Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.05.2005, Az.: 1 LB 48/05

Forderung von Gebühren durch eine Behörde bei Schaffung eines Gebührentatbestands in der Gebührenordnung; Wirkung einer positiven Aussetzungsentscheidung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.05.2005
Aktenzeichen
1 LB 48/05
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2005, 34126
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0531.1LB48.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 09.12.2003 - AZ: 4 A 681/03

Fundstellen

  • FStNds 2005, 565-569
  • NVwZ-RR 2005, 683 (amtl. Leitsatz)
  • NordÖR 2005, 313-314 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Verwaltungsgebührenrecht

Redaktioneller Leitsatz

Das niedersächsische Verwaltungskostengesetz enthält keinen Gebührentatbestand, der die Behandlung von Aussetzungsanträgen nach § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 6 VwGO hinreichend bestimmt erfasst. Aussetzungsentscheidungen in dem genannten Sinn können auch nicht durch erweiternder Auslegung als "Rechtsmittel" im Sinne dieser Gebührentatbestände angesehen werden.

Tenor:

Soweit die Klägerin zu 2) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 9. Dezember 2003 zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Auf die Berufung des Klägers zu 1) wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 9. Dezember 2003 teilweise geändert und der Bescheid der Beklagten vom 26. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 4. Februar 2003 aufgehoben.

Die Klägerin zu 2) und die Beklagte tragen die Gerichtskosten in beiden Rechtszügen je zur Hälfte. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers, die Klägerin zu 2) die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beklagten. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger zu 1 wendet sich dagegen, für die Bescheidung eines nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt Beschl. v. 8.7.2004 - 1 ME 167/04 -, BauR 2004, 1597 [OVG Niedersachsen 08.07.2004 - 1 ME 167/04] = NVwZ-RR 2005, 69 = NdsVBl. 2004, 339) gem. § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 6 VwGO erforderlichen Aussetzungsantrages in Gebührenpflicht genommen zu werden, weil hierfür der erforderliche Gebührentatbestand fehle.

2

Die Kläger zu 1 und 2 wandten sich als Eigentümer ihres im Aktivrubrum genannten Wohngrundstücks gegen die Genehmigung eines Anbaus auf dem südlichen Nachbargrundstück. Ihren Antrag, die Vollziehung des für den Anbau erteilten Bauscheins vom 11. September 2002 auszusetzen, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 26. September 2002 ab. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage setzte sie wegen dieser Amtshandlung gegen den Kläger zu 1 Gebühren in Höhe von 161,-- EUR fest.

3

Die hiergegen von beiden Klägern eingelegten Widersprüche wies die Bezirksregierung Hannover durch Widerspruchsbescheide vom 4. und 12. Februar 2003 als unbegründet zurück.

4

Die mit dem Antrag,

den Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 26. September 2002 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide der Bezirksregierung Hannover vom 4. und 12. Februar 2003 aufzuheben,

5

geführte Klage hat das Verwaltungsgericht mit der hier angegriffenen, nach entsprechendem Verzicht ohne mündliche Verhandlung getroffenen Entscheidung abgewiesen. Zur Begründung hat es darin insbesondere ausgeführt: Der Klägerin zu 2 stehe kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Der Bescheid vom 26. September 2002 sei nur an ihren Ehemann gerichtet gewesen. Beschwert sein könne sie allenfalls durch den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 12. Februar 2003. Diese habe sie indes nicht verklagt. Die Klage des Klägers zu 1 sei unbegründet. Dieser sei zu Recht in Kostenpflicht genommen worden. Auf § 1 Abs. 1 AllGO i.V.m. Nr. 36 ihrer Anlage lasse sich die Gebührenforderung trotz des weiten Wortlauts dieser Tarifstelle zwar nicht stützen. Denn bei systematischer Auslegung betreffe diese Vorschrift nur Amtshandlungen, die Genehmigungen, Erlaubnissen oder Ausnahmebewilligungen vergleichbar und im zweipoligen Verhältnis Bürger - Behörde ergangen seien. Gleich beide Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Die Gebührenforderung lasse sich aber auf § 3 Abs. 1 NVwKostG iVm. der Tarifstelle Nr. 110.6.1.3 der AllGO stützen. Danach würden Gebühren zwischen 30 und 3.000,-- EUR unter anderem für die Entscheidung über einen erfolglosen Rechtsbehelf geschuldet, wenn dieser von einem Dritten eingelegt worden sei. Der Aussetzungsantrag gem. §§ 80a Abs. 3 Satz 2 iVm. 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO sei einem solchen Rechtsbehelf vergleichbar. Der durch ihn verursachte Verwaltungsaufwand werde mit der Widerspruchsgebühr nicht abgegolten. Den Gebührenrahmen habe die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise ausgefüllt. Drei Bearbeitungsstunden seien nicht übersetzt. Der Höhe nach bewege sich die Gebühr am untersten Rande des rechtlich Zulässigen. Dass die Gebühr für die Erteilung des seinerzeit angegriffenen Bauscheins nur 110,-- EUR betragen habe, sei ohne Aussagewert; das betreffe einen anderen Sachverhalt.

6

Zur Begründung der mit Senatsbeschluss vom 1. März 2005 - 1 LA 34/04 - zugelassenen Berufung macht der Kläger zu 1 geltend:

7

Die geltend gemachte Kostenforderung scheitere in jedem Fall daran, dass die Baugebührenordnung, welche für den hier interessierenden Rechtsbereich als lex specialis anzusehen sei und eine Anwendung der Allgemeinen Gebührenordnung ausschließe, keinen Gebührentatbestand zur Abgeltung der hier interessierenden Tätigkeit der Bauaufsichtsbehörde enthalte. Selbst wenn ein Rückgriff auf die Allgemeine Gebührenordnung zulässig sei, stünden einer ihm nachteiligen Anwendung ihrer Tarifstelle 110.6.1.3 systematische Gründe entgegen. Die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts überdehne deren Anwendungsbereich in einer mit den Grundsätzen des § 3 Abs. 1 und 4 NVwKostG nicht mehr zu vereinbarenden Weise. Auf die Tarifstelle 36 könne die Gebührenforderung gleichfalls nicht gestützt werden. Eine Kostenpflicht sei danach nur begründet, wenn die beantragte Handlung kostenpflichtig sei; das ergebe sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 NVwKostG. Das sei hier indes im Verhältnis zum Nachbarn des Baugrundstücks gerade nicht der Fall. Zudem stehe hier keine Regelung in Rede, welche dem Nachbarn im Verhältnis zur Allgemeinheit einen besonderen, durch Gebührenerhebung zu berücksichtigenden Vorteil verschaffe. Der letzte Halbsatz der Tarifstelle 36 zeige, dass die veranlasste Behördentätigkeit einer Genehmigung, Erlaubnis oder Ausnahmebewilligung zu vergleichen gewesen sein müsse. Das sei im Hinblick auf die Aussetzungsentscheidung gem. § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht der Fall.

8

Die Klägerin zu 2, welche sich der zugelassenen Berufung ihres Ehemannes zunächst angeschlossen hatte, hat diese Berufung zurückgenommen.

9

Der Kläger zu 1 beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover 4. Kammer - vom 9. Dezember 2003 zu ändern, soweit die Klage des Klägers zu 1 abgewiesen worden ist, und den Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 26. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Hannover vom 4. Februar 2003 aufzuheben.

10

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie erwidert:

12

Die angegriffene Entscheidung sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Baugebührenordnung stelle kein Rechtsregime auf, welches exklusiv alle Gebührenfragen beantworte, welche sich im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Bauaufsichtsbehörden stellten. Das zeige schon der Umstand, dass ihre Präambel nunmehr auch auf § 66 Abs. 3 NBauO verweise und dadurch Dritten, welche auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechts tätig seien, die Möglichkeit zur Gebührenerhebung eröffne. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts enthalte schon die Tarifstelle 36 der AllGO einen hinreichend bestimmten, auch diese Fallgestaltung erfassenden Gebührentatbestand. Die Widerspruchsgebühr erfasse die hier abzurechnende Tätigkeit nicht. Aussetzungs- und Widerspruchsentscheidung seien nicht miteinander zu vergleichen. Neben der Rechtmäßigkeit ihres Tuns habe die Bauaufsichtsbehörde bei der Aussetzungsentscheidung auch noch zu prüfen, ob Härtegründe bestünden. Rechtsdogmatisch seien beide Entscheidungen daher nicht identisch. Der Nachbar sei auch keineswegs verpflichtet, neben dem Bauschein dessen sofortige Vollziehbarkeit anzugreifen. Das ergebe sich schon aus der Folgenbeseitigungslast, welche die Behörde bei einem Erfolg seines Rechtsbehelfs treffe.

13

Wegen der Einzelheiten von Vortrag und Sachverhalt wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, welche in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

14

Das Verfahren ist entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klägerin zu 2 ihre Berufung zurückgenommen hat. Da sie dies sinngemäß schon durch Schriftsatz vom 30. März 2005 getan hatte, bedurfte es hierzu der Zustimmung der Beklagten nicht.

15

Die zulässige Berufung des Klägers zu 1 hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dessen Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 26. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Hannover vom 4. Februar 2003 ist rechtswidrig.

16

Aus § 3 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 NVwKostG folgt, dass die Behörde Gebühren nur fordern darf, wenn und soweit dafür in einer Gebührenordnung ein Gebührentatbestand geschaffen worden ist. Das niedersächsische Verwaltungskostengesetz enthält damit keine Generalklausel, auf deren Grundlage Gebühren erhoben werden dürfen (vgl. Loeser, NVwKostG, Komm., Stand Januar 1999, Einleitung Anm. 2 und § 3 Anm. 4, S. 3). Vielmehr lässt sich das niedersächsische Verwaltungskostenrecht von dem SpezialitätsgrundSatz 1eiten und eine Gebührenerhebung nur zu, soweit dem "abzurechnenden" Verwaltungshandeln ein Gebührentatbestand hinreichend bestimmt zugeordnet ist. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Beklagten enthält keine der in Betracht kommenden Gebührenordnungen einen Gebührentatbestand, der die Behandlung von Aussetzungsanträgen nach § 80a Abs. 3 Satz 2 iVm. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO hinreichend bestimmt erfasste.

17

Dass die Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen der Bauaufsicht (Baugebührenordnung vom 13.1.1998, GVBl. S. 3 - BauGO) bzw. ihre Anlage 1 keinen Gebührentatbestand enthält, der die hier in Rede stehende Bescheidung des Aussetzungsantrages hinreichend bestimmt erfasst, steht zwischen den Beteiligten zu Recht außer Streit.

18

Der Senat geht auch im Berufungsverfahren nicht der Frage nach, ob die Existenz der Baugebührenordnung einen Rückgriff auf die Allgemeine Gebührenordnung vom 5. Juni 1997 (GVBl. S. 171, hier anzuwenden in der Fassung der Änderungsverordnung vom 25.6.2002, GVBl. S. 201) schon deshalb verbietet, weil die Baugebührenordnung eine abschließende, weil spezielle Regelung zu allen Tätigkeiten enthält, welche die Bauaufsichtsbehörden entfalten. Denn auch die Allgemeine Gebührenordnung enthält keine Tarifstelle, welche die Beklagte zur Erhebung von Gebühren für die nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2 iVm. 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO zu treffende Aussetzungsentscheidung ermächtigte.

19

Nach neuerlicher Prüfung hält der Senat an seiner im Zulassungsbeschluss vom 1. März 2005 - 1 LA 34/04 - vertretenen Auffassung fest, dass die Tarifstelle 110.6.1.3 einen ausreichenden Gebührentatbestand nicht enthält; das gilt ebenso für die Tarifstelle 110.1, welche der Senat in seinem Zulassungsbeschluss noch nicht behandelt hatte.

20

Auslegung und Handhabung dieser Tarifstellen erschließen sich nicht nur aus dem Wortlaut, sondern vor allem aus dem systematischen Zusammenhang, in den sie gestellt sind. Dieser wird (nicht durch das Stichwort, unter dem man die Tarifstelle 110 in der Übersicht zum Kostentarif auffindet, sondern) durch Überschrift und die Erläuterung bestimmt, welche der Verordnungsgeber der Nummer 110 durch den Klammerzusatz gegeben hat. In der Übersicht wird die Tarifstelle 110 zwar mit dem Schlagwort "Rechtsbehelfe" versehen. Damit wird indes nicht zum Ausdruck gebracht, dass sämtliche Amtshandlungen, welche eine Behörde im Zusammenhang mit einem "Rechtsbehelf" vornimmt, grundsätzlich der Gebührenpflicht unterliegen sollen. Die Vergabe dieses Schlagworts soll den Nutzer des Kostentarifs lediglich rasch zu der Tarifstelle hinführen. Erst deren Einzelbestimmungen geben an, welche "Rechtsbehelfe" im Einzelnen (unter zum Teil weitergehenden, einschränkenden Voraussetzungen) eine Gebührenpflicht auslösen.

21

Die Überschrift der Tarifstelle 110 lautet "Gebühren in besonderen Fällen (Ablehnung, Änderung, Rücknahme, Widerruf, Widerspruch und Beschwerde)". Wenn es in Tarifstelle 110.1 heißt, für die "Ablehnung eines Antrages auf Vornahme einer Amtshandlung" solle eine zeitbezogen zu staffelnde Gebühr geschuldet sein, kann damit nur ein Antrag gemeint sein, der eine Sachentscheidung in der Gestalt eines Verwaltungsaktes zum Ziel hatte, dann allerdings zu einer Entscheidung führte, welche als "Ablehnung, Änderung, Rücknahme oder Widerruf" anzusehen ist. Widersprüche und Beschwerden können nicht gemeint sein; denn diese werden in der Untergruppe 110.6 gesondert erfasst. "Ablehnung, Änderung, Rücknahme oder Widerruf" werden gleichberechtigt nebeneinander genannt und können sich daher rechtlich nur auf "eine einzige Ebene" beziehen. Geeint werden diese Begriffe aber nur durch den Bezug auf einen Verwaltungsakt, genauer: eine Sachentscheidung, welche in dieser Form ergeht. Anordnungen des Sofortvollzuges mögen zwar einen Verwaltungsakt darstellen, können indes im "eigentlichen", d.h. rechtstechnischen Sinne nicht "zurückgenommen" oder "widerrufen" werden. Diese Termini beziehen sich vielmehr auf Maßnahmen, deren Rechtsgrundlage unter anderem in den §§ 48 f. VwVfG zu finden sind.

22

Auf dieser rechtlichen Ebene bewegt sich ein Aussetzungsantrag gem. §§ 80a Abs. 3 Satz 2 iVm. 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nicht. Sein Ziel besteht nicht darin, die von der Bauaufsichtsbehörde getroffene Sachenentscheidung aus der Welt zu schaffen. Zweck dieses Antrages ist es zwar auch, wenn nicht sogar (neben der Entlastung der Verwaltungsgerichte) in erster Linie, Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 191). Eine dem Nachbarn positive Aussetzungsentscheidung wirkt ähnlich wie eine Gerichtsentscheidung, wobei lediglich streitig ist, ob die Entscheidung nur in die Zukunft wirkt (so Bader, VwGO, Komm. 2. Aufl. § 80 Rdnr. 60; Sodan/Ziekow-Puttler, VwGO, § 80 Rdnr. 106 m.w.N. für die Gegenmeinung in FN 5). Gleichwohl stellt die Aussetzungsentscheidung keine Sachentscheidung über den Bauschein oder den Bauvorbescheid dar, sondern betrifft nur die vom Gesetz (§ 212a BauGB) an seine Erteilung geknüpfte Rechtsfolge seiner sofortigen Ausnutzbarkeit. Dies ist keine von der Bauaufsichtsbehörde im eigentlichen Sinne getroffene "Entscheidung". Der Aussetzungsantrag erstrebt dementsprechend nicht im Sinne der Tarifstelle 110.1 die Änderung der Sachentscheidung, welche in der Gestalt der Rücknahme oder des Widerrufs oder der Änderung vor sich gehen könnte.

23

Die Untertarifstelle 110.6 greift ebenfalls nicht zum Vorteil der Beklagten ein. Sie erfasst "Widersprüche und Beschwerden" und enthält unter 110.6.1.3 im Gegensatz zur Tarifstelle 110.1 sogar einen Untertatbestand, der ausdrücklich einen von Drittseite eingelegten, erfolglosen Rechtsbehelf benennt. Diese Drittbezogenheit des die Gebührenpflicht auslösenden Tatbestandes reicht zur Auslösung der Gebührenpflicht für die Bescheidung eines Aussetzungsantrages nicht aus, obwohl hier der weite Begriff des "Rechtsbehelfs" genannt wird. Als solcher könnte bei isolierter Betrachtung zwar auch der Aussetzungsantrag angesehen werden. Die Anwendung der Tarifstelle 110.6.3 ist indes aus systematischen Gründen ("Titelzeile" von Tarifstelle 110.6) daran geknüpft, dass es sich bei dem Rechtsbehelf um einen "Widerspruch" oder eine "Beschwerde" gehandelt haben muss. Einen Widerspruch oder eine Beschwerde stellt der Antrag nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO nach den vorstehenden Ausführungen aber nicht dar, weil er nicht auf die Änderung der Sachentscheidung gerichtet ist.

24

Nach den einleitenden Ausführungen ist es auch unstatthaft, diese Tarifstelle erweiternd dahin auszulegen, dass sie Aussetzungsentscheidungen ergreift, welche einem (dann erst statthaften) Eilantrag beim Verwaltungsgericht vorangehen müssen. Gebührentatbestände dürfen zur Vermeidung des andernfalls eintretenden, vom niedersächsischen Gesetzgeber bislang nicht gewünschten Ergebnisses, nach Art einer Generalklausel jedwede Verwaltungstätigkeit zu erfassen, nicht ausufernd ausgelegt werden.

25

Selbst wenn man dies anders sähe, bedürfte es schon besonderer, hier nicht existenter Anhaltspunkte, um annehmen zu dürfen, in gebührenrechtlicher Hinsicht solle unter "Rechtsbehelf" etwas anderes verstanden werden als das, was nach allgemeinem Sprachgebrauch darunter zu verstehen ist. Rechtsbehelf ist nach allgemeiner Ansicht eine von der Rechtsordnung zugelassene Möglichkeit, eine von der Behörde oder einem Gericht getroffene Entscheidung anzugreifen. Die sofortige Vollziehbarkeit wird indes nach In-Kraft-Treten des § 212a BauGB nicht in diesem Sinne eingeordnet. Sie ist vielmehr die vom Gesetz gewollte Nebenwirkung einer bauaufsichtsbehördlichen Zulassung. Die Pflicht zur vorherigen Anrufung der Bauaufsichtsbehörde soll dieser zwar auch die Möglichkeit verschaffen, ihre eigene Entscheidung auf Fehler zu untersuchen, welche sich zu Lasten der rechtlich geschützten Nachbarinteressen ausgewirkt haben können. Sie dient indes nicht dazu, diese Sachentscheidung (Bauschein) rückgängig zu machen (das ist der Zweck des unabhängig davon einzulegenden Nachbarwiderspruches) oder eine von ihr angeordnete sofortige Vollziehbarkeit wieder zurückzunehmen. Ihre Entscheidung, die Vollziehbarkeit des Bauscheins nicht aufzuheben, wird bei einem Erfolg im nachfolgenden Gerichtsverfahren dementsprechend auch nicht aufgehoben oder geändert. Das Gericht trifft vielmehr eine eigene Entscheidung über den Fortbestand der sofortigen Ausnutzbarkeit des Bauscheins. Die behördliche Aussetzungsentscheidung ist lediglich eine Zugangsvoraussetzung.

26

Dem Verwaltungsgericht ist allerdings darin zuzustimmen, dass die Tarifstelle 36 der AllGO keine Rechtsgrundlage für die Erhebung der Gebührenforderung darstellt. Diese Vorschrift lautet:

Genehmigungen, Erlaubnisse und sonstige Amtshandlungen
Genehmigungen, Erlaubnisse, Ausnahmebewilligungen (auch gewerblicher Art) sowie sonstige auf Antrag vorzunehmenden Amtshandlungen, für die in diesem Kostentarif oder in anderen Rechtsvorschriften besondere Gebühren weder bestimmt sind noch Gebührenfreiheit vorgesehen ist12 bis 2.060 EUR
27

Hier ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass Auslegung und Handhabung dieser Vorschrift im Ergebnis Nr. 36 AllGO keinen Inhalt geben, der der vom niedersächsischen Verwaltungskostengesetzgeber nicht gewollten Generalklausel gleichkommt. Gerade dieser Gebührentatbestand ist daher restriktiv auszulegen (Loeser, NVwKostG, Komm., Stand Januar 1999, § 3 Anm. 4, S. 3; § 1 Anm. 8, S. 41). Erst dann entspricht Tarifstelle 36 AllGO den Anforderungen, welche mit Rücksicht auf das (aus dem Rechtsstaatsgebot gespeiste) Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz zu stellen sind, dass staatliche Finanzforderungen im Vorhinein berechenbar sein müssen.

28

Eine danach vorgenommene Auslegung führt zu einem der Beklagten nachteiligen Ergebnis. Sinn und Zweck der nach Tarifstelle 36 zu rechtfertigenden Gebührenforderungen ist die Inanspruchnahme der Verwaltung zu einem Tun, das ein präventives oder repressives Verbot für ein staatlicherseits reglementiertes Handeln beseitigen soll. Der Vorteil, den der Bürger durch die "Freigabe" seines Tuns genießt, soll durch Erhebung einer Gebühr erfasst werden. Damit ist die hier interessierende Sachlage nicht vergleichbar. Seine Baufreigabe erhält der Bauherr durch den Bauschein. Damit wird zu Gunsten des Nachbarn nicht etwa die Möglichkeit eines Tuns eröffnet, sondern von Gesetzes wegen eine doppelte Duldungspflicht geschaffen, nämlich den Bau überhaupt und das auch noch mit der Möglichkeit sofortiger Ausnutzbarkeit hinnehmen zu müssen. Eine der Beklagten günstige Anwendung der Tarifstelle Nr. 36 AllGO muss daher ausscheiden.

29

Da weitere Tarifstellen nicht ersichtlich sind, ist der Berufung des Klägers zu 1 stattzugeben.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, die über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO iVm. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 S. 2 ZPO.

31

Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 161,-- EUR festgesetzt.

Claus
Waechter
Muhsmann