreiben und Mathematik nicht erreicht sind. Dies setzt jedoch voraus, dass besondere Gesichtspunkte vorliegen, die trotz der festgestellten weitreichenden Leistungsdefizite eine erfolgreiche Mitarbeit in dem nachfolgenden Schuljahrgang erwarten lassen. Dass die Klassenkonferenz dies hier verneint hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Einer günstigen Prognose stehen schon die Feststellungen im Verfahren zur Überprüfung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs entgegen, nach denen der Antragsteller zu 1. eine umfängliche besondere Förderung benötigt, die an der Grundschule nicht zu leisten ist (vgl. den Beschluss der Kammer v. 20.08.2008, a.a.O., S. 17 ff.). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Kind die Ziele des Leselehrgangs ausweislich der Ausführungen im Zeugnis vom 9. Juli 2008 nur knapp erreicht hat und die Leistungsanforderungen im 3. Schuljahrgang steigen werden. Der Einwand der Antragsteller, die Grundschule habe den Antragsteller zu 1. nicht ausreichend gefördert, ist nicht geeignet, die negative Prognose hinsichtlich einer erfolgreichen Teilnahme des Schülers am Unterricht des 3. Schuljahrgangs zu entkräften oder sogar einen Versetzungsanspruch zu begründen (vgl. Hess. VGH, B.v. 24.10.2007 - 7 TG 2131/07 -, NVwZ-RR 2008, 537, 538; VG Berlin, U.v. 24.08.2004 - VG 3 A 525.04 -, SchuR 2006, 77, 78 f.). Für die Prognose, ob eine erfolgreiche Mitarbeit in der nächsthöheren Klasse der Schule zu erwarten ist, muss die Konferenz den tatsächlichen Leistungsstand und das tatsächliche Leistungsvermögen des Schülers zugrunde legen. Dies gilt auch für den Fall, dass mögliche Fördermaßnahmen zuvor unterblieben sind (ebenso Hess. VGH, a.a.O.). Unabhängig davon ist nach den Darlegungen der Klassenlehrerin Frau H. in ihrem Schreiben vom 7. August 2008 und den Erkenntnissen aus dem Verfahren zur Überprüfung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs auch nicht ersichtlich, dass die Grundschule die geeigneten und möglichen Fördermaßnahmen nicht ausgeschöpft hat (vgl. den Beschluss der Kammer v. 20.08.2008 - 6 B 196/08 -, S. 20).

17

Die Antragsteller können auch nicht erfolgreich geltend machen, der Nichtversetzungsvermerk auf dem Zeugnis sei ein Verwaltungsakt, der hier wegen Verstoßes gegen die Begründungspflicht nach § 39 Abs. 1 VwVfG rechtswidrig sei, weil auf dem Zeugnis der Zusatz fehle, dass der Schüler die Ziele des Mathematiklehrgangs nicht erreicht hat. Die Bestimmungen des § 39 VwVfG über die Begründung von Verwaltungsakten gelten nicht für die Entscheidung der Klassenkonferenz über die Versetzung bzw. Nichtversetzung einer Schülerin oder eines Schülers (s. § 2 Abs. 3 Nr. 3 Nds. VwVfG). Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass für die betroffenen Eltern und Schüler die im Zeugnis dokumentierte Entscheidung der Schule grundsätzlich auch ohne nähere schriftliche Begründung erkennbar und nachzuvollziehen ist; denn das Schulrecht sieht vor, dass Schule und Erziehungsberechtigte auch unabhängig von konkreten Entscheidungen den Dialog über die von den Schülern erbrachten Leistungen führen (vgl.z.B. § 55 Abs. 2 und 3 NSchG; s.a. Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl., Rn. 1335). Aber auch wenn es keine speziellen einfachgesetzlichen Regelungen gibt, ist die Schule von der Pflicht zur Begründung der Nichtversetzungsentscheidung nicht vollständig befreit. Der Schüler und seine Eltern haben ein Recht auf effektiven Rechtsschutz gegen diese Entscheidung (s. Art. 19 Abs. 4 GG). Zur effektiven Wahrnehmung dieses Rechts kann es erforderlich sein, dass die Schule die tragenden Erwägungen darlegt, die zu der Entscheidung geführt haben. Allerdings müssen die Anforderungen an Inhalt und Umfang der Begründung den besonderen Bedingungen Rechnung tragen, die die Nichtversetzungsentscheidung wegen der dafür erforderlich werdenden Prognose und der grundsätzlich vorangehenden Information des Schülers und der Erziehungsberechtigten über den Leistungsstand von der Bewertung schriftlicher Leistungen unterscheidet. Die Schule hat danach nur das auszuführen, was nach den im Einzelfall gegebenen Umständen notwendig ist, weil der Anspruch des Schülers und seiner Eltern auf wirksamen Rechtsschutz dies erfordert (so auch Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2., 4. Aufl., Rn. 719 zur Begründung der Bewertung mündlicher Prüfungsleistungen). Daher ist es nicht erforderlich, dass die Schule die Entscheidung in jedem Fall und von vornherein in Einzelheiten schriftlich begründet. Die Betroffenen haben aber grundsätzlich einen Anspruch auf Erläuterung. Wenn spezialgesetzliche Regelungen nichts anderes ergeben, hängen der Inhalt und Umfang der erforderlichen Begründung davon ab, ob der Schüler bzw. seine Eltern eine Begründung verlangen, wann sie dies tun und inwieweit sie ihre Einwände gegen die Entscheidung hinreichend konkretisieren (vgl. dazu Niehues, a.a.O.; Littmann in: Brockmann/Littmann /Schippmann, § 59 Anm. 7.2.2). Eine fehlende oder unvollständige Begründung kann noch bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erster Instanz nachgeholt oder nachgebessert werden mit der Folge, dass die Entscheidung nicht als rechtswidrig anzusehen ist (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 3 Nds. VwVfG).

18

Nach diesen Maßstäben führt der fehlende Vermerk zum Lernstand im Lehrgang Mathematik jedenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Versetzungsentscheidung. Die Antragsgegnerin hat die Mitteilung, dass der Antragsteller zu 1. die Ziele des Mathematiklehrgangs nicht erreicht hat, jedenfalls nachgereicht. Hierdurch wurden die Antragsteller hinreichend in die Lage versetzt, Einwände geltend zu machen und vom Verwaltungsgericht überprüfen zu lassen. Es gibt keine gesetzliche Regelung, nach der ein auf dem Zeugnis fehlender Hinweis zum Erreichen des Lehrgangsziels zwingend die Rechtswidrigkeit der Nichtversetzungsentscheidung zur Folge hat. Die sinnvolle Dokumentation der für die Versetzungsentscheidung maßgeblichen Grundlagen kann die Schule durch die Ausstellung eines korrigierten Zeugnisses sicherstellen.

19

Selbst wenn von einem formellen Fehler auszugehen wäre, hätten die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach gegenwärtigem Sachstand ist davon auszugehen, dass der fragliche Zusatz versehentlich nicht in das Zeugnis vom 9. Juli 2008 aufgenommen worden ist (s. oben). Damit ist offensichtlich, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat; die Antragsteller können die Aufhebung dieser Entscheidung daher jedenfalls nicht verlangen (vgl. § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 3 Nr. 3 Nds. VwVfG und dazu den Beschluss der Kammer v. 20.08.2008 - 6 B 196/08 - m.w.N.).

20

Zur Klarstellung weist die Kammer darauf hin, dass der Nichtversetzungsvermerk auf dem Zeugnis ebenso wenig ein Verwaltungsakt i.S. des § 35 VwVfG ist wie das Zeugnis selbst. Bei dem Zeugnis handelt es sich vielmehr um eine öffentliche Urkunde, in der die zuvor getroffene Konferenzentscheidung zur Versetzung sowie die Einzelbewertungen dokumentiert werden (vgl. VG Braunschweig, U.v. 18.02.2004 - 6 A 106/03 -, dbovg = NVwZ-RR 2004, 576 ff.m.w.N.).