Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.05.2005, Az.: 7 ME 42/05
Beurteilungspegel; Drittbetroffener; enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle; Lärmsanierung; Lärmschutz; VLärmSchR 97; Vollprüfung; Vollüberprüfungsanspruch; Vorbelastung; Zumutbarkeitsschwelle; Übernahmeanspruch
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.05.2005
- Aktenzeichen
- 7 ME 42/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50676
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 10.02.2005 - AZ: 1 B 37/04
Rechtsgrundlagen
- § 41 Abs 2 BImSchG
- § 123 VwGO
- § 146 Abs 4 VwGO
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 S. 4 und 6 VwGO) rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
Das Verwaltungsgericht hat der Antragstellerin die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt, weil ihre Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos bleiben werde, denn der Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 24. September 2004 verletze sie nicht in ihren Rechten. Gegenstand dieses Planfeststellungsbeschlusses ist der Ausbau der K 306/Rheiner Landstraße von der BAB A 30, Anschlussstelle Nord, bis zum geplanten Anschluss des Einrichtungshauses der Beigeladenen. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des an der Rheiner Landstraße D. im Außenbereich belegenen Hausgrundstücks, welches an der südöstlichen Seite an die Nordrampe der Abfahrt Hasbergen/Gaste der BAB 30 und an der westlichen Seite an die Kreisstraße 306 (Rheiner Landstraße) grenzt. Grundeigentum der Antragstellerin wird nicht in Anspruch genommen. Der Planfeststellungsbeschluss billigt der Antragstellerin für das Wohnhaus passiven Lärmschutz dem Grunde nach und wegen der Beeinträchtigung der Nutzung des Balkons eine Geldentschädigung zu. Die Antragstellerin habe selbst bereits geeignete passive Lärmschutzmaßnahmen ergriffen (z.B. Schallschutzfenster und Dämmung von Rollladenkästen). Darüber hinaus sei es erforderlich, für die Schlafräume schalldichte Belüftungen einzubauen, um die Fenster geschlossen halten zu können. Im Anbaubereich seien die Dachschrägen im Dachgeschoss zu dämmen. Dadurch entstehende notwendige Kosten würden erstattet. Im Terrassen- und Spielplatzbereich liege keine Grenzwertüberschreitung vor. Aufwendungen für aktive Lärmschutzmaßnahmen stünden außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck. Auch die geforderte Übernahme des Grundstücks durch den Vorhabensträger komme nicht in Betracht.
Die Antragstellerin macht demgegenüber geltend, der Planfeststellungsbeschluss sei ab wägungsfehlerhaft, weil die in den Richtlinien für Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (VLärmSchR 97) geregelten Sanierungsgrenzwerte an ihrem Wohnhaus überschritten würden. Das ist bereits im Ansatz zweifelhaft. Nach diesen Richtlinien kommt eine Lärmsanierung in Betracht, wenn der Beurteilungspegel in Kern-, Dorf- oder Mischgebieten 72 dB(A) tags oder 62 dB(A) nachts übersteigt. Für das im Außenbereich gelegene Grundstück der Antragstellerin ist jedenfalls kein günstigerer Wert anzunehmen. Nach der auch planfestgestellten schalltechnischen Untersuchung ergibt der Ausbau der K 306 an der Südwestseite des Wohnhauses der Klägerin eine maximale Lärmbelastung von 70 dB(A) tags und 62 dB(A) nachts, während der Ausbau der Anschlussstelle Hasbergen Nord zu einem maximalen Beurteilungspegel an dieser Hausseite im zweiten Stockwerk von 62 dB(A) tags und 55 dB(A) nachts führt. Damit übersteigen die ermittelten Einzelwerte die in den Richtlinien angegebenen Sanierungsgrenzwerte nicht. Eine Überschreitung des Nachtwertes von 62 dB(A) an der Südwestseite des Wohnhauses, zweites Stockwerk, könnte allenfalls vorliegen, wenn die für die beiden Maßnahmen ermittelten Einzelwerte von 62 und 55 dB(A) nachts addiert würden. Das führte zu einem Pegelanstieg von weniger als einem dB(A) (vgl. Anlage 1 Diagramm V zu § 3 der Verkehrslärmschutzverordnung -16. BImSchV). Das Verwaltungsgericht hat indes unter Berufung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, dass die Bildung eines Summenpegels nicht in Frage komme. Dagegen bringt die Antragstellerin begründete Einwendungen nicht vor.
Unabhängig davon kann die Rüge der Antragstellerin keinen Erfolg haben, weil es hier nicht um Maßnahmen der Lärmsanierung geht. Vielmehr hat der Antragsgegner mit dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss die Notwendigkeit von Maßnahmen der Lärmvorsorge nach Maßgabe der Verkehrslärmschutzverordnung anerkannt, indem er der Antragstellerin eine angemessenen Entschädigung für notwendige Schallschutzmaßnahmen an den baulichen Anlagen dem Grunde nach zuerkannt hat. Damit ist der erforderliche Schallschutz für schutzbedürftige Räume nach den Regelungen der Verkehrswege-Schallschutzmaßnahmenverordnung (24. BImSchV) gewährleistet. Unter diesen Umständen ist auch die Annahme der Antragstellerin, dass sie durch die Planmaßnahme einer Gesundheitsgefährdung ausgesetzt werde, unzutreffend. Auch die enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle mit der Folge eines Übernahmeanspruchs wird voraussichtlich nicht überschritten. Dafür wäre Voraussetzung, dass das Grundeigentum schwer und unerträglich betroffen ist. Das Verwaltungsgericht hat insoweit angeknüpft an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach diese Schwelle für Verkehrslärmimmissionen in Wohngebieten im allgemeinen bei Werten von 70 bis 75 dB(A) tagsüber und von 60 bis 65 dB(A) nachts anzusetzen ist (vgl. BGH, Urt. v. 25. 3. 1993 - III ZR 60/91 -, BGHZ 122, 76 = NJW 1993, 1700). Soweit für Mischgebiete auf Werte von 72/62 dB(A) bei Tag/Nacht abgestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17. 11. 1999 - 11 A 4.98 -, BVerwGE 110, 81 = NVwZ 2000, 567 m.w.N.), handelt es sich ebenfalls um Annäherungswerte, die nicht Grundlage einer schematischen Bewertung sein können. Die maßgebliche Grenze lässt sich nur auf Grund wertender Betrachtung des Einzelfalls ziehen, wobei Gebietsart und Lärmvorbelastung eine wesentliche Rolle spielen. So kann dem Betroffenen im Außenbereich dem Gebietscharakter entsprechend im Allgemeinen ein höheres Maß an Verkehrsimmissionen zugemutet werden als in einem Wohngebiet. Innerhalb des Außenbereichs kann zudem nach den jeweils gegebenen Verhältnissen differenziert werden. Hier sprechen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat - sowohl der Gebietscharakter als auch die schon bisher gegebene besonders exponierte Lage des Grundstücks der Antragstellerin an der K 306 und der Anschlussstelle zur BAB A 30 dafür, dass selbst ohne Maßnahmen des Lärmschutzes die enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze noch nicht überschritten würde, zumal die Planmaßnahme eine Erhöhung der Beurteilungspegel um lediglich 2 bis 3 dB(A) bewirkt. Jedenfalls lässt sich unter Berücksichtigung des festgesetzten Schallschutzes nicht feststellen, das eine sinnvolle Nutzung des Grundstücks wegen schwerer und unerträglicher Lärmimmissionen künftig nicht mehr möglich und zumutbar sein wird. Damit scheidet ein auf Übernahme des Grundstücks gerichteter Entschädigungsanspruch aus.
Davon abgesehen wäre ein solcher Übernahmeanspruch ohnehin nicht geeignet, dem Aussetzungsantrag zum Erfolg zu verhelfen. Der Anspruch auf Übernahme des Grundstücks wäre mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen; dem korrespondiert im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. Für einen solchen Antrag, der nicht gestellt worden ist, fehlt es schon an einem Anordnungsgrund, denn ein Übernahmeanspruch wird durch den Beginn der Baumaßnahmen nicht vereitelt oder gefährdet, so dass insoweit keine Notwendigkeit für vorläufigen Rechtsschutz besteht.
Ebenso verhält es sich mit dem Begehren der Antragstellerin nach weitergehendem, nämlich aktivem Lärmschutz, welches ebenfalls mit einem Verpflichtungsantrag zu verfolgen wäre. Auch insoweit spricht aber Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner den grundsätzlich vorrangigen aktiven Lärmschutz zu Recht abgelehnt hat, weil die Kosten der Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden (§ 41 Abs. 2 BImschG). Die Beurteilung des Antragsgegners, dass der für einen aktiven Lärmschutz anfallende finanzielle Aufwand gegenüber den Kosten für passiven Lärmschutz unverhältnismäßig hoch sein würde, wird voraussichtlich nicht zu beanstanden sein. Dabei hat der Antragsgegner nicht verkannt, dass auch die Nutzung des Außenwohnbereichs schutzwürdig ist. Er hat eine Überschreitung des maßgeblichen Immissionsgrenzwertes jedoch nur hinsichtlich des Balkons feststellen können, während im Terrassen- und Spielplatzbereich eine Grenzwertüberschreitung nicht vorliegt. Insofern kann keine Rede davon sein, dass eine angemessene Nutzung des gesamten Außenwohnbereichs unmöglich wird. Die Annahmen des Antragsgegners zur Höhe der Kosten für eine Lärmschutzwand sind durch eine Kostenschätzung des Planungsbüros für Lärmschutz E. GmbH vom 24. November 2004 nachträglich bestätigt worden.
Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten hat, der Antragstellerin stehe - obwohl ihr Grundstück durch den Planfeststellungsbeschluss nicht (vorwirkend) in Anspruch genommen werde - ein umfassender Kontrollanspruch zu, wird in Anbetracht des anhängigen Hauptsacheverfahrens vorsorglich Folgendes bemerkt: Einen solchen Vollüberprüfungsanspruch kann grundsätzlich lediglich der durch das Vorhaben in seinem Grundeigentum betroffene Grundstückseigentümer im Hinblick auf die enteignungsrechtliche Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses beanspruchen. Ob Eigentümer benachbarter Grundstücke, deren Grund und Boden durch das Vorhaben nicht durch unmittelbare Heranziehung, aber doch vor allem durch Lärmimmissionen schwer und unerträglich betroffen wird, den enteignungsbetroffenen Grundstückseigentümern gleichzustellen sind und auch ihnen die Klagebefugnis hinsichtlich aller eigenen und gemeinwohlorientierten Belange zuzusprechen ist, ist umstritten (vgl. dazu Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 Rn. 254 ff.; Steinberg/Berg/Wickel, Fachplanung, 3. Aufl., § 6 Rn. 48 ff.), kann aber offen bleiben, weil eine derartige schwerwiegende Beeinträchtigung - wovon das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Antragstellerin ebenfalls ausgegangen ist - nicht ersichtlich ist. Dass von dem Vorhaben Lärmwirkungen ausgehen, die die in der Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte überschreiten, vermag einen umfassenden Kontrollanspruch jedenfalls nicht auszulösen. Das Maß des nach dieser Verordnung Hinnehmbaren ist mit der enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle nicht identisch.