Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.10.2002, Az.: 6 B 4258/02

Abschiebung; Abschiebungsandrohung; Ausreiseverpflichtung; Herkunftsland; Kettenabschiebung; offensichtlich unbegründet; Sierra Leone; Sprachanalyse; Strafverfolgung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
23.10.2002
Aktenzeichen
6 B 4258/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43675
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Mitglied einer kriminellen Jugendbande kann bei im Heimatland drohender Strafverfolgung sich nicht auf das Asylrecht berufen; dies gilt insbesondere, wenn sein Herkunftsland unklar ist.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

I. Der Antragsteller macht geltend, am 29. Oktober 1986 in Kono geboren und Staatsangehöriger der Republik Sierra Leone zu sein. Nachweise über seine Identität und Staatsangehörigkeit, den Reiseweg vom Heimatland in die Bundesrepublik Deutschland, die benutzten Transportmittel oder den Ort der Einreise in Deutschland, den Ort seiner Geburt oder sein Geburtsdatum  hat er nicht vorgelegt. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens gab er an, er sei am 13. Juni 1986 geboren.

2

Im Verwaltungsverfahren gab der Antragsteller an, er habe im Heimatland keine Schule besucht und zunächst seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Seine Mutter sei bereits seit langem verstorben. Ausweispapiere oder dergleichen habe er im Heimatland nicht besessen. Im Heimatland habe er sich einer Jugendbande angeschlossen, die den Namen „Kommando Rambo“ getragen habe. Diese Bande hätte Leute überfallen, beraubt und gelegentlich getötet. Auch er habe sich daran beteiligt und einmal jemanden erstochen. Auch habe er ein Gewehr getragen. Als alles herausgekommen sei, hätten die örtlichen Behörden nach den Mitgliedern der Jugendbande mit Steckbriefen gesucht. Dabei sei auch sein Bild und Name aufgetaucht. Daraufhin hätten die Mitglieder der Jugendbande beschlossen, auseinander zu gehen und sich zu verstecken. Er habe sich dann im Mai 2002 zu Fuß auf den Weg gemacht und sei nach einem Tag und einer Nacht Fußmarsch in einer Hafenstadt angekommen. Dort habe ihm ein Unbekannter geholfen, auf ein Schiff zu gelangen. Mit dem Schiff sei er am 12. Juni 2002 in Hamburg angekommen. Das Schiff habe er ohne Schwierigkeiten verlassen können.

3

Am 13. Juni 2002 meldete sich der Antragsteller in Hamburg als Asylsuchender. Seine Anhörung im Rahmen der Vorprüfung erfolgte am 24. Juni 2002 in Braunschweig; ein Sprachtest, der ca. 33 Minuten dauerte, erfolgte in der Sprache Krio am 26. Juni 2002 in Braunschweig. In dem sprachanalytischen Gutachten, welches unter dem 30. Juli 2002 erstellt wurde, heißt es, dass der Antragsteller mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Guinea oder Senegal komme, evtl. auch aus Gambia, während eine Herkunft aus Sierra Leone unwahrscheinlich sei.

4

Mit Bescheid vom 30. September 2002 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht vorliegen, und forderte den Antragsteller unter Bestimmung einer Frist von einer Woche auf, die Bundesrepublik zu verlassen. Im Falle der Nichtbeachtung der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung nach Guinea oder den Senegal oder ein anderes ihn aufnehmendes Land angedroht und zugleich eine Aussetzung der Abschiebung aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen abgelehnt.

5

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass verschiedene Fragen, die sich auf Sierra Leonische Verhältnisse bezogen hätten, von ihm nicht richtig beantwortet worden wären. Auch habe die gutachterliche Sprachanalyse ergeben, dass der Antragsteller höchstwahrscheinlich nicht aus Sierra Leone, sondern aus Guinea oder Senegal stamme. Wegen des offenkundigen Versuchs, im Asylverfahren über seine tatsächliche Identität bzw. Staatsangehörigkeit zu täuschen, sei der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen.

6

Der Antragsteller hat hierauf innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und zugleich beantragt, deren aufschiebende Wirkung anzuordnen. Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen.

7

Die Antragsgegnerin ist dem Begehren entgegengetreten und verweist auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

9

II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO iVm § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG (idF des Gesetzes vom 30. Juni 1993, BGBl. I, S. 1062) zulässige Antrag ist unbegründet.

10

Bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO sind das Interesse des Antragstellers, bis zur Klärung der Begründetheit seines Asylantrages und der Ausreiseverpflichtung vorläufig im Inland zu verbleiben, einerseits und das öffentliche Interesse an der sofortigen Ausreise der Antragsteller andererseits gegeneinander abzuwägen. Diese Abwägung geht zugunsten des öffentlichen Interesses aus, wenn die Abschiebungsandrohung offensichtlich rechtmäßig ist. So ist es auch hier. Gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 50 und 51 Abs. 4 AuslG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Hat es den Asylantrag - wie hier - als offensichtlich unbegründet abgelehnt, setzt es dem Ausländer gem. § 36 Abs. 1 AsylVfG eine Ausreisefrist von einer Woche. Maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung der Abschiebungsandrohung, die Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist, ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Anknüpfungspunkt für die gerichtliche Kontrolle des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO iVm § 75 AsylVfG) ist in materiell-rechtlicher Hinsicht die Prüfung, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Bestehen dagegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, so ist die Aussetzung der Abschiebung anzuordnen (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).

11

Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag gem. § 30 Abs. 1 AsylVfG dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a GG (idF des Gesetzes vom 28. Juni 1993, BGBl. I, S. 1002) und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen. Diese Annahme ist nur dann gerechtfertigt, wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) sich die Ablehnung des Asylantrages geradezu aufdrängt (vgl. BVerfGE 65, 76, 95 [BVerfG 12.07.1983 - 1 BvR 1470/82]). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen der verschiedenen Fallgruppen, so wie sie in § 30 Absätze 2 bis 5 AsylVfG genannt sind, erfüllt werden, wenn also z.B. das Vorbringen des Ausländers in sich widersprüchlich oder nicht substantiiert ist oder offenkundig den Tatsachen nicht entspricht.

12

Gemessen an diesen Grundsätzen lässt die Entscheidung des Bundesamtes, das Asylbegehren als offensichtlich unbegründet abzulehnen, keinen Rechtsfehler erkennen. In Würdigung des gesamten Vorbringens des Antragstellers deuten keinerlei Anhaltspunkte darauf hin, dass er von einer politischen Verfolgung seitens der Staaten Sierra Leone, Guinea oder Senegal oder mit deren Billigung von Dritten bereits betroffen gewesen seien oder künftig bei einer Rückkehr in sein Heimatland bedroht sein wird. Als politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG ist anzusehen, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen für Leib oder Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat. Verfolgungsmaßnahmen beruhen dann auf politischen Gründen, wenn sie auf Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe abzielen. Diese Verfolgung muss dem Betreffenden drohen, weil gerade ihm in Anknüpfung an die vorgenannten asylerheblichen Merkmale gezielt intensive und ihn aus der übergreifenden Rechtsordnung des Staates ausgrenzende Rechtsverletzungen zugefügt worden sind oder bei einer Rückkehr im Heimatland drohen (vgl. BVerfGE 80, 315, 335).

13

Zutreffend hat im vorliegenden Fall das Bundesamt dargelegt, dass durchgreifende Zweifel an der behaupteten sierra-leonischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers angebracht sind. Denn die Sprachanalyse hat mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben, dass er nicht aus Sierra Leone, sondern aus Guinea oder dem Senegal stammt.

14

Darüber hinaus sprechen seine Antworten bei den Fragen nach sierra-leonischen Verhältnissen im Rahmen der Anhörung auch dafür, dass er nicht aus diesem Lande stammt. Dies gilt auch für seine Behauptung, er habe ohne weiteres zu Fuß die Strecke zwischen Kano und einer Hafenstadt, aus dem das Schiff nach Hamburg gefahren sei, an einem Tag und in einer Nacht zurück gelegt.

15

Hinzu kommt als selbständig tragende Erwägung, dass der Antragsteller keinerlei politische Verfolgung geltend gemacht hat. Der Antragsteller hat selbst eingeräumt, dass er wegen schwerer Straftaten im Heimatland gesucht wird. Auch in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland würden Räuber und Mörder von der Polizei steckbrieflich gesucht. Es ist nicht Aufgabe des Asylrechts, solchen Menschen Schutz vor Strafverfolgung im Heimatland zu bieten. Hinzu kommt, dass Staatsangehörige aus Sierra Leone bei einer Rückkehr nicht mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung rechnen müssen. Denn es besteht eine deutlich verbesserte Sicherheit und Bewegungsfreiheit im ganzen Land. Soweit aufgrund des angefochtenen Bescheides eine Abschiebung des Antragstellers nach Guinea oder Senegal erfolgt, wird er dort nach seinem Vorbringen nicht verfolgt. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, der Antragsteller werde dann aus diesen Staaten im Wege der Kettenabschiebung nach Sierra Leone abgeschoben, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. In Anbetracht der desolaten politischen und wirtschaftlichen Lage in Guinea erscheint es ausgeschlossen, dass die guineanischen Behörden den Antragsteller zwangsweise nach Sierra Leone zurück führen, wenn sie ihm zuvor die Einreise ins Land aufgrund von bundesrepublikanischen oder guineanischen Reisepapieren gestatteten. Auch ist derartiges nicht von Senegal zu erwarten.

16

Das Gericht schließt sich der Begründung in dem angefochtenen Bescheid an und sieht von einer weiteren ausführlichen Darstellung der Entscheidungsgründe gem. § 77 Abs. 2, 1. Variante AsylVfG ab. Auch hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren keinerlei Erklärungen abgegeben oder Beweismittel benannt, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würden.

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Auch im übrigen begegnen die aufenthaltsbeendenden Entscheidungen der Antragsgegnerin keinen rechtlichen Bedenken. Abschiebungshindernisse sind nicht gegeben. Zudem können Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG iVm § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegengehalten werden.

18

Der Antragsteller ist daher sofort vollziehbar ausreisepflichtig.

19

Die kostenrechtlichen Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

20

Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylVfG unanfechtbar.