Landgericht Braunschweig
Urt. v. 27.04.2006, Az.: 8 S 42/06 (002)

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
27.04.2006
Aktenzeichen
8 S 42/06 (002)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 42962
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2006:0427.8S42.06.002.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Wolfsburg - 28.12.2005 - AZ: 12 C 228/05
nachfolgend
BGH - 11.10.2007 - AZ: IX ZR 105/06

In dem Rechtsstreit

...

wegen Forderung

hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 06.04.2006 durch

die ...

die ...

den ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 28.12.2005 - Geschäfts-Nr.: 12 C 228/05 - wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

  2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

  3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Parteien streiten um die Berechtigung von Rechtsanwaltsgebühren, die der Kläger von dem Beklagten wegen der außergerichtlichen Vertretung des Beklagten gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber einfordert. Der erstinstanzlich unterlegene Beklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 28.12.2005 zur Zahlung von 1 905,18 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 30.06.2005 verurteilt worden. Bereits im Rahmen seines erstinstanzlichen Vortrags hat der Beklagte bestritten, von dem Kläger vor Übernahme des Auftrags nach § 49b Abs. 5 BRAO darauf hingewiesen worden zu sein, dass sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten. In der Sitzung vom 28.12.2005 hat der Beklagtenvertreter erklärt, er könne einen Beweisantritt für diese Behauptung nicht führen, da der Kläger zu 2) und der Beklagte allein verhandelt haben.

2

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

3

Seine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 02.01.2006 zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit einem am 19.01.2006 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz eingelegt und diese mit einem am 27.01.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet. Er hat seine Berufung insofern begrenzt, als er sich ausschließlich gegen die erstinstanzlich vorgenommene Beweislastverteilung im Hinblick auf die Norm des § 49b Abs. 5 BRAO wendet. Nach seiner Ansicht habe der Kläger insoweit zu beweisen, dass er den Beklagten entsprechend belehrt habe.

4

Der Beklagte beantragt,

  1. das Urteil des Amtsgerichts Wolfsburg vom 28.12.2005 - Geschäfts-Nr. 12 C 228/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Der Kläger beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

6

Er ist der Ansicht, dass der Beklagte die Voraussetzungen eines von ihm zur Aufrechnung gestellten Schadensersatzanspruchs wegen einer behaupteten Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 49b Abs. 5 BRAO vollständig darlegen und beweisen müsse.

7

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

8

Nach Auffassung der Kammer beruht die erstinstanzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei der Frage, wer den Hinweis des Rechtsanwalts auf die Abrechnung nach dem Gegenstandswert gemäß § 49b Abs. 5 BRAO darlegen und beweisen muss, nicht auf einer Rechtsverletzung gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO.

9

Denn die Kammer sieht keinen Anlass, hinsichtlich der Norm des § 49b Abs. 5 BRAO von dem Grundprinzip der Beweislastverteilung abzuweichen, nach dem jede Partei die Voraussetzungen einer ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen hat (vgl. BGH NJW 1999, 352, 353 [BGH 13.11.1998 - V ZR 386/97]).

10

Die Norm des § 49b Abs. 5 BRAO ist im Zuge des am 01.07.2004 in Kraft getretenen Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (Art. 4 Abs. 18 Nr. 1) eingeführt worden. Die Gesetzesmaterialien, niedergelegt im Regierungsentwurf BT-Drs. 15/1971, S. 232, schweigen zur Frage der Verteilung der Beweislast hinsichtlich der eingeführten anwaltlichen Hinweispflicht auf die Abrechnung nach dem Gegenstandswert:

"Nach dem vorgeschlagenen neuen Absatz 5 soll der Rechtsanwalt verpflichtet werden, seinen Mandanten vor Übernahme des Mandats darauf hinzuweisen, wenn sich die Gebühren nach dem Gegenstandswert richten. Es hat in der Vergangenheit immer wieder zu Unzuträglichkeiten geführt, wenn Mandanten vor allem bei hohen Gegenstandswerten von der Abrechnung "überrascht" wurden. Eine solche Hinweispflicht wird aber auch als ausreichend betrachtet. Nach einem entsprechenden Hinweis wird ein Mandant, der die Folgen dieser Form der Gebührenberechnung nicht abschätzen kann, den Anwalt hierzu befragen. Die Regelung soll im Dritten Teil der BRAO erfolgen, in dem die Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts geregelt sind. Die Unterrichtungsverpflichtung will die allgemeine Berufspflicht des Rechtsanwalts gemäß § 43a [richtigerweise: § 43] Satz 1 BRAO konkretisieren, die den Anwalt verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Sie stellt eine besondere Berufspflicht im Zusammenhang mit der Annahme und Wahrnehmung des Auftrags dar und steht damit auch in einem Zusammenhang mit den Unterrichtungspflichten gemäß § 11 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA), der auf der Grundlage von § 59b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe a BRAO erlassen worden ist."

11

Mit dem aus den Materialien zu entnehmenden Sinn und Zweck der Norm, den Mandanten - wie auch im vorliegenden Fall - vor einer für ihn unerwartet hohen Gebührenberechnung des Rechtsanwalts zu schützen, könnte argumentiert werden, dass insoweit der einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vorvertraglichen Hinweispflicht ausgesetzte Rechtsanwalt beweisen müsste, dass er den Mandanten über die Abrechnung nach dem Gegenstandswert vor der Übernahme des Auftrags hingewiesen und ihm somit die Möglichkeit eröffnet hat, durch gezieltes Nachfragen die finanziellen Folgen einer Beauftragung des Rechtsanwalts abzuschätzen. Denn eine solche Verteilung der Beweislast zu Lasten des Rechtsanwalts im Streitfall würde eine weitgehende Beachtung des § 49b Abs. 5 BRAO in der Praxis sicherstellen. In diese Richtung scheinen etwa diejenigen Stellungnahmen der Literatur zu tendieren, die feststellen, der Rechtsanwalt trage das Beweislastrisiko, wenn später darüber gestritten werde, ob der Hinweis auf die Gebührenberechnung nach dem Gegenstandswert erteilt worden sei (vgl. Hansens/Schneider, Formularbuch Anwaltsvergütung im Zivilrecht, Recklinghausen 2005, S. 2 m.w.N.; Madert, in: Gerold/Schmidt, RVG, 16. Auflage 2004, § 4 Rn. 227 unter Bezug auf BGH MDR 1990, 996 zur Aufklärungspflicht des Arztes; ähnlich auch Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, München 2004, § 1 Rn. 18). Nach einer in der Literatur geäußerten Gegenansicht ändert § 49b Abs. 5 BRAO nichts an der Beweislastverteilung, so dass der Mandant eine Verletzung der Hinweispflicht beweisen müsse. Zudem sei ein Verstoß gegen die Norm prinzipiell nur berufsrechtlich relevant (Völtz, BRAK-Mitt. 3/2004, 103, 104).

12

Die Kammer geht hingegen davon aus, dass der Norm des § 49b Abs. 5 BRAO im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorvertraglichen Verschuldens durchaus eine zivilrechtliche Bedeutung zukommen kann, wie es gerade auch die vorliegende Fallkonstellation verdeutlicht. Denn bei einer lediglich außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts kann der im Sinne der Differenzhypothese berücksichtigungsfähige Schaden auf einem Vergleich der Güterlage im Fall der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts mit derjenigen im Fall des Verzichts auf ein anwaltliches Tätigwerden beruhen. Jedoch besteht nach Überzeugung der Kammer kein Anlass, wegen der Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung des Rechtsanwalts auf Grund der Verletzung der Hinweispflicht des § 49b Abs. 5 BRAO zu einer von den allgemeinen Grundsätzen abweichenden Beweislastverteilung zu gelangen. Denn das Beweisrecht stellt dem in einem Vieraugengespräch mit seinem Rechtsanwalt nicht auf die Abrechnung der Rechtsanwaltsgebühren nach dem Gegenstandswert hingewiesenen Mandanten Mittel und Wege zur Verfügung, seinen Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt gerichtlich durchzusetzen, auch wenn der betroffene Mandant insoweit darlegungs- und beweisbelastet für den Verstoß gegen § 49b Abs. 5 BRAO ist.

13

Nach Auffassung der Kammer hätte der Beklagte, um etwa einen mit der in jedem Fall entstandenen (§ 612 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 RVG) Gebührenforderung der Kläger aufrechenbaren Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 49b Abs. 5 BRAO geltend zu machen, im erstinstanzlichen Verfahren nicht nur lediglich behaupten müssen, dass der Kläger zu 2) ihn vor der Übernahme des Auftrags nicht nach § 49b Abs. 5 BRAO auf die nach dem Gegenstandswert zu erhebenden Gebühren hingewiesen hat. Hinsichtlich dieser streitigen Behauptung hätte der nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastete Beklagte auch Beweis antreten müssen, etwa durch einen Antrag auf Parteivernehmung des Klägers zu 2). Der Beklagtenvertreter hat jedoch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, er könne einen Beweisantritt für die Behauptung, der Beklagte sei nicht auf die Abrechnung nach dem Gebührenstreitwert hingewiesen worden, nicht führen, da der Kläger zu 2) und der Beklagte allein verhandelt haben. Ohne die Anregung zur Parteivernehmung durch den in einer Beweisnot befindlichen Beklagten war dem Amtsgericht nicht die Möglichkeit eröffnet, entweder dieser Anregung tatsächlich durch Parteivernehmung des Klägers zu 2) nachzukommen (vgl. die Entscheidung des EGMR, NJW 1995, 1413, 1414 - Dombo Beheer B.V.) oder aber dem aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Grundsatz der Waffengleichheit dadurch zu genügen, dass die durch ihre prozessuale Stellung bei der Aufklärung des Vieraugengesprächs benachteiligte Partei nach § 141 ZPO persönlich angehört wurde (vgl. BGH, NJW 1998, 306 [BGH 09.10.1997 - IX ZR 269/96]; NJW 1999, 363, 364 [BGH 16.07.1998 - I ZR 32/96]; OLG Zweibrücken, NJW 1998, 167, 168). Denn aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO folgt nach ständiger Rechtsprechung, dass ein Gericht selbst nicht daran gehindert ist, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts eines Vieraugengesprächs und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug sogar vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben (vgl. BGH, GRUR 1990, 669, 672 [BGH 08.11.1989 - I ZR 14/88]; BGHZ 122, 115, 121 ). Eine Parteivernehmung des Klägers zu 2) von Amts wegen nach § 448 ZPO durch das Amtsgericht war jedenfalls ausgeschlossen, denn diese darf nur angeordnet werden, wenn auf Grund einer vorausgegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht (st. Rspr., vgl, BGH NJW 1989, 3222, 3223 [BGH 05.07.1989 - VIII ZR 334/88]; BGH, NJW-RR 1990, 409, 410 [BGH 16.01.1990 - VI ZR 109/89]; BGH, NJW-RR 1994, 636; BGH NJW 1999, 363, 364 [BGH 16.07.1998 - I ZR 32/96]).

14

Im Übrigen ist nach Auffassung der Kammer zu beachten, dass höchstrichterlich mit einer bereits auf das RG zurückgehenden Rspr. des BGH geklärt ist, dass derjenige, der einen zur umfassenden Belehrung und Aufklärung Verpflichteten, z.B. einen Rechtsanwalt oder Notar, auf Leistung von Schadensersatz in Anspruch nimmt, weil dieser seine Pflichten nicht gehörig erfüllt habe, für dieses Unterlassen die Beweislast trägt, auch wenn ihm damit der Beweis einer negativen Tatsache aufgebürdet wird (RG, HRR 1933 Nr. 1746; BGH, VersR 1968, 1059, 1061; NJW 1985, 264, 265 [BGH 16.10.1984 - VI ZR 304/82]; NJW 1987, 1322, 1323 [BGH 05.02.1987 - IX ZR 65/86]; zum Beweis negativer Tatsachen im Übrigen vgl. BGHZ 16, 307, 310; BGH, VersR 1966, 1021, 1022). Nach Ansicht des BGH verlangt der Charakter der Rechtsbeziehungen zwischen dem Mandanten und dem Anwalt bzw. Notar als Vertrauensverhältnis keine Umkehr der Beweislast, da sonst die Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant über Gebühr belastet würde, wenn der Anwalt stets bestrebt sein müsste, sich im Hinblick auf mögliche Regressprozesse eine Beweisunterlage zu schaffen ( NJW 1985, 264, 265 [BGH 16.10.1984 - VI ZR 304/82]). Aus diesem Grund erkennt die gerichtliche Praxis bislang eine Umkehr der Beweislast nur in den Fällen einer Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Hinweispflichten außerhalb des Verhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant an (vgl. etwa BGH NJW 1996, 2503; NJW-RR 1997, 144, 145 [BGH 20.09.1996 - V ZR 173/95]).

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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 709 ZPO.

16

Die Kammer hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, da die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Frage der Beweislastverteilung bei § 49b Abs. 5 BRAO bisher höchstrichterlich nicht geklärt, klärungsbedürftig und klärungsfähig ist und sie das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH NJW 2002, 2957 [BGH 04.07.2002 - V ZR 75/02]; 2002, 3029) .

Streitwertbeschluss:

Streitwert:

1 905,18 € (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO)