Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 12.01.2012, Az.: L 7 AS 242/10 B
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 12.01.2012
- Aktenzeichen
- L 7 AS 242/10 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 21856
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0112.L7AS242.10B.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 20.01.2010 - AZ: S 45 AS 1207/09
Tenor:
Auf Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 20. Januar 2010 aufgehoben.
Dem Kläger wird zwecks Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D., E., bewilligt. Raten sind nicht zu zahlen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache eine Leistungsabsenkung im laufenden Bewilligungszeitraum infolge einer dreimonatigen Sanktion streitig. Der Kläger begehrt in diesem Zusammenhang die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das sozialgerichtliche Klageverfahren.
Der Beklagte bewilligte dem am 11. September 1988 in F. geborenen und in einer Obdachlosenunterkunft in E. wohnenden Kläger mit Bescheid vom 10. Februar 2009 (Blatt 41 VA) für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis zum 31. Juli 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 467,00 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 11. März 2009 erhöhte der Beklagte die monatlichen Leistungen ab 1. April bis zum 31. Juli 2009 auf 590,63 EUR (Blatt 91 VA). Nach Angaben des Beklagten hatten die Beteiligten am 29. Januar 2009 eine Eingliederungsvereinbarung mit Gültigkeit bis zum 29. April 2009 abgeschlossen. Danach erklärte sich der Beklagte bereit, dem Kläger Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, sein Bewerberprofil in die Datenbank aufzunehmen sowie seine Bewerbungsaktivitäten zu unterstützen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Kläger u. a., mindestens zehn Bewerbungen pro Monat zu schreiben sowie an der Trainingsmaßnahme "Stellenrecherche und Bewerbungen" ab 23. Januar 2009 im JobClub E. teilzunehmen.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2009 wies der Beklagte den Kläger auf seinen Wunsch hin für die Zeit vom 16. Februar bis zum 1. März 2009 zu einem Praktikum in der Küche beim G. GmbH in H. zu. Der Kläger nahm vom 16. bis zum 20. Februar 2009 an diesem Praktikum teil. Mit einem an das Hotel gerichteten Schreiben vom 22. Februar 2009 brach er das Praktikum ab, da er für seine Mutter da sein wolle, die im Krankenhaus liege, und zurzeit keinen klaren Kopf habe (Blatt 115 VA).
Mit Bescheid vom 20. März 2009 (Blatt 123 VA) und Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009 (Blatt 169 VA) senkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 2009 bis auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung ab, weil der Kläger nach dem 20. Februar 2009 nicht mehr im Praktikumsbetrieb erschienen sei. Für diese Pflichtverletzung sei bei unter 25-Jährigen als Sanktion der vollständige Wegfall der Regelleistung für die Dauer von drei Monaten vorgesehen. Einen Eilantrag des Klägers vom 28. April 2009 gegen diese Sanktion auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Sozialgericht (SG) Hildesheim mit Beschluss vom 18. Mai 2009 - Az.: S 38 AS 714/09 ER - ab (Blatt 161 VA).
Mit der am 6. Juli 2009 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe sich selbst im Rahmen der Suche nach einem Ausbildungsplatz als Koch bei dem G. beworben. Über die Zusage habe er seine persönliche Sachbearbeiterin der Beklagten sofort informiert. Er sei irrtümlich davon ausgegangen, dass er das Praktikum jederzeit beenden könne, nachdem ihm vom Hotelbetrieb signalisiert worden sei, dass für ihn ein Ausbildungsplatz nicht in Betracht käme. Er habe sich sofort um einen neuen Praktikumsplatz bemüht und dieses vom 10. April bis zum 17. April 2009 beim I. erfolgreich absolviert. Daraufhin sei er dort in ein Ausbildungsverhältnis übernommen worden.
Den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht Hildesheim mit Beschluss vom 20. Januar 2010 aus den seiner Ansicht nach zutreffenden Gründen der angefochtenen Bescheide des Beklagten abgelehnt. Gegen den am 25. Januar 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 25. Februar 2010.
II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Beschlusses. Dem Kläger ist zwecks Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil sein Begehren hinreichende Erfolgsaussichten hat und er nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln für die Kosten der Prozessführung aufzukommen (§ 73a Sozialgerichtsgesetz - SGG - i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ergibt sich aus § 121 Abs. 2 ZPO.
Das SG hat zutreffend hervorgehoben, dass die hinreichenden Erfolgsaussichten für ein Prozesskostenhilfegesuch schon dann zu bejahen sind, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung für zumindest vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und somit eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sein Obsiegen in der Hauptsache spricht. Es ist jedoch für den Senat infolge der fehlenden Begründung des Beschlusses nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen vorliegend diese Voraussetzungen nicht erfüllt sein sollten. Denn schon eine flüchtige Durchsicht der vorliegenden Akten sowie eine summarische Überprüfung der angegriffenen Bescheide des Beklagten offenbaren auf den ersten Blick eklatante Lücken, die nicht vor einer Entscheidung ungeklärt bleiben können. Allein aus diesem Grunde ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, damit das SG diesen Lücken nachgehen kann.
Der Beklagte will im laufenden Bewilligungszeitraum vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2009 eine Leistungskorrektur für die Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 2009 regeln, weil nach seiner Auffassung ein Sanktions- und Absenkungszeitraum von drei Monaten eingetreten ist. Verfahrensrechtlich kann diese Leistungsanspassung nur im Rahmen einer Aufhebungsentscheidung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfolgen, weil in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist (vgl. BSG vom 9. November 2010 - B 4 AS 27/10 R -, Rdz. 17). Weder dem Bescheid vom 20. März 2009 noch dem Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009 ist aber eine Aufhebungsverfügung zu entnehmen, mit der der Beklagte die in dem Bescheid vom 11. März 2009 getroffene Leistungsbewilligung für die Zukunft ändern will. Wird die Leistungsbewilligung nach Eintritt einer Sanktion nicht ausdrücklich aufgehoben, scheidet eine Undeutung des Sanktionsbescheides in eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X aus (BSG, SozR 3-1300 § 24 Nr. 16).
Es ist ferner nicht ersichtlich, auf welchen Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 gültigen Fassung der Beklagte die Leistungsabsenkung stützen will. Genauso wenig kann festgestellt werden, von welcher Absenkungsvariante das Sozialgericht im angegriffenen Beschluss ausgegangen ist, weil es ohne Nennung von Vorschriften des materiellen Rechts ausgekommen ist. Im Eilbeschluss des SG Hildesheim vom 18. Mai 2009 (Az.: S 38 AS 714/09 ER), auf den der Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009 inhaltlich Bezug genommen hat, der wiederum als einzige Begründungsgrundlage vom SG in dem hier angefochtenen Beschluss vom 20. Januar 2010 angeführt wird, hält das Gericht dem Kläger - ohne allerdings eine genaue Norm des Sanktionsrechts kenntlich zu machen - eine Verletzung von Pflichten aus seiner Eingliederungsvereinbarung vor. Dies könnte für den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II sprechen. Im Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2009 wird dagegen ein Pflichtverstoß darin gesehen, dass der Kläger sich geweigert habe, eine zumutbare Arbeit (Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, eine mit Beschäftigungszuschuss nach § 16a geförderte Arbeit, eine zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme) aufzunehmen und fortzuführen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II). Sollte eine (offenbar dem SG bekannte) Aufhebungsentscheidung des Beklagten nach § 48 SGB X existieren, wird das SG zunächst aufklären müssen, welchen rechtlichen Sanktionstatbestand der Beklagte als Anlass für die Absenkung gewählt hat.
Sollte als Sanktionsereignis eine Verletzung von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II) in Betracht kommen, weist der Senat daraufhin, dass in dem allein aktenkundigen Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung vom 22. Januar 2009 (eine von beiden Beteiligten unterschriebene Eingliederungsvereinbarung ist hier nicht bekannt) die streitige Praktikumsmaßnahme beim G. GmbH, H., nicht geregelt ist. Wenn ja, wäre ferner zu überprüfen, inwiefern die Eingliederungsvereinbarung wirksam ist und somit sanktionsbewehrte Pflichten für den Kläger enthält. Zweifel bestehen insoweit, weil im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags die Gegenleistung des Bürgers gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen muss. Diesem Gebot genügt eine Eingliederungsvereinbarung nicht, in der zahlreiche Pflichten des Leistungsberechtigten geregelt werden, als Gegenleistungen des SGB II-Trägers aber nur Elemente angeführt werden, auf die der Leistungsberechtigte einen Rechtsanspruch hat. Denn als vereinbarungsfähige Leistung zur Eingliederung in Arbeit im Rahmen einer Eingliederungsvereinbarung kommen von vornherein nur solche in Betracht, die im Ermessen des Trägers stehen, auf die also kein Rechtsanspruch besteht (§ 53 Abs. 2 SGB X). Die Gewährung von Rat und Auskunft sowie die Unterstützung bei der Arbeitsvermittlung gehören folglich nicht zum Regelungsgegenstand einer Eingliederungsvereinbarung, weil darauf ein Rechtsanspruch besteht. Sind die Hürden einer inhaltlichen Überprüfung erfolgreich übersprungen, könnte die Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 SGB II an der fehlerhaften Rechtsfolgenbelehrung scheitern. Eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung liegt nämlich nicht vor, wenn - wie hier auf Seite 3 des Entwurfs der Eingliederungsvereinbarung - mehrere Varianten von möglichen Pflichtverletzungen und von Rechtsfolgen zur Auswahl gestellt werden und dem Leistungsberechtigten die Auswahl überlassen wird, ob einer der genannten Alternativen für ihn zutrifft (BSG vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R -, Rdz. 23 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 3).
Sollte als Sanktionsereignis § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II in Betracht kommen, müsste das SG zunächst aufklären, worauf sich die Weigerungshaltung des Klägers beziehen soll (Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, bezuschusste Arbeit, Sofortangebot oder eine in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme?). Wie bereits oben geschildert, dürfte das hier streitige Praktikum in dem Hotel in J. - Laatzen nicht in der Eingliederungsvereinbarung geregelt worden sein. Ob ein unentgeltliches Praktikum eine "Arbeit" im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II darstellt, ist zweifelhaft. Denn § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II bestimmt, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige ihre Arbeitskraft zur Beschaffung ihres Lebensunterhaltes einsetzen müssen. Da unentgeltliche Tätigkeiten aber diesen Zweck nicht unmittelbar zu erreichen vermögen, dürften diese - falls sie nicht Bestandteil eines abgestuften und genauen Eingliederungsplanes sind - schwerlich als Arbeit qualifiziert werden können (Hauck/Noftz, SGB II - Kommentar, Stand: November 2011, § 31 Rdz. 94 mit weiteren Hinweisen). Entgegen der Feststellung im Widerspruchsbescheid (Seite 3 erster Absatz) umfasst im Übrigen die Praktikumszuweisung des Beklagten vom 13. Februar 2009 (Blatt 63 VA) keine Rechtsmittelbelehrung.
Schließlich muss das SG überprüfen, ob dem Kläger für den Abbruch des Praktikums ein wichtiger Grund zur Seite stand (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Er hat sich zum einen darauf berufen, dass er aus spezifischen privaten Gründen in einer besonderen psychischen Drucksituation stand. Ferner lag nach dem nicht bestrittenen Vortrag des Klägers das Hauptziel des Praktikums in einer zukünftigen Übernahme in das Ausbildungsverhältnis, was sich aber nach den ersten Tagen zerschlagen haben soll. Es ist Aufgabe des Sozialgerichts, diesen schlüssig dargelegten Einwänden nachzugehen und eine gesamte Wertung des wichtigen Grundes vorzunehmen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.