Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 04.10.2022, Az.: 12 A 4490/20

Abwägung; Assoziationsabkommen; Ausweisung; Ausweisungsschutz; Grundinteresse der Gesellschaft; schwerwiegende Gefahr; schwerwiegendes Ausweisungsinteresse; Terrorismus; typisiertes Ausweisungsinteresse; Verhältnismäßigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
04.10.2022
Aktenzeichen
12 A 4490/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 50426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2022:1004.12A4490.20.00

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 28.07.2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung.

Der Kläger ist am C. in D. geboren und türkischer Staatsangehörigkeit. Aufgrund seiner Geburt im Bundesgebiet und der Aufenthaltserlaubnis seiner Mutter war er nach seiner Geburt zunächst im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach dem seinerzeit geltenden Ausländergesetz und anschließend im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz. Seit dem 14.03.2016 ist der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

Strafrechtlich ist der Kläger wie folgt in Erscheinung getreten:

Mit Urteil des Amtsgerichts E. vom 30.04.2018 wurde der Kläger wegen Diebstahls in 2 Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Der Kläger hatte am 17.11.2017 in zwei Geschäften Oberbekleidung und Parfum gestohlen und den Ladendetektiv, der ihn gestellt hatte, mit der Faust geschlagen sowie eine Zeugin gegen eine Wand gestoßen.

Ein Ermittlungsverfahren im Jahr 2018 wegen des Verdachts der Körperverletzung stellte die Staatsanwaltschaft E. mangels öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung ein. Dem Kläger war vorgeworfen worden, bei einem Fußballspiel am 04.11.2018 einem gegnerischen Spieler mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben.

Ein Strafverfahren mit dem Vorwurf, der Kläger habe am 24.02.2019 bei einem Fußballspiel in einer Rudelbildung mit körperlichen Auseinandersetzungen einen Zeugen, der am Boden gelegen habe, mit seinem stollenbesetzten Fußballschuh ins Gesicht getreten und damit einen Augenhöhlen- und Jochbeinbruch verursacht, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts E. vom 07.12.2020 gegen eine Geldauflage von 2.000,00 Euro eingestellt.

Am 13.03.2017 beantragte der Kläger seine Einbürgerung.

Kurz zuvor hatte das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (Niedersächsisches Innenministerium) mit Verfügung vom 07.03.2017 den F. (G.) verboten und aufgelöst. Das Verbot war erfolgt, da sich der Verein gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet hatte und seine Tätigkeit Strafgesetzen zuwidergelaufen war. Insbesondere waren in dem Verein in konspirativer Art und Weise durch Indoktrination mit der jihadistisch-salafistischen Ideologie Personen zielgerichtet radikalisiert worden, um diese zur Ausreise in Kriegsgebiete nach Syrien und in den Irak und zum Anschluss an den sogenannten "Islamischen Staat" (IS) zu motivieren.

Unter dem 06.06.2018 nahm das Niedersächsische Innenministerium zu dem Einbürgerungsantrag des Klägers Stellung: es lägen sicherheitsrechtliche Bedenken und Ausschlussgründe gegen die Einbürgerung vor. Erkenntnisse zeigten Unterstützungshandlungen des Klägers für den G. und könnten die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger Bestrebungen verfolge und unterstütze und verfolgt und unterstützt habe, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten und durch die Anwendung von Gewalt bzw. darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Der Kläger könne dem Anhängerkreis des G. zugerechnet werden. Aus einer Einbindung des Klägers in die Vereinsstrukturen sei zu folgern, dass er sich die dort vertretenen inkriminierten Ziele subjektiv zu eigen gemacht und sie unterstützt habe. Der Kläger sei in den Jahren 2015 und 2016 regelmäßiger Besucher des G. gewesen. Er habe dort neunmal als Besucher und einmal als Seminarteilnehmer festgestellt werden können. Darüber hinaus habe er zusammen mit einer hohen Zahl regelmäßiger G. -Besucher vom 06. bis zum 08.05.2016 ein Seminar in Kassel besucht, das von H. (I.) gehalten worden sei. Das Seminar habe einem Geheimhaltungsmuster entsprochen, das für alle vom G. durchgeführten Seminare gegolten habe. Die Seminare seien unter strengen Sicherheitsanweisungen und unter Abschottung von der Außenwelt durchgeführt und die Teilnehmer seien ausdrücklich zur Konspirativität unter latenter Gewaltdrohung aufgerufen worden. Während des vom Kläger besuchten Seminars habe J. dargelegt, wie nach seiner Auffassung mit Abtrünnigen umgegangen werden solle, und habe gesagt, man müsse sie sich schnappen und sie töten, auch wenn man dann ins Gefängnis gehe. Eine Aussage sei gewesen "Schlachtet seinen Kopf, damit die anderen es sehen und das nicht nachmachen". Er habe den Jihad als Pflicht dargestellt.

Daraufhin führte die Beklagte im Beisein einer Vertreterin des Niedersächsischen Innenministeriums mit dem Kläger am 05.03.2019 ein Sachverhaltssaufklärungsgespräch. Nach dem Protokoll des Gesprächs gab der Kläger unter anderem an, er und seine Geschwister seien von der K. -Moschee zum G. gewechselt, weil die L. -Moschee immer und nicht nur zu den Gebetszeiten geöffnet gewesen sei. Er könne nicht mehr sagen, wann er das erste Mal dort gewesen sei, aber es sei zu Anfang gewesen, als es dort noch kein warmes Wasser gegeben habe. Von der negativen Berichterstattung zum G. habe er nichts mitbekommen. Auf J. angesprochen erklärte der Kläger, ihn in den Freitagsgebeten und vielleicht auch mal draußen vor der Tür getroffen zu haben. Erst auf Vorhalt räumte er ein, ihn in M. drei Tage in einem Seminar erlebt zu haben. Dazu gab er an, es sei ihm entfallen gewesen. Er sei als Besucher gemeldet gewesen und habe in der Moschee übernachtet. Insgesamt seien mehr als hundert Besucher dort gewesen. Er sei die Tage krank gewesen und habe viel geschlafen. Äußerungen wie "Köpfe abschlagen" habe er nicht mitbekommen. Ebenfalls erst auf Vorhalt räumte der Kläger ein, dass N. ihn damals im Auto mitgenommen hatte.

Unter dem 12.11.2019 teilte das Niedersächsischen Innenministerium mit, dass es nach der Durchführung des Sachverhaltsaufklärungsgesprächs an seiner Auffassung festhalte, dass sicherheitsrechtliche Bedenken gegen die Einbürgerung des Klägers bestünden. Aus seinen Antworten ließe sich schließen, dass der Kläger ein langjähriger Besucher des L. gewesen und über die vorgehaltenen Jahre 2015/2016 hinweg dort aktiv gewesen sei. Er habe nicht dargelegt, warum er nicht mehr in die K. -Moschee gegangen sei. Der von ihm angegebene Grund, dass die Moschee des L. über die Freitagsgebetszeiten hinaus geöffnet gewesen sei, könne nicht tragen, da er behauptet habe, die Moschee lediglich zu den Freitagsgebeten besucht zu haben. Die Besuche des Klägers in der Moschee hätten nach der SEK-Durchsuchung im Sommer 2016 und damit nicht aus freien Stücken aufgehört. Bezüglich seines Seminarbesuchs in M. habe der Kläger versucht zu täuschen. Er sei dreimal erfolglos gefragt worden, ob er J. auch noch an anderen Orten gesehen habe als in der Moschee in E. und habe erst auf Vorhalt eingeräumt, das dreitägige Seminar besucht zu haben. Auch zu der Anreise habe er nur zögerlich geantwortet und erst auf Vorhalt eingeräumt, dass N. der Fahrer gewesen sei. Dabei habe es sich bei dem Fahrer um ein damaliges Vorstandsmitglied des L. gehandelt. Seine Mitfahrer habe der Kläger verschwiegen. Soweit der Kläger angegeben habe, er habe von den Seminarinhalten nichts mitbekommen, da er krank gewesen sei und viel geschlafen habe, sei dies als Vorwand einzuordnen, um nicht auf die verfassungsfeindlichen Inhalte des Seminars eingehen zu müssen. Der Kläger habe die ihm eröffnete Möglichkeit, seine Besuche im L. und des Seminars offen einzuräumen und eine mögliche Abkehr darzulegen, nicht genutzt. Er habe nur das Nötigste eingeräumt und seine Aktivitäten und sein damaliges Umfeld nicht reflektiert.

Am 11.07.2019 heiratete der Kläger in der Türkei. Die Ehefrau des Klägers reiste am 16.01.2020 mit einem Visum zum Ehegattennachzug aus der Türkei in das Bundesgebiet ein. Ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.02.2020 und der Begründung ab, dass Erkenntnisse vorlägen, die geeignet seien, Unterstützungshandlungen des Klägers für den G. zu belegen.

Mit Bescheid vom 09.04.2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Einbürgerung ab. Gegen die Ablehnung erhob der Kläger Klage vor dem hiesigen Gericht (10 A 2546/20).

Mit Beschluss vom 06.07.2020 (12 B 1328/20) lehnte das hiesige Gericht den Antrag der Ehefrau auf vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich ihres Antrags auf Aufenthaltserlaubniserteilung ab, die Beschwerde der Ehefrau gegen den Beschluss wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -) zurück.

Mit Bescheid vom 28.07.2020 wies die Beklagte den Kläger nach entsprechender Anhörung aus und drohte ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Weiterhin befristete die Beklagte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 20 Jahre nach erfolgter Ausreise und forderte den Kläger auf, seinen türkischen Nationalpass sowie jedes weitere, in seinem Besitz befindliche Reisedokument, seine Niederlassungserlaubnis sowie eine ausländerbehördliche Bescheinigung vom 21.04.2020 binnen Frist bei ihr abzugeben. Zur Begründung führte die Beklagte aus, bei Abwägung der Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet mit den öffentlichen Interessen an seiner Ausweisung würden die öffentlichen Interessen überwiegen. Der Kläger erfülle ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, denn er gefährde die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Es lägen Erkenntnisse vor, die Unterstützungshandlungen des Klägers für den mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegten G. belegten. Der Kläger habe, auch wenn er kein aktives Mitglied im Sinne der Satzung des Vereins gewesen sei, durch seine regelmäßigen Moscheebesuche und durch seine Teilnahme an einem Seminar in M. den G. aktiv unterstützt. Nachweislich seien sieben Besuche in der Moschee festgestellt worden und die Besuche von Seminaren am 25./26.03.2016 und vom 06. bis zum 08.05.2016. Durch diese Besuche und Seminarteilnahmen habe der Kläger den Fortbestand und die auf die Verwirklichung der auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele des Vereins gefördert. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen habe. Die im Sachverhaltsaufklärungsgespräch gegebene Möglichkeit, sich glaubhaft von dem Gedankengut des G. zu distanzieren, habe der Kläger nicht wahrgenommen. Die öffentlichen Interessen würden auch die besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen des Klägers überwiegen. So sei der Kläger im Bundesgebiet geboren und seit dem Jahr 2016 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Auch habe der Kläger einen erweiterten Sekundarabschluss erzielt und arbeite als Servicemonteur. Der Kläger habe aber die türkische Staatsangehörigkeit und spreche kurdisch, so dass ihm auch ein Leben in der Türkei möglich sei. Mit seiner Ehefrau verständige sich der Kläger auf Kurdisch, da diese nur über einfache deutsche Sprachkenntnisse verfüge. Die Anwesenheit der Ehefrau im Bundesgebiet vermittele dem Kläger zudem kein Bleibeinteresse, da die Ehefrau vollziehbar ausreisepflichtig sei. Da der Kläger bereits volljährig sei, könne auch eine Bindung zu seinen in E. lebenden Eltern kein Bleibeinteresse begründen. Die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot betrage nach dem Gesetz 20 Jahre, da der Kläger zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen werde. Es bestehe eine erhebliche Gefahr, dass der Kläger bei einer Rückkehr in das Bundesgebiet eine religiös motivierte Straftat oder gar einen terroristischen Anschlag verübe.

Der Kläger hat am 25.08.2020 Klage erhoben.

Mit Schreiben vom 01.09.2020 hat das Innenministerium im Einbürgerungsverfahren des Klägers an die Beklagte ergänzend darauf hingewiesen, dass der Kläger nach weiteren Erkenntnissen in den Jahren 2019 und 2020 wiederkehrende Kontakte in die salafistische Szene O. gehabt habe, unter anderem mit N.. N. sei einer der führenden Hintermänner des G. gewesen und habe die Ziele des Vereins in vielschichtiger Weise vertreten. Er sei ein Mitbegründer des Vereins gewesen und habe zusammen mit anderen Salafisten als Prediger fungiert. Die Kontakte des Klägers seien dahingehend zu bewerten, dass der Kläger die salafistische Einstellung des N. weiterhin teile.

Am 11.03.2021 hat der Kläger seine auf die Verpflichtung der Beklagten, ihn einzubürgern, gerichtete Klage (10 A 2546/20) in der mündlichen Verhandlung der 10. Kammer des hiesigen Gerichts zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 26.07.2021 hat das hiesige Gericht das Klageverfahren der Ehefrau des Klägers (12 A 1326/20) eingestellt. Die Ehefrau hatte das Klageverfahren trotz Aufforderung nicht betrieben.

Der Kläger trägt vor, ihm stehe besonderer Ausweisungsschutz zu, da er dem Assoziationsabkommen mit der Türkei unterfalle. Sowohl sein Vater als auch er selbst seien in der Vergangenheit in Vollzeit berufstätig gewesen und hätten dem regulären Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden. Er sei auch im Übrigen bestens integriert. Er habe sich nie verfassungsfeindlich geäußert oder zu Straftaten aufgerufen, beziehungsweise diese unterstützt. Er akzeptiere die freiheitliche demokratische Grundordnung und identifiziere sich mit ihr. Er lebe nach den Prinzipien der Demokratie und befolge die Regeln und Gesetze der Bundesrepublik. Es seien bisher keine konkreten Erkenntnisse vorgelegt worden, die seine angebliche Unterstützung des G. belegten. Lediglich wenige spontane Besuche in den Räumen des G. sowie zwei Seminarbesuche reichten der Beklagten, um ihm, dem Kläger, den Weg für seine weitere Zukunft zu versperren. Dass er kein regelmäßiger Besucher der Moschee gewesen sei, zeige sich schon daran, dass man ihn lediglich siebenmal erfasst habe, obwohl die Moschee längere Zeit observiert worden sei. Die Observierungsbilder von drei verschiedenen Tagen schienen zudem alle an demselben Tag aufgenommen worden zu sein. Weitere Tatsachen seien den Äußerungen des Niedersächsischen Innenministeriums oder den Vorgängen der Beklagten nicht zu entnehmen. Die Beklagte stütze sich auf Mutmaßungen. Er habe aber als Besucher der Moschee keinerlei terroristische Unterstützungshandlungen unterstützt oder gebilligt. Auch habe er bei seinen Besuchen in der Moschee die innere Ansicht des G. nicht erkannt. Er habe zu keinem Zeitpunkt Verherrlichungen der Taten des IS mitbekommen. Sein Wechsel von der K. -Moschee zur Moschee des L. sei lediglich dem Umstand geschuldet gewesen, dass sein überwiegender Freundeskreis die L. -Moschee besucht habe. Für den Besuch des Seminars in M. habe der L. mit Verpflegung geworben, für die keine Kosten erhoben worden seien. Er habe das Angebot wahrgenommen, um mal aus E. rauszukommen. Es sei eine Art Schulausflug gewesen. Während des Seminars sei er jedoch erkrankt und habe die meiste Zeit im Bett verbracht. Seine Besuche in der Moschee hätten keine fremden Personen dazu animiert, die Moschee ebenfalls zu besuchen. Als aus den Medien die wahre Ideologie zum Vorschein gekommen sei, habe er sich vom L. und seinem Umfeld distanziert. Dass der Prediger der Moschee zwischenzeitlich verurteilt worden sei, habe mit ihm nichts zu tun und stelle ihn nicht unter Verdacht. Da er den G. nie unterstützt habe, sei für ihn auch keine Abwendung möglich. Bereits in dem Sachverhaltsaufklärungsgespräch habe er sich eindeutig von dem Verein und dem damit verbundenen Personenkreis distanziert.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger könne kein eigenes Aufenthaltsrechts aus dem Assoziationsabkommen herleiten. Er sei nicht ein Jahr lang durchgehend ordnungsgemäß bei einem Arbeitgeber beschäftigt gewesen, da eine solche ordnungsgemäße Beschäftigung eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position voraussetze, welche beim Kläger nicht gegeben sei. Soweit ein erhöhter Ausweisungsschutz aufgrund eines Aufenthaltsrechts des Vaters des Klägers nach dem Assoziationsabkommen bestehe, bleibe die Ausweisung hiervon unberührt. Die erhöhten Voraussetzungen für eine Ausweisung könnten ebenfalls bejaht werden. Durch seine individuellen Unterstützungshandlungen habe der Kläger zur Verbreitung der salafistischen Ideologie und des Anwerbens für den IS beigetragen. Glaubhaft abgewandt habe er sich nicht. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger die obersten Wertprinzipien und Normen des Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschland ablehne und die im Grundgesetz verankerten fundamentalen Wertentscheidungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie das Demokratieprinzip, die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit und die universale Geltung der Menschenrechte negiere. Hierdurch gefährde der Kläger das Grundinteresse der Gesellschaft am Erhalt der genannten Werte, so dass ein weiterer Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet nicht hinnehmbar sei. Der über den Erstkontakt hinausgehende Besuch der Moschee des L. durch den Kläger, die Teilnahme an den Seminaren sowie die Anreise dorthin im Auto des N. seien als Unterstützungshandlungen anzusehen. Dies habe auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in dem Eilverfahren der Ehefrau des Klägers festgestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei der Unterstützerbegriff weit auszulegen. Der Kläger versuche, seine Unterstützungshandlungen zu verharmlosen. Die Teilnahme an Seminaren, welche durch I. geleitet worden seien, mit einem Ausflug in die Jugendherberge zu vergleichen, bedeute die Indoktrinierung und Radikalisierung ins Lächerliche zu ziehen. Das verbiete sich angesichts der ausgereisten und im Kampf für den IS gestorbenen jungen Männer. Der Verfassungsschutz habe in einer Stellungnahme vom 01.09.2020 zudem dargelegt, dass die Kontakte des Klägers in die salafistische Szene und unter anderem zu N. noch immer anhielten. Die Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot ergebe sich aus dem Gesetz. Die Dauer von 20 Jahren sei die regelmäßig festzusetzende Frist. Es müsse angenommen werden, dass der Kläger auch vor der Begehung oder von der Beteiligung an islamistisch motivierter Straftaten nicht zurückschrecke. Nach den vorliegenden Erkenntnissen habe der Kläger im Übrigen nicht nur den G., sondern auch den verbotenen "P." (Q.) in M. unterstützt.

Die Beklagte hat ein Schreiben des Niedersächsischen Innenministeriums vom 23.02.2021 vorgelegt, in dem zu verschiedenen kalendarischen Daten Fotos des Klägers abgebildet sind. Sämtliche Fotos sind vom Hintergrund freigestellt, weshalb nicht erkennbar ist, wo sie jeweils aufgenommen worden sind.

Mit Urteil des Oberlandesgerichts R. vom 24.02.2021 ist I. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und mit Terrorismusfinanzierung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist nach dem Zurückweisen der Revision durch den Bundesgerichtshof am 12.09.2022 rechtskräftig geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und in dem Einbürgerungsverfahren des Klägers (10 A 2546/20) sowie in dem Eilverfahren der Ehefrau des Klägers (12 B 1328/20), die von der Beklagten übersandten ausländerrechtlichen Verwaltungsvorgänge und den Einbürgerungsvorgang des Klägers Bezug genommen. Weiterhin Bezug genommen wird auf die Verbotsverfügung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 07.03.2017, den G. betreffend, sowie die Verbotsverfügung des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 16.03.2017, den "P." betreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.07.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Ausweisung des Klägers ist rechtswidrig.

Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei dieser - nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen und damit gerichtlich voll überprüfbaren Ausweisungsentscheidung vorzunehmenden - Abwägung sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

Dem Kläger kommt allerdings besonderer Ausweisungsschutz zugute (dazu unter 1.). Obwohl er ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse verwirklicht (dazu unter 2.), rechtfertigt sein Verhalten im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18; Urt. vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 12) seine Ausweisung nicht (dazu unter 3. und 4.).

1. Der Kläger kann nach § 53 Abs. 3 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz beanspruchen.

Gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 -) ein Aufenthaltsrecht zusteht, nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Die ihrem Wortlaut nach lediglich beschäftigungsrechtlichen Regelungen des Assoziationsabkommens sind dabei zwangsläufig auch als damit einhergehende Aufenthaltsrechte zu verstehen, da die in den Bestimmungen eingeräumten Arbeitsmarktzugangsrechte anderenfalls wirkungslos wären (st. Rspr. des EuGH, vgl. nur Nr. 2.6 der Allgemeinen Anwendungshinweise des BMI zum Beschluss Nr. 1/80 vom 26.11.2013 - AAH-ARB 1/80 -). Dem Kläger steht ein solches Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen zu.

Dahinstehen kann, ob der Kläger gemäß Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 ein eigenes Aufenthaltsrecht erworben hat. Er kann sich - das hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt - zumindest auf ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 berufen.

Nach Art. 7 Satz 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Als Familienangehöriger gilt dabei ein Kind bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 21) und erwerben können Kinder das Assoziationsrecht außer durch Zuzug aus dem Ausland auch durch ihre Geburt im Bundesgebiet (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 32). Voraussetzung für das abgeleitete Recht ist allerdings, dass zwischen dem Kind und dem türkischen Arbeitnehmer über den Zeitraum der drei Jahre eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 40) und der türkische Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des dreijährigen Zusammenlebens dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates angehört (vgl. Nr. 4.8 AAH-ARB 1/80). Beachtlich sind dabei nicht allein die ersten drei Jahre des Zuzugs bzw. nach der Geburt des betreffenden Familienangehörigen (vgl. BayVGH, Urt. vom 10.06.2022 - 10 B 22.244 -, juris; Sächs. OVG, Beschl. vom 23.07.2019 - 3 B 174/19 -, juris Rn. 10 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. vom 21.12.2016 - C-508/15 und C-509/15 -; dem entgegen aber Nr. 4.8.3 AAH-ARB 1/80).

Der Kläger hat das Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen vor Vollendung seines 21. Lebensjahres am 16.09.2019 erworben, denn sein Vater gehörte zumindest in dem Zeitraum vom 18.04.2016 bis zum 31.05.2019 ununterbrochen und damit über drei Jahre dem regulären deutschen Arbeitsmarkt an. Das Arbeitsverhältnis des Vaters bei der Firma S. ist durch die Vorlage seines Arbeitsvertrages sowie den Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung nachgewiesen. Zwar ergibt sich aus dem Versicherungsverlauf nur eine Beschäftigung des Vaters bis zum 31.12.2018, weil die Bescheinigung nur den Versicherungszeitraum bis Ende 2018 erfasst (Erwerbstätigkeiten sind in dem Versicherungsverlauf mit der Abkürzung DEÜV für von einem Arbeitgeber übermittelte Entgelte gekennzeichnet). Eine Weiterbeschäftigung seines Vaters hat der Kläger jedoch durch die Vorlage von Lohnabrechnungen für März, April und Mai 2019 nachgewiesen. In dem dreijährigen Zeitraum bestand zwischen Vater und Sohn auch eine familiäre Lebensgemeinschaft, beide wohnten seinerzeit in einem Haushalt.

2. Auch in einem Fall des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris insb. Rn. 24 und 58; ihm folgend BayVGH, Beschl. vom 10.04.2019 - 19 ZB 17.1535 -, juris Rn. 9; zuvor bereits VGH BW, Urt. vom 02.03.2016 - 11 S 1389/15 -, juris Rn. 29; vgl. auch Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 01.07.2022, § 53 AufenthG Rn. 95 unter Hinweis auf BT-Drs. 18/4097, 50) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urt. vom 11.07.2018 - 13 LB 44/17 -, V.n.b.) auf die in den §§ 54 und 55 AufenthG gesetzlich typisierten Ausweisungs- und Bleibeinteressen abzustellen (a.A. nur OVG NRW, Urt. vom 12.07.2017 - 18 A 2735/15 -, juris Rn. 40ff.; Cziersky-Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 37).

Der Kläger erfüllt ein typisiertes besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon unter anderem - und nur insoweit entscheidungserheblich - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

Der Kläger gefährdet die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er mit dem G. (dazu unter a)) und dem Q. in M. (dazu unter b)) Vereinigungen unterstützt hat, die ihrerseits den Terrorismus unterstützt haben, und er von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln bisher keinen Abstand genommen hat (dazu unter c)).

a) Tatsachen rechtfertigen zunächst die Annahme, dass der G. den Terrorismus unterstützt hat (vgl. VG Hannover, Beschl. vom 06.07.2020 - 12 B 1328/20 - und Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris, in dem Eilverfahren der Ehefrau des Klägers; vgl. auch VG Hannover, Beschl. vom 24.01.2022 - 5 B 5055/21 -). Dies stellt auch der Kläger nicht in Frage. Ausweislich des Tenors und der Begründung der bestandskräftigen Verbotsverfügung des Niedersächsischen Innenministeriums vom 07.03.2017 richtete sich der G. gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung, in dem der Verein in konspirativer Art und Weise durch Indoktrination der jihadistisch-salafistischen Ideologie Personen zielgerichtet radikalisierte, um diese zur Ausreise in Kriegsgebiete nach Syrien bzw. in den Irak und zum Anschluss an den IS zu motivieren (Verbotsverfügung Seiten 4, 8 f.). Der IS ist eine - auch in Deutschland mit Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 12.09.2014 - verbotene Terrororganisation. Der Nachweis, dass eine Vereinigung des Terrorismus unterstützt, gilt im Übrigen als geführt, wenn die Vereinigung - wie hier - vereinsrechtlich aus diesem Grund verboten worden ist (VG Hannover, Beschl. vom 24.01.2022 - 5 B 5055/21 -; VG Hamburg, Beschl. vom 22.02.2016 - 19 E 6426/15 -, juris Rn. 9).

Tatsachen rechtfertigen zudem die Schlussfolgerung, dass der Kläger den G. vor dessen Verbot unterstützt hat. Der Kläger war zwar weder ein aktives noch ein passives Mitglied des G.. In der Gesamtschau rechtfertigen jedoch seine wiederkehrenden Besuche der Moschee zum Gebet und zum Kickboxtraining und vor allem seine Teilnahme an einem Seminar des G. mit I. die Annahme einer Unterstützung des G. durch den Kläger.

Dabei steht der Annahme der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nicht entgegen, dass gegen den Kläger nicht wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB ermittelt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Annahme eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht Voraussetzung, dass die Schwelle der Strafbarkeit überschritten wird, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris und BVerwGE 159, 270-288, Rn. 19; vgl. auch Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 30).

Der Begriff der Unterstützungshandlung, der § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt - zugrundeliegt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit auszulegen und anzuwenden, um damit auch der völkerrechtlich begründeten Zwecksetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 21f.; Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 4). In objektiver Hinsicht werden alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der terroristischen oder eine diese unterstützende Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die missbilligten Ziele zu entfalten. Weiterhin gilt für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch eine Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst und keine von der Person ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potentiell als gefährlich erscheint. In subjektiver Hinsicht muss für den Ausländer das Bestreben oder die Zielrichtung des Handelns der den Terrorismus unterstützenden Vereinigung erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüberhinausgehende innere Einstellung des Ausländers kommt es nicht an (BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 21f.; Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 4).

Notwendig ist das Vorliegen von Tatsachen, die in einer Gesamtschau eine große Wahrscheinlichkeit für die Unterstützung begründen, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass der Ausländer eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, unterstützt oder unterstützt hat. So müssen im Einzelnen Tatsachen belegt sein, die nach vernünftiger Wertung diesen Schluss zulassen. Reine Vermutungen oder der bloße Verdacht einer Unterstützungshandlung genügen insoweit nicht (vgl. BayVGH, Beschl. vom 12.10.2009 - 10 CS 09.817 -, juris Rn. 22).

aa) Als Tatsachen, die in ihrer Gesamtschau die Schlussfolgerung zulassen, dass der Kläger den G. unterstützt hat, ergeben sich Folgende:

(1) Der Kläger hat die Moschee des G. bis zu deren Durchsuchung durch ein SEK im Sommer 2016 wiederholt zum Freitagsgebet besucht. Zwar können die vom Niedersächsischen Verfassungsschutz vorgelegten Fotos, die den Kläger bei verschiedenen Besuchen zeigen sollen, nicht zum Nachweis dafür herangezogen werden. Sie haben keinen Beweiswert mehr, nachdem die Vertreterin des Verfassungsschutzes in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass Fotos, für die verschiedene kalendarische Daten angegeben waren, auf denen der Kläger jedoch dieselbe Kleidung trägt, möglicherweise auch an ein und demselben Tag aufgenommen worden sind. Der Kläger hatte jedoch bereits bei dem mit ihm geführten Sachverhaltsaufklärungsgespräch am 05.03.2019 zugegeben, die Moschee zum Freitagsgebet besucht zu haben. Auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat er erklärt, er sei zu den Freitagsgebeten in die L. -Moschee gegangen, wenn es gepasst habe.

(2) In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger darüber hinaus erklärt, die L. -Moschee auch zum Kickboxtraining aufgesucht zu haben. So hat er angegeben, er sei zur Moschee eigentlich gegangen, weil es dort sportliche Angebote gegeben habe wie Kickboxen im Keller und Fußballspielen.

(3) Der Kläger war außerdem Teilnehmer eines Osterseminars von I. am 25./26.03.2016 in der L. -Moschee. Seine Teilnahme hatte der Kläger bereits in der mündlichen Verhandlung der 10. Kammer in seinem Einbürgerungsverfahren (10 A 2546/20) eingeräumt und dazu ausgeführt, dass für das Seminar bei den Freitagsgebeten geworben worden sei und er aus Interesse daran teilgenommen habe. Er habe etwas über seine Religion erfahren wollen. Seine Erklärung in der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren, er habe an dem Seminar nur teilgenommen, weil er gegen ein Taschengeld bei der Essensvorbereitung und -ausgabe geholfen habe, wertet die Kammer angesichts seiner früheren Angaben im Einbürgerungsverfahren als Schutzbehauptung. Die Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe das seinerzeit nicht so geschildert, weil er Angst gehabt habe, wegen Schwarzarbeit belangt zu werden, überzeugt die Kammer nicht. Hätte der Kläger tatsächlich nur bei der Essensausgabe geholfen und nicht am Seminar teilgenommen, hätte er dies so mitteilen können, ohne die Bezahlung zu erwähnen. Dier veränderte Einlassung stellt im Übrigen die Anwesenheit des Klägers in der Moschee an dem Wochenende im März 2016 nicht in Frage.

bb) In ihrer Gesamtschau ergeben die Besuche des Klägers in der Moschee des G. zum Freitagsgebet und zum Kickboxtraining und insbesondere die Teilnahme an dem Osterseminar, dass der Kläger den G. nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig unterstützt hat.

Die bestärkende Wirkung, die wiederholte Moscheebesuche zu unterschiedlichen Anlässen für salafistische Vereinigungen haben, ist nicht zu unterschätzen. Die Rekrutierung und Indoktrinierung von Anhängern wird nicht nur vereinfacht, sondern vielfach erst ermöglicht, wenn derartige Vereinigungen sich als gemeinschaftsstiftende Orte darstellen können und so zu Anlaufstellen für andere Muslime werden. Je mehr Personen sich in diesen Gemeindezentren aufhalten, umso einladender wirken sie auf Außenstehende (Nds. OVG, Beschl. vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris Rn. 7 in dem Eilverfahren der Ehefrau des Klägers; vgl. auch Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 43). Dienen Veranstaltungen einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch die Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen gefördert werden, dann liegt ein potenziell gefährliches Unterstützen auch in der Teilnahme. Ebenso ist es einzuordnen, wenn bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten bzw. Gläubigen gleicher Religion) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotentials beiträgt (VGH BW, Urt. vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 83).

So hat der G. durch die Teilnahme von Personen wie dem Kläger an Seminaren, aber auch an Freitagsgebeten und Trainingsangeboten, auch diejenigen erreicht, die sich schließlich aktiv dem IS angeschlossen haben und beispielsweise nach einem Anwerben ausgereist sind, um für den IS in Syrien oder im Irak zu kämpfen oder im Bundesgebiet Terroranschläge zu verüben. Darüber hinaus hat der Verein aufgrund des Zulaufs durch Personen wie dem Kläger auch diejenigen in ihren Entschlüssen bestärken können, die bereits einen Entschluss zur Ausreise oder zu einem Anschlag gefasst hatten. So wurde in den Seminaren aktiv für die Ausreise zum IS und die Teilnahme am Jihad geworben (Verbotsverfügung S. 14). Es ist beispielsweise bekannt, dass zwei Besucher des vom Kläger besuchten Osterseminars anschließend einen Anschlag auf den T. -Tempel in U. verübt haben (Verbotsverfügung Seiten 21f., 55). Und im Anschluss an konspirative Besuche in der L. -Moschee und der dort abgehaltenen Seminare sind nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes insgesamt mindestens 15 Personen nach Syrien oder in den Irak ausgereist (Verbotsverfügung Seite 56f.). Darüber hinaus hat der Kläger schließlich in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer auf die Frage, ob er das Gefühl gehabt habe, dass mit dem Kickboxtraining Personen an die Moschee hätten gebunden werden sollen, eingeräumt, dass das Training vielleicht "schon ein Lockmittel oder eine Taktik" gewesen sei.

cc) Dem Kläger sind zudem die Bestrebungen und die Zielrichtung des Handelns des G. als einer den Terrorismus unterstützenden Vereinigung zurechenbar, da sie für ihn erkennbar waren.

Die Aussage des Klägers, er habe die L. -Moschee nur als gläubiger Moslem zum Freitagsgebet und für die Teilnahme an Sportangeboten besucht und von der Verbreitung der jihadistisch-salafistischen Ideologie und der Radikalisierung durch den Verein nichts mitgekommen, ist unglaubhaft. Die Radikalisierung innerhalb des G. ergab sich insbesondere im Zusammenhang mit den von I. durchgeführten Islamseminaren (Verbotsverfügung S. 21; FoDEX-Studie Nr. 10, 2022, Der "Deutschsprachige Islamkreis A-Stadt", S. 50), weshalb sie für den Kläger bei seiner Teilnahme an dem Osterseminar 2016 in der L. -Moschee erkennbar gewesen sein muss. Als Teilnehmer des Seminars können dem Kläger die Inhalte und die Aussagen V. nicht entgangen sein. Nach den Mitschriften eines Besuchers, die dem Verfassungsschutz vorliegen, hat I. in dem Seminar Ausführungen dazu gemacht, dass es eine Sünde sei, sich nicht-göttlicher Gesetze, insbesondere dem Grundgesetz, zu unterwerfen. Dies sei als "Beigesellung" (Gott werden Gesetze beigesellt - eine der größten Sünden im Islam) zu betrachten (Verbotsverfügung S. 22). Auch hat I. auf dem Seminar dazu aufgerufen, Spione zu melden und sinngemäß geäußert, dass man diese foltern und prügeln würde bis sie reden (Verbotsverfügung S. 21). Bestandteil des Seminars war außerdem ein "Vorbereitungsplan", der den Mitschriften des Besuchers beigefügt war. Der Plan enthielt unter anderem Anweisungen zur Vorbereitung auf eine Ausreise und Beteiligung am Jihad (Verbotsverfügung S. 22). Auch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist durch eine Teilnahme an dem von I. geleiteten Osterseminar 2016 eine Zugehörigkeit sämtlicher Besucher zur jihadistisch-salafistischen Szene in Deutschland belegt (Urt. vom 16.01.2018 - 1 VR 12.17 -, juris Rn. 31).

Die jihadistische Ausrichtung des G. wurde von den in der Moschee des Vereins auftretenden Predigern getragen, die alle als Vertreter des jihadistisch-salafistischen Spektrums zu betrachten sind (Verbotsverfügung S. 14). Diese Personen nutzten ihre Predigten, um ihre radikalen Ansichten weiterzugeben und die Moscheebesucher zu radikalisieren (Verbotsverfügung S. 14). So heißt es in der Verbotsverfügung zu dem hauptamtlichen Imam der Moschee I., er habe durch seine Predigten sowie in Gesprächen junge Muslime zu Ausreisen in den Jihad bewegt und habe durch seine ständige Präsenz in der Moschee und das konstante Halten von Vorträgen und Predigten entscheidenden Einfluss auf Ausreisewillige gehabt (Verfügung S. 15). Auch im Rahmen der regulären Predigten von I. sei seine jihhadistisch-salafistische Ideologie und seine klare Abgrenzung zu den Ungläubigen sowie teilweise die Verherrlichung des Jihads deutlich geworden (Verbotsverfügung S. 24). Neben I., den zu kennen der Kläger im Sachverhaltsaufklärungsgespräch erst auf Vorhalt eingeräumt hat, war dem Kläger von den in der Verbotsverfügung aufgeführten Predigern nach eigenem Bekunden mindestens N. näher bekannt. Auch zu N. finden sich in der Verbotsverfügung explizit Ausführungen zu dessen jihadistischer Grundhaltung. Er war zunächst 2. Vorsitzender des G. und zum Zeitpunkt des Vereinsverbots noch aktives Mitglied und neben I. der maßgebliche Prediger (Verbotsverfügung S. 5), außerdem war er für den Jugendunterricht in der Moschee zuständig und war nach den eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung einer der Trainer im Kickboxen. Er organisierte zudem die Islamseminare mit I., wurde von Besuchern des G. als "geistiger Brandstifter" eingeschätzt und kommunizierte seine Befürwortung des Kampfes in Syrien auch offen (Verbotsverfügung S. 29). Dass der Kläger bei keiner der beiden Personen die radikale jihadistische Überzeugung erkannt haben will, liegt jenseits des Möglichen.

Das Bestreiten des Klägers, die Radikalisierung des G. bemerkt zu haben, ist im Übrigen unglaubhaft, weil er in dem mit ihm am 05.03.2019 geführten Sachverhaltsaufklärungsgespräch versucht hat, seine Bekanntschaften mit I. und N. zu verschweigen. So hatte er auf Fragen nach I. zunächst angegeben, diesem nur bei den "Freitagsgebeten oder mal draußen vor der Tür" begegnet zu sein. Erst auf dreifache Nachfrage hat er schließlich eingeräumt, ein von I. geleitetes Seminar in M. besucht zu haben. Seinen Besuch des von I. geleiteten Osterseminars hat er in dem Gespräch bis zum Schluss nicht erwähnt. Dass der Kläger seine Seminarbesuche vergessen haben könnte, ist nicht zu glauben. Jedes der von I. geleiteten Seminare muss bei den Teilnehmern einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, denn nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurde diese Seminare unter strengen Sicherheitsanweisungen und unter Abschottung nach außen durchgeführt. Die Teilnehmer wurden ausdrücklich zur Konspirativität aufgerufen und I. war bestrebt, die Inhalte seiner Seminare geheim zu halten. Mit N. war der Kläger darüber hinaus seinerzeit näher bekannt, was er in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat. So hat der Kläger für N. zu verschiedenen Gelegenheiten in der Moschee sowie für dessen Umzugsunternehmen gegen ein Taschengeld gearbeitet und außerdem das Angebot von Tunc, mit ihm im Keller der Moschee im Kickboxen zu trainieren, angenommen. Außerdem hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, im Sachverhaltsaufklärungsgespräch verschwiegen zu haben, dass ihn N. zu dem Seminar in M. im Auto mitgenommen hatte. Er habe "damals niemanden belasten" wollen, was ebenfalls den Schluss zulässt, dass der Kläger die jihadistischen Ansichten von N. sehr wohl kannte.

b) Daneben hat der Kläger mit dem Q. in M. eine weitere Vereinigung unterstützt, die den Terrorismus unterstützt hat.

Ausweislich des Tenors und der Begründung der bestandskräftigen Verbotsverfügung des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport vom 16.03.2017 richtete sich der Q. gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung, in dem der Verein ein jihadistisch-salafistisches Netzwerk gefördert und eine Plattform für den Austausch und Aufruf zu Hass und Gewalt gegen andere Religionsgruppen, Staaten und Völker sowie allgemein anders denkende Menschen geboten und unterstützt und zur Radikalisierung insbesondere junger Menschen beigetragen hat (Hess. Verbotsverfügung S. 17) sowie zumindest mittelbar den IS unterstützt hat (Hess. Verbotsverfügung S. 46). Auch in Bezug auf diesen Verein gilt, dass der Nachweis, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, im Übrigen geführt ist, wenn die Vereinigung - wie hier - mit dieser Begründung vereinsrechtlich verboten worden ist.

Der Kläger war mit zahlreichen anderen L. -Besuchern Teilnehmer eines Seminars von I. vom 06. bis zum 08.05.2016 in der von dem Q. geführten W. -Moschee in M. und ist von N. im PKW dorthin mitgenommen worden. Die Teilnahme an dem Seminar und die Mitfahrt mit dem Prediger Tunc hat der Kläger im Sachverhaltsgespräch auf Vorhalt und in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Mit seiner Teilnahme an dem Seminar hat der Kläger den "P." unterstützt. Insoweit gelten die Ausführungen zur Seminarteilnahme des Klägers in der L. -Moschee entsprechend.

Die Unterstützung des IS durch den Verein war für den Kläger auch wiederum erkennbar und ist ihm damit zurechenbar.

Der Vereinsvorstand sowie die meisten Mitglieder des Vereins waren der jihadistisch-salafistischen Szene in M. zuzurechnen (Hess. Verbotsverfügung S. 7). Der Verein pflegte Kontakt zu I., was zu dem von ihm vom 06. bis zum 08.05.2016 in M. abgehaltenen Islamseminar führte (Hess. Verbotsverfügung S. 11), an dem der Kläger teilgenommen hat. Nach Angaben des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sowie der Ausführungen in der Hessischen Verbotsverfügung (S. 23) hat I. in dem Seminar in M. dazu aufgerufen, Abtrünnige (Murtaddin) zu köpfen, auch wenn man dafür ins Gefängnis gehen müsse, damit andere dies sehen und nicht abtrünnig würden (Verbotsverfügung S. 23 unten). Den Jihad hat er als Pflicht der Anwesenden bezeichnet (Hess. Verbotsverfügung S. 24, 26). Außerdem hat I. bei dem Seminar ein Kampflied ("Naschid") gesungen, in dem zum Kampf im Jihad aufgerufen wird (Verbotsverfügung S. 25). Es überzeugt nicht, dass der Kläger sich an einen Aufruf, Abtrünnige zu köpfen, nicht erinnern können will. Seine Angaben zu dem Seminar in M. sind äußerst widersprüchlich, weshalb davon auszugehen ist, dass den Kläger zumindest einzelne Inhalte sehr wohl erreicht haben. So hatte er in dem Sachverhaltsaufklärungsgespräch anfänglich noch angegeben, er habe Vorträge gehört. Als Versuch der Erklärung, warum er sich nicht an die vorgehaltenen Inhalte erinnern könne, hatte er dann allerdings erklärt, er sei krank gewesen und habe in den Tagen viel geschlafen. In der mündlichen Verhandlung in seinem Klageverfahren in der 10. Kammer hat er wiederum angegeben, er sei nur die letzten zwei Tage krank und am zweiten Tag mit einem Freund 20 bis 30 Minuten draußen gewesen, um sich M. zeigen zu lassen. In der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer hat er schließlich vage erklärt, er habe sich unwohl gefühlt, weil es für ihn einfach zu viele Leute gewesen seien.

c) Der Kläger hat auch nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG am Ende).

Ein solches Abstandnehmen, für das der Ausländer die Darlegungs- und Beweislast trägt, setzt voraus, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und auf Grund dessen künftig von ihm keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mehr ausgeht. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Ausländer in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben (BVerwG, Beschl. vom 25.04.2018 - 1 B 11.18 -, juris Rn. 12, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. vom 20.03.2012 - 5 C 1.11 - BVerwGE 142, 132 Rn. 47 zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG).

Der Kläger hat in seiner Klagebegründung mit der Begründung, dass er den G. nie unterstützt habe, ein Abstandnehmen ausgeschlossen. Darüber hinaus hat das Niedersächsischen Innenministerium im Einbürgerungsverfahren des Klägers mit Schreiben vom 01.09.2020 gegenüber der Beklagten darauf hingewiesen, dass der Kläger auch in den Jahren 2019 und 2020 noch wiederkehrende Kontakte in die salafistische Szene Hildesheims gehabt habe, unter anderem mit N.. Letzteres hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst zugegeben. Auch diese über den Zeitpunkt des Vereinsverbots hinausgehenden Kontakte sprechen gegen eine innere Abkehr des Klägers von jihadistisch-salafistischen Ansichten.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung gesagt hat, "natürlich würde ich jetzt sagen, dass ich mich distanziere", ist dies nicht als erkennbares und glaubhaftes Abwenden im Sinne des Gesetzes anzusehen. Der im Konjunktiv gehaltene Satz ist schon für sich betrachtet wenig überzeugend und knüpft zudem an keine äußerlich feststellbaren Umstände an, die dafür sprechen, dass der Kläger seine innere Einstellung tatsächlich geändert hat.

3. Die Ausweisung des Klägers scheitert allerdings an den besonderen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG. Danach bestehen erhöhte Anforderungen an das öffentliche Ausweisungsinteresse ("Grundinteresse der Gesellschaft"), an die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ("gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung") und auch an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem privaten Bleibeinteresse ("für die Wahrung dieses (Grund-)Interesses unerlässlich") (vgl. Nds. OVG, Urt. vom 11.07.2018 - 13 LB 44/17 -, V.n.b.; vgl. auch Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 01.07.2022, § 53 Rn. 95). Die Regelung modifiziert für die dort genannten Personengruppen - neben den assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen auch Personen mit einem Daueraufenthalt-EU - den Ausweisungsmaßstab tatbestandlich im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der Rechtsgutverletzung, indem sie die Ausweisung nur aus spezialpräventiven Gründen und zum Schutz eines spezifischen Rechtsgutes zulässt. Es darf stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden, eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen, d.h. zur Abschreckung anderer Ausländer von der Begehung von Straftaten, ist damit ausgeschlossen (vgl. VG Würzburg, Urt. vom 26.07.2021 - W 7 K 20.612 -, juris Rn. 48 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. vom 10.02.2000 - C-340/97 -, juris Rn. 59, 63; zuvor VGH BW, Urt. vom 02.03.2016 - 11 S 1389/15 -, juris Rn. 66 unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. vom 19.01.1999 - C-348/96 - und vom 08.12.2011 - C-371/08 -; vgl. auch Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 01.07.2022, § 53 Rn. 95). Diese Einschränkungen folgen daraus, dass mit der Sonderregelung des § 53 Abs. 3 AufenthG den europarechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung getragen werden soll (Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes, BT-Drs. 642/14 S. 57). Der Europäische Gerichtshof hatte in einer der Gesetzesänderung vorangegangenen Entscheidung (Urt. vom 08.12.2011 - C-371/08 -, juris Rn. 86 - Ziebell) Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie (RL 2003/109/EG vom 25.11.2003) entnommen, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn sein persönliches Verhalten "gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft [des Aufnahmemitgliedstaats] darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. auch Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 53 Rn. 83).

a) Mit der obigen Annahme, dass der Kläger das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht, besteht zwar zugleich ein Grundinteresse der Gesellschaft an der Ausweisung des Klägers. Die Gesellschaft hat ein äußerst gewichtiges, wenn nicht sogar zuvörderst das Interesse, sich vor Terroristen zu schützen, die das Grundgefüge der Demokratie und des Rechtsstaats nicht nur ablehnen, sondern vernichten wollen. Terroristische Anschläge oder terroristisch motivierte Gewalttaten bedrohen die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Beeinträchtigung ihres Bestands und der Funktions- und Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie sie im Grundgesetz verankert ist (vgl. nur VG Würzburg, Urt. vom 26.07.2021 - W 7 K 20.612 -, juris Rn. 49; Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 34). Und nicht allein die eigenhändige Vornahme terroristischer Handlungen, auch die Unterstützung terroristischer Vereinigungen berührt diese Rechtsgüter von höchstem Gewicht, weil ein verübter Terrorakt seinen Ausgang regelmäßig in dem Anwerben des Attentäters durch eine terroristische Vereinigung findet.

b) Mit der weiterhin getroffenen Feststellung, dass der Kläger nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat, besteht auch zugleich eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 3 AufenthG. Eine gegenwärtige Gefahr besteht nach der Wertung des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG so lange fort, bis sich der Ausländer von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln erkennbar und glaubhaft distanziert (BayVGH, Beschl. vom 13.01.2020 - 10 ZB 19.1599 -, juris Rn. 13 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschl. vom 25.04.2018 - 1 B 11.18 -, juris Rn. 12 und VGH BW, Beschl. vom 19.07.2019 - 11 S 1631/19 -, juris Rn. 27). Insoweit hebt sich die Regelung des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem Ausweisungsinteresse zugrundeliegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist; aber die spezifischen Gefahren des Terrorismus rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung (VGH BW, Urt. vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 121). Solange sich der Kläger von seinen Unterstützungshandlungen nicht distanziert, ist jederzeit möglich, dass er erneut in irgendeiner Weise den Terrorismus unterstützt und damit die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet.

c) Die gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wiegt jedoch nicht ausreichend schwer, um den erhöhten Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG zu genügen.

Zwar ist, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden, ob für das Tatbestandsmerkmal der "schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" im § 53 Abs. 3 AufenthG - anders als im Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - nach den unterschiedlichen Gewichten verschiedener Unterstützungshandlungen zu differenzieren oder anzunehmen ist, dass alle Unterstützungshandlungen für den Terrorismus, die § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unterfallen, zwingend auch eine "schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" darstellen. Entscheidungen zu assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, die den Terrorismus unterstützt haben, sind nicht veröffentlicht. Die veröffentlichten Entscheidungen zu Unterstützern der PKK betreffen Personen, die als anerkannte Flüchtlinge erhöhten Ausweisungsschutz haben und für die sich nach der Anerkennungsrichtlinie ein anderer Prüfungsmaßstab ergibt, und die veröffentlichten Entscheidungen zu Personen, die erhöhten Ausweisungsschutz nach dem Assoziationsabkommen haben, betreffen Straftäter mit konkreter Wiederholungsgefahr (so auch das Urteil des EuGH, auf das die Formulierung des § 53 Abs. 3 AufenthG maßgeblich zurückzuführen ist, Urt. vom 08.12.2011 - C-371/08 -, juris Rn. 86).

Nach der Rechtsauffassung der Kammer ist jedoch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG nach der Schwere einzelner Unterstützungshandlungen zu differenzieren und lassen sich nicht sämtliche Verhalten, die dem Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unterfallen, als gleichermaßen "schwerwiegend" anzusehen. Hätte der Gesetzgeber für die Personengruppe, die ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt, den Ausweisungsschutz des § 53 Abs. 3 AufenthG ausnahmslos ausschließen wollen, hätte eine gesetzliche Normierung des Ausschlusses nahegelegen, zumal seit der Einführung des Regelausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 09.01.2002 auch die sogenannte "Vorfeldunterstützung des Terrorismus" bereits den Tatbestand erfüllt (vgl. zur Vorfeldunterstützung BVerwG, Urt. vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 64).

Bei einer differenzierten Betrachtung genügt die vom Kläger in der Gesamtschau in den Jahren 2015 und 2016 verwirklichte Unterstützung nicht, um eine schwerwiegende Gefahr annehmen zu können. Bei dem Verhalten des Klägers handelt es sich um die eben benannte sogenannte Vorfeldunterstützung, die vom Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bereits erfasst ist. Dem Kläger ist rein passives Verhalten vorzuwerfen. Er hat ausschließlich als Moscheebesucher zu Freitagsgebeten und Sportangeboten und als Seminarbesucher die Akzeptanz des G. und des X. in M. bei anderen erhöht. Darüber hinaus war der Kläger seinerzeit noch nicht volljährig, sind seit der dem Kläger vorgeworfenen Unterstützung über sechs Jahre vergangen und existieren die damals von ihm unterstützten Vereine heute nicht mehr. Zudem bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für aktuelle Kontakte des Klägers in die jihadistisch-salafistische Szene. So lassen sich nach einer Erklärung des Verfassungsschutzes in der mündlichen Verhandlung über das Jahr 2020 hinaus keine Kontakte des Klägers mehr zu N. feststellen. Auch die Tatsache, dass der Zoll bei einer vor kurzem durchgeführten Überprüfung des Arbeitgebers des Klägers in der Firma zwei ehemalige Mitglieder des G. angetroffen hat, ist kein ausreichender Anhalt für die Annahme aktueller Szene-Kontakte des Klägers. Insoweit hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom Verfassungsschutz unbeanstandet erklärt, dass er nicht wisse, wie die beiden zu einem Praktikum in der Firma seines Arbeitgebers gekommen seien, er den einen der beiden gar nicht kenne und mit beiden in der Firma auch keinen Kontakt gepflegt habe. Eine Gefahr terroristischer Anschläge und Attentate durch den Kläger lässt sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - aus dessen Verhalten in der Vergangenheit nicht herleiten.

Eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergibt sich schließlich ersichtlich auch nicht aus den Ermittlungs- bzw. Strafverfahren, die gegen den Kläger in den letzten Jahren geführt worden sind. Der Kläger ist einmal wegen Diebstahls in 2 Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu 50 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Zwei weitere Verfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung sind mangels öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung bzw. gegen eine Geldauflage von 2.000,00 Euro eingestellt worden.

4. Sollte entgegen der hier vertretenen Auffassung in jedem Fall, in dem ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt, das Bestehen einer gegenwärtigen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, zu bejahen sein, würde eine dann erforderliche Abwägung jedenfalls ergeben, dass die Bleibeinteressen des Klägers die öffentlichen Interessen an seiner Ausweisung überwiegen.

Auch bei der nach § 53 Abs. 1 Halbsatz 2 AufenthG vorzunehmenden Abwägung der Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet mit den öffentlichen Interessen an seiner Ausreise ist zu berücksichtigen, dass der Kläger unter erhöhtem Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG steht und die Ausweisung für die Wahrung des oben festgestellten Grundinteresses unerlässlich sein muss. Letzteres entscheidet sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, auf die der Begriff der Unerlässlichkeit zurückzuführen ist, anhand der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung (vgl. BVerwG, Urt. vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 21; VG Würzburg, Urt. vom 26.07.2021 - W 7 K 20.612 -, juris Rn. 48).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das geltende Ausweisungsrecht nach §§ 53 ff. AufenthG und jede Ausweisungsentscheidung geprägt von einem umfassenden ergebnisoffenen Abwägungsprozess, in dem sämtliche Ausweisungs- und Bleibeinteressen angemessen zu berücksichtigen sind und ist auch bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses und der hierdurch indizierten Annahme eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts eine individuelle Prüfung geboten, ob die Ausweisung im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht unverhältnismäßig ist. Steht einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber, kann ein Überwiegen des öffentlichen Interesses nicht allein mit der typisierenden gesetzlichen Gewichtung begründet werden, sondern bedarf es einer besonderen individuellen Begründung dafür, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt. Im Rahmen der Abwägung ist dabei nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten. So macht es im Rahmen der (ergebnisoffenen) Abwägung einen Unterschied, ob dem Betroffenen etwa lediglich die Mitgliedschaft in einer den Terrorismus unterstützenden Vereinigung oder aber wesentliche Unterstützungshandlungen, womöglich gar in herausgehobener Position, zur Last gelegt werden können (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, juris Rn. 39).

Danach stellt sich eine Ausweisung des Klägers als unverhältnismäßig dar.

Zu Gunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass er im Bundesgebiet geboren ist und sein bisheriges Leben (inzwischen 24 Jahre) ausschließlich in Deutschland verbracht hat. Auch war er seit seiner Geburt durchgehend im Besitz von Aufenthaltstiteln und hat bereits vor 6 Jahren eine Niederlassungserlaubnis als unbefristetes Aufenthaltsrecht erworben, woraus sich für ihn nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse ergibt. Weiterhin hat er einen Schulabschluss erreicht und bis Ende Juli dieses Jahres seinen Lebensunterhalt durch eine Vollzeitbeschäftigung sichergestellt. Die Kündigung der Arbeitsstelle ist offenbar nicht auf ein Fehlverhalten seinerseits, sondern auf Umstände zurückzuführen, auf die der Kläger keinen Einfluss hatte. Schließlich leben die Eltern und Geschwister des Klägers hier im Bundesgebiet und pflegt der Kläger nach eigenem Bekunden soziale Kontakte. Die zu Lasten des Klägers anzuführenden Vorstrafen sind demgegenüber von geringem Gewicht.

Allerdings dürfte dem Kläger das Führen eines Privatlebens in der Türkei weder unmöglich noch unzumutbar sein (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser beiden Aspekte Nds. OVG, Beschl. vom 12.03.2013 - 8 LA 13/13 -, juris Rn. 18). Der Kläger wird sich im Falle seiner Abschiebung in die Türkei dort integrieren können, denn er spricht kurdisch und ist offenbar mit den türkischen Lebensverhältnissen vertraut. Immerhin hat er seine Ehefrau während mehrerer Urlaubsreisen in der Türkei kennengelernt und sie im Jahr 2019 auch in der Türkei geheiratet, was zeigt, dass ihn mehr als nur seine Staatsangehörigkeit mit der Türkei verbindet. Er ist zudem in einem Alter, in dem erwartet werden kann, dass er auch in der Türkei Arbeit findet und seinen Lebensunterhalt finanzieren kann.

Nicht zu erkennen ist jedoch, dass die Ausweisung des Klägers für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft, sich vor Terroristen zu schützen, unerlässlich ist. Sein konkreter Beitrag zur Vorfeldunterstützung des IS war vergleichsweise gering und liegt lange zurück. Insoweit verweist die Kammer auf ihre obigen Ausführungen, dass vom Kläger aktuell keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgeht.

Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Ausweisung sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung, die Aufforderung gegenüber dem Kläger, seinen türkischen Nationalpass sowie jedes weitere, in seinem Besitz befindliche Reisedokument, seine Niederlassungserlaubnis sowie eine ausländerbehördliche Bescheinigung vom 21.04.2020 bei der Beklagten abzugeben, und das Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig und aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.