Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 30.06.2016, Az.: L 7 AS 414/16 B ER
Vollständiger Wegfall des Anspruchs auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) infolge einer wiederholten Pflichtverletzung; Erforderlichkeit einer Aufhebungsverfügung bei einer bereits erfolgten Leistungsbewilligung zur Umsetzung einer Sanktion; Kürzung oder Aufhebung von laufenden Leistungen nach dem SGB II; Vollständiger Wegfall des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II infolge einer wiederholten Pflichtverletzung; Warn- und Steuerungsfunktion; Standardisierte Rechtsfolgenbelehrung; Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Minderung des Leistungsanspruchs wegen weiterer wiederholter Pflichtverletzungen; Anforderungen an die Rechtsmittelbelehrung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.06.2016
- Aktenzeichen
- L 7 AS 414/16 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 23119
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2016:0630.L7AS414.16B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 22.04.2016 - AZ: S 44 AS 141/16 ER
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG
- § 31a Abs. 1 SGB II
- § 39 Nr. 1 SGB II
- § 31 SGB II
- § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II
- § 31 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 31a Abs. 1 S. 2-3 SGB II
Fundstelle
- ZfSH/SGB 2016, 552-558
Amtlicher Leitsatz
Eine Rechtsmittelbelehrung als Voraussetzung für eine 100%-Sanktion nach einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung (§ 31a Abs. 1 S. 3 SGB II) ist nur dann konkret, vollständig und einzelfallbezogen, wenn darin die maßgeblichen Vorsanktionen nach Satz 1 und 2 genau bezeichnet werden.
Redaktioneller Leitsatz
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Senats ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Leistungsabsenkung wegen einer Pflichtverletzung die Erteilung einer vorherigen Rechtsfolgenbelehrung, die den Hilfebedürftigen über die Konsequenzen eines etwaigen Fehlverhaltens belehren muss.
2. Aufgrund ihrer Warnfunktion muss sich die Belehrung konkret auf die jeweilige Obliegenheit beziehen, mit dieser in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen sowie konkret, verständlich, richtig und vollständig sein, weil nur eine verständliche Rechtsfolgenbelehrung die mit den Sanktionen verfolgte Zweckbestimmung, das Verhalten des Hilfebedürftigen zu steuern, verwirklichen kann.
3. Erforderlich ist insbesondere eine Umsetzung der in Betracht kommenden Verhaltensanweisungen und möglichen Maßnahmen auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls.
4. Aufgrund der schwerwiegenden Wirkung der Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen sind insoweit strenge Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung zu stellen, weshalb maßgeblich für eine hinreichende Belehrung auch nicht das Kennen oder Kennenmüssen der Rechtsfolgen ist, sondern allein der objektive Erklärungswert der Belehrung.
5. Die Warn- und Steuerungsfunktion geht danach verloren, wenn der Grundsicherungsträger die Rechtsfolgenbelehrung derart standardisiert, dass mehrere Varianten zur Auswahl gestellt werden und der genaue Inhalt nur unter Hinzuziehung des Gesetzestextes zu erschließen ist.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 22. April 2016 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23. März 2016 gegen den Bescheid vom 8. März 2016 angeordnet.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt D., E., ohne Anordnung von Ratenzahlung.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über den vollständigen Wegfall des Anspruchs auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum April bis Juni 2016 infolge einer wiederholten Pflichtverletzung.
Die 1987 geborene Antragstellerin bezieht seit 2014 Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner.
Im November und Dezember 2014 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin in mehreren Schreiben zur Wahrnehmung eines Termins zur Vereinbarung einer Eingliederungsvereinbarung auf und setzte nach von der Antragstellerin nicht wahrgenommenen Terminvorgaben mit Bescheid vom 12. Januar 2015 eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt fest für den Zeitraum vom 15. Januar bis zum 14. Juli 2015 mit der Verpflichtung zum monatlichen Nachweis von 10 Bewerbungen auf Helferstellen durch schriftliche Unterlagenübersendung oder durch E-Mail. Als Nachweis sei eine Bewerbungsliste jeweils bis zum 15. des Monats einzureichen, beginnend ab dem 15. Februar 2015. Bewerbungskosten würden für maximal 15 Bewerbungen je Monat erstattet in Höhe von jeweils EUR 3,00 für schriftliche Bewerbungen und in Höhe von jeweils EUR 1,00 für Onlinebewerbungen. Unter der Überschrift "Rechtsfolgenbelehrung" wurde darauf hingewiesen, dass bei einer Verletzung der in der Eingliederungsvereinbarung genannten Pflichten nach § 31a Abs. 1 SGB II eine dreimonatige Absenkung des Regelbedarfs in Höhe von 30% erfolge, sowie bei einer erneuten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres eine dreimonatige Absenkung in Höhe von 60%. Folge diesen Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres eine weitere Pflichtverletzung, entfalle das Arbeitslosengeld II vollständig.
In der Folgezeit senkte der Antragsgegner unter Verweis auf § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II mit Bescheid vom 6. März 2015 die Leistungen nach dem SGB II um 30% des monatlichen Regelbedarfs für die Monate April bis Juni 2015 ab mit der Begründung entgegen der Eingliederungsvereinbarung nicht nachgewiesener Bewerbungen für den Zeitraum bis zum 15. Februar 2015.
Mit weiterem Bescheid vom 7. Mai 2015 senkte der Antragsgegner nachfolgend unter Verweis auf § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II die Leistungen nach dem SGB II um 60% des monatlichen Regelbedarfs für die Monate Juni bis August 2015 ab mit der Begründung entgegen der Eingliederungsvereinbarung nicht nachgewiesener Bewerbungen für den weiteren Zeitraum bis zum 15. April 2015 und eine darin liegende wiederholte Pflichtverletzung.
Gegen beide Absenkungsbescheide erhob die Antragstellerin keinen Widerspruch, weshalb diese bestandskräftig wurden.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2015 übersandte der Antragsgegner der Antragstellerin ein Stellenangebot mit der Aufforderung einer umgehenden Bewerbung. Unter der Überschrift "Rechtsfolgenbelehrung" wurde darauf hingewiesen, dass bei einer ohne wichtigen Grund nicht erfolgenden Bewerbung eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II vorliege. Da innerhalb eines Jahres bereits zwei Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II i.V.m. § 31a Abs. 1 SGB II erfolgt seien, entfalle bei einer erneuten Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II vollständig.
Mit nachfolgendem Schreiben vom 16. Juni 2015 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin an zu einer ab dem 1. August 2015 beabsichtigten vollständigen Leistungseinstellung für die Dauer von drei Monaten. Aufgrund einer ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II sei das Arbeitslosengeld II mit Bescheid vom 7. Mai 2015 ab Juni 2015 um 60% gemindert worden. Nunmehr sei erneut eine Pflicht nach § 31 Abs. 1 SGB II verletzt worden.
Mit weiterem Schreiben vom 18. Juni 2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, am 25. Juni 2015 zur Festlegung einer Eingliederungsvereinbarung zu erscheinen.
Nach dem Vortrag des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren erschien die Antragstellerin am 25. Juni 2015 zum Beratungsgespräch und teilte dort mit, über keine Bewerbungsunterlagen mehr zu verfügen und diese zunächst besorgen zu müssen. Aufgrund dieser für den Antragsgegner neuen Information erfolgte am 25. Juni 2015 der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung für den Zeitraum vom 25. Juni bis zum 31. August 2015 mit der Verpflichtung der Antragstellerin zur Überarbeitung und Organisierung ihrer Bewerbungsunterlagen bis zum 31. August 2015. Eine Verpflichtung zum monatlichen Nachweis von Bewerbungsbemühungen beinhaltete die Eingliederungsvereinbarung nicht. Unter der Überschrift "Rechtsfolgenbelehrung" wurde darauf hingewiesen, dass bei einer Verletzung der in der Eingliederungsvereinbarung genannten Pflichten nach § 31a Abs. 1 SGB II eine dreimonatige Absenkung des Regelbedarfs in Höhe von 30% erfolge, sowie bei einer erneuten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres eine dreimonatige Absenkung in Höhe von 60%. Folge diesen Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres eine weitere Pflichtverletzung, entfalle das Arbeitslosengeld II vollständig. Einen Hinweis auf innerhalb eines Jahres bereits erfolgte Pflichtverletzungen und Vorsanktionen, insbesondere auf die beiden Sanktionsbescheide vom 6. März 2015 und vom 7. Mai 2015 und die insoweit zugrundeliegenden fehlenden Bewerbungen, beinhaltete die Rechtsfolgenbelehrung nicht.
Die Umsetzung der mit Schreiben vom 16. Juni 2015 angekündigten vollständigem Leistungseinstellung ab dem 1. August 2015 ist für den Folgezeitraum aus der Leistungsakte nicht ersichtlich.
Für den Zeitraum nach Ablauf der Eingliederungsvereinbarung vom 25. Juni 2015 zum 1. September 2015 ergeben sich aus der Leistungsakte zahlreiche Schreiben (vom 22. September 2015, vom 8. Oktober 2015, vom 29. Oktober 2015, vom 17. November 2015 und vom 26. November 2015), mit denen der Antragsgegner die Antragstellerin jeweils aufforderte, angegebene Termine, zuletzt am 7. Dezember 2015, wahrzunehmen, um eine neue Eingliederungsvereinbarung zu vereinbaren. Den Einladungsschreiben waren jeweils Rechtsfolgenbelehrungen beigefügt mit dem Hinweis auf Leistungsabsenkungen um 10% gemäß § 32 SGB II bei Meldeversäumnissen. Entwürfe der beabsichtigten Eingliederungsvereinbarung fügte der Antragsgegner nach den Erläuterungen im Beschwerdeverfahren nicht bei.
Zu den Terminen erschien die Antragstellerin jeweils nicht. Vorherige Terminsabsagen und dafür etwaig bestehende Gründe sind aus der Leistungsakte nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2015 kündigte der Antragsgegner der Antragstellerin an, aufgrund der nicht wahrgenommenen fünf Terminseinladungen nunmehr eine Eingliederungsvereinbarung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2016 per Verwaltungsakt zu erlassen, sofern bis zum 30. Dezember 2015 keine telefonische oder persönliche Kontaktaufnahme durch die Antragstellerin erfolge.
Mit am 23. Dezember 2015 eingegangenem Schreiben vom 19. Dezember 2015 gab die Antragstellerin an, sie habe den Termin am 7. Dezember 2015 wegen einer schlimmen Grippe mit starkem Husten und Übergeben nicht wahrnehmen können. Eine Besserung sei noch immer nicht eingetreten, weshalb der Arzt nochmals aufgesucht werden müsse.
Mit darauf bezogenem Schreiben vom 28. Dezember 2015 wies der Antragsgegner darauf hin, dass eine ärztliche Bescheinigung hinsichtlich der Unfähigkeit, das Haus zu verlassen, erforderlich sei. Eine eigene Erklärung der Antragstellerin reiche nicht aus. Die fehlende Rückmeldung auf die zahlreichen Versuche der Kontaktaufnahmen deuteten darauf hin, dass kein Interesse der Antragstellerin bestehe. Die Eingliederungsvereinbarung werde daher ab Januar 2016 als Verwaltungsakte erlassen.
Mit nachfolgendem Bescheid vom 30. Dezember 2015 setzte der Antragsgegner eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt fest für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2016. Diese enthielt die Verpflichtung zum monatlichen Nachweis von 10 Bewerbungen auf Helferstellen durch schriftliche Unterlagenübersendung, persönliche Vorsprache, telefonische Kontaktaufnahme oder durch E-Mail. Als Nachweis sei eine Bewerbungsliste jeweils bis zum 5. des Monats einzureichen, beginnend ab dem 5. Februar 2016. Bewerbungskosten würden für maximal 15 Bewerbungen je Monat erstattet in Höhe von jeweils EUR 3,00 für schriftliche Bewerbungen und in Höhe von jeweils EUR 1,00 für Onlinebewerbungen. Unter der Überschrift "Rechtsfolgenbelehrung" wurde ausgeführt:
" Erfüllen Sie eine oder mehrere der in der Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt genannten Pflichten nicht oder können Sie keinen wichtigen Grund für ihr Verhalten nachweisen, handelt es sich nach § 31a Abs. 1 SGB II um eine wiederholte Pflichtverletzung. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt vor, wenn ein vorangegangener Minderungszeitraum, indem der Regelsatz auf 60% gemindert wurde, nicht länger als ein Jahr zurückliegt. Diese wiederholte Pflichtverletzung hat den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II zur Folge Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls kann die Kürzung des Regelbedarfs auf 60% begrenzt werden, wenn sie sich nachträglich bereit erklären, ihren Pflichten nachzukommen. Die Absenkung dauert auf der Grundlage von § 31b SGB II drei Monate und beginnt mit dem Kalendermonat nach Zustellung des Bescheides über die Sanktion. Es besteht die Möglichkeit, dass ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden. Wenn Sie Sachleistungen in Anspruch nehmen wollen, ist ein formloser Antrag erforderlich. "
Eine Benennung konkreter vorheriger Pflichtverletzungen und konkreter vorheriger Sanktionsbescheide beinhaltete die Rechtsfolgenbelehrung nicht.
Ein gegen diesen Verwaltungsakt gerichteter Widerspruch der Antragstellerin ist weder vorgetragen noch aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2016 senkte der Antragsgegner unter Verweis auf § 32 Abs. 1 SGB II die Leistungen nach dem SGB II um 10% des monatlichen Regelbedarfs für die Monate Februar bis April 2016 wegen Nichtwahrnehmung des Termins am 7. Dezember 2015.
Mit nachfolgendem Bewilligungsbescheid vom 15. Januar 2016 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin entsprechend monatliche Leistungen in Höhe von EUR 802,15 für den Zeitraum Februar bis April 2016 sowie in Höhe von EUR 842,55 für den Zeitraum Mai bis Juli 2016.
Auch gegen diese Bescheide gerichtete Widersprüche der Antragstellerin sind weder vorgetragen noch aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich.
Im Februar 2016 beantragte die Antragstellerin die Zustimmung zu einem Wohnungswechsel. Aufgrund eines aufgetretenen Wasserschadens und Spannungen mit dem Vermieter wolle sie nach Hildesheim und damit näher zu ihrer Familie ziehen. Hierzu wurde u.a. ein Schreiben des Vermieters vom 22. Februar 2016 eingereicht mit einer fristlosen Kündigung und einer Räumungsfrist bis zum 4. März 2016 aufgrund fehlender vollständiger Mietkautionszahlungen.
Der Antragsgegner forderte im Februar 2016 zur Antragsbescheidung die Einreichung konkreter neuer Mietangebote. Die Einreichung dieser angeforderten Unterlagen ist aus der Leistungsakte nicht ersichtlich. Gleiches gilt für eine Antragsbescheidung.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2016 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin unter Hinweis auf § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu einer gemäß § 31a Abs. 1 SGB II für den Zeitraum April bis Juni 2016 beabsichtigten vollständigen Leistungseinstellung an. Die Antragstellerin habe gegen die Eingliederungsvereinbarung vom 1. Januar 2016 verstoßen, weil ohne Angabe von Gründen keine Bewerbungen nachgewiesen worden seien. Aufgrund einer ersten wiederholten Pflichtverletzung sei bereits mit Bescheid vom 7. Mai 2015 eine Absenkung um 60% des Regelbedarfs erfolgt. Die erneute Pflichtverletzung liege daher innerhalb der Jahresfrist. Über die Rechtsfolgen sei die Klägerin in der Eingliederungsvereinbarung belehrt worden. Nach § 31a Abs. 3 SGB II könnten in angemessenem Umfang Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden. Bei nachträglicher Bereiterklärung zur Erfüllung der Pflichten könne auch eine Begrenzung der Absenkung auf 60% des Regelbedarfs erfolgen.
Hiergegen legte die Antragstellerin mit am 19. Februar 2016 eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Die letzte Eingliederungsvereinbarung sei am 25. Juni 2015 besprochen und unterschrieben worden. Am 1. Januar 2016 habe sie keine Eingliederungsvereinbarung unterschrieben.
Mit bestandskräftig gewordenem Widerspruchsbescheid vom 2. März 2016 verwarf der Antragsgegner diesen Widerspruch als unzulässig. Das Anhörungsschreiben stelle keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Ein Widerspruch könne gegen einen entsprechenden Sanktionsbescheid eingelegt werden.
Mit nachfolgendem Bescheid vom 8. März 2016 hob der Antragsgegner den Bewilligungsbescheid vom 15. Januar 2016 für den Zeitraum April bis Juni 2016 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf und stellte die Leistungen nach dem SGB II gemäß § 31a Abs. 1 SGB II für diesen Zeitraum vollständig ein unter Wiederholung der Begründung und Hinweise aus dem Anhörungsschreiben vom 12. Februar 2016.
Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin am 23. März 2016 Widerspruch ein, verbunden mit Überprüfungsanträgen gegen die Bescheide vom 7. und 15. Januar 2016. Die Sanktion vom 7. Januar 2016 sei aufgrund der erfolgten Krankmeldung rechtswidrig, weshalb auch die wiederholte Sanktion rechtswidrig sei. Zudem gebe es keine zweite Eingliederungsvereinbarung. Der Meldezweck des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung sei aufgrund der Vertragsfreiheit fraglich. Daneben sei auch fraglich, ob die formellen Voraussetzungen für die Sanktionen eingehalten worden seien. Der Widerspruch und die Überprüfungsanträge sind, soweit ersichtlich, noch nicht beschieden worden.
Parallel hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin am 23. März 2016 mit der identischen Argumentation einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Braunschweig (SG) gestellt, gerichtet auf die Anordnung der aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 23. März 2016 gegen den Bescheid vom 8. März 2016. Eine wiederholte Pflichtverletzung liege zudem bereits nicht vor. Die Eingliederungsvereinbarungen seien nicht rechtmäßig mangels eines rechtmäßigen Vertragsgegenstands sowie aufgrund der unbegrenzten Bewerbungspflicht, der Beschränkung auf Bewerbungen per E-Mail und der fehlenden Gegenleistungen des Antragsgegners. Die Feststellungsfrist sei nicht eingehalten. Auch die Rechtsfolgenbelehrungen seien nicht hinreichend konkret und individualisiert. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt hätten nicht vorgelegen. Rechtswidrig sei auch die Forderung der Vorlage von Antwortschreiben der Arbeitgeber sowie ärztlicher Bescheinigungen. Sanktionen seien zudem rechts- und verfassungswidrig wegen Verstoßes gegen Art. 1 Grundgesetz (GG). Es fehle auch an einem Hinweis auf mögliche Sachleistungen. Auch die Terminseinladungen zum Abschluss der Eingliederungsvereinbarung seien rechtswidrig wegen der enthaltenen Sanktionsandrohungen. Die Anhörungsschreiben seien aufgrund von Unklarheiten rechtswidrig. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie Widersprüche und Meldungen der Antragstellerin seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Antragstellerin sei durch die Androhungen eingeschüchtert worden, weshalb zunächst wieder eine Kommunikationsbasis geschaffen werden müsse.
Mit am 11. April 2016 beim Antragsgegner eingegangenem Schreiben vom 9. April 2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin die Überprüfung ergangener Bescheide, u.a. der Sanktionsbescheide vom 6. März 2015 und vom 7. Mai 2015 und der als Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarungen vom 12. Januar 2015 und vom 30. Dezember 2015 sowie des Sanktionsbescheids vom 7. Januar 2016 und des Bewilligungsbescheids vom 15. Januar 2016.
Das SG hat mit Beschluss vom 22. April 2016 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die unstreitig nicht erfolgte Vorlage von Nachweisen für Bewerbungsbemühungen stelle eine Pflichtverletzung gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II dar. Der Erlass der Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt sei nach sechs erfolglosen Einladungen der Antragstellerin aufgrund der Ersetzungsbefugnis des Antragsgegners gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 6 SGB II rechtmäßig. Hinsichtlich der festgelegten Pflichten bestünden keine Bedenken. Insbesondere sei keine Beschränkung auf Bewerbungen per E-Mail erfolgt und auf mögliche Sachleistungen hingewiesen worden. Auch die Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung entspreche den Vorgaben des Bundessozialgerichts, weil die Antragstellerin unzweideutig auf eine etwaige wiederholte Pflichtverletzung und den daraus resultierenden vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II hingewiesen werde. Einen wichtigen Entschuldigungsgrund habe die Antragstellerin nicht vorgebracht. Die Pflichtverletzung sei auch wiederholt iSv § 31 Abs. 1 Satz 3. Insoweit sei nicht auf die im Januar 2016 erfolgte Sanktion eines Meldeversäumnisses abzustellen, sondern auf die im März und Mai 2015 ergangenen bestandskräftigen Sanktionsbescheide. Insoweit seien auch die Voraussetzungen gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II erfüllt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden gegen die Sanktionierung nicht.
Gegen den ausweislich des eingereichten Empfangsbekenntnisses am 29. April 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin bereits mit am 25. April 2016 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Das SG habe die aus den vielen Einladungen resultierenden Spannungen nicht berücksichtigt. Zudem seien die vorherigen Sanktionen rechtswidrig. Dem SG habe hinsichtlich der Krankmeldung die Einholung eines ärztlichen Gutachtens oblegen. Auch die eingelegten Rechtsmittel durch Schreiben der Antragstellerin seien nicht berücksichtigt worden sowie die wirtschaftliche Notlage der Antragstellerin. Die Eingliederungsvereinbarung sei rechtswidrig, weil ohne Vorlage eines konkreten Angebots keine abschließende Weigerung habe vorliegen können. Die Antragstellerin habe in der Vergangenheit eine Eingliederungsvereinbarung unterschrieben und keine Kenntnis von der Möglichkeit der Ersetzung durch Verwaltungsakt gehabt. Ihr sei keine Möglichkeit zur Äußerung eigener Vorstellungen gegeben worden. Ihre Kenntnisfähigkeit sei auch nicht geprüft worden. Die Antragstellerin habe nur das Einladungsschreiben vom 15. Dezember 2015 sowie das nachfolgende Schreiben des Antragsgegners vom 28. Dezember 2015 erhalten und die verloren gegangenen Bewerbungsunterlagen nach Erhalt vom Jobcenter Hannover umgehend im Januar 2016 beim Antragsgegner eingereicht. Krankmeldungen seien gleichfalls umgehend eingereicht worden. Mietschulden seien zu übernehmen, weil auch nicht sanktionierten BG-Mitgliedern die vollen Kosten der Unterkunft zuzuerkennen seien. Sanktionen seien nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Dresden verfassungswidrig. Zwischenzeitlich habe der Energieversorger am 28. April 2016 den Versorgungsanschluss gesperrt. Vorgelegt wird hierzu eine Forderungsaufstellung vom Mai 2016 mit einem Forderungsstand von EUR 1.190,29. Auf gerichtliche Hinweise wird ergänzend zum Stand des Kündigungsverfahrens bzgl. der Wohnung der Antragstellerin dahin vorgetragen, dass erklärten Kündigungen schriftlich widersprochen worden sei. Die Antragstellerin verfüge über keine finanziellen Mittel und sei teilweise vom Vater unterstützt worden mit Überweisungen und Rechnungsübernahmen sowie teilweise von der besten Freundin. Notwendige Medikamente für die Antragstellerin und ihren Hund seien nicht finanzierbar. Sie habe seit Tagen nichts gegessen und trinke nur aus dem Wasserhahn. Eingereicht werden hierzu verschiedene Rechnungskopien sowie Kontoauszugskopien. Der Antragstellerin sei für das Beschwerdeverfahren auch Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
den Beschluss des SG Braunschweig vom 22. April 2016 aufzuheben und den Beschwerdegegner zu verpflichten, der Beschwerdeführerin Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren,
- 2.
der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt D., E ...
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er tritt der Entscheidung des SG bei, die er für zutreffend hält. Die unterschiedlichen Inhalte der Eingliederungsvereinbarungen resultierten daraus, dass die Antragstellerin erst bei der Vorsprache im Juni 2015 über die fehlenden Bewerbungsunterlagen informiert habe. Die unterschiedlichen Fassungen der Rechtsfolgenbelehrungen begründeten sich aus den unterschiedlichen Rechtsfolgen der Verstöße. In der Rechtsfolgenbelehrung zu der als Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarung vom 30. Dezember 2015 sei die Antragstellerin auf den Wegfall der Leistungen bei einer erneuten Pflichtverletzung hingewiesen worden. Die Benennung vorheriger Sanktionen sei zur Erfüllung der Obliegenheit einer verständlichen Belehrung nicht erforderlich und teilweise gar nicht möglich. Auch eine vorherige Entwurfsübersendung sei nicht erforderlich gewesen. Die Antragstellerin habe durch die zahlreichen Einladungen die Möglichkeit gehabt, einen Entwurf zu erbitten oder eigene Wünsche mitzuteilen. Durch ihre fehlende Reaktion auch nach Erlass des Verwaltungsaktes habe die Antragstellerin diesen in Kauf genommen. Zwar lägen für die Sanktionsbescheide vom März und Mai 2015 sowie die Eingliederungsvereinbarung vom 30. Dezember 2015 aufgrund einer Postversendung keine Zugangsnachweise vor, jedoch habe die Antragstellerin den Zugang nicht bestritten und im April 2016 zudem Überprüfungsanträge gestellt.
Angeforderte vollständige Kontounterlagen sowie angeforderte Auskünfte bzgl. der Nutzung der Wohnung nach der Energiesperrung hat die Antragstellerin auch auf mehrfache konkrete Erinnerung nicht eingereicht. Sachleistungen gemäß § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II hat die Antragstellerin ausweislich der Leistungsakte erstmals am 18. Mai 2016 beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
1. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
a) Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die statthafte Antragsart im vorliegenden Fall ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist, da in dem maßgeblichen Sanktionsbescheid vom 8. März 2016 der vollständige Wegfall der bewilligten Leistungen für den Sanktionszeitraum April bis Juni 2016 festgestellt und der Bewilligungsbescheid vom 15. Januar 2016 für diesen Zeitraum entsprechend aufgehoben worden ist. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, nach der es bei einer bereits erfolgten Leistungsbewilligung zur Umsetzung einer Sanktion einer Aufhebungsverfügung nach § 48 SGB X bedarf (vgl. Beschlüsse des Senats vom 11. August 2014 - L 7 AS 369/14 B ER -, vom 10. Februar 2014 - L 7 AS 1058/13 B -, vom 12. Januar 2012 - L 7 AS 242/10 B - und vom 17. Juni 2013 - L 7 AS 332/13 B ER -; wie hier: S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II-Kommentar, 3. Auflage 2013, § 31b Rn 7).
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Dies ist vorliegend der Fall, weil der Widerspruch der Antragstellerin vom 23. März 2016 gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat.
Dabei ist vom Gericht im Einzelfall eine Interessenabwägung vorzunehmen zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen von der belastenden Wirkung des streitigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, und dem besonderen Interesse der die Verfügung erlassenden Verwaltung, das zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG geführt hat bzw. dem im Gesetz zum Ausdruck gekommenen besonderen allgemeinen Vollzugsinteresse, wie es in § 39 SGB II geregelt ist (vgl. Beschluss des Senats vom 30. Januar 2008 - L 7 AS 816/07 ER -, Rn. 16, ). Denn mit der zuletzt genannten Vorschrift wird die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers deutlich, bei der Kürzung oder Aufhebung von laufenden Leistungen nach dem SGB II solle regelmäßig mit sofortiger Wirkung eine Zahlung nicht mehr vorgenommen werden. Dahinter steht die Befürchtung, dass später eine Realisierung von eingetretenen Überzahlungen wegen des häufig eingetretenen Verbrauchs der Leistungen nur schwerlich möglich ist. Daher sind im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung wesentlich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mit zu berücksichtigen, weil an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte kein - auch kein gesetzlich angeordnetes - öffentliches Interesse bestehen kann. Umgekehrt besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsaktes. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, so hat eine allgemeine Interessenabwägung hinsichtlich der Folgen für die jeweiligen Beteiligten bei der Aufrechterhaltung der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung zu erfolgen (vgl. dazu umfassend: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. Juli 2006 - L 12 AL 124/06 ER; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86 b Rn 12 ff).
b) Unter Berücksichtigung der ausgeführten Grundsätze überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, weil nach der gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Sanktionsbescheids vom 8. März 2016 bestehen.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R - und Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R) und des Senats (vgl. z. B. Urteil vom 26. Mai 2015 - L 7 AS 1059/13 - und Beschluss vom 8. April 2008 - L 7 AS 583/07 ER) ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Leistungsabsenkung wegen einer Pflichtverletzung die Erteilung einer vorherigen Rechtsfolgenbelehrung, die den Hilfebedürftigen über die Konsequenzen eines etwaigen Fehlverhaltens belehren muss. Aufgrund ihrer Warnfunktion muss sich die Belehrung konkret auf die jeweilige Obliegenheit beziehen, mit dieser in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen sowie konkret, verständlich, richtig und vollständig sein, weil nur eine verständliche Rechtsfolgenbelehrung die mit den Sanktionen verfolgte Zweckbestimmung, das Verhalten des Hilfebedürftigen zu steuern, verwirklichen kann. Erforderlich ist insbesondere eine Umsetzung der in Betracht kommenden Verhaltensanweisungen und möglichen Maßnahmen auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls. Aufgrund der schwerwiegenden Wirkung der Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen sind insoweit strenge Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung zu stellen, weshalb maßgeblich für eine hinreichende Belehrung auch nicht das Kennen oder Kennenmüssen der Rechtsfolgen ist, sondern allein der objektive Erklärungswert der Belehrung. Die Warn- und Steuerungsfunktion geht danach verloren, wenn der Grundsicherungsträger die Rechtsfolgenbelehrung derart standardisiert, dass mehrere Varianten zur Auswahl gestellt werden und der genaue Inhalt nur unter Hinzuziehung des Gesetzestextes zu erschließen ist.
Die Rechtsfolgenbelehrung in der als Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarung vom 30. Dezember 2015 genügt diesen strengen Anforderungen bereits deshalb nicht, weil sie teilweise von der eindeutigen Gesetzesformulierung abweichend und damit jedenfalls erheblich missverständlich formuliert ist:
Dies gilt zunächst für die Angabe, dass ein etwaiger Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung eine "wiederholte Pflichtverletzung" darstelle, die den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II zur Folge habe. Nach der gesetzlichen Regelung in § 31a Abs. 1 SGB II führt nämlich eine (erste) wiederholte Pflichtverletzung gemäß § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II nur zu einer Minderung des Regelsatzes um 60% und gemäß § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II erst jede weitere wiederholte Pflichtverletzung zu einem vollständigen Leistungswegfall. Eine Klarstellung, ob ein etwaiger Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung nach der Beurteilung des Antragsgegners eine erste wiederholte oder eine weitere wiederholte Pflichtverletzung darstellen sollte, beinhaltet die Rechtsfolgenbelehrung nicht.
Eine derartige hinreichende Klarstellung kann auch nicht aus der weiteren Angabe entnommen werden, eine wiederholte Pflichtverletzung liege vor, wenn ein vorangegangener Zeitraum mit einer Minderung des Regelsatzes auf 60% nicht länger als ein Jahr zurückliege. Diese Angabe ist nämlich ihrerseits bereits falsch, weil eine Minderung auf 60% des Regelsatzes in § 31a Abs. 1 SGB II als Sanktionierungsstufe gar nicht vorgesehen ist. § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II sieht für den Fall einer ersten wiederholten Pflichtverletzung vielmehr eine Minderung um 60% des Regelsatzes vor. Die vom Antragsgegner angeführte Minderung auf 60% des Regelsatzes ist demgegenüber gemäß § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II lediglich als mögliche Verringerung nach einem vollständigen Leistungswegfall gemäß § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II vorgesehen. Entsprechend beinhaltete auch die letzte ersichtliche vorherige Sanktion vom 7. Mai 2015 eine Leistungsabsenkung um 60% des monatlichen Regelbedarfs für die Monate Juni bis August 2015.
Mangels einer - nach den Praxiserfahrungen des Senats bei einem drohenden vollständigen Leistungswegfall eigentlich üblichen - konkreten Benennung der etwaig in Bezug genommenen Vorsanktionen, kann aus der maßgeblichen Sicht der Antragstellerin als Adressatin der Rechtsfolgenbelehrung auch nicht aus dem sonstigen Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung eine hinreichende Klarstellung des vom Antragsgegner gewollten Belehrungsinhalts entnommen werden und insbesondere nicht, ob der Antragsgegner mit seiner verunglückten Formulierung ggf. die vorherige Minderung um 60% des Regelsatzes gemäß § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II in Bezug nehmen und entsprechend den etwaigen Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung als weitere wiederholte Pflichtverletzung einstufen wollte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil mit einer Heranziehung der früheren Sanktionen vom März und vom Mai 2015 unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Antragsgegners nach objektiver Betrachtung nicht zu rechnen war. Nach der unstreitig durch die Antragstellerin im Juni 2015 erfolgten Mitteilung, über keine für aktuelle Bewerbungen erforderliche Bewerbungsunterlagen mehr zu verfügen und diese zunächst neu besorgen zu müssen, beendete der Antragsgegner nämlich a) zunächst die in der als Verwaltungsakt erlassenen Eingliederungsvereinbarung vom 12. Januar 2015 enthaltene Bewerbungspflicht vorzeitig durch Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung, verzichtete b) in dieser auf erneute Bewerbungsverpflichtungen der Antragstellerin und fügte schließlich c) eine allgemein auf die Absenkungsmöglichkeiten gemäß § 31a Abs. 1 SGB II verweisende Rechtsfolgenbelehrung bei ohne Hinweis auf innerhalb eines Jahres bereits erfolgte Pflichtverletzungen und Vorsanktionen und ohne Hinweis auf einen vollständigen Leistungswegfall bei erneuter Pflichtverletzung. Dieses Unterlassen konnte nach objektiver Betrachtung dahin verstanden werden, dass der Antragsgegner nach der Klärung der Bewerbungsschwierigkeiten aus den darauf bezogenen Sanktionen keine für die Antragstellerin negativen Rechtsfolgen für die Zukunft herleiten wollte. Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner noch unmittelbar vor dem Gespräch vom 25. Juni 2015 im Angebotsschreiben vom 11. Juni 2015 und im Anhörungsschreiben vom 16. Juni 2015 ausdrücklich auf zwei Vorsanktionen und einen daher drohenden vollständigen Leistungswegfall hinwies. Bei einer vor diesem Hintergrund gleichwohl vom Antragsgegner in der darauffolgenden Eingliederungsvereinbarung erneut gewollten Anknüpfung an die Vorsanktionen vom März und Mai 2015 hätte - unabhängig von der Beurteilung der rechtlichen Wirksamkeit - jedenfalls eine unmissverständliche und individuelle Klarstellung erfolgen müssen. Hieran fehlt es aber. Dass die Antragstellerin als Adressatin der Rechtsfolgenbelehrung tatsächlich die Belehrung des Antragsgegners vom Dezember 2015 auch nicht mit den Vorsanktionen vom März und Mai 2015 in Verbindung gebracht hat, ergibt sich aus den eingereichten Widerspruchs- und Antragsbegründungen, in denen zunächst jeweils nur auf die irrtümlich als "vorherige Sanktion" angesehene Leistungsabsenkung wegen Meldeversäumnisses vom 7. Januar 2015 nach § 32 SGB II abgestellt wurde. Ein solches Versäumnis ist im Rahmen der Leistungsabsenkungen wegen wiederholter Pflichtverletzungen gemäß § 31a Abs. 1 SGB II jedoch unerheblich, weil nur Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II erfasst werden (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31a Rn 11). Eine von der Antragstellerin tatsächlich hergestellte Verbindung mit den Vorsanktionen vom März und Mai 2015 ist aus diesem Vorbringen gerade nicht ersichtlich.
Der Senat verkennt bei dieser Bewertung ausdrücklich weder die Schwierigkeit der Erfüllung der strengen Anforderungen an eine hinreichende Rechtsfolgenbelehrung noch die aus der Leistungsakte ersichtliche Untätigkeit und fehlende Mitwirkung der Antragstellerin, die offensichtlichen Schwierigkeiten der Kontaktherstellung und die durch das Verhalten der Antragstellerin etwaig entstehende persönliche Belastung und Frustration bei den Mitarbeitern des Antragsgegners. All diese Faktoren entbinden den Antragsgegner als an Recht und Gesetz gebundene Behörde im Ergebnis jedoch bei der schwerwiegenden Reaktion des vollständigen Entzugs von das Existenzminimum sichernden Grundsicherungsleistungen nicht von der - ggf. im Einzelfall mühevollen - Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und jedenfalls von der Verpflichtung einer vollständigen, inhaltlich der gesetzlichen Regelung entsprechenden sowie für den jeweiligen Adressaten verständlichen und auf seinen Leistungsfall abgestimmten Rechtsfolgenbelehrung.
bb) Es kann vor dem ausgeführten Hintergrund im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens im Ergebnis dahinstehen, ob der Antragsgegner unter Berücksichtigung der im Juni 2015 von der Antragstellerin vorgebrachten Entschuldigungsgründe für die unterlassenen Bewerbungen sowie in Ansehung der dann ohne Hinweis auf die Vorsanktionen geschlossenen Eingliederungsvereinbarung vom 25. Juni 2015 in der späteren Eingliederungsvereinbarung vom Dezember 2015 und im Sanktionsbescheid vom 8. März 2016 noch auf diese Vorsanktionen zurückgreifen konnte.
Dahinstehen kann auch, ob die Antragstellerin die Eingliederungsvereinbarung vom Dezember 2015 überhaupt erhalten hat, und ob sie einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II hatte. Zugangsnachweise existieren aufgrund der vom Antragsgegner vorgetragenen Versendung per Post nicht. Die Antragstellerin hat selbst vorgetragen, nur das Einladungsschreiben vom 15. Dezember 2015 sowie das nachfolgende Schreiben des Antragsgegners vom 28. Dezember 2015 erhalten zu haben.
Offen lassen kann der Senat auch, ob die Ersetzungsbefugnis gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II bzgl. der Annahme einer Weigerung des Leistungsberechtigten ein vorheriges konkretes Vereinbarungsangebot voraussetzt, ggf. durch schriftliche Übersendung, jedenfalls dann, wenn in der Vergangenheit bereits Vereinbarungen vom Leistungsberechtigten unterschrieben wurden und keine Erklärung einer grundsätzlichen Verweigerung vorliegt.
Dahinstehen kann weiter, dass im Rahmen eines abgestuften Sanktionssystems die Bestandskraft eines ersten oder zweiten Sanktionsbescheids einer gerichtlichen Überprüfung anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens gegen den dann weiteren Sanktionsbescheid nicht entgegen steht, wenn in diesem weiteren Verfahren geltend macht wird, dass bereits die erste Sanktion unberechtigt war (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Juni 2009 - L 7 AS 266/09 B ER - Rn 11; vgl. auch: S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 31a Rn 12). Vorliegend hat die Antragstellerin im April 2016 hinsichtlich aller vorangegangenen Sanktionsbescheide Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt, weshalb diese in einem etwaigen im Hauptsacheverfahren ggf. auch durch das SG zu überprüfen wären. Gleiches gilt auch für die als Verwaltungsakt erlassene Eingliederungsvereinbarung vom 30. Dezember 2015, weil ein Widerspruch gegen eine spätere Sanktion insoweit regelmäßig auch als Antrag nach § 44 SGB X auszulegen sein (vgl.: S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31 Rn 21).
Es ist auch nicht über den Einwand der Antragstellerin zu befinden, der Eingliederungsverwaltungsakt sei aus mehreren Gründen inhaltlich unwirksam und entspreche folglich nicht der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschluss vom 12. Januar 2012 - L 7 AS 242/10 B), wonach die Anforderungen nach § 15 Abs. 1 SGB II nur dann erfüllt seien, wenn die geregelten Pflichten des Leistungsberechtigten in einem angemessenen Verhältnis zu den versprochenen Gegenleistungen des Jobcenters stehen und der Eingliederungsverwaltungsakt ferner neben der Zusage von Bewerbungskosten weitere konkrete Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der vom Gesetzgeber intendierten "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" vorsieht (so jetzt auch: Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 42/15 R-, im BSG-Terminbericht Nr. 25/16).
Offen bleiben kann auch, ob verfassungsrechtliche Bedenken gegen den vorübergehenden vollständigen Wegfall des Leistungsanspruchs nach dem SGB II bestehen, auch wenn das physische Existenzminimum durch ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (vgl. § 31a Abs. 3 SGB II) sichergestellt werden kann (vgl.: Sozialgericht Gotha, Vorlagebeschluss vom 26. Mai 2015 - S 15 AS 5157/14 -; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Juli 2015 - L 16 AS 381/15 B ER).
c) Der Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ergebnis auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin auch auf mehrfache gerichtliche Aufforderung keine vollständigen und belegten Angaben zum konkreten Stand des auf ihre Wohnung bezogenen Kündigungsverfahrens, zu ihren aktuellen Wohnverhältnissen und zu ihren aktuellen finanziellen Verhältnissen gemacht sowie erst am 18. Mai 2016 von der Möglichkeit der Beantragung von Sachleistungen Gebrauch gemacht hat.
Zwar muss auch im Rahmen von Anträgen nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG ein berechtigtes Interesse an einer Eilentscheidung bzw. die Unzumutbarkeit des Abwartens einer Hauptsachentscheidung glaubhaft gemacht werden, (vgl. Beschluss des Senats vom 27. Dezember 2006 - L 7 AS 713/06 ER), ernsthafte Anhaltspunkte für die Zumutbarkeit des Abwartens eines Hauptsacheverfahrens, wie z.B. bedarfsdeckende anderweitige Einkünfte oder sonstige Vermögenswerte oder der bereits lange zurückliegende Ablauf des streitigen Zeitraums, sind jedoch weder aus den Umständen ersichtlich noch vom Antragsgegner vorgebracht. Auch die ersichtliche Sperrung der Energieversorgung dürfte eher dagegen sprechen. Das vollständig passive Verhalten der Antragstellerin entspricht vielmehr dem durchgehend aus der Leistungsakte ersichtlichen Verhaltensmuster als Ausdruck der offenkundigen erheblichen Schwierigkeiten der Antragstellerin, ihre eigenen Angelegenheiten durch eine den üblichen Gepflogenheiten entsprechende Kommunikation wahrzunehmen. Dieser Umstand wird vom Antragsgegner ggf. auch bei zukünftigen Kontakten mit der Antragstellerin angemessen zu berücksichtigen sein. Gleiches dürfte gelten für die etwaig im Rahmen der Bearbeitung zukünftiger Fortzahlungsanträge gebotene Klärung der genauen Wohnsituation der Antragstellerin.
d) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
e) Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
2. Die Prozesskostenhilfebewilligung ergibt sich aufgrund der Erfolgsaussichten des Beschwerdeverfahrens aus § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Antragstellerin ist unter Berücksichtigung der eingereichten Unterlagen aktuell aufgrund ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse nicht in der Lage die Kosten der Prozessführung aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu tragen, auch nicht zum Teil oder in Raten.
Herr Rechtsanwalt D. ist der Antragstellerin gemäß § 121 Abs. 2 ZPO antragsgemäß beizuordnen, weil die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.
Auch dieser Beschluss ist für die Beteiligten gemäß § 177 SGG unanfechtbar.