Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.05.2015, Az.: L 7 AS 1059/13

Eingliederungsvereinbarung und Eingliederungsverwaltungsakt; Notwendiger Inhalt einer Rechtsfolgenbelehrung; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung einer Eingliederungsvereinbarung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
26.05.2015
Aktenzeichen
L 7 AS 1059/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 22296
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2015:0526.L7AS1059.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 24.07.2013 - AZ: S 44 AS 625/12

Fundstelle

  • NZS 2015, 717

Redaktioneller Leitsatz

1. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Leistungsabsenkung nach § 31 SGB II ist die Erteilung einer vorherigen Rechtsfolgenbelehrung, die den Hilfebedürftigen über die Konsequenzen eines etwaigen Fehlverhaltens unmissverständlich belehren muss.

2. Aufgrund ihrer Warnfunktion muss sich die Belehrung konkret auf die jeweilige Obliegenheit beziehen, mit dieser in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen sowie konkret, verständlich, richtig und vollständig sein.

3. Erforderlich ist insbesondere eine Umsetzung der in Betracht kommenden Verhaltensanweisungen und möglichen Maßnahmen auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls.

4. Aufgrund der schwerwiegenden Wirkung der Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen sind insoweit strenge Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung zu stellen, weshalb maßgeblich für eine hinreichende Belehrung in erster Linie der objektive Erklärungswert der Belehrung ist.

Tenor:

1. Unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Juli 2013 klarstellend wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Oktober 2011 sowie unter teilweiser Aufhebung der Bescheide vom 11. Oktober 2011, vom 26. November 2011 und vom 8. Dezember 2011 verpflichtet, an den Kläger für November und Dezember 2011 jeweils weitere EUR 372,00 und für Januar 2012 weitere EUR 382,60 zu leisten.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Absenkung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum November 2011 bis Januar 2012.

Nach einem erstmaligen Leistungsantrag nach dem SGB II des 1988 geborenen Klägers im November 2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheiden vom 7. Januar 2011 und vom 3. Mai 2011 Leistungen für die Zeiträume November 2010 bis April 2011 bzw. Mai bis Oktober 2011, jeweils unter Anrechnung von monatlichen Kindergeldzahlungen in Höhe von EUR 184,00. Hiergegen gerichtete Widersprüche sind nicht ersichtlich.

Mit einer bis zum 27. Juli 2011 geltenden Eingliederungsvereinbarung vom 28. Januar 2011 verpflichtete sich der Kläger unter Ziffer 2. zur Teilnahme an einer so bezeichneten BPWu25-Maßnahme an der G. in H. im Zeitraum ab dem 31. Januar 2011. Der Bescheid beinhaltete eine aus mehreren Absätzen bestehende und so bezeichnete "Rechtsfolgenbelehrung". Darin heißt es u.a.:

"Verstoßen Sie erstmals gegen die mit ihnen vereinbarten Eingliederungsbemühungen (siehe Nr. 2. Bemühungen des Kunden) wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) beschränkt. Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden dann im Regelfall direkt an Ihren Vermieter oder einen sonstigen Empfangsbevollmächtigten gezahlt."

In der Folgezeit erhielt der Kläger zwei Abmahnungen der G. vom 5. und 23. Mai 2011 wegen des unentschuldigten Fehlens vom 11. bis zum 15. April 2011 sowie ab dem 27. Mai 2011. Die so bezeichnete "2. Abmahnung" vom 23. Mai 2011 beinhaltete den Hinweis, dass es sich um die Androhung der fristlosen Kündigung des Maßnahmevertrags handele.

Mit Bescheid vom 4. Juli 2011 ersetzte der Beklagte für den Zeitraum vom 4. Juli 2011 bis zum 3. Januar 2012 eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt unter Verweis auf § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II. Eine Vereinbarung sei nicht zustande gekommen. Als Eingliederungsbemühungen des Klägers wurde unter Ziffer 2. erneut die Teilnahme an der Maßnahme bei der G. angeführt. Der Bescheid beinhaltete zudem eine der Eingliederungsvereinbarung vom 28. Januar 2011 identische so bezeichnete "Rechtsfolgenbelehrung". Ein hiergegen gerichteter Widerspruch ist weder vorgetragen noch aus der Leistungsakte ersichtlich.

Mit Schreiben vom 25. Juli 2011 teilte die G. dem Kläger der Beendigung der Maßnahme BPWu25 mit sofortiger Wirkung mit. Trotz Hinweises auf die Rechtsfolgen in der 2. Abmahnung fehle der Kläger erneut unentschuldigt seit dem 21. Juli 2011.

Mit Schreiben vom 28. Juli 2011 teilte der Beklagte dem Kläger unter dem Betreff "Anhörung zum möglichen Eintritt einer Sanktion" mit, nach bisherigem Stand sei auszugehen von einer Beendigung der Maßnahme wegen unentschuldigter Fehlzeiten nach zwei Abmahnungen und daher von einer Verletzung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung vom 4. Juli 2011 trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen. Der Kläger habe unter Hinweis auf § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Möglichkeit einer Äußerung hierzu bis zum 11. August 2011.

Mit Bescheid vom 14. September 2011 beschränkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II des Klägers für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2011 auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen habe der Kläger seine Pflichten aus dem Bescheid vom 4. Juli 2011 nicht erfüllt und nach zwei Abmahnungen und weiterem unentschuldigten Fehlen bei der Maßnahme "BPWu25" die Beendigungsmitteilung erhalten. Trotz Aufforderung habe der Kläger wichtige Gründe hierfür nicht mitgeteilt. Die Leistungsbeschränkung ergebe sich aus § 31 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 31a Abs. 2 und § 31b SGB II.

Mit am 4. Oktober 2011 eingegangenem anwaltlichen Schreiben vom 30. September 2011 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 14. September 2011 Widerspruch ein. Der Kläger habe den Lehrgang an der G. nicht mehr mit der gebotenen Ernsthaftigkeit verfolgt, weil sich seine Zieldefinition geändert habe und er seit dem 18. August 2011 die Fachoberschule Wirtschaft und Verwaltung besuche. Der Kläger bitte, dies zu entschuldigen. Hilfsweise werde die Verkürzung des Minderungszeitraums auf sechs Wochen beantragt gemäß § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II.

Mit Leistungsbescheid vom 11. Oktober 2011 bewilligte der Beklagte auf den Folgeantrag des Klägers vom 5. Oktober 2011 Leistungen für den Zeitraum November bis Dezember 2011 in Höhe von jeweils EUR 37,50 unter Ansetzung eines Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen in Höhe von monatlich EUR 372,00, berechnet aus einer angesetzten Regelleistung von EUR 364,00 und eines Warmwasserbetrags von EUR 8,00, sowie unter Absetzung der monatlichen Kindergeldzahlungen in Höhe von EUR 184,00 abzgl. der Pauschale von monatlich EUR 30,00. Für Januar 2012 bewilligte der Beklagte ohne Minderungsabzug EUR 409,50.

Mit Abhilfebescheid vom 17. Oktober 2011 hob der Beklagte den Absenkungsbescheid vom 14. September 2011 mangels Bestimmtheit auf und beschränkte mit Parallelbescheid vom selben Tag das Arbeitslosengeld II des Klägers unter Verweis auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 31a Abs. 2 und § 31b SGB II für den Zeitraum November bis Dezember 2011 sowie Januar 2012 auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Das monatliche Kindergeld sei auf die Unterkunfts- und Heizkosten anzurechnen. Hieraus ergebe sich eine monatliche Absenkung in Höhe von EUR 372,00. Ein Betrag von EUR 37,50 werde direkt an den Vermieter überwiesen. die verbleibenden Mietkosten in Höhe von monatlich EUR 154,00 seien selbst zu bestreiten. Trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen habe der Kläger seine Pflichten aus dem Bescheid vom 4. Juli 2011 nicht erfüllt und nach zwei Abmahnungen und weiterem unentschuldigten Fehlen bei der Maßnahme BPWu25. Eine Verkürzung des Minderungszeitraums auf sechs Wochen sei nach Abwägung der Umstände nicht gerechtfertigt.

Mit am 26. Oktober 2011 eingegangenem anwaltlichen Schreiben vom 24. Oktober 2011 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein, den er mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 28. November 2011 begründete: Der Sanktionsbescheid könne nicht auf die beiden Abmahnungen vom Mai 2011 abstellen, weil diese vor dem Bescheid vom 4. Juli 2011 erfolgten. Im Sanktionsbescheid werde auf die Anrechnung des Kindergelds erkannt. Hierauf sei aber weder in der Rechtsfolgenbelehrung zum Bescheid vom 4. Juli 2011 noch in der Anhörung vom 28. Juli 2011 hingewiesen worden. Der Hinweis auf die Beschränkung der Leistungen auf den Bedarf nach § 22 SGB II sei vielmehr nur dahin zu verstehen, dass Miete und Heizkosten weiterhin bezahlt werden. Die Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung sei daher nicht erfüllt. Der Sanktionsbescheid sei zudem rechtswidrig, weil er in Kenntnis der seit August 2011 vom Kläger besuchten Fachoberschule Wirtschaft erlassen worden sei. Das Sanktionsziel einer Anhaltung zur Einhaltung von Absprachen könne daher nicht mehr erreicht werden. Die Leistungsakte sei zudem unübersichtlich und unvollständig. Es sei nicht zu ersehen, dass und wann vor dem 4. Juli 2011 eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande gekommen sei. Auf den Widerspruch gegen den vorherigen Absenkungsbescheid vom 14. September 2011 werde verwiesen. Hilfsweise werde erneut die Verkürzung des Minderungszeitraums auf sechs Wochen beantragt gemäß § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II.

Mit Änderungsbescheid vom 26. November 2011 änderte der Beklagte den Leistungsbescheid vom 11. Oktober 2011 dahin, dass auch für Januar 2012 Leistungen in Höhe von nur EUR 37,50 bewilligt wurden, gleichfalls berechnet aus einer angesetzten Regelleistung von EUR 364,00 und eines Warmwasserbetrags von EUR 8,00, unter Ansetzung eines Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen in Höhe von EUR 372,00 sowie unter Absetzung der monatlichen Kindergeldzahlungen in Höhe von EUR 184,00 abzgl. der Pauschale von monatlich EUR 30,00.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 8. Dezember 2011 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für Januar 2012 unter Beibehaltung des Auszahlungsbetrags in Höhe von EUR 37,50 dahin, dass aufgrund einer erhöhten Regelleistung von EUR 374,00 und eines erhöhten Warmwasserbetrags von EUR 8,60 der Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen auf EUR 382,60 erhöht wurde, erneut unter Absetzung der monatlichen Kindergeldzahlungen in Höhe von EUR 184,00 abzgl. der Pauschale von monatlich EUR 30,00.

Mit am 3. Februar 2012 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2012 wies der Beklagte den am 26. Oktober 2011 eingegangenen Widerspruch des Klägers gegen den Absenkungsbescheid vom 18. Oktober 2011 zurück. Der Kläger sei ohne erkennbaren wichtigen Grund den Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung vom 28. Januar 2011 nicht nachgekommen. Der Ausbildungsbeginn zum August 2011 sei auch bei Absolvierung der bis zum 29. Juli 2011 laufenden Maßnahme möglich gewesen. Soweit im angefochtenen Bescheid der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Bescheid vom 4. Juli 2011 in Bezug genommen wurde, handele es sich um eine offenbare Unrichtigkeit, die gemäß § 38 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) berichtigt werde. Zeitraum und Umfang der Leistungsabsenkung ergebe sich aus § 31 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 31a Abs. 2 und § 31b SGB II. Verkürzungsgründe lägen nicht vor. Das Verhalten des Klägers zeige keine Einsichtsfähigkeit. Das monatliche Einkommen in Höhe von EUR 184,00 mindere nach Abzug der Versicherungspauschale von monatlich EUR 30,00 den Bedarf für Unterkunft- und Heizung in Höhe von monatlich EUR 191,50, womit ein monatlicher Anspruch von EUR 37,50 verbleibe.

Mit am 5. März 2012, einem Montag, eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz erhob der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Braunschweig (SG). Die beiden Abmahnungen vom Mai 2011 könnten zur Sanktionsbegründung nicht herangezogen werden, weil diese vor dem allein maßgeblichen Bescheid vom 4. Juli 2011 erfolgt seien, der die Eingliederungsvereinbarung vom 28. Januar 2011 vollumfänglich ersetzt habe. Daher sei auch ein Abstellen auf diese Vereinbarung nicht möglich. Der Sanktionsbescheid sei zudem rechtswidrig, weil dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass der Kläger bereits seit Anfang August 2011 vollzeitig die Fachoberschule Wirtschaft besucht habe. Dies stelle jedenfalls einen wichtigen Grund iSd § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II dar. Der Kläger sei auch einsichtsfähig, was sich bereits aus der erfolgten Entschuldigung ergebe. Der Beklagte habe den ursprünglichen Sanktionsbescheid vom September 2011 wegen fehlender Benennung der Kindergeldanrechnung als unbestimmt aufgehoben. Nachfolgend habe der Beklagte zudem versucht, seine Rechtsposition durch einen vom Kläger bei dessen Beantragung von Lebensmittelgutscheinen geforderten Verzicht auf die den Betrag von EUR 37,00 monatlich übersteigende Wohnungsmiete zu verbessern. Im Übrigen werde auf den Vortrag im Widerspruchsverfahren verwiesen.

Das SG hat den Bescheid vom 17. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2012 mit Urteil vom 29. Juli 2013 aufgehoben. Entgegen der gesetzlichen Vorgabe fehle es vor der anzunehmenden Pflichtverletzung des Klägers an einer konkreten und bestimmten Rechtsfolgenbelehrung. Eine solche Belehrung nach § 31 Abs. 1 SGB II solle zeitlich vor der Pflichtverletzung liegen und müsse dem Arbeitslosen konkret, richtig, vollständig und verständlich erläutern, welche unmittelbaren Auswirkungen eine Pflichtverletzung auf seinen Leistungsanspruch haben könne. Diesen Anforderungen genüge die Rechtsfolgenbelehrung in der Eingliederungsvereinbarung vom 28. Januar 2011 nicht, weil darin nicht auf die Anrechnung des monatlichen Kindergelds auf die auf Unterkunfts- und Heizkosten nach § 22 SGB II beschränkten Leistungsansprüche hingewiesen worden sei. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger hiervon anderweitig Kenntnis erlangt habe, weil diese Anrechnung aus dem Wortlaut von § 31a Abs. 2 SGB II nicht eindeutig hervorgehe, weshalb eine Beschränkungswirkung mit oder ohne zusätzliche Anrechnung erzielten Einkommens denkbar sei. Aufgrund der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten sei eine Anrechnung für den Kläger nicht genau erkennbar gewesen.

Gegen das am 7. August 2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 28. Oktober 2013 eingelegte Berufung des Beklagten. Das Urteil des SG sei aufzuheben. § 31a Abs. 2 Satz 1 SGB II beschränke als Rechtsfolge einer Pflichtverletzung den Bedarf auf die Kosten für Unterkunft- und Heizung. Auf diesen Bedarf sei dann etwaiges Einkommen anzurechnen. Dies ergebe sich bereits aus dem anderenfalls erfolgenden faktischen Wegfall der Sanktionswirkung, weil der junge Leistungsberechtigte neben den Unterkunfts- und Heizkosten sein Einkommen zur vollen Verfügung habe. Die Rechtsfolgenbelehrung sei vor diesem Hintergrund eindeutig und vollständig, weil auf eine Beschränkung der Leistungen hingewiesen werde. Hierin liege gerade keine Aussage zum Auszahlungsbetrag. Dieser errechne sich vielmehr immer durch Abzug des Einkommens vom Bedarf, also auch von den beschränkten Leistungen. Den Anforderungen des Bundessozialgerichts an Rechtsfolgenbelehrungen sei dadurch genügt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Juli 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 24. Juli 2013 zurückzuweisen.

Der Kläger hält die Entscheidung des SG für rechtmäßig. Die Rechtsfolgenbelehrung des Beklagten entspreche nicht den Kriterien des Bundessozialgerichts. Vom Horizont eines durchschnittlichen Leistungsempfängers aus sei der objektive Erklärungswert der Belehrung dahin zu verstehen, dass die Leistungen für Unterkunft und Heizung in voller Höhe weitergewährt werden. Dieses Verständnis werde durch den Hinweis auf die Direktzahlung an den Vermieter verstärkt. Die erfolgte Kindergeldanrechnung sei daher für den Kläger und für jeden unbefangenen Dritten völlig überraschend gewesen.

In der mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2015 erklärten die Beteiligten übereinstimmend, dass auch der Bewilligungsbescheid vom 11. Oktober 2011 sowie die späteren Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und vom 8. Dezember 2011 streitgegenständlich sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte Berufung des Beklagten ist unbegründet.

1. Streitgegenstand des Rechtsstreits sind neben dem ausdrücklich vom Kläger angegriffenen Absenkungsbescheid vom 17. Oktober 2011 auch der Bewilligungsbescheid vom 10. November 2011 und die nachfolgenden Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und vom 8. Dezember 2011, weil der Absenkungsbescheid mit den parallel die geminderten Beträge berücksichtigenden Leistungsbescheiden eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheids zur Anspruchshöhe in dem von der Absenkung betroffenen Zeitraum darstellt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 68/09 R -; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31b Rn 8). Dies gilt auch, wenn die Absenkung für einen Zeitraum eintritt, der teilweise bereits Gegenstand eines vorherigen Bewilligungsbescheids ist und teilweise Gegenstand eines neuen erstmaligen Bewilligungsbescheids. In diesem Fall besteht die rechtliche Einheit zwischen dem Absenkungsbescheid, der (Teil)aufhebungsentscheidung gemäß § 48 SGB X bzgl. eines bereits vorher bewilligten Zeitraums und der (Neu)leistungsbewilligung unter Berücksichtigung des Minderungsbetrags. Gesonderte Widerspruchs- und Klageverfahren gegen den Leistungsbescheid vom 10. November 2011 und die nachfolgenden Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und vom 8. Dezember 2011 waren daher nicht erforderlich. Diese Rechtslage entspricht auch dem von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 26. Mai 2015 übereinstimmend erklärten Verständnis des Streitgegenstands.

2. Das SG hat zutreffend die für den streitigen Zeitraum November 2011 bis Januar 2012 geregelte Leistungsabsenkung als rechtswidrig aufgehoben. Die Rechtswidrigkeit der erfolgten Leistungsabsenkung ergibt sich aus der nicht den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R - und Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R) und des Senats (vgl. z. B. Beschluss vom 8. April 2008 - L 7 AS 583/07 ER) entsprechenden Rechtsfolgenbelehrung vor der streitigen Leistungsabsenkung nach § 31 SGB II.

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Leistungsabsenkung nach § 31 SGB II ist danach die Erteilung einer vorherigen Rechtsfolgenbelehrung, die den Hilfebedürftigen über die Konsequenzen eines etwaigen Fehlverhaltens unmissverständlich belehren muss. Aufgrund ihrer Warnfunktion muss sich die Belehrung konkret auf die jeweilige Obliegenheit beziehen, mit dieser in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen sowie konkret, verständlich, richtig und vollständig sein. Erforderlich ist insbesondere eine Umsetzung der in Betracht kommenden Verhaltensanweisungen und möglichen Maßnahmen auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls. Aufgrund der schwerwiegenden Wirkung der Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen sind insoweit strenge Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung zu stellen, weshalb maßgeblich für eine hinreichende Belehrung in erster Linie der objektive Erklärungswert der Belehrung ist (vgl.: Bundessozialgericht, aaO.). Insoweit ist im Rahmen § 31a Abs. 2 SGB II zudem der Erkenntnishorizont der betroffenen Kreise Jugendlicher zu beachten (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, § 31a Rn 27).

Die der Eingliederungsvereinbarung vom Januar 2011 und dem Bescheid vom 4. Juli 2011 angefügte wortgleiche Rechtsfolgenbelehrung genügt diesen Anforderungen nicht. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG im erstinstanzlichen Urteil. Aus der Rechtsfolgenbelehrung war nach dem maßgeblichen objektiven Erklärungswert gerade nicht ersichtlich, ob das Kindergeld von dem beschränkten Leistungsanspruch abzuziehen sein sollte und zu welchem verbleibenden Zahlungsbetrag die drohende Absenkung führen würde. Die Formulierung einer Beschränkung des zustehenden "Arbeitslosengeld II auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II)" kann im Gegenteil nach dem objektiven Erklärungswert auch dahin verstanden werden, dass zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit diese Kosten als Mindestanspruch in jedem Fall übernommen werden. Dies gilt insbesondere aufgrund des weiteren Hinweises auf erfolgende Direktzahlungen an den Vermieter, die nur bei einem entsprechend verbleibenden Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen Sinn machen und daher einen solchen voraussetzen. Hinzu kommt, dass der auch im Sanktionsfall gewollte Erhalt der Wohnung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit nach der Gesetzesbegründung gerade der maßgebliche Grund für den in § 31a Abs. 2 Satz 1 SGB II geregelten Beschränkungsumfang war (vgl. BT-Drucks 17/3404, Seite 112), weshalb das Verständnis eines in jedem Fall verbleibenden Mindestanspruchs, jedenfalls nicht völlig fernliegend ist. Entsprechend werden in der einschlägigen Kommentierung auch beide Auslegungsansätze vertreten (vgl. Sozialgericht München, Beschluss vom 7. Februar 2012 - S 45 AS 185/12 ER). Eine unmissverständliche und der verhaltenssteuernden Warnfunktion der Rechtsfolgenbelehrung entsprechende Klarstellung der Einkommensanrechnung auf den beschränkten Leistungsanspruch wäre dem Beklagten auch völlig unproblematisch möglich gewesen, z.B. durch den klarstellenden Zusatz einer erfolgenden Anrechnung von etwaig verfügbarem Einkommen auf den abgesenkten Leistungsbetrag. Diese einfache Klarstellung hätte der Warnfunktion und der Intention der verhaltenssteuernden Wirkung der Rechtsfolgenbelehrung entsprochen, weil hierdurch dem Kläger der unmissverständliche Unterschied bewusst geworden wäre zwischen der vom Beklagten beabsichtigten wirtschaftlichen Konstellation monatlich für den Kläger nur noch verfügbarer EUR 221,50 (Leistungsauszahlung EUR 37,50 zzgl. Kindergeld EUR 184,00) gegenüber der alternativen wirtschaftlichen Konstellation monatlich für den Kläger verfügbarer EUR 375,50 (Leistungsauszahlung EUR 191,50 zzgl. Kindergeld EUR 184,00).

Aufgrund der alleinigen Maßgeblichkeit des objektiven Erklärungswerts der Rechtsfolgenbelehrung kann dahinstehen, ob der Kläger aus anderen Erkenntnisquellen erkannt hat oder hätte erkennen können, welche genauen Rechtsfolgen die Pflichtverletzung auslöst. Dahinstehen kann daher auch, dass entgegen der Argumentation des Beklagten ein Verzicht auf die Einkommensanrechnung im Fall des Klägers auch nicht zu einem faktischen Wegfall der Sanktionswirkung geführt hätte, weil den Kläger auch in diesem Fall mit monatlich EUR 375,50 eine Leistungsabsenkung um EUR 218,00 bzw. 37% getroffen hätte gegenüber den ohne Minderung verfügbaren EUR 593,50 monatlich (Leistungsauszahlung EUR 409,50 zzgl. EUR 184,00).

Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund auch, ob und ggf. in welchem Verhalten des Klägers eine etwaige Pflichtverletzung gemäß § 31 SGB II lag.

3. Zur Klarstellung und zur Vermeidung eines gegenteiligen Rechtsscheins ist die aus der Aufhebung des einheitlichen Bescheids zur Anspruchshöhe resultierende Aufhebung der jeweils auf diesen Zeitraum bezogenen Einzelbescheide, einschließlich des Bewilligungsbescheids vom 10. November 2011 und der nachfolgenden Änderungsbescheide vom 26. November 2011 und vom 8. Dezember 2011, mit auszusprechen. Gleiches gilt für die aus der Rechtswidrigkeit der streitigen Leistungsabsenkung im streitigen Zeitraum sich für den Beklagten ergebenden Verpflichtung zur Nachzahlung der Minderungsbeträge von EUR 372,00 für die Monate November bis Dezember 2011 sowie von EUR 386,20 für Januar 2012. Beide Rechtsfolgen ergeben sich aufgrund des einheitlichen Bescheids zur Anspruchshöhe bereits aus der im erstinstanzlichen Urteil erfolgten Aufhebung des Absenkungsbescheids vom 17. Oktober 2011. Die entsprechende klarstellende Fassung des Tenors der erstinstanzlichen Entscheidung stellt insoweit keine Änderung oder Ergänzung dar, sondern lediglich eine Klarstellung des auch in der Zusammenschau mit den Urteilsgründen ersichtlichen erstinstanzlichen Entscheidungsumfangs.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.