Landgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.04.2006, Az.: 9 O 654/06 (114)
Voraussetzungen eines Anspruchs gegen eine Zeitung auf eine Gegendarstellung wegen Zuordnung eines inhaltlich problematischen Leserbriefes zu einer bestimmten Person; Anspruch auf einen effektiven "Klarstellungsanspruch" nach dem Recht der Gegendarstellung bei Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht; Doppelter Zweck des Erfordernisses der eindeutigen Kennzeichnung einer Gegendarstellung
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 06.04.2006
- Aktenzeichen
- 9 O 654/06 (114)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 32903
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:2006:0406.9O654.06.114.0A
Rechtsgrundlagen
- § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO
- § 11 PresseG,NI
Fundstellen
- ZUM 2007 (red. Leitsatz)
- ZUM-RD 2006, 575-577
Tenor:
- 1.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Verfügungskläger zu 1/4 und die Verfügungsbeklagte zu 3/4.
- 2.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Verfügungskläger (im folgenden Kläger) hat die Verfügungsbeklagte (im Folgenden Beklagte) auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Der Kläger ist Mitglied der islamischen Gemeinschaft in .... Er ist dort ehrenamtlich in der Jugendbetreuung tätig.
Die Beklagte verlegt die Zeitung.
Auf Seite 20 der Zeitung vom 24.02.06 ist auf der "Leser-Seite" unter der Überschrift "ich finde "Tal der Wölfe" klasse" ein Leserbrief abgedruckt worden. Dieser war unterschrieben mit "I., Jugendabteilung, ...". Wegen des Inhalts des Leserbriefes wird auf die Anlage K 2 Bezug genommen.
Nach Erscheinen des Leserbriefes hat sich der Kläger zunächst persönlich und später dann durch anwaltliches Schreiben an die Beklagte gewandt und erklärt, dass dieser Brief nicht von ihm stamme. Dem Richtigstellungs-/Gegendarstellungsverlangen ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Es wurde daraufhin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Parteien einen (Widerrufs-) Vergleich geschlossen:
Der Kläger behauptet, der Brief stamme nicht von ihm. Die verwendete Email-Adresse könne von jedem Benutzer des Jugendzentrums benutzt werden. Dort seien Rechner für die Internetnutzung aufgestellt. Er ist der Auffassung, dass ihm der ursprünglich geltend gemachte Gegendarstellungsanspruch zustehe.
Für den Fall des Widerrufs hat der Kläger beantragt,
im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit halber ohne mündliche Verhandlung - der Beklagten gemäß § 11 Pressegesetz Niedersachen aufzuerlegen,
in dem gleichen Teil der "Zeitung", in dem der Leserbrief mit der Überschrift "ich finde "Tal der Wölfe" klasse (Zeitung vom 24.02.06, Seite 20) erschienen ist und mit gleicher Schrift wie der Leserbrief unter Hervorhebung der Überschrift "Tal der Wölfe" in einer Schriftgröße, wie die Überschrift des Leserbriefes vom 24.02.06 "ich finde "Tal der Wölfe" klasse" in der nächsten für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer der . Zeitung die folgende Gegendarstellung zu veröffentlichen:
"Tal der Wölfe"
In der Zeitung vom 24.02.06 wird auf Seite 20 auf der Leser-Seite ein Leserbrief mit der Überschrift "ich finde "Tal der Wölfe" klasse' veröffentlicht, der mit I. Jugendabteilung, schließt.
Hierzu stelle ich fest: Der Leserbrief stammt nicht von mir.
Braunschweig, den 07.03.06.
Hilfsweise
hat der Kläger beantragt,
in die Überschrift den Zusatz "Gegendarstellung" einzufügen.
Die Beklagte hat beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die begehrte Gegendarstellung nicht abdruckfähig und irreführend sei.
Sie habe schon mehrfach Leserbriefe unter dem Namen des Klägers erhalten. Der Kläger sei auch unter der am 24.02.06 verwendeten Email-Adresse bereits mit der Beklagten in Kontakt getreten.
Der Vergleich ist nicht widerrufen worden. Er lautet:
- 1.
Die Verfügungsbeklagte wird in ihrer Freitagsausgabe vom 31.03.2006 auf der Seite mit den Leserbriefen (Leserseite) die Darstellung des Verfügungsklägers, wie sie der Anlage zum Protokoll entspricht, veröffentlichen.
Diese Anlage zum Protokoll lautet wie folgt:
Zu dem Leserbrief: "Tal der Wölfe"
In der Zeitung vom 24.02.06 wird auf Seite 20 auf der Leser-Seite ein Leserbrief mit der Überschrift "ich finde "Tal der Wölfe" klasse' veröffentlicht, der mit Jugendabteilung, schließt.
Soweit dadurch der Eindruck erweckt wird, dass der Leserbrief von mir stammt, stelle ich dazu fest: Der Leserbrief stammt nicht von mir.
Braunschweig, den 28.03.06
- 2.
Die Parteien erklären im Hinblick auf diesen Vergleich den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und bitten die Kammer um eine Entscheidung gemäß § 91 a ZPO.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2006 Bezug genommen.
II.
1)
Durch Wirksamwerden des Vergleichs zwischen den Parteien liegt eine übereinstimmende Erledigungserklärung vor. Nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Kammer daher über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss zu entscheiden. Eine Anwendung des § 98 ZPO ist nach dem Gang der mündlichen Verhandlung und dem Inhalt des geschlossenen Vergleichs nicht möglich.
2)
Nach Auffassung der Kammer hätte der Kläger mit seinem ursprünglich angekündigten Antrag im wesentlichen und hinsichtlich der Überschrift mit dem Hilfsantrag obsiegt. Dies führt zu der im Tenor ausgesprochenen Kostenverteilung. Soweit die Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruchs zwischen den Parteien streitig sind, gilt folgendes:
a)
Dem Kläger stand ein Anspruch aus § 11 Nds.PresseG zu.
Der Gegendarstellungsanspruch nach § 11 Nds.PresseG erstreckt sich auch auf Tatsachenbehauptungen in Leserbriefen (Seitz/Schmidt/Schöner, Der Gegendarstellungsanspruch, 3. Aufl., Rn. 311, Rn. 367; Löffler, Pressrecht, 4. A. § 11 LPG Rn. 107; Münchner Kommentar zum BGB, 4. A. Anh. Persönlichkeitsrecht, Rn. 237; vgl. BHG NJW 1986, 2503 [BGH 27.05.1986 - VI ZR 169/85] (2505 - Landesverrat für den Unterlassungsanspruch). Dabei geht es um die Fälle, in denen in dem Leserbrief selbst eine Tatsache behauptet wird und die Zeitung auch für diese Behauptung eines Dritten im Wege der Gegendarstellung in Anspruch genommen wird.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um den Inhalt des Leserbriefes, sondern um die Verbindung des Leserbriefes mit dem Namen des Klägers. Durch den Abdruck und den darunter gesetzten Namen wird gleichzeitig die Tatsachenbehauptung aufgestellt, dieser Leserbrief stamme von dem Kläger (vgl. Seitz/Schmidt/Schöner a.a.O, Rn. 366; OLG München NJW 1988, 349 [OLG München 13.02.1987 - 21 U 5627/86] unter 3 d)).
Die Frage, ob ein Leserbrief von Kläger stammt oder nicht, ist grundsätzlich dem Beweis zugänglich.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wird nicht lediglich der Eindruck erzeugt, dass der Leserbrief von dem Kläger stamme. Die Kategorie der "Eindrucksgegendarstellung" passt auf Fälle der vorliegenden Art nicht. Es geht dort um Konstellationen, in denen nicht ausdrücklich etwas behauptet wird, sondern quasi zwischen den Zeilen beim durchschnittlichen Leser ein bestimmter Eindruck entsteht (vgl. Seitz/Schmidt/Schöner, a.a.O., Rdnr. 313).
Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass dem Durchschnittsleser klar sei, dass die Beklagte keine Überprüfung der Identität des Leserbriefschreibers vornehme und dass sie daher mit dem Abdruck auch keinerlei Richtigkeitsgewährung für die Identität des Schreibers übernehmen könne und deshalb auch keine dahingehende Tatsache behaupte, geht dies an der Wahrnehmung des Durchschnittslesers vorbei. Dem Abdruck eines solchen Leserbriefes mit Unterschrift entnimmt er nicht nur die Tatsache, dass ein solches Schreiben mit einer solchen Namensangabe bei der Zeitung eingegangen ist, sondern darüber hinaus auch die Tatsache, dass dieser Brief tatsächlich von dem angegebenen Schreiber stammt.
Es entspricht auch der herrschenden Meinung, dass die Zeitung für Tatsachenbehauptungen in Leserbriefen ebenso in Anspruch genommen kann wie für eigene (vgl. Löffler, a.a.O.; Seitz/Schmidt/Schöner, a.a.O. Rn. 311). Auch dort ist dem Leser bewusst, dass es sich nicht um eine eigene Tatsachenbehauptung der Zeitung handelt. Dennoch kann sie nach den allgemeinen Regeln in Anspruch genommen werden. Dies muss auch für die Absenderangabe gelten.
Die Kammer verkennt nicht, dass der Beklagten praktisch nur sehr eingeschränkte Prüfungsmöglichkeiten zustehen. Für den Gegendarstellungsanspruch kommt es aber weder auf die Wahrheit der behaupteten Tatsache, noch auf ein Verschulden der Zeitschrift an.
Auf der anderen Seite kann die Zuordnung eines inhaltlich problematischen Leserbriefes zu einer bestimmten Person einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bedeuten, so dass ein effektiver "Klarstellungsanspruch" nach dem Recht der Gegendarstellung gegeben sein muss. Eine Rechtsgrundlage für den einschränkenden Zusatz, der nach Auffassung der Beklagten lauten müsste "soweit dadurch der Eindruck erzeugt wird, dass dieser Leserbrief von mir stammt", sieht die Kammer nicht.
b)
Der Kläger hatte in seinem Hauptantrag für die Gegendarstellung nur die Überschrift "Tal der Wölfe" ohne einen weiteren Zusatz gewählt. Dies war nach Auffassung der Kammer nicht zulässig. In einem solchen Fall wäre nach Hinweis der Kammer aber eine Änderung des Antrages möglich gewesen (Seitz/Schmidt/Schöner a.a.O, Rdnr. 709). Dem hat der Kläger mit seinem Hilfsantrag Rechnung getragen.
Das Erfordernis, eine Gegendarstellung eindeutig zu kennzeichnen, dient einem doppelten Zweck. Es soll zum einen eine gewisse Aufmerksamkeit des Lesers erzeugt werden, um zu gewährleisten, dass eine Gegendarstellung überhaupt wahrgenommen wird. Es soll aber auch im Hinblick auf den Schutz der Pressefreiheit eine deutliche Trennung vom redaktionellen Teil erfolgen, um klarzustellen, dass es sich um einen nicht von der Zeitung zu verantwortenden Teil handelt.
Diesen Erfordernissen trägt die reine Sachüberschrift "Tal der Wölfe" nicht ausreichend Rechnung. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Abdruck auf der "Leser-Seite" erfolgen sollte, wäre es erforderlich gewesen, einen klarstellenden Zusatz hinzuzufügen. Auf der Leser-Seite finden sich regelmäßig (wie z.B. am 24.02.06- Anl. K 2) auch redaktionelle Teile. Es kann offen bleiben, ob es statt des Zusatzes "Gegendarstellung" genügt hätte "Dementi" (vgl. LG Köln, AfP 1992, 383 [OLG Hamburg 05.11.1992 - 3 U 131/92]) oder einen anderen Zusatz wie "Zu dem Leserbrief ...." zu wählen, aus dem sich der Charakter als Gegendarstellung ergibt. Die lediglich "redaktionelle" Überschrift "Tal der Wölfe" wäre nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht ausreichend.
Die von Kläger zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf (AfP 1985, 68 [OLG Düsseldorf 16.01.1985 - 15 U 220/84]) betrifft einen anderen Sachverhalt. Es ging zu einen dort um den Inhalt des Leserbriefes und außer dem war die abgedruckte Gegendarstellung - soweit dies aus dem mitgeteilten Sachverhalt ersichtlich ist - mit Überschriften versehen, die deutlich auf Inhalt und Anlass der Gegendarstellung hingewiesen haben.
3)
Da der Kläger im Ergebnis nur mit seinem Hauptantrag unterlegen wäre, mit dem - nach Hinweis der Kammer geltend gemachten - ergänzenden Hilfsantrag aber obsiegt hätte, ist unter Abwägung aller Gesichtspunkte eine Kostenquote von 1/4 zu 3/4 zu Lasten der Beklagten angemessen.
4)
[s. Streitwertbeschluss]
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert war vor dem Hintergrund des Inhaltes des Leserbriefes und der Stellung des Klägers und der Auflage der Beklagten auf 10.000,00 EUR festzusetzen.