Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.05.2005, Az.: 7 ME 35/05

Anschein; Beweiskraft; Ersatzzustellung; Niederlegung; Rechtsschein; Wohnung; Zustelladressat; Zustellanschrift; Zustellungsadressat; Zustellungsanschrift; Zustellungsurkunde; Zweifel

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.05.2005
Aktenzeichen
7 ME 35/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 51027
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 01.02.2005 - AZ: 5 B 79/04

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

2

Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gewerbeuntersagungsbescheid des Antragsgegners vom 7. August 2001 dem Antragsteller wirksam zugestellt worden, der erst im Jahre 2004 eingelegte Widerspruch verfristet, die Untersagung mithin bestandskräftig geworden ist und die nach Erlass des den Widerspruch als unzulässig zurückweisenden und den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ablehnenden Widerspruchsbescheides der damaligen Bezirksregierung Lüneburg vom 14. September 2004 erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.

3

Der Untersagungsbescheid ist nach § 1 Abs. 1, § 2 Nds. VwZG, § 3 VwZG und § 182 ZPO in der im Jahr 2001 geltenden Fassung im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung zugestellt worden. Über die Zustellung ist eine Zustellungsurkunde aufgenommen worden (§ 3 Abs. 3 VwZG, § 195 Abs. 2 Satz 1 ZPO a.F.), die den in § 195 Abs. 2 Satz 1 ZPO in Bezug genommenen Vorschriften des § 191 ZPO a.F. entspricht. Die Urkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 418 Abs. 1, § 195 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F.).

4

Der Antragsteller sieht die Beweiskraft der Urkunde allerdings dadurch beeinträchtigt, dass das ursprünglich in dem Kasten 1.7 der Urkunde (Ersatzzustellung ausgeschlossen) angebrachte Kreuz durchgestrichen ist. Inwiefern Durchstreichungen die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung (§ 419 ZPO, § 98 VwGO). Bereits das Verwaltungsgericht hat hierzu angemerkt, es gebe keinen Hinweis darauf, dass diese Streichung erst nach der Zustellung erfolgt sei. Der Antragsgegner habe versichert, dass sie schon vor Abgabe an die Post vorgenommen worden sei; Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung seien nicht ersichtlich. Der Senat teilt diese Beurteilung. Es ist schon im Ansatz nicht nachvollziehbar, warum hier eine Ersatzzustellung hätte ausgeschlossen und ein solcher Vermerk nachträglich gestrichen werden sollen. Selbst wenn jedoch ein solcher einschränkender Vermerk bei Abgabe an die Post angebracht gewesen wäre, änderte dies nichts daran, dass zwar ein Zustellungsvermerk nicht beachtet, die Zustellung aber gleichwohl entsprechend den gesetzlichen Vorschriften wirksam durchgeführt worden wäre.

5

Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde wäre auch nicht in Zweifel gezogen, wenn der Antragsteller - wie er angibt - zurzeit der Zustellung nicht mehr unter der bezeichneten Anschrift wohnhaft gewesen sein sollte. Die Ersatzzustellung mittels Niederlegung hat allerdings grundsätzlich zur Voraussetzung, dass der Empfänger der zuzustellenden Sendung die Wohnung, in der der Zustellungsversuch unternommen wurde, tatsächlich innehat. Anknüpfungspunkt für eine Ersatzzustellung ist die tatsächliche Benutzung einer Wohnung. Ob der Zustellungsadressat an dem Ort ordnungsbehördlich gemeldet ist oder nicht, ist für den Wohnungsbegriff unerheblich. Ein wesentliches Indiz für die tatsächlichen Verhältnisse kann indes sein, wenn sich eine Person für eine bestimmte Wohnung zwar ordnungsgemäß an-, aber nicht (rechtzeitig) abmeldet (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.1991 - IX ZB 5/91 -, NJW 1992, 1239). Ob der Antragsteller zurzeit der Zustellung noch eine Wohnung unter der angegebenen Anschrift innehatte, ist nicht zweifelsfrei, kann aber dahingestellt bleiben. Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post ist auch dann wirksam, wenn zwar nicht zweifelsfrei feststeht, ob der Zustellungsadressat unter der Zustellungsanschrift tatsächlich wohnt, er aber in zurechenbarer Weise den Anschein gesetzt hat, dass dies (noch) der Fall ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.11.1991 - 9 W 72/91 -, NJW-RR 1992, 700; Sächs. OVG, Beschl. v. 5.7.2001 - 3 BS 284/00 -, NVwZ-RR 2002, 550) und damit zugleich verhindert hat, dass dem Absender die tatsächliche Anschrift bekannt wird und dort Zustellungen bewirkt werden können. Für einen solchen, dem Antragsteller zurechenbaren Anschein lassen sich eine Reihe von Umständen anführen. Zum einen war der Antragsteller seit dem 16. April 1998 in B., C., mit alleiniger Wohnung gemeldet. Eine Abmeldung ist erst zum 23. Oktober 2001 erfolgt. Diese Wohnungsanschrift war identisch mit dem Sitz der Firma D. GmbH, deren Geschäftsführer der Antragsteller bis Sommer 2001 war. Wenn der Antragsteller behauptet, schon im Spätsommer/Herbst 2000 zusammen mit seiner Ehefrau umgezogen zu sein, so ist nicht verständlich, warum sich seine Frau zum 30. September 2000 an dem neuen Wohnsitz E., der Antragsteller jedoch erst mehr als ein Jahr später angemeldet hat. Zum anderen hat die Ehefrau des Antragstellers noch am 18. Mai 2001 unter der Adresse in B. ein Päckchen des Veterinäramtes/Lebensmittelüberwachung des Antragsgegners, welches an „D. GmbH, F.“ gerichtet war, entgegengenommen, obwohl die Wohnung schon im Spätsommer/Herbst 2000 aufgegeben und das Haus endgültig bis etwa Dezember 2000 geräumt worden sein soll. Die Rücksendung mit den angeforderten Proben ging am 30. Mai 2001 wieder bei dem Antragsgegner ein und trug ebenfalls die bezeichnete Anschrift der genannten Firma als Absender. Zudem ist in der am 14. August 2001 veröffentlichten handelsregisterlichen Veränderungsanzeige, dass der Antragsteller als Geschäftsführer der Firma D. GmbH, G., abberufen worden sei, sein Wohnsitz ebenfalls noch mit „G.“ angegeben worden.

6

Mit der vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des jetzigen Geschäftsführers der Firma D. GmbH H. vom 11. April 2005 wird ferner vorgetragen, dass die Firma auch nach dem Auszug und der endgültigen Räumung des Hauses den Briefkasten genutzt und das Mietobjekt im Frühjahr 2001 - nach Erinnerung des jetzigen Geschäftsführers im April - an die Eigentümer übergeben habe. Folgt man dieser Darstellung, so war das Haus im August 2001 unbewohnt, der Briefkasten jedoch weiter mit „D. GmbH“ beschriftet. Eine neue Beschriftung - so der Geschäftsführer I. - hätten die Eigentümer erst später vorgenommen. Damit wird zugleich deutlich, dass noch im August 2001 durch die Beschriftung des Briefkastens der Eindruck erweckt worden ist, die Firma D. GmbH habe nach wie vor ihren Sitz an dieser Stelle und es könnten dort Zustellungen vorgenommen werden. Wenn es zutrifft, dass der Briefkasten nur mit dem Namen der Firma beschriftet war, so bedeutet dies unter den hier gegebenen Umständen nicht, dass sich der erzeugte Rechtsschein nur auf den Sitz des Unternehmens erstreckte. Nach dem Vorbringen des Antragstellers und der eidesstattlichen Versicherung seiner Ehefrau vom 24. Januar 2005 war an dem Briefkasten der Name des Antragstellers zu keiner Zeit angebracht. Das ist aber unschädlich, weil der Sitz der Gesellschaft und die Wohnung des Antragstellers als damaligen Geschäftsführers über mehrere Jahre identisch waren, dieser Umstand nicht verborgen geblieben sein kann, insbesondere auch die an den Antragsteller gerichtete Post offenbar jahrelang problemlos in diesen Briefkasten eingeworfen und unter dieser Adresse zugestellt worden ist. Den durch diese Umstände gesetzten Rechtsschein hätte der Antragsteller nach Räumung des Hauses durch eindeutiges Verhalten, etwa einen entsprechenden Hinweis an dem Briefkasten, beseitigen müssen.

7

Nach allem bestehen durchgreifende Zweifel an der formgerechten und wirksamen Zustellung des Gewerbeuntersagungsbescheides nicht. Selbst wenn man dies aber anders sähe, so würde das Schriftstück jedenfalls in dem Zeitpunkt als zugestellt gelten, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat (§ 9 Abs. 1 VwZG). Hier sprechen gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass der Antragsteller tatsächlich in den Besitz des Bescheides gelangt ist. Im Falle der Zustellung durch Niederlegung durch einen Postbediensteten wird die zuzustellende Sendung bei der Post aufbewahrt, um dem Empfänger die Abholung zu ermöglichen. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist von drei Monaten wird das Schriftstück an den Absender zurückgesandt. Eine derartige Rücksendung ist hier nicht nachweisbar, sie befindet sich nicht in den Verwaltungsvorgängen. Die Annahme, dass das Schriftstück bei der Post verloren gegangen oder zwar an den Antragsgegner zurückgesandt, aber nicht zur Akte genommen worden ist, ist fernliegend und durch nichts belegt. Unter diesen Umständen deutet alles darauf hin, dass die Sendung während der Aufbewahrungsfrist von dem Zustellungsadressaten, der sich auszuweisen hat, abgeholt worden ist.