Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2005, Az.: 1 ME 22/05

Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung eines Gebäudes zu Wohnzwecken; Anforderungen an eine rechtmäßige Nutzungsuntersagung; Notwendigkeit einer aktuellen Baugenehmigung bei Vornahme Nutzungsänderung; Voraussetzungen für die Annahme eines Bestandsschutzes; Beweislast für die Geltendmachung einer fortbestehenden Wohnnutzung; Offensichtlichkeit der Genehmigungsfähigkeit einer Wohnbebauung im Außenbereich; Folgen einer fehlenden Abwasserbeseitigung für die Genehmigungsfähigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.05.2005
Aktenzeichen
1 ME 22/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 36123
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0511.1ME22.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 18.01.2005 - AZ: 2 B 2021/04

Verfahrensgegenstand

Verbot der Überlassung eines Gebäudes zur Wohnnutzung an Dritte sowie Nutzungsuntersagung und Androhung eines Zwangsgeldes

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat -
am 11. Mai 2005
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 18. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.377,50 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine mit Sofortvollzug versehene Verfügung des Antragsgegners, mit der ihr untersagt wurde, das in ihrem Eigentum stehende Gebäude C. 3 a für Wohnzwecke zu nutzen oder durch Dritte nutzen zu lassen.

2

Die Antragstellerin erwarb 2004 das Eigentum an der sogenannten "C. anlage", einem ehemaligen Gutskomplex, der etwa aus dem 18. Jahrhundert stammt. Seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Komplex für Zwecke der Rüstungsindustrie genutzt. Von 1945 bis 1949 war er von Besatzungstruppen beschlagnahmt. Anschließend wurde er bis 1996 von der Bundeswehr genutzt. Das ehemalige Herrenhaus, das hier im Streit stehende Gebäude Nr. 3 a sowie ein weiteres im Jahr 1939 errichtetes Gebäude stehen jedes für sich wie auch als Ensemble unter Denkmalschutz. Das Gebäude Nr. 3 a wird in Unterlagen als Wohnhaus/Pumpenwärterhaus bezeichnet. Die Nutzung dieses Gebäudes in der Zeit zwischen 1939 bis 1980 ist ungeklärt. Seit 1980 bis Februar 2003 wurde es von einem Soldat der Bundeswehr bewohnt, der zuletzt, nach Aufgabe der militärischen Nutzung des Geländes, für die Eigentümerin, die D., eine Art Hausmeisterfunktion ausübte. Nachdem die Antragstellerin das Eigentum an der Anlage erworben hatte, zogen im August 2004 die Antragsteller des Parallelverfahrens 1 ME 54/05 (2 B 234/05) als Mieter in das Gebäude Nr. 3 a ein. Unmittelbar danach hatte der Antragsgegner die Antragstellerin erstmals darauf hingewiesen, dass eine Wohnnutzung unzulässig sei, weil eine Baugenehmigung nicht vorliege und die Erschließung des Grundstücks nicht sichergestellt sei; denn die Abwasserleitung, die bisher über das angrenzende Kasernengelände geführt hatte, war an den Grenzen des Grundstücks verschlossen worden. Das Abwasser sammele sich nun in dem auf dem Grundstück selbst vorhandenen Leitungssystem. Das führe zwangsläufig dazu, dass es, wenn das Fassungsvermögen des Kanals erschöpft sei, oberirdisch austreten werde.

3

Mit Verfügung vom 30. November 2004 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin schließlich die Nutzung des Gebäudes und ordnete die sofortige Vollziehung an. Dagegen hat sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz an das Verwaltungsgericht gewandt und zur Begründung insbesondere darauf hingewiesen, dass eine Baugenehmigung nicht erforderlich sei. Das Gebäude sei seit seiner Errichtung vor etwa 200 Jahren als Wohngebäude genutzt worden.

4

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit dem angegriffenen Beschluss, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, abgelehnt. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass der Widerspruch gegen die Verfügung bei summarischer Prüfung keine Aussichten auf Erfolg habe. Eine ununterbrochene Wohnnutzung des Gebäudes Nr. 3 a sei weder zweifelsfrei erkennbar noch von der Antragstellerin hinreichend dargetan. Ein Bestandsschutz, auf den sich die Antragstellerin berufen könnte, stehe deshalb der Nutzungsuntersagungsverfügung nicht entgegen.

5

Die hiergegen erhobene, zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

6

Der Senat nimmt gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Verfügung des Antragsgegners, mit der die Nutzung des Gebäudes Nr. 3 a zu Wohnzwecken untersagt worden ist, aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden sein wird. Nach der ständigen Rechtsprechung der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts rechtfertigt es bereits die formelle Illegalität einer Anlage, deren Nutzung zu untersagen. Eine Baugenehmigung zu Wohnzwecken ist für das Gebäude derzeit nicht vorhanden. Ein gleichwohl gegebener Bestandsschutz ist nicht erkennbar. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führt zu keiner anderen Beurteilung.

7

Ist für ein Bauwerk eine - wie hier - erforderliche aktuelle Baugenehmigung nicht vorhanden, ist dieses formell rechtswidrig. Die Beweislast für das Vorhandensein einer Baugenehmigung obliegt demjenigen, der sich auf ihre positiven Wirkungen beruft. Grundsätzlich liegt es im öffentlichen Interesse, die Nutzung formell illegaler Anlagen zu unterbinden. Allerdings gibt es Ausnahmefälle, in denen eine Durchsetzung dieses Grundsatzes nicht geboten ist, so etwa, wenn die materielle Legalität ohne weiteres außer Zweifel steht oder ein Bestandsschutz für eine seit unvordenklicher Zeit ausgeübte, bis jetzt gleich bleibende, materiell rechtmäßige Nutzung besteht. Die Beweislast für diesen Bestandsschutz liegt ebenfalls bei dem Eigentümer, der sich auf dessen positive Wirkung beruft (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/ Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 99 Rdn. 26). Der Bestandsschutz, der an die materielle Legalität eines Vorhabens anknüpft, sichert die Erhaltung des vorhandenen Bestands in seiner bisherigen Nutzung und geht deshalb bei einer Nutzungsaufgabe über längere Zeit unter. Zwar spricht manches im vorliegenden Fall dafür, dass das Gebäude Nr. 3 a in den Zeiten, in denen die Anlage - noch - als Gutsanlage genutzt wurde, als Wohnhaus diente. Seit Übernahme der gesamten Anlage durch die Rüstungsindustrie und später die Besatzungstruppen sowie nachfolgend die Bundeswehr ist die Nutzungsart dieses Gebäudes ungeklärt. Anhaltspunkte für eine ohne Unterbrechung fortgeführte "allgemeine" Wohnnutzung sind derzeit nicht überzeugender vorhanden als Anhaltspunkte für eine Nutzung, die ausschließlich oder überwiegend zunächst Industriezwecken und später militärischen Zwecken diente und daher nicht die allgemeine Wohnnutzung darstellt, um deren Fortführung die Antragstellerin hier streitet. Die Tatsache, auf die sich die Antragstellerin beruft, nämlich dass das Gebäude nicht verfallen ist, bedeutet nicht, dass es auch durchgehend ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt wurde. Daraus lässt sich allenfalls herleiten, dass es überhaupt genutzt wurde. Aussagen zur Art der Nutzung wie zum Beispiel als "Pumpenwärterhaus" müssen mangels konkreter weiterer Anhaltspunkte im Bereich der Spekulation bleiben. Aus den wenigen Unterlagen, die aus der Zeit von 1960 bis 1996 für die Nutzung der Gesamtanlage für Zwecke der Bundeswehr vorhanden sind ergibt sich lediglich, dass "Ledigenwohnheim" und "Herrenhaus" als Verwaltungsgebäude beziehungsweise für sonstige Zwecke der Bundeswehr genutzt wurden. Über die Nutzung des "Pumpenwärterhauses" lässt sich nichts Genaues ermitteln. Aus einer Bestandsbeschreibung der Gebäude aus dem Jahr 1959 ergibt sich, dass es Wohnzwecken diente, ebenso aus Bezeichnungen auf Fotos aus dem Jahr 1983 und Unterlagen zur Genehmigungserteilung für einen Wintergartenanbau aus dem Jahr 1992. Nicht geklärt ist jedoch bislang, ob es sich dabei um eine Nutzung im Rahmen der militärischen Nutzung handelte, welche keine "Wohnnutzung" darstellte, die die Antragstellerin führen möchte, und in welcher Weise sich diese an die Nutzung des Gebäudes in den Jahren zwischen 1939 und 1960 angeschlossen hat. Genehmigungen aus dieser Zeit sind bislang nicht ersichtlich. Jede Änderung einer Nutzung würde eine neue Genehmigungspflicht nach sich gezogen haben, so dass ungeklärt ist, ob für die Wohnnutzung in dem Gebäude Nr. 3 a von einem Bestandsschutz auszugehen ist. Eine ungeklärte Beweislage muss jedoch zu Lasten desjenigen gehen, der für das Vorliegen positiver Voraussetzungen beweispflichtig ist. Die nach Aufgabe der militärischen Nutzung (1996) bis zum Jahr 2003 vorgenommene Wohnnutzung im Rahmen einer Hausmeistertätigkeit für die damalige Eigentümerin kann weder zu einem neuen noch zu einem Wiederaufleben eines für frühere Wohnnutzung einmal vorhanden gewesenen Bestandsschutzes führen. Eine Baugenehmigung liegt auch insoweit nicht vor. Die materielle Legalität einer Wohnnutzung wäre im Übrigen an § 35 BauGB zu messen, da sich das gesamte Vorhaben im Außenbereich befindet.

8

Bei formeller Illegalität und fehlendem Bestandsschutz wäre eine Nutzungsuntersagung nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Genehmigungsfähigkeit offensichtlich wäre. Das anzunehmen scheitert hier schon im Hinblick auf eine an § 35 BauGB zu orientierende Prüfung der planungsrechtlichen Voraussetzungen. Daneben hat der Antragsgegner im Wesentlichen abgestellt auf die fehlende Abwasserbeseitigung. Diese war bereits seit 1996 mit Aufgabe der militärischen Nutzung vom Bundesvermögensamt problematisiert worden und in einem Behördengespräch im Juni 1996 erörtert worden. Eine Weiternutzung der über das angrenzende, als Kaserne genutzte Gelände führenden Abwasserleitungen wurde seinerzeit bereits abgelehnt. Die zuständige Gemeinde ihrerseits sah sich außer Stande, die entsprechenden Anschlüsse an die gemeindliche Abwasserversorgung herzustellen. Ohne eine rechtliche Sicherung der Abwasserbeseitigung verneint der Antragsgegner zu Recht die Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes. Rechtlich gesichert ist die Abwasserbeseitigung jedoch erst dann, wenn das Baugrundstück an die öffentliche Sammelkanalisation angeschlossen ist oder das Abwasser in Kleinkläranlagen behandelt wird (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 42 Rdn. 42 ff.). Zwar hat die Antragstellerin bereits einen Antrag auf Genehmigung einer Kleinkläranlage gestellt, dieser ist jedoch bislang nicht beschieden. Anträge zur Genehmigung von Nebenanlagen sind im Zusammenhang mit dem Antrag zur Genehmigung der Hauptnutzung zu entscheiden, so dass erst im Zusammenhang mit der Entscheidung über den mittlerweile auch eingereichten Bauantrag zur Genehmigung der Wohnnutzung im Gebäude Nr. 3 a zu entscheiden ist. Da von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit im Hinblick auf die vielfältigen baurechtlichen Fragen, die geprüft werden müssen, nicht ausgegangen werden kann, kann von einer rechtlichen Absicherung der Abwasserbeseitigung derzeit nicht ausgegangen werden. Da jeder Bauherr die Erteilung der Baugenehmigung abwarten muss, ist die Nutzungsuntersagung bei der ungeklärten Rechtslage hinsichtlich der formellen und materiellen Legalität der Anlage gerechtfertigt. Dem Eigentümer ist es zumutbar, entweder den Nachweis des vollständigen Bestandsschutzes zu führen oder die Erteilung einer Baugenehmigung abzuwarten, zumal bei unzumutbarer Verzögerung der Entscheidung dem Bauherrn insoweit Rechtsschutzmöglichkeiten offen stehen.

9

Da die Abwasserbeseitigung nicht nur rechtlich ungeklärt ist, sondern auch tatsächlich derzeit nicht durchführbar ist - das Abwasser sammelt sich derzeit in den Kanalisationsschächten bis zur Grundstücksgrenze -, kam für die Behörde ein weiteres Zuwarten hinsichtlich der tatsächlichen Einstellung der Nutzung nicht in Betracht.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, [...]

11

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.377,50 EUR festgesetzt.

[D]ie Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Streitwertannahme des Verwaltungsgerichts für das erstinstanzliche Verfahren.

Claus
Berner-Peschau
Muhsmann