Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.11.1992, Az.: 13 L 8726/91

Einbürgerung; Indonesien; Öffentliches Interesse; Staatenlosigkeit; Ausbildung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.11.1992
Aktenzeichen
13 L 8726/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 13426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1992:1130.13L8726.91.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig 22.10.1991 - 5 A 5483/90
nachfolgend
BVerwG - 23.12.1993 - AZ: BVerwG 1 B 61/93

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 5. Kammer - vom 22. Oktober 1991 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin erstrebt ihre Einbürgerung.

2

Sie wurde am 3. Februar 1964 als chinesische Volkszugehörige in Jakarta, Indonesien, geboren. Dort erwarb sie im Mai 1981 das Abitur. Im August 1981 reiste die staatenlose Klägerin zum Zwecke der Aufnahme eines Studiums in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach Absolvierung eines Deutschkurses und dem Besuch des Studienkollegs begann sie im Oktober 1983 ein Studium im Studiengang Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Braunschweig. Die Klägerin war seit dem 28. Januar 1983 im Besitz eines Fremdenpasses der Bundesrepublik Deutschland; seit dem 7. Februar 1992 besitzt sie einen vom Landkreis Hannover ausgestellten Reiseausweis. Bei ihrer Einreise war sie Inhaberin eines indonesischen Fremdenpasses mit einer auf ein Jahr begrenzten Gültigkeitsdauer. Nach einer von der Beklagten eingeholten Auskunft des indonesischen Generalkonsulats kann der Klägerin ein indonesischer Fremdenpaß nicht mehr erteilt werden, da sie sich länger als erlaubt im Ausland aufgehalten hat.

3

Die von der Klägerin am 15. August 1988 beantragte Einbürgerung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. August 1990 ab, da der Einbürgerung entwicklungspolitische Gesichtspunkte entgegenstünden. Die Klägerin erfülle zwar die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen der Einbürgerung. Nach den Einbürgerungsrichtlinien bestehe jedoch kein öffentliches Interesse an ihrer Einbürgerung. Nach Ziff. 5.2 der Einbürgerungsrichtlinien solle die Einbürgerung von Angehörigen der Entwicklungsländer, die im Bundesgebiet im Rahmen der personellen Entwicklungshilfe eine Aus- oder Weiterbildung erfahren haben, unterbleiben. Als Angehörige eines Entwicklungslandes seien neben dessen Staatsangehörigen auch Personen anzusehen, die in einem Entwicklungsland Aufnahme gefunden hätten, aber nicht dessen Staatsangehörigkeit besäßen, wie z.B. Staatenlose. Obgleich die Klägerin staatenlos sei, richte sich die Einbürgerung also nach den strengen Kriterien, die für Angehörige der Entwicklungsländer maßgeblich seien, da sie 1981 aus dem Entwicklungsland Indonesien in die Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke der Aufnahme eines Studiums eingereist sei. Die Rückkehrverpflichtung für in Industriestaaten ausgebildete Angehörige aus Entwicklungsländern bestehe grundsätzlich auch dann, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht in seinen Heimatstaat zurückkehren könne. In einem solchen Fall könne von ihm erwartet werden, daß er seine hier erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in einem anderen Entwicklungsland zur Verfügung stelle.

4

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 8. November 1990 zurück.

5

Mit ihrer am 6. Dezember 1990 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht: Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil nicht in die Ermessenserwägungen einbezogen worden sei, daß sie von Geburt an staatenlos sei. Insoweit habe dargelegt werden müssen, weshalb sie nicht unter erleichterten Voraussetzungen eingebürgert werden könne. Zu berücksichtigen sei auch, daß sie nach dem Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung gehabt habe. Die von der Beklagten ins Feld geführten Entwicklungshilfebelange hätten nicht das Gewicht, das diese ihnen beimesse. Insbesondere sei es lebensfremd, sie auf die Ausreise in einen anderen Staat als Indonesien zu verweisen. Angesichts der Tatsache, daß sie vor ihrer Ausreise in die Bundesrepublik ausschließlich in Indonesien gelebt habe und ihr eine Einreise insbesondere in die Volksrepublik China nicht zuzumuten sei, komme die Ausreise in einen anderen Staat ernsthaft nicht in Betracht, insbesondere nicht auf Dauer und zum Zwecke der Erwerbstätigkeit.

6

Die Klägerin hat beantragt,

7

den Bescheid der Beklagten vom 14. August 1990 und ihren Widerspruchsbescheid vom 8. November 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie in den deutschen Staatsverband einzubürgern,

8

hilfsweise,

9

den Bescheid der Beklagten vom 14. August 1990 und ihren Widerspruchsbescheid vom 8. November 1990 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Einbürgerungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Sie hat sich auf die Begründung der angefochtenen Bescheide berufen und ergänzend ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, gemäß Ziff. 6.4 der Einbürgerungsrichtlinien unter erleichterten Voraussetzungen eingebürgert zu werden. Sie sei zwar staatenlos; gleichwohl seien auch im Rahmen der erleichterten Einbürgerung nach Ziff. 6.4.4 die allgemeinen Vorschriften über die Einbürgerung zu beachten.

13

Deshalb seien im Falle der Klägerin auch die Gesichtspunkte der Entwicklungspolitik zu berücksichtigen. Die Klägerin sei auch als Angehörige eines Entwicklungslandes zu behandeln, da sie als Staatenlose bis zu ihrer Ausreise im Jahre 1981 Aufnahme in dem Entwicklungsland Indonesien gefunden gehabt habe. Könne der Einbürgerungsbewerber nicht in seinen Heimatstaat zurückkehren, so könne doch von ihm erwartet werden, daß er seine in der Bundesrepublik erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in einem anderen Entwicklungsland zur Verfügung stelle.

14

Mit Urteil vom 22. Oktober 1991 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei bei der Ausübung des. Einbürgerungsermessens gemäß § 8 Abs. 1 RuStAG allein darauf abzustellen, ob ein staatliches Interesse an der beantragten Einbürgerung bestehe. Die Behörde habe demgemäß nicht nur zu prüfen, ob der Bewerber nach seinen persönlichen Verhältnissen einen wertvollen Bevölkerungszuwachs darstelle, sondern auch, ob seine Einbürgerung nach allgemeinen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten erwünscht sei. Um eine Abwägung zwischen den persönlichen Interessen des Antragstellers und den Interessen des aufnehmenden Staates handele es sich dabei nicht; Richtschnur bei der Ausübung des Ermessens sei allein das Interesse des Staates. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe sei es nicht ermessensfehlerhaft, daß die Beklagte die Einbürgerung der Klägerin aus Gründen staatlicher Entwicklungspolitik abgelehnt habe. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß die Einbürgerungsbehörde sich bei der zu treffenden Ermessensentscheidung auch von Gründen staatlicher Entwicklungshilfepolitik leiten lassen dürfe. Insbesondere könne berücksichtigt werden, daß Einbürgerungsbewerber aus Entwicklungsländern, die ihrem Aufenthaltszweck entsprechend in der Bundesrepublik Deutschland eine Berufsausbildung erhalten hätten, in die Entwicklungsländer zurückkehrten, um zu deren Aufbau beizutragen, und daß diesen Ländern nicht durch Einbürgerungen Fach- und Führungskräfte entzogen werden sollten. Das Abstellen auf entwicklungspolitische Gesichtspunkte sei hier auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Klägerin staatenlos sei. Entscheidend sei, daß sie bis 1981 in Indonesien gewohnt und dort bis zu ihrer Ausreise als Staatenlosen Aufnahme gefunden habe. Indonesien zähle wie alle Staaten und Gebiete Asiens mit Ausnahme Japans zu den Entwicklungsländern (vgl. dazu den Runderlaß des BMI vom 27. 6. 1983, Nds. MBl. 1983, 611). Aus Entwicklungsländern stammenden Staatenlosen würden - wie den Staatsangehörigen aus Entwicklungsländern auch - in aller Regel Schul-, Studien- und Forschungsplätze sowie Lehr- und Praktikantenstellen in der Bundesrepublik ausschließlich zu dem Zweck bereitgestellt, nach Beendigung ihrer Aus- oder Weiterbildung in ihr Herkunftsland zurückzukehren oder in ein anderes Entwicklungsland zu gehen und dort am Aufbau mitzuwirken. Die Klägerin gehöre zu diesem Personenkreis, weil sie seit ihrer Geburt bis zum Abschluß ihrer Schulausbildung in Indonesien gewohnt habe. Es sei somit durchaus sachgerecht, auch bei der Entscheidung über die Einbürgerung der staatenlosen Klägerin entwicklungspolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dies verstoße auch nicht gegen die Regelungen in Ziff. 6.4.4 der Einbürgerungsrichtlinien und damit gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Zwar solle danach die Einbürgerung von Staatenlosen erleichtert und das Verfahren beschleunigt werden. Dies bedeute jedoch nicht, daß nach dem Willen des Richtliniengebers entwicklungspolitische Belange der Einbürgerung von Staatenlosen nicht entgegengehalten werden könnten. Vielmehr gälten nach Satz 3 der Ziff. 6.4.4 der Einbürgerungsrichtlinien die allgemeinen Vorschriften über die Einbürgerung auch für Staatenlose. Im Gegensatz etwa zu der Regelung für die Einbürgerung anderer Personenkreise (vgl. z.B. Ziff. 6.5.3) werde die Berücksichtigung entwicklungspolitischer Belange für Staatenlose gerade nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Es sei schließlich nicht ermessensfehlerhaft, von einem Fortbestehen des entwicklungspolitischen Interesses auszugehen, obwohl die Klägerin (möglicherweise) nicht mehr in ihr Herkunftsland Indonesien zurückkehren könne, weil ihr die Einreise nach dort verweigert werde. Die Einbürgerungsbehörde dürfe in einem solchen Falle darauf abstellen, daß die Klägerin die in der Bundesrepublik erworbenen Kenntnisse einem anderen Entwicklungsland zur Verfügung stellen könne. Dies entspreche auch dem von der Rechtsprechung anerkannten Ziel der sogenannten personellen Entwicklungshilfe, das immer darauf abstelle, daß der Betroffene einen Beitrag zur Entwicklung entweder seines Heimatlandes oder eines anderen Entwicklungslandes leisten werde.

15

Aufgrund des ihr zustehenden weiten Ermessens habe deshalb die Beklagte an die - zugegeben geringe - Möglichkeit anknüpfen dürfen, daß die Klägerin nach Beendigung ihrer Ausbildung ihre hier erworbenen Kenntnisse einem anderen Entwicklungsland zur Verfügung stelle. Dies müsse als noch ermessensgerecht angesehen werden, weil eine Einbürgerung zum jetzigen Zeitpunkt aller Voraussicht nach selbst diese geringe Möglichkeit und damit jede Verwirklichung des entwicklungspolitischen Zwecks ihrer Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland zunichte machen würde.

16

Gegen das ihr am 7. November 1991 zugestellte Urteil richtet sich die am 15. November 1991 eingelegte Berufung der Klägerin, die sich am 28. Dezember 1989 mit Hauptwohnung in ..., ... 10, angemeldet hat. Die Klägerin vertieft ihr bisheriges Vorbringen und macht insbesondere geltend, die Möglichkeit, daß sie in ein anderes Entwicklungsland als Indonesien ausreise und dort arbeite, sei rein theoretisch und praktisch nicht gegeben.

17

So habe die Stadt Braunschweig ihre Aufenthaltserlaubnis auch unabhängig von ihrem Studium verlängert. Die Beklagte habe deshalb das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Staatenlosigkeit nicht sachgerecht in die Ermessensentscheidung einbezogen.

18

Die Klägerin beantragt,

19

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag zu entscheiden.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Beigeladene verteidigt ebenfalls das angefochtene Urteil.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Beklagten sowie dem Landkreis Hannover vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

24

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anlage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.

25

1. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Klägerin ihr Verpflichtungsbegehren auf Einbürgerung noch gegen die Beklagte weiterverfolgen kann. Denn wenn der Bewerber während des Einbürgerungsprozesses seinen dauernden Aufenthalt aus dem Zuständigkeitsbereich der einen in den einer anderen Einbürgerungsbehörde verlegt, kann der (bisher zuständige) Beklagte zur Einbürgerung nicht mehr verpflichtet werden; der Einbürgerungsbewerber kann regelmäßig (nur) zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergeben (BVerwG, Urt. v. 31. 9. 1987 - 1 C 32.84 -, NJW 1987, 2179 [BVerwG 31.05.1987 - 1 C 32/84]). Ob etwas anderes gilt, wenn die nunmehr zuständige Behörde einer Fortführung des Verfahrens durch die bisher zuständige Behörde zustimmt, hat das BVerwG ausdrücklich offen gelassen (ablehnend dagegen Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, § 17 StAngRegG Rn. 9 m. Nachw.; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, § 17 StAngRegG Rn. 23).

26

Hier hat sich die Klägerin bereits am 28. Dezember 1989, d.h. noch vor Klageerhebung, mit Hauptwohnung nach Ronnenberg im Regierungsbezirk Hannover umgemeldet und ihre Wohnung in Braunschweig, wo sie weiterhin studiert, nur noch als Nebenwohnung behalten. Nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 19. 10. 1991 - 1 C 24.90 -, DVBl 1992, 305) begründet § 12 Abs. 2 Satz 1 MRRG keine gesetzliche Vermutung des Inhalts, daß ein lediger Student während seines Studiums vorwiegend seine Wohnung am Studienort benutzt; es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dieses Inhalts. Vielmehr ist auch bei Studenten für die melderechtliche Qualifikation einer von mehreren Wohnungen als Hauptwohnung eine rein quantitative Berechnung und ein Vergleich der jeweiligen Aufenthaltszeiten erforderlich. Der im Einbürgerungsrecht für die örtliche Zuständigkeit maßgebende "dauernde Aufenthalt" (§§ 17, 27 StAngRegG) bestimmt sich nach ähnlichen Kriterien; erforderlich ist eine tatsächliche Aufenthaltsnahme, die den Umständen nach auf Dauer angelegt ist, an einem Ort, der für die Lebensverhältnisse des Betroffenen Schwerpunktfunktion hat, d.h. räumlicher Ausgangs- und Anknüpfungspunkt der gesamten Lebensgestaltung ist (BVerwGE 71, 309; Hailbronner/Renner, aaO., § 25 RuStAG, Rn. 7).

27

2. Auch wenn in Übereinstimmung mit der Beklagten zugunsten der Klägerin davon ausgegangen wird, daß dies für sie weiterhin ihr Studienort Braunschweig ist, muß die Berufung jedoch aus materiellen Gründen erfolglos bleiben.

28

a) Ein gesetzlicher Anspruch auf Einbürgerung steht der Klägerin nicht zu. Die Voraussetzungen des Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit v. 29. Juli 1977 (BGBl I S. 1101; vgl. dazu VG Berlin, Urt. v. 9. 5. 1988, InfAuslR 1988, 225) wurden von ihr zu keinem Zeitpunkt erfüllt, weil sie nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geboren ist und zudem den Antrag auf Einbürgerung nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt hat.

29

Ebensowenig sind die Voraussetzungen für eine erleichterte Einbürgerung der Klägerin gemäß §§ 85 ff. AuslG 1990 gegeben. § 85 AuslG ist schon deshalb nicht anwendbar, weil die Klägerin ihren Antrag nicht vor Vollendung des 23. Lebensjahres gestellt hat; § 86 AuslG entfällt, weil die Klägerin noch nicht seit 15 Jahren rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

30

b) Ohne Rechtsfehler hat die Beklagte auch eine danach derzeit allein in Betracht kommende Einbürgerung im Ermessenswege gemäß § 8 RuStAG abgelehnt. Das hat das Verwaltungsgericht im einzelnen zutreffend ausgeführt; auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung wird insoweit gemäß § 130 b VwGO verwiesen. Auch das Berufungsvorbringen kann zu keiner anderen Beurteilung führen.

31

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG eröffnet sich der Einbürgerungsbehörde auch dann, wenn die Mindestvoraussetzungen des § 8 RuStAG erfüllt sind, ein weiter Ermessensspielraum, der in erster Linie dazu dient, eine flexible, den jeweiligen staatlichen Bedürfnissen und bevölkerungspolitischen Vorstellungen entsprechende Einbürgerungspolitik zu ermöglichen. Danach ist bei der Ausübung des Einbürgerungsermessens allein darauf abzustellen, ob ein staatliches Interesse an der beantragten Einbürgerung besteht. Die Behörde hat demgemäß nicht nur zu prüfen, ob der Bewerber nach seinen persönlichen Verhältnissen einen erwünschten Bevölkerungszuwachs darstellt, sondern auch, ob seine Einbürgerung nach allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten erwünscht ist. Dabei handelt es sich nicht um eine Abwägung zwischen den persönlichen und den staatlichen Interessen; die individuellen Belange und Interessen des Bewerbers sind vielmehr nur insoweit zu berücksichtigen, als sie zugleich auch ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung begründen (Hailbronner/Renner, aaO, § 8 RuStAG Rn. 28 m. Nachw.).

32

Die gerichtliche. Nachprüfung beschänkt sich darauf, ob ein Ermessensfehler i.S. des § 114 VwGO vorliegt. Ein solcher Rechtsfehler läßt sich bei der ablehnenden Entscheidung der Beklagten nicht feststellen; diese verletzt weder die Grundentscheidungen der Verfassung noch andere gesetzliche Schranken und hält sich insbesondere im Rahmen des Art. 3 GG sowie der durch die Einbürgerungsrichtlinien - EinBR - als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften bestimmten Verwaltungspraxis. Das gilt vor allem für die Berücksichtigung der Staatenlosigkeit. Zwar sieht Art. 32 des - von der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz vom 12. April 1976 (BGBl. II S. 473) ratifizierten - Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 vor, daß die Vertragsstaaten die Eingliederung und Einbürgerung Staatenloser so weit wie möglich erleichtern. Aus dieser auch innerstaatlich verbindlichen Pflicht mag sich - ebenso wie gegenüber heimatlosen Ausländern gemäß § 21 HAG vom 25. April 1951 (BGBl. I S. 269) - ein gesetzliches Wohlwollensgebot in dem Sinne ergeben, daß für die Ermessensausübung bei Staatenlosen, soweit sie nach dem unter 1. genannten Gesetz keinen Anspruch auf Einbürgerung haben, jedenfalls im Regelfall ein gewisses staatliches Interesse an der Einbürgerung vorgezeichnet ist (vgl. Makarov/v. Mangoldt; aaO, § 8 RuStAG Rn. 48 m. Nachw.). Daraus folgt indessen nicht, daß gegenläufige staatliche Interessen regelmäßig außer Betracht zu bleiben hätten; sie sind im Rahmen sachgerechter Ermessensausübung vielmehr beachtlich, soweit sie nach Abwägung aller Umstände den Vorrang verdienen (BVerwG, Beschluß vom 26. 8. 1982 - 1 B 91.82 -, InfAuslR 1982, 95). Das aber ist hier der Fall. Ihrer Pflicht aus Art. 32 des genannten Übereinkommens ist die Bundesrepublik Deutschland schon dadurch in vollem Umfang nachgekommen, daß sie in Nr. 6.4.4 EinbR bei Staatenlosen schon eine Aufenthaltsdauer von 7 Jahren statt von 10 Jahren (nach Nr. 3.2) als ausreichend ansieht.

33

Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich aus Art. 32 des Übereinkommens insbesondere keine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, die einer Einbürgerung entgegenstehenden entwicklungspolitischen Belange bei Staatenlosen zurückzustellen. Diese Belange haben ein erhebliches Gewicht (vgl. Nr. 5.2 EinbR). Es stellt deshalb grundsätzlich einen rechtsfehlerfreien Ermessensgebrauch dar, wenn bei der Entscheidung über die Einbürgerung sogar von Ausländern mit deutschen Ehegatten, die im Rahmen der personellen Entwicklungshilfe im Bundesgebiet ausgebildet worden sind, die gegen eine Einbürgerung sprechenden entwicklungspolitischen Belange nicht vor Ablauf einiger Zeit nach Abschluß der Ausbildung zurückgestellt werden (BVerwG, Beschl. v. 10. 8. 1990 - 1 B 114/89 - NJW 1991, 650; vgl. auch Makarov/v. Mangoldt, aaO., § 8 RuStAG Rn. 60 m. Nachw.). Die entwicklungspolitischen Belange können aber in gleicher Weise gegenüber einem Staatenlosen bestehen, der im Bundesgebiet ausgebildet worden ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 3. 12. 1979, BWVP 1980, 164 f.). Denn die Staatenlosigkeit schließt nicht aus, daß diese Ausbildung in der Erwartung gewährt und ermöglicht wird, der Ausländer werde seine hier erworbenen Kenntnisse wenn auch nicht in einem Staat, in dem er sich als dessen Bürger aufhält, so doch in seinem Geburtsland oder einem anderen Entwicklungsland einsetzen, das ihm den Aufenthalt ermöglicht. Davon gehen auch die EinBR aus. Denn sie heben in Nr. 6.4.4 ausdrücklich hervor, daß außer der Mindestdauer von 10 Jahren (Nr. 3.2) alle übrigen allgemeinen Voraussetzungen auch für eine Einbürgerung Staatenloser gelten. Daß damit auch die entwicklungspolitischen Belange gemeint sind, folgt schon aus dem Vergleich mit Nr. 5.2.2 EinbR, die (nur) bei anerkannten Asylberrechtigten ausdrücklich die Zurückstellung entwicklungspolitischer Bedenken vorsieht.

34

Ohne Erfolg macht die Klägerin schließlich geltend, ihre Rückkehr nach Indonesien nach Abschluß ihrer Ausbildung sei ausgeschlossen, auch ihr Einsatz in einem anderen Entwicklungsland sei praktisch nicht gegeben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG darf die Behörde - selbst gegenüber Bewerbern mit deutschen Ehegatten - bei der Berücksichtigung entwicklungspolitischer Belange regelmäßig auch an eine zwar geringe, aber nicht völlig auszuschließende Möglichkeit anknüpfen, daß der Ausländer künftig in seine Heimat zurückkehren könnte (BVerwGE 67, 177, 181 [BVerwG 17.05.1983 - 1 C 163/80]; Beschl. v. 10. 8. 1990, aaO). Eine derartige Möglichkeit ist hier aber gegeben. Denn die Klägerin ist in Indonesien geboren; nach der von ihr vorgelegten Auskunft des Generalkonsulats der Republik Indonesien vom 5. Mai 1989 hätte sie auch die indonesische Staatsangehörigkeit erwerben können, wenn sie dies nach Vollendung des 18. Lebensjahres beantragt hätte. Gegenüber der Ausländerbehörde an ihrem damaligen Wohnort Siegen hat die Klägerin am 17. Dezember 1982 erklärt, daß ihre Familie seit fünf Generationen in Indonesien lebe und daß sie sich mehr als Indonesierin denn als Chinesin fühle. Von einer Bindung an ihr Geburtsland Indonesien ist deshalb weiterhin auszugehen. Es gibt auch keinen Anhalt dafür, daß der Klägerin eine Rückkehr nach Indonesien dauerhaft verwehrt würde. Nach den Auskünften der Botschaft der Republik Indonesien vom 6. August und vom 20. Dezember 1982 hat die Klägerin dadurch, daß sie ihren indonesischen Fremdenpaß ungültig werden ließ, nur die damit verbundene Einreisegenehmigung (Reentry permit) verloren und müßte deshalb eine neue Einreisegenehmigung beantragen. Daß ihr diese nach Abschluß ihres Studiums in Deutschland versagt werden würde, ist nicht dargetan. Erst recht ist nichts dafür ersichtlich, daß es der Klägerin nach einem abgeschlossenen Studium unmöglich wäre, ihre erworbene Ausbildung in einem anderen Entwicklungsland einzusetzen.

35

Die Berufung war danach zurückzuweisen.

36

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwsGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

37

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

38

Dr. Dembowski

39

Schwermer

40

Dr. Uffhausen