Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.11.1992, Az.: 18 L 8465/91
Mitbestimmungsrecht bei der Änderung der Arbeitsbedingungen in einem Einzelfall ; Festlegung der täglichen Gleit- und Kernzeiten bzw. der Anwesenheit in Form der Gleitzeit; Öffnungsklausel für flexible Regelungen in einer Dienstvereinbarung für Teilzeitbeschäftigte; Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.11.1992
- Aktenzeichen
- 18 L 8465/91
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1992, 18136
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1992:1104.18L8465.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 24.04.1991 - AZ: 8 A 11/90
Rechtsgrundlagen
Verfahrensgegenstand
Mitbestimmung
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Mitbestimmungspflicht des Personalrats bei Arbeitszeitregelungen, dient nicht dem Schutz einzelner Bediensteter oder gegenüber einzelnen Bediensteten, sondern allen gleichermaßen, indem deren Belange mit den dienstlichen Erfordernissen der Dienststelle in Einklang gebracht werden sollen.
- 2.
Wenn durch sogenannte "Öffnungsklauseln" u. a. die Kernzeit eines Bediensteten anderweit festgesetzt werden kann, so setzt das eine Einzelfallentscheidung voraus, die nur Sache der Dienststelle sein kann und als solche nicht der Mitbestimmungspflicht des Personalrats unterliegt.
In der Personalvertretungssache
hat der 18. Senat
- Fachsenat für Personalvertretungssachen des Landes Niedersachsen -
des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
im Termin zur Anhörung
am 4. November 1992
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
die Richter am Oberverwaltungsgericht Schwermer und Dr. Uffhausen sowie
die ehrenamtlichen Richter Dr. Gatz und Kükelhahn
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - Fachkammer für Personalvertretungssachen - vom 24. April 1991 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage der Mitbestimmung bei der Änderung der Arbeitszeitbedingungen (Kernzeit) in einem Einzelfall.
Bei dem Amtsgericht ... ist die Arbeitszeit aufgrund einer zwischen den Beteiligten getroffenen Dienstvereinbarung vom 26. April 1991 in Form der gleitenden Arbeitszeit, d. h. mit genau festgelegten Gleit- und Kernzeiten (Zeiten der Anwesenheitspflicht), geregelt; im Einzelfall kann die Kernzeit aus persönlichen Gründen auf Antrag anders festgesetzt werden, "wenn dadurch besondere Härten für den Bediensteten vermieden werden" (Nr. 3.1). Ferner ist für Teilzeitbeschäftigte bestimmt (Nr. 3.6), daß Beginn und Ende der Kern- und Gleitzeiten (im Rahmen der allgemein für Teilzeitbeschäftigte geltenden Bestimmungen über die Arbeitszeit) abweichend festgesetzt werden können. Gleichlautende Regelungen enthielt die vorher geltende Dienstvereinbarung vom 5. Februar 1990.
Im Mai 1990 stellte die Justizamtfrau K., deren Arbeitszeit gemäß § 87 a Abs. 1 Nr. 1 NBG auf 3/4 der regelmäßigen Arbeitszeit ermäßigt ist, bei dem Beteiligten unter Hinweis auf ihren 1982 geborenen Sohn, der 1989 eingeschult worden ist (und inzwischen die 4. Klasse besuchen dürfte) einen Antrag auf anderweitige Festsetzung der für sie geltenden Kernzeit. Frau K. ist Rechtspflegerin und überwiegend in Grundbuchsachen tätig. Sie wollte, daß ihre Kernarbeitszeit (statt 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr) anderweit auf die Zeit von 7.18 Uhr bis 11.00 Uhr festgesetzt wird. Nachdem der Beteiligte dies abgelehnt hatte, wandte sich Frau K. mit Eingaben u. a. an die Justizministerin, wobei sie verschiedene Vorschläge zur Verbesserung der Situation berufstätiger Mütter mit Kindern machte (2/3-Arbeitszeit; Verringerung der Kernzeit auf 2,5 Stunden). Daraufhin wies das Niedersächsische Justizministerium den Beteiligten an, für Frau K. das Ende der Kernzeit auf 12.12 Uhr festzusetzen. Ungeachtet der Tatsache, daß der Antragsteller, der für eine derartige Regelung ein Mitbestimmungsrecht beanspruchte, inzwischen das Beschlußverfahren nach dem Nds. PersVG eingeleitet hatte, setzte der Beteiligte auf entsprechende nochmalige Weisung des Justizministeriums unter dem 20. Dezember 1990 das Ende der Kernzeit für Frau K. (unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs) auf 12.12 Uhr fest.
Mit dem am 26. Oktober 1990 eingeleiteten Beschlußverfahren begehrt der Antragsteller die Feststellung, daß die einseitige Festlegung der Kernarbeitszeit für Frau K. durch den Beteiligten sein Mitbestimmungsrecht verletze. Dazu hat er ausgeführt, daß die abweichende Festlegung der Kernzeit die Frage von "Dauer, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit" i. S. von § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Nds. PersVG betreffe. Die Ausnahmeregelung werde aufgrund persönlicher Bedürfnisse begehrt, nicht aufgrund dienstlicher. Dabei seien entgegenstehende dienstliche Belange sowie Auswirkungen auf die übrigen Beschäftigten zu berücksichtigen, die im Rahmen der Mitbestimmung "auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft" werden müßten. Ob die (von der Dienstvereinbarung abweichende) Regelung nur für einen Beschäftigten gelten solle oder für Gruppen von ihnen, sei unerheblich. Tatsächlich liege hier auch eine "Einzelfall-Regelung" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vor, da die neue Kernzeit-Regelung (zwar nur für eine Bedienstete, aber) für eine unbestimmte Zukunft gelte.
Demgegenüber hat der Beteiligte gemeint, daß er nicht eine umfassende und allgemeine Regelung getroffen habe, diese vielmehr nur eine Beschäftigte betreffe, was nicht der Mitbestimmung unterliege. Soweit von der Verkürzung der Kernzeit wegen der in der nach 12.12 Uhr (bis 12.30 Uhr) anfallenden unaufschiebbaren Dienstgeschäfte andere Bedienstete betroffen würden, werde dadurch nicht deren Arbeitszeit geändert, sondern nur der Umfang der ihnen zugewiesenen Arbeit, was seinem Direktionsrecht unterfalle.
Die Fachkammer hat das Begehren des Antragstellers mit Beschluß vom 24. April 1991 zurückgewiesen. Der Beteiligte sei berechtigt (gewesen), "im Einzelfall der Beamtin" K. die Kernarbeitszeit ohne Mitbestimmung des Antragstellers abweichend von der Dienstvereinbarung vom 5. Februar 1990 zu regeln. § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Nds. PersVG betreffe zwar auch die "Kernarbeitszeit", nicht jedoch dann, wenn in einem Einzelfall für einen Beschäftigten eine besondere Regelung getroffen werde. Die Vorschrift beziehe sich nur auf generelle Regelungen (für alle Beschäftigte oder Gruppen davon). Zwar dürfe bei der Trage, ob eine Einzelfallregelung vorliege, nicht allein auf den Adressaten der Entscheidung, sondern müsse auch auf davon betroffene Bedienstete abgestellt werden. Hier habe die Verkürzung der Kernarbeitszeit der Rechtspflegerin K. aber keine Auswirkungen auf die Arbeitszeit der übrigen Rechtspfleger, die nicht verpflichtet seien, nunmehr länger oder zu anderen Zeiten zu arbeiten. Ein etwaiger Arbeitsstau (in der Kernzeit zwischen 12.12 Uhr und 12.30 Uhr) "gehe zu Lasten des Dienstherrn", der diese Frage bei Ausübung seines Direktionsrechts berücksichtigen müsse. Auch die Dienstvereinbarung vom 5. Februar 1990 stehe der Maßnahme des Beteiligten vom 20. Dezember 1990 nicht entgegen, lasse sie vielmehr ausdrücklich zu, ohne sie der Mitbestimmung zu unterwerfen.
Gegen diesen, ihm am 22. Mai 1991 zugestellten Beschluß richtet sich die am 24. Juni (Montag) eingelegte Beschwerde des Antragstellers, die er - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 26. August - an diesem Tag begründet hat. Er weist darauf hin, daß die Vertreter der Frau K., insbesondere wegen des beim Amtsgericht Stade bis 12.30 Uhr möglichen Publikumverkehrs, deren nach 12.12 Uhr anfallende unaufschiebbare Dienstgeschäfte mit wahrnehmen müßten. Dadurch trete eine "faktische Verlängerung" der Kernzeit der vertretenden Kollegen ein. Die in Nr. 3.6 der Dienstvereinbarung vom 5. Februar 1990 geregelte Möglichkeit einer abweichenden Festsetzung der Kern- und Gleitzeiten verstehe er dahingehend, daß der Dienststellenleiter eine "kurzfristige Einzelfallregelung" treffen dürfe. Eine "Öffnungsklausel", wonach für eine unbestimmte Zukunft von der "mitbestimmten Arbeitszeit per Dekret" abgewichen werden dürfe, sei von ihm "weder gewollt noch zugestanden". Folge man der Fachkammer, werde der Beteiligte "in die Lage versetzt, sämtliche in der Dienstvereinbarung geregelte Sachverhalte mit der Behauptung, dies sei eine individuelle Einzelfallentscheidung, auf Dauer zu verändern". Dadurch würde dann sein Mitbestimmungsrecht ad absurdum geführt. Mit der "Öffnungsklausel" solle der Dienststelle lediglich die Möglichkeit gegeben werden, "flexibel" auf kurzfristige vorläufige Notwendigkeiten zu reagieren.
Der Antragsteller beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Beschlusses festzustellen, daß die unter dem 20. Dezember 1990 getroffene Maßnahme des Beteiligten sein Mitbestimmungsrecht verletzt hat.
Der Beteiligte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich auf sein erstinstanzliches Vorbringen.
II.
Die Beschwerde bleibt erfolglos. Die Fachkammer hat den Antrag zu Recht zurückgewiesen. Die Maßnahme des Beteiligten vom 20. Dezember 1990 hat das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nicht verletzt.
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Nds. PersVG bestimmt, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, der Personalrat u. a. bei der Festsetzung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit, einschließlich der Pausen, mit. Die vom Beteiligten unter dem 20. Dezember 1990 angeordnete Festsetzung des Endes der Kernzeit für die Justizamtfrau K. (statt 12.30 Uhr auf 12.12 Uhr) betrifft deren vormittägliche Arbeitszeit, bzw. ihre Mittagspause, die sie danach um 18 Minuten früher beenden bzw. beginnen kann. Eine derartige Regelung unterfällt vom Regelungsgegenstand her grundsätzlich dem Mitbestimmungstatbestand des § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Nds. PersVG. Hier gilt das aber, wie die Fachkammer unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zutreffend entschieden hat, deshalb nicht, weil die Arbeitszeitregelung sich auf nur eine Bedienstete beschränkt.
Die Dienstvereinbarung vom 5. Februar 1990 stand dem nicht entgegen. Das Gleiche würde auch für die jetzt gültige Dienstvereinbarung vom 26. April 1991 gelten. Selbst wenn deren Nr. 3.6, wonach für Teilzeitbeschäftigte im Einzelfall andere als für diese vereinbarte Kern- und Gleitzeiten festgesetzt werden können, voraussetzt, daß dienstliche Belange dies erfordern, so besagt dies für die Frage nach einem Mitbestimmungsrecht nichts. Im übrigen unter fallen Teilzeitkräfte zugleich auch der (allgemeinen) Regelung der Nr. 3.1, wonach die Kernzeit im Einzelfall auch aus persönlichen Gründen abweichend festgesetzt werden kann. Dieser Regelung ist ebensowenig wie der in Nr. 3.6 zu entnehmen, daß dazu die Zustimmung des Personalrates erforderlich wäre. Noch weniger Anhalt gibt es für die Annahme des Antragstellers, daß die Festsetzung einer anderweitigen Kernzeit im Einzel fall nur dann nicht der Mitbestimmung unterliegen sollte, wenn sie nur vorübergehend und nicht, wie hier, auf unbestimmte Dauer ausgesprochen wird. Eine derartige Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Dienststelle verstieße auch gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Nds. PersVG.
Diese Vorschrift, d. h. die Mitbestimmungspflicht bei Arbeitszeitregelungen, dient nicht dem Schutz einzelner Bediensteter oder gegenüber einzelnen Bediensteten, sondern allen gleichermaßen, indem deren Belange mit den dienstlichen Erfordernissen der Dienststelle in Einklang gebracht werden sollen. Dementsprechend betrifft sie nur allgemeine (generelle) Regelungen, die für alle Beschäftigten der Dienststelle in gleicher Weise gelten, jedenfalls aber für eine (abstrakte) Gruppe von ihnen (st. Rspr. seit BVerwG, Beschl. v. 23.12.1982 - 6 P 36/79 -, PersV 1983, 413; z. B. Beschl. v. 02.06.1992 - 6 P 14/90 -, PersR 1992, 359; Engelhard/Ballerstedt, Nds. PersVG, 3. Aufl., § 75 RdNr. 16; Dembowski/Ladwig/Sellmann, Das Personalvertretungsrecht in Niedersachsen, Stand: 1.12.91, § 75 RdNr. 13; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 7. Aufl., § 75 RdNr. 78; Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, 4. Aufl., Stand: Dezember 1990, § 75 RdNr. 114 a; Fischer/Goeres in Fürst: GKÖD, Bd. V, § 75 RdNr. 76). Das zeigt sich auch daran, daß im Rahmen des § 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Nds. PersVG Dienstvereinbarungen geschlossen werden können (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nds. PersVG), die naturgemäß nur generelle Regelungen enthalten können, also die Festsetzung der für alle Bediensteten oder Gruppen von ihnen (hier: Teil- oder Vollzeitbeschäftigte) verbindlichen Arbeitszeit. Nur in diesem Rahmen kann auch die Möglichkeit gesehen werden, im Einzelfall von der Dienstvereinbarung abweichende Regelungen zu treffen, wie sie hier jeweils in den Nrn. 3.1 und 3.6 der Dienstvereinbarung (generell) angesprochen werden. Wenn nach diesen allgemeinen, vom Antragsteller sog. "Öffnungsklauseln" u. a. die Kernzeit eines Bediensteten anderweit festgesetzt werden kann, so setzt das eine Einzelfallentscheidung voraus, die nur Sache der Dienststelle sein kann und als solche nicht der Mitbestimmungspflicht des Personalrats unterliegt. Bei dieser Rechtslage kann von einem "Zugeständnis" des Antragstellers nicht die Rede sein. Vielmehr konnte der Beteiligte die von der Justizamtfrau K. einzuhaltende Kernzeit ihrer Arbeitszeit sowohl nach dem Gesetz als auch nach der Dienstvereinbarung vom 5. Februar 1990 allein abweichend von letzterer festsetzen.
Daß seine Maßnahme vom 20. Dezember 1990 schließlich eine Einzelfallregelung ist, d. h. nur die Frau K. betrifft, kann nicht zweifelhaft sein. Mag die zwischen 12.12 Uhr und 12.30 Uhr von ihr sonst zu leistende Tätigkeit nun durch einen Vertreter übernommen werden müssen, so ändert sich dadurch nichts an dessen Arbeitszeit als solcher: Er ist dadurch weder tatsächlich noch rechtlich gehindert, die für ihn geltende Kernzeit einzuhalten, d. h. um 12.30 Uhr seinen Vormittagsdienst zu beenden und seine Mittagspause anzutreten. Die einzuhaltende Kernzeit ist vielmehr allein hinsichtlich der Justizamtsfrau K. verändert worden.
Nach allem ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür (§ 85 Abs. 2 Nds. PersVG i.V.m. § 92 Abs. 1, § 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.
Schwermer
Dr. Uffhausen
Dr. Gatz
Kükelhahn