Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 30.10.2002, Az.: 4 B 4059/02

Nutzungsuntersagung; Nutzungsverbot; ohne Baugenehmigung; Versiegelungsandrohung; Zwangsgeldandrohung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
30.10.2002
Aktenzeichen
4 B 4059/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43673
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. August 2002 wird wiederhergestellt, soweit der Antragstellerin darin mit sofortiger Wirkung die Nutzung der Doppelgarage in dem Gebäude ... Weg .. in ... zu Wohnzwecken untersagt wird.

Die aufschiebende Wirkung des genannten Widerspruchs wird angeordnet, soweit für die Nichtbeachtung der verschiedenen Nutzungsverbote ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 €  und bezüglich der Nutzung der Doppelgarage zu Wohnzwecken die Versiegelung angedroht wird.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 1/2 und die Antragsgegnerin zu 1/2.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Unter dem 3. Februar 2002 erteilte die Antragsgegnerin die Baugenehmigung für eine als „Anbau einer zweiten Wohneinheit“ bezeichnete Baumaßnahme auf dem Grundstück der Antragstellerin. Die genehmigten Bauvorlagen sehen die Errichtung von Wohnräumen im Erd- und Dachgeschoss zwischen einem vorhandenen Wohnhaus und einem vorhandenen Nebengebäude vor. Anlässlich einer Baukontrolle stellte die Antragsgegnerin fest, dass bei der Ausnutzung der Baugenehmigung von dieser abgewichen wurde und weitere Baumaßnahmen durchgeführt worden waren. Die Antragsgegnerin untersagte der Antragstellerin daraufhin nach Anhörung durch Bescheid vom 23. August 2002 mit sofortiger Wirkung die Nutzung verschiedener Räume bzw. Teile der baulichen Anlagen auf dem Grundstück, die sie wie folgt bezeichnete:

2

„1. Betonfertiggarage an der südlichen Grundstücksgrenze.

3

2. Dachgeschoss der zweiten Wohneinheit (Baugenehmigung Nr. 1574 BP 2001 vom 03.02.2002) zu Wohnzwecken.

4

3. Überdachung an der zweiten Wohneinheit mit Dachterrasse und Wohnungszugang.

5

4. Doppelgarage zu Wohnzwecken.“

6

Für den Fall eines Verstoßes gegen „dieses Nutzungsverbot“ drohte die Antragsgegnerin die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000 € an. Außerdem wies sie auf die Möglichkeit hin, bei einem Verstoß gegen das Nutzungsverbot die betroffenen Räumlichkeiten gem. § 89 Abs. 4 NBauO zu versiegeln. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde. Bisher nicht beschieden wurde auch ein nachträglich gestellter Bauantrag für verschiedene Änderungen in der baulichen Ausführung und Nutzung des Gebäudekomplexes. Am 26. September 2002 hat die Antragstellerin um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen den Bescheid vom 23. August 2002 nachgesucht.

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II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu wertende Antrag hat teilweise Erfolg. Das Verwaltungsgericht kann nach dieser Vorschrift die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei ist aufgrund einer Abwägung der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Interessen darüber zu entscheiden, ob die angefochtene Verfügung trotz des eingelegten Widerspruchs sofort oder erst nach ihrer bestandskräftig gewordenen Bestätigung vollzogen werden darf. Diese Interessenabwägung fällt hier zugunsten der Antragstellerin aus, soweit in dem angefochtenen Bescheid die Nutzung der Doppelgarage zu Wohnzwecken untersagt wird. Für diesen Teil der Anordnung fehlt es an einer sachlichen Rechtfertigung. Die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Antragsgegnerin als Bauaufsichtsbehörde gem. § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 NBauO sind insoweit nicht gegeben. Zwischen den Beteiligten ist inzwischen unstreitig, dass die Doppelgarage nicht zu Wohnzwecken genutzt wird. Damit liegt insoweit ein Widerspruch zum öffentlichen Baurecht nicht vor. Offenbar bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Wohnnutzung der Doppelgarage konkret beabsichtigt und damit iSd. § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO zu besorgen ist. Fehlt es an dieser Eingriffsvoraussetzung, so lässt sich die Aufrechterhaltung dieser Anordnung auch nicht damit rechtfertigen, dass eine Nutzung als Garage weiterhin erfolgen könne und eine Nutzung zu Wohnzwecken auch in Zukunft nicht zulässig sein werde.

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Der Antrag ist auch insoweit begründet, als er sich auf die Zwangsgeldandrohung in dem angefochtenen Bescheid bezieht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ihr nicht schon im Grundsatz entgegengehalten werden kann, dass sie nicht zwischen den einzelnen baulichen Anlagen bzw. Teilen baulicher Anlagen, auf die sie sich bezieht, differenziert. Jedenfalls fehlt es nach der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bezüglich der Nutzungsuntersagung für die Doppelgarage zu Wohnzwecken an der Durchsetzbarkeit dieser Anordnung als Grundlage von Zwangsmaßnahmen (§ 64 Abs. 1 NGefAG). Die Zwangsgeldandrohung kann somit nicht aufrechterhalten bleiben, soweit sie sich auf die Nutzung der Doppelgarage bezieht. Damit entfällt aber auch dann, wenn man hier die einheitliche Zwangsgeldandrohung als zulässig ansieht, für diese ein wesentlicher Teil der tatsächlichen Grundlagen für die Ausübung des Ermessens zur Höhe des angedrohten Zwangsgeldes (§ 67 Abs. 1 NGefAG).

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Dementsprechend ist der Antrag auch insoweit begründet, als er sich auf die Versiegelungsandrohung (§ 89 Abs. 4 NBauO iVm. § 70 NGefAG) für die Doppelgarage bezieht.

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Im Übrigen ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unbegründet. Mit ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. August 2002 wird die Antragstellerin wahrscheinlich keinen Erfolg haben, soweit sie sich gegen die Untersagung der Nutzung für die im Tenor des Bescheides unter 1. bis 3. genannten baulichen Anlage bzw. Teile baulicher Anlagen (Betonfertiggarage, Dachgeschoss der zweiten Wohneinheit sowie Überdachung an der zweiten Wohneinheit mit Dachterrasse und Wohnungszugang) wendet. Zwar bestehen noch gewisse Zweifel hinsichtlich der Bestimmtheit der Anordnung zu 2., da sprachlich nicht eindeutig klargestellt wird, ob das Dachgeschoss der zweiten Wohneinheit in dem durch die Baugenehmigung vom 3. Februar 2002 genehmigten Umfang – also nur im Zwischentrakt – gemeint ist (hierauf deutet die Bezugnahme auf die Baugenehmigung unter 2. hin), oder ob sich das Nutzungsverbot insoweit auch auf den offenbar abweichend von der Baugenehmigung ebenfalls zu Wohnzwecken genutzten Dachboden über der Doppelgarage beziehen soll. Für letzteres könne die Formulierung unter 3. im Tenor des Bescheides sprechen, da der „Wohnungszugang“ von der Dachterrasse zu diesem Dachboden führt. Diese Zweifel rechtfertigen aber keine Aussetzung der Vollziehung. Die Antragstellerin spricht die genannte Problematik nicht an; dies spricht dafür, dass sich die Beteiligten über den Umfang des Nutzungsverbots auch insoweit einig sind. Zum anderen könnte im Widerspruchsverfahren noch eine entsprechende Klarstellung erfolgen.

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Bezüglich der genannten Räume und Anlagenteile kann der Antrag schon deshalb keinen Erfolg haben, weil diese entweder ohne oder abweichend von einer Baugenehmigung errichtet wurden. Für die Überdachung mit Dachterrasse und Außentreppe sowie für die Fertiggarage fehlt es an einer Erlaubnis. Bei der Errichtung des Zwischentraktes mit der weiteren Wohneinheit wurde offenbar nicht nur unerheblich von der hierfür erteilten Baugenehmigung abgewichen. Ein Vergleich der genehmigten Bauzeichnung mit den von der Antragsgegnerin über den tatsächlichen Zustand gefertigten Fotos sowie den zum Nachgenehmigungsantrag eingereichten Plänen macht deutlich, dass nicht nur durch geänderte Gauben mehr Wohnraum geschaffen wurde, sondern der Zwischentrakt insgesamt massiver ausgefallen ist. So beträgt die Gesamttiefe des Zwischenbaus im Obergeschoss nach der genehmigten Bauzeichnung etwa 7,50 m, nach den Nachtragszeichnungen (Stempelaufdrucke der Antragsgegnerin vom 11. bzw. 27. September 2002) hingegen etwa 10,0 m. Die Vorderfront des Zwischenbaus verläuft nicht entsprechend der Genehmigung in Höhe der Vorderfront des Wohngebäudes, sondern wurde fast bis zur Vorderfront der Doppelgarage vorgezogen. Die Hinterfront des Zwischentraktes ragt offenbar über die genehmigte Linie hinaus bis zur Rückfront des Garagengebäudes in den als Innenhof bezeichneten Bereich hinein. Im Inneren wurde das Dachgeschoss des Zwischenbaus offenbar ebenfalls abweichend von der Baugenehmigung aufgeteilt, wobei zudem der gesamte Bereich oberhalb der Doppelgarage mit den Nebenräumen in die Wohnnutzung einbezogen wurde. Bei Zugrundelegung der Nachtragszeichnungen soll dieser obere Bereich offenbar für zwei weitere Wohneinheiten genutzt werden, denn es sind dort zwei selbständig nutzbare Wohnbereiche dargestellt, die jeweils über ein Bad verfügen.

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Bei dieser Sachlage fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Nach gefestigter Rechtsprechung (OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Mai 1987 - 6 OVG B 10/87 - NVwZ 1989, 170 = Nds.Rechtspflege 1987, 264 = BRS 47 Nr. 199; Beschluss vom 14. September 1984 - 6 B 77/84 - BRS 42 Nr. 226; Beschluss vom 26. Januar 1994 - 1 M 5660/93 -Nds.Rechtspflege 1994, 169) ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung dann stets höher zu bewerten, wenn die beanstandete Nutzung ohne die erforderliche Baugenehmigung aufgenommen worden ist. In diesen Fällen ist die sofortige Vollziehung der Verfügung grundsätzlich im überwiegenden öffentlichen Interesse ohne Rücksicht darauf geboten, ob die Bauaufsichtsbehörde zur Begründung der Nutzungsuntersagung auch auf die materielle Baurechtswidrigkeit abgestellt hat und ob die bauliche Anlage bzw. deren Nutzung genehmigt werden kann oder nicht. Denn zum einen besteht an der Beachtung und strikten Durchführung eines formellen Genehmigungsverfahrens ein gewichtiges öffentliches Interesse, das soweit reicht, dass bis zum Abschluss dieses Verfahrens selbst materiell rechtmäßige Baumaßnahmen nicht begonnen werden dürfen (§ 78 Abs. 1 NBauO). Zum anderen stünde ansonsten derjenige, der das gesetzlich vorgeschriebene Baugenehmigungsverfahren nicht beachtet, mit der (noch nicht erlaubten) tatsächlichen Nutzung der baulichen Anlage besser da als derjenige, der gesetzestreu den Ausgang des Baugenehmigungsverfahrens abwartet und damit unter Umständen erhebliche Nachteile, jedenfalls aber Wartezeiten auf sich nimmt. Dies ist nicht hinzunehmen, zumal dadurch auch andere Bauherren dazu verleitet werden könnten, ihre geplanten Baumaßnahmen oder Nutzungen ohne die erforderliche Baugenehmigung zu beginnen, wenn sie nicht mit wirksamen Sofortmaßnahmen der Bauaufsichtsbehörde zu rechnen hätten. Im übrigen kann das Genehmigungsverfahren auch nicht etwa in das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verlagert werden, wofür es schon wegen seines Charakters als Eilverfahren ungeeignet ist.

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Diese Grundsätze gelten auch hier, da für die von der Antragsgegnerin aufgegriffene Nutzung gemäß § 68 Abs. 1 NBauO eine Baugenehmigung erforderlich ist. Weder die Betonfertiggarage noch die Dachterrasse mit der Treppe gehören zu den nach dem Anhang zur NBauO baugenehmigungsfreien Maßnahmen; die Erweiterung des Zwischentraktes ist ebenfalls genehmigungsbedürftig.

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Besondere Gründe, die in seltenen Fällen eine Ausnahme von dem Grundsatz nahelegen können, dass bereits das Fehlen der erforderlichen Baugenehmigung ein Nutzungsverbot rechtfertigt, sind hier nicht gegeben. Die materielle Legalität der Baumaßnahme ist nicht ohne weiteres offensichtlich und außer Zweifel. Die angegriffene Verfügung leidet auch nicht erkennbar an Ermessensfehlern. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist. Sie knüpft für das Nutzungsverbot zulässigerweise ausschließlich an die fehlende Baugenehmigung an. Hinsichtlich der Untersagung der Nutzung des Obergeschosses des Zwischenbaus verstößt sie auch nicht gegen das Übermaßverbot. Die Abweichungen von der am 3. Februar 2002 erteilten Baugenehmigung sind so erheblich, dass sie ein Nutzungsverbot zur Klärung der bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens rechtfertigen. Mit einem bauaufsichtlichen Einschreiten musste die Antragstellerin im Übrigen von vornherein rechnen. Die Antragsgegnerin hatte bereits im Baugenehmigungsverfahren deutlich gemacht, dass sie eine Schaffung von Wohnraum über den genehmigten Umfang hinaus als nicht zulässig ansieht (vgl. hierzu auch die Auflagen unter 1. und 2. in der Baugenehmigung vom 3. Februar 2002). Schon aus diesem Grund stellt sich die angefochtene Maßnahme auch nicht wegen der mit ihrer Durchsetzung möglicherweise für die Antragstellerin und ihrer Familie verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen als unverhältnismäßig dar.

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Die Androhung der Versiegelung ist bezüglich der Betonfertiggarage, des Dachgeschosses der zweiten Wohneinheit und der Terrassenkonstruktion ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 89 Abs. 4 NBauO iVm. § 70 NGefAG.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf §§ 13 Abs. 1, 20 GKG.