Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.05.2005, Az.: 7 LA 302/04

Aufklärungspflicht; Immissionsprognose; Lärm; Ortsentlastungsstraße; Planergänzung; planerische Gestaltungsfreiheit; Planfeststellung; Schutzauflage; Trassenwahl

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.05.2005
Aktenzeichen
7 LA 302/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50675
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.11.2004 - AZ: 1 A 92/03

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO liegen nicht vor.

2

Mit dem im Tenor bezeichneten Urteil hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass der Beklagte den Plan für den Bau einer Ortsentlastungsstraße in der Gemeinde Spelle, Weiterbau von der „Schapener Straße“ (K 316) bis zur „Beestener Straße“ (K 324) ohne Abwägungsmangel zu Lasten des Klägers festgestellt habe. Insbesondere habe der Beklagte die Belastung des Klägers durch Lärm in dem an die planfestgestellte Straße angrenzenden Wohngebiet nicht verkannt. Die für allgemeine Wohngebiete zugrunde zu legenden Immissionsgrenzwerte von 59/49 dB(A) tags/nachts würden auf dem Grundstück des Klägers nicht überschritten. Ungeachtet dessen hatte sich der Ausbauträger aufgrund der exponierten Lage des Wohngrundstücks im Bereich der Einmündung des „Nordringes“ in die geplante Ortsentlastungsstraße zu freiwilligen Lärmminderungsmaßnahmen bereit erklärt. Dazu soll die im westlichen Bereich des „Nordringes“ vorhandene Verwallung erhöht und verlängert sowie auf der Ostseite des „Nordringes“ ebenfalls ein Lärmschutzwall errichtet werden. Die unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen vorgenommene Neuberechnung der Beurteilungspegel hat für das Wohnhaus des Klägers Pegelminderungen für den Erdgeschossbereich von 1,0 bis 2,2 dB(A) ergeben, während im Dachgeschossbereich erwartungsgemäß keine Pegelminderung eintritt.

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1. Der Kläger macht demgegenüber ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend, weil die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Immissionsprognose den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht werde. Er wendet sich in diesem Zusammenhang insbesondere gegen die Einschätzung der Verkehrsmengenentwicklung wegen veränderter Strukturdaten, den Prognosezeitraum, die Vergleichbarkeit der an verschiedenen Messpunkten erhobenen Prognosedaten und die Prognose der Bevölkerungsentwicklung. Er wiederholt und vertieft damit Gesichtspunkte, die schon Gegenstand seines Klagevortrags waren und mit denen sich das Verwaltungsgericht unter Auswertung der auch planfestgestellten schalltechnischen Untersuchung und der vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erläuterungen auseinandergesetzt hat. Auf die Einzelheiten des Zulassungsvorbringens kommt es insoweit nicht an, denn die vorgebrachten Rügen sind nicht geeignet, dem allein gestellten Anfechtungsantrag zum Erfolg zu verhelfen. Selbst wenn es sich so verhielte, dass wegen einer stärkeren Verkehrsbelastung als angenommen auch die Lärmwerte auf dem Grundstück des Klägers um 3 bis 4 dB(A) höher lägen und damit die Immissionsgrenzwerte überschritten würden, läge darin kein Abwägungsmangel, der zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen würde.

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Als Drittbetroffener, dessen Eigentum durch die Planung nicht (vorwirkend) in Anspruch genommen wird, kann der Kläger eine gerechte Abwägung seiner Belange mit den für das Vorhaben streitenden Belangen verlangen und beanspruchen, dass die Schutznormen des Fachplanungsrechts, insbesondere die Vorschriften über die Anordnung von Schutzauflagen bei unzumutbaren Beeinträchtigungen (§ 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG, §§ 41 ff. BImSchG i.V.m. der Verkehrslärmschutzverordnung, § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG, § 38 Abs. 2, Abs. 5 Nr. 4 NStrG), ihm gegenüber richtig angewandt werden. Hat danach der Planfeststellungsbeschluss eine gebotene Schutzauflage nicht angeordnet, so entspricht der objektiven Rechtswidrigkeit des Beschlusses regelmäßig nicht ein subjektiver Anspruch des Betroffenen auf Planaufhebung, sondern allein ein Anspruch auf Planergänzung. Anders verhält es sich nur dann, wenn das Fehlen der notwendigen Schutzauflage für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht ist, dass dadurch nicht nur der einzelne Betroffene benachteiligt, sondern die Ausgewogenheit der Gesamtplanung oder eines abtrennbaren Teils in Frage gestellt wird oder die Schutzauflage nicht nachgeholt werden kann, ohne dass dadurch die Gesamtkonzeption der Planung in einem wesentlichen Punkt berührt und in dem Interessengeflecht der Planung nunmehr andere Belange nachteilig betroffen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.4.1996 - 11 A 86.95 -, BVerwGE 101, 73; Urt. v. 5.3.1997 - 11 A 25.95 -, NVwZ 1998, 513, 515; Urt. v. 26.2.1999 - 4 A 47.96 -, NVwZ 2000, 560, 563). Für das Vorliegen dieser nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Voraussetzungen ist indessen weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr spricht hier alles dafür, dass eine - unterstellte - Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses durch Anordnung von Schutzauflagen behoben werden könnte.

5

Verhält es sich - wovon der Beklagte ausgeht - hingegen so, dass der Kläger nach fehlerfreier Prognose unzumutbare Lärmbelästigungen nicht zu erwarten hat, treten aber dennoch nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, so kann der Betroffene nach Maßgabe des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Sollte sich also später erweisen, dass der Verkehrslärm größer ist, als aufgrund der gutachterlichen Feststellungen vorhersehbar, so ist durch diese Vorschrift gewährleistet, dass nachteilige unzumutbare Auswirkungen, die zu einer Überschreitung der in der Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte führen, durch nachträgliche Schutzmaßnahmen beseitigt werden.

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Die Erfolgsaussichten der Klage stellen sich auch nicht im Hinblick auf die vom Kläger gerügte Trassenwahl günstiger dar. Bei der Auswahl unter verschiedenen in Frage kommenden Trassenvarianten sind die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit erst dann überschritten, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere, darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen. Die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit sind hingegen nicht bereits überschritten, wenn für die eine wie für die andere Trassenalternative - je nach Betrachtungsweise und unterschiedlicher Gewichtung der verschiedenen Abwägungskriterien - einleuchtende Gründe angeführt werden können. Die Planungsbehörde ist auch nicht gehalten, alle in Frage kommenden Alternativen gleichermaßen detailliert und umfassend zu untersuchen. Sie darf vielmehr eine Alternative, die ihr aufgrund einer Grobanalyse als weniger geeignet erscheint, schon in einem frühen Verfahrensstadium ausscheiden (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 25.1.1996 - 4 C 5.95 -, BVerwGE 100, 238, 249 f.; Beschl. v. 14.5.1996 - 7 NB 3.95 -, BVerwGE 101, 166, 174; Urt. v. 8.7.1998 - 11 A 53.97 -, BVerwGE 107, 142, 149; Urt. v. 20.5.1999 - 4 A 12.98 -, NVwZ 2000, 555, 556). Hier hat sich der Beklagte mit der vom Kläger bevorzugten nördlichen Variante im Planfeststellungsbeschluss auseinandergesetzt und ausgeführt: Trassenvarianten weiter in nördlicher Richtung kämen nicht in Betracht, da sie wegen der Zerschneidung direkter hofnaher Flächen und eines sehr umwegigen Anschlusses der geplanten Umgehungsstraße an die „Varenroder Straße“ (K 308) weder aus städtebaulichen Gründen noch aus Gründen der Attraktivität für den Verkehrsteilnehmer akzeptabel wären (PFB S. 4). Im Planfeststellungsbeschluss wird ferner darauf hingewiesen, dass gegenüber den ursprünglichen Plänen die Trasse um ca. 12 m nach Norden verschoben worden ist und damit eine Verringerung der Lärmbelastung für die Anwohner erreicht wird. Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn die Planungsbehörde eine (weitere) Verschiebung der Trasse im Hinblick auf die dann eintretenden Folgen für andere Betroffene oder deshalb ablehnt, weil das Gesamtkonzept der Planung beeinträchtigt würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1998 - 11 A 53.97 -, BVerwGE 107, 142, 149). Das Vorbringen des Klägers in seinem Zulassungsantrag ist demgegenüber nicht geeignet, die eindeutige Vorzugswürdigkeit einer nördlicher gelegenen Trasse unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange aufzuzeigen. Dafür fehlt es auch sonst an Anhaltspunkten.

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2. Der Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Der Kläger rügt insoweit eine Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das Verwaltungsgericht seinen Einwendungen zur Prognose des künftig auf den Straßen fließenden Verkehrs nicht nachgegangen sei. Die damit erhobene Verfahrensrüge der unterlassenen Sachaufklärung ist unbegründet. Die Frage, ob das Verfahren der Vorinstanz an einem Mangel leidet, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu beurteilen, den die Vorinstanz eingenommen hat. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt regelmäßig nicht vor, wenn das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Planunterlagen oder einer Beweisaufnahme für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten Beweiserhebungen nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt haben. Daran gemessen hat das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht nicht verletzt. Es hat seiner Entscheidung die sich aus dem Verkehrsentwicklungsplan der Gemeinde Spelle aus dem Jahr 1992 ergebende Verkehrsprognose zugrunde gelegt, die durch Verkehrszählungen in den Jahren 1995, 2000 und 2003 überprüft und nach Aussagen des Sachverständigen bestätigt worden ist und etwa bis zum Jahr 2015 Bestand haben wird. Mit seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ist der Sachverständige auf die Bedenken des Klägers eingegangen. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, „zum Beweis der Behauptung, dass der Planfeststellungsbeschluss auf einem falschen Prognosezeitraum und einem falschen Netzfall beruht, Beweis durch Sachverständigengutachten einzuholen“, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Frage, ob es sich um einen falschen Prognosezeitraum handele, sei eine Rechtsfrage, die der Entscheidung der Kammer obliege. Ob ein falscher Netzfall angenommen worden sei, sei ebenso wenig eine Tatsachenbehauptung, so dass auch insoweit der angebotene Beweis nicht zu erheben gewesen sei. Weitere Beweisanträge sind ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht gestellt worden. Wenn das Verwaltungsgericht angesichts der ihm vorliegenden Planunterlagen und Sachverständigenäußerungen den entscheidungserheblichen Sachverhalt für geklärt gehalten hat, so ist das nicht zu beanstanden. Weitere Ermittlungen und die Erhebung von Beweisen mussten sich dem Verwaltungsgericht jedenfalls nicht aufdrängen.