Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.09.2022, Az.: 5 A 5054/21

Abwägung; Ausweisung; Ausweisungsgründe; Verbrauch; Bleibeinteresse; kein überwiegendes Ausweisungsinteresse; Salafismus; Verbrauch; Verbrauch der Ausweisungsgründe

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.09.2022
Aktenzeichen
5 A 5054/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 54704
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2022:0929.5A5054.21.00

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2021 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die vorläufige Vollstreckung gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Er ist tunesischer Staatsangehöriger, 1977 geboren und im Jahr 2001 mit einem Visum zum Zweck der Aufnahme eines Studiums erstmals in das Bundesgebiet eingereist. Im Anschluss an die Geltungsdauer des Visums war er bis zum 14. Dezember 2005 im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken. Vor deren Ablauf beantragte er die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, worauf ihm zunächst wegen fehlender Nachweise über den Studienfortschritt nur Fiktionsbescheinigungen ausgestellt wurden.

Im Dezember 2004 schloss der Kläger in Tunesien nach staatlichem Recht die Ehe mit einer tunesischen Staatsangehörigen, die im Bundesgebiet geboren und in Tunesien aufgewachsen ist. Am E. 2006 wurde in Deutschland das erste Kind des Klägers und seiner Ehefrau geboren, das durch Abstammung die tunesische Staatsangehörigkeit erworben hat.

Am 4. Dezember 2006 beantragte er ergänzend die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs zu seiner Ehefrau, die zwischenzeitlich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG innehatte. Auch auf diesen Antrag wurden dem Kläger zunächst nur Fiktionsbescheinigungen ausgestellt, weil die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde den Lebensunterhalt nicht als nachweislich gesichert ansah. Nachdem die Ehefrau des Klägers eine Arbeitsstelle angetreten hatte und ihr am 5. April 2007 eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden war, wurde dem Kläger am 19. April 2007 eine bis 18. April 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG erteilt. Am 15. April 2008 beantragte der Kläger deren Verlängerung, die zunächst zur Klärung der Sicherung des Lebensunterhalts und zur Durchführung von Sicherheitsabfragen wiederum nicht beschieden wurde. Am 8. Juli 2008 hörte die Ausländerbehörde den Kläger zur beabsichtigten Ablehnung an, weil der Kläger die Sicherung seines Lebensunterhalts nicht nachgewiesen habe. Zugleich wurde im Juli 2008 das zweite Kind des Klägers geboren, das die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben hat.

Nach (bis dahin) fruchtlosem Ablauf der Sicherheitsüberprüfung und Klärung des Lebensunterhalts wurde dem Kläger Anfang März 2009 eine bis 9. März 2010 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erteilt.

Auf die Sicherheitsanfrage der Ausländerbehörde teilte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen unter dem 1. April 2009 mit, dass der Kläger in der Vergangenheit regelmäßiger Besucher des Islamischen F. G. sei, das Anlaufpunkt einer Vielzahl von Personen des islamistischen Spektrums gewesen sei und weiterhin sei. Unter anderem gegen den Kläger habe die Generalbundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung geführt, das am 3. Juni 2008 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei.

Nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis wurden vom 4. März 2010 an wegen eines laufenden Ermittlungsverfahrens erneut Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Auf die Anfrage der Ausländerbehörde nannte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen zwei Erkenntnisse und gab die Anfrage an die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Bremen wegen möglicher dortiger Erkenntnisse über den Kläger weiter. Diese Behörden teilten ihrerseits keine Erkenntnisse mit; den durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen mitgeteilten Erkenntnissen ging die Ausländerbehörde, soweit aus den Akten ersichtlich, nicht nach.

Im Juli 2010 verzog der Kläger mit seiner Familie in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Dort wurde im September 2010 das dritte Kind des Klägers geboren, das die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben hat. Dem Kläger wurden - zwischenzeitlich wegen Passlosigkeit und Bezugs von Leistungen nach dem SGB II - weiter Fiktionsbescheinigungen ausgestellt.

Am 25. Mai 2011 beteiligte die Beklagte die Polizeidirektion B-Stadt und weitere Sicherheitsbehörden im Hinblick auf sicherheitsmäßige Bedenken gegen die Verlängerung des Aufenthaltstitels. Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesministerium der Verteidigung und das Zollkriminalamt gaben Fehlanzeigen ab, das Nds. Landesamt für Verfassungsschutz keine Stellungnahme. Am 9. Juni 2011 wurde die Ausländerakte durch das Nds. Ministerium für Inneres und Sport angefordert. Die Polizeidirektion B-Stadt teilte am 10. Juni 2011 mit, dass die Anfrage nicht kurzfristig beantwortet werden könne. Die Ermittlungen seien sehr umfangreich und dauerten noch an. Am 16. Juni 2011 gab das Nds. Landesamt für Verfassungsschutz Fehlanzeige ab. Unter dem 30. Juni 2011 ist in der Akte der Beklagten handschriftlich vermerkt, dass der polizeiliche Staatsschutz telefonisch mitgeteilt habe, dass der Kläger als "relevante Person" geführt werde und Bedenken gegen die Erteilung eines langfristigen Aufenthaltsrechts bestünden. Am 7. Juli 2011 übermittelte die Beklagte diese Informationen an das Nds. Ministerium für Inneres und Sport und bat um Mitteilung, ob von dort Bedenken gegen die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bestünden. Am 22. Dezember 2011 übersandte das Ministerium die Akten kommentarlos zurück an die Beklagte.

Nachdem der Kläger anwaltlich vertreten um Akteneinsicht ersucht hatte, teilte ihm die Beklagte unter dem 20. Dezember 2012 mit, dass die Aufenthaltserlaubnis nunmehr verlängert werden könne. Am 31. Januar 2013 wurde die Aufenthaltserlaubnis schließlich bis 30. Januar 2015 und auf weiteren Antrag vom 15. Dezember 2014 ohne weitere Prüfungen bis 22. Januar 2017 verlängert.

Von August 2014 bis Januar 2016 absolvierte der Kläger eine Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit und nahm anschließend im März 2016 eine unbefristete Tätigkeit als Fachkraft für Schutz und Sicherheit auf.

Strafrechtlich ist der Kläger 2009 gemeinsam mit seiner Ehefrau in Erscheinung getreten; von den zur Anklage gebrachten Vorwürfen der Störung des öffentlichen Friedens und der Androhung von Straftaten wurde er rechtskräftig freigesprochen. Weitere Verfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts der Körperverletzung durch Schlagen (zum Nachteil Erwachsener) auf einem Spielplatz im Jahr 2014 und wegen Verdachts der Körperverletzung im Rahmen seiner Tätigkeit als Wachschutzmitarbeiter einer Flüchtlingsunterkunft wurden gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Am 1. November 2016 forderte die Beklagte zur Prüfung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis einen Auszug aus dem Bundeszentralregister an; am 11. November 2016 beantragte der Kläger die erneute Verlängerung seines Aufenthaltstitels. Wegen offener Sicherheitsanfragen wurde ihm eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt.

Am 10. Februar 2017 wurde dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG erteilt. In dem Begleitschreiben an den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers schreibt die Beklagte:

"um über den Antrag Ihres Mandanten auf eine Niederlassungserlaubnis gem. § 28 II AufenthG abschließend entscheiden zu können, musste uns die Antwort der Anfrage gem. § 73 II AufenthG vorliegen. Diese ist mittlerweile eingetroffen. Da auch von dieser Seite keine Versagensgründe bestehen, können wir nun Ihrem Mandanten die Niederlassungserlaubnis gem. § 28 II AufenthG erteilen."

Am 14. März 2017 verbot das Nds. Ministerium für Inneres und Sport den Verein H. I. e. V. (J. I.), weil er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte und seine Tätigkeit Strafgesetzen zuwiderlaufe. In dem Verein würden in konspirativer Art und Weise durch Indoktrination der salafistischen Ideologie Personen zielgerichtet radikalisiert, um diese zur Ausreise in Kriegsgebiete nach Syrien bzw. in den Irak und zum Anschluss an den sog. "Islamischen Staat" (IS) zu motivieren. Dabei werde ein religiöses Verständnis vermittelt, das auf der elementaren Ablehnung des grundgesetzbasierten Rechtsstaats, auf der Verletzung von Menschenrechten und auf Hass und Gewalt gegen Andersdenkende basiere. Nach behördlichen Erkenntnissen seien mindestens 15 Personen aus dem Umfeld der Moschee in Richtung Syrien/Irak ausgereist. Zahlreichen weiteren Personen sei die Ausreise behördlich untersagt worden. Der Verein unterstütze diese Ausreisen aus seiner Organisation heraus und sei Anziehungspunkt für jihadistisch-salafistische Personen aus dem gesamten Bundesgebiet.

In der Verbotsverfügung wird - unter anderem - namentlich auf den Kläger Bezug genommen, der als islamistischer Prediger regelmäßiger Imam in zwei salafistischen Moscheen sei und auch im J. I. agiere. In seinen Predigten komme eine verfassungsfeindliche Einstellung zum Ausdruck. Er vertrete eine Abgrenzung zwischen Gläubigen und Ungläubigen. Im Gegensatz zu Ungläubigen hätten Muslime Verstand. Zum Vorgehen "der Russen" in Syrien habe er in einer Predigt am 8. Januar 2016 geäußert, dass "man seitens der Brüder dagegen vorgehen müsse." Man solle nach Syrien reisen und unbedingt die Kampfhandlungen unterstützen. Er habe auch zu Spenden für die Kämpfer in Syrien aufgerufen. Darin liege eindeutig ein Aufruf zur Unterstützung des IS in Syrien, der dem Verein zuzurechnen sei. Bei der Predigt am 8. Januar 2016 sei auch der "K." genannte Imam der Moschee anwesend gewesen, der die Inhalte offensichtlich gebilligt habe.

Am 5. September 2018 beantragte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Im dortigen Verfahren äußerte das Nds. Ministerium für Inneres und Sport im April 2019 Bedenken gegen die Einbürgerung des Klägers, weil er in der Verbotsverfügung gegen den J. I. als islamistischer Prediger erwähnt werde, der dort dazu aufgerufen habe, die Kampfhandlungen in Syrien zu unterstützen. Der Kläger habe dort nur auf Einladung bzw. Auswahl durch den Vorstand des Vereins predigen können. Seine Predigt sei als Unterstützungshandlung zugunsten des Vereins zu bewerten. Die mitgeteilten Erkenntnisse seien aus dortiger Sicht auch aufenthaltsrechtlich relevant, eine dahingehende Prüfung werde ausdrücklich angeregt.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 lehnte die Beklagte die Einbürgerung unter Bezugnahme auf den Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ab. Der Kläger habe in der Moschee des J. I. gepredigt, was eine Unterstützungshandlung dieser Organisation darstelle, die sowohl die Sicherheit im Inneren als auch auswärtige Belange gefährde. Die dagegen erhobene Klage des Klägers blieb in erster und zweiter Instanz ohne Erfolg (VG Hannover, Urteil vom 11.3.2021 - 10 A 964/20 -, nachgehend Nds. OVG, Beschluss vom 22.2.22 - 13 LA 226/21 -). Im gerichtlichen Verfahren gab der Kläger an, dass er von 2006 bis 2009 für dreieinhalb Jahre als Imam in einer Moschee in Herford gepredigt habe. Dort habe er zuletzt 2018 besuchsweise gepredigt. 2009 habe er für sechs Monate in einer Moschee im L. in Bremen gepredigt, 2009 bis 2014 in einer Moschee in M. in B-Stadt. 2015/2016 habe er in I. gepredigt.

Mit Verfügung vom 26. Juli 2021 wies die Beklagte den Kläger sodann unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus, forderte ihn zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung der Verfügung auf und drohte ihm die Abschiebung nach Tunesien an. Zugleich ordnete sie ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot für 20 Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise bzw. Abschiebung an. Zur Begründung nahm sie Bezug auf § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nrn. 2, 4 und 5 AufenthG und die Erkenntnisse aus dem Einbürgerungsverfahren. Der Kläger gefährde die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, weil Tatsachen die Annahme stützten, dass er eine terroristische Vereinigung unterstütze, zur Verfolgung religiöser Ziele zur Gewaltanwendung aufrufe und zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufrufe.

Er habe diese Anhaltspunkte im Verwaltungsprozess um die Einbürgerung nicht ausgeräumt, sondern nur erklärt, dass er lediglich aktiv seine Religion ausübe. Die salafistischen Bestrebungen der Moscheen, in denen er gepredigt habe, seien ihm nicht bewusst gewesen. Er habe nicht einmal die offiziellen Namen der Moscheen gekannt. Diese Einwände seien unerheblich, weil er nicht nur einmalig als Gast, sondern mehrfach mit Billigung von "K." und des Vorstands des J. I. in dessen Moschee gepredigt habe. Schon dieser Umstand bestätige seine eigene Gesinnung, weil der Vorstand alle Prediger selbst auswähle und dabei keine Prediger (wiederholt) einlade, die die Ziele des Vereins nicht unterstützten.

Der Einwand des Klägers, er habe stets einen moderaten und friedlichen Islam gepredigt, sei schon durch die Inhalte der als Videoaufzeichnung vorliegenden Predigt am 8. Januar 2016 widerlegt. In der mündlichen Verhandlung sei eine Videoaufnahme von einer Predigt des Klägers gezeigt worden, in der er gesagt habe: "Möge Allah dann alle Feinde vom Islam dann sterben lassen. Entweder gibt er ihm die Rechtleitung oder dass sie alle sterben dann. Möge Allah uns als Muslime dann leben lassen, als ergebene Leute dann sterben lassen, dass wir die höchste Stufe vom Paradies dann erreichen. Möge Allah unsere Sünden vergeben." Der Kläger habe unterschiedliche Versionen von Predigtvideos verbreitet. Teilweise enthielten diese verfassungswidrige Inhalte, in anderen Versionen seien diese Passagen gekürzt. Der Kläger habe außerdem schon vor der Tätigkeit für den J. I. in anderen Moscheen gepredigt, die der Verfassungsschutz als extremistische Objekte beobachte. Eine glaubhafte und nachvollziehbare innere Abwendung vom radikal salafistischen Islam sei bei dem Kläger nicht zu erkennen.

Der Kläger hat am 24. August 2021 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Er macht geltend, dass von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung (mehr) ausgehe. Die Ausweisung diene nicht der Ahndung vergangener Handlungen, sondern der Vorbeugung gegen künftige Beeinträchtigungen der öffentlichen Belange. Eine einmalige Beeinträchtigung öffentlicher Belange trage eine Ausweisung nicht, wenn insofern keine Wiederholungsgefahr bestehe. Das sei bei ihm der Fall. Er habe im J. I. lediglich 2015/2016 als Gastprediger gepredigt, weil dort ein deutschsprachiger Prediger gesucht worden sei. Er sei deshalb und nicht unter religionsanschaulichen Gesichtspunkten ausgewählt worden. Er predige auf Deutsch, um Moslems die Teilnahme an einem deutschsprachigen Gebet zu ermöglichen. Diese Tätigkeit übe er innerhalb und auf Grundlage der Religionsfreiheit aus. Er habe sich nur anlässlich der Predigten im J. I. aufgehalten. Er habe keine Besucher persönlich gekannt, die seine Predigten gehört hätten, und auch das Gedankengut der Zuhörer oder etwaige Ausreisebereitschaften nicht gekannt. Im Jahr 2016 habe er durch Medienberichte von der Durchsuchung des J. I. und dessen Haltung erfahren und daraufhin seine Tätigkeit für den Verein beendet. Er habe im Nachgang auch die Verfassungsschutzberichte der Länder studiert und nehme keine Aufträge von Moscheen mehr an, die dort als extremistisch geführt würden. Seine letzte Predigt habe er 2018 in Herford gehalten und sich schon dabei versichert, dass diese Moschee nicht in einem Verfassungsschutzbericht aufgeführt sei. Die Beklagte stütze sich auf Spekulationen, wenn sie auch diese Moschee dem extremistischen Umfeld zuordne, ohne nähere Erkenntnisse zu haben.

Selbst wenn ein öffentliches Ausweisungsinteresse bestehe, trete dieses gegenüber seinem Bleibeinteresse zurück. Er verwirkliche kein besonders schweres Ausweisungsinteresse. Er habe keiner Vereinigung angehört, die den Terrorismus unterstütze, sondern lediglich einen Moscheeverein durch seine Predigten unterstützt. Von diesem habe er sich umgehend abgewandt und distanziert, als ihm dessen Ziele durch Medienberichte bewusst geworden seien. In der Predigt am 8. Januar 2016 habe er nicht zur Beteiligung am bewaffneten Kampf aufgerufen, sondern zu Lebensmittel- und Kleiderspenden für Muslime in Syrien. Er habe ein 19-minütiges Video der Predigt, das keine verfassungswidrigen Aussagen enthalte. Das Verwaltungsgericht habe im Verfahren um seine Einbürgerung in fehlerhafter Beweiswürdigung davon abgesehen, Zeugen dazu zu hören, ob er die Passage tatsächlich geäußert habe, und das Behördenzeugnis des Nds. Landesamtes für Verfassungsschutz genügen lassen.

Das in der mündlichen Verhandlung im Einbürgerungsprozess gezeigte Video habe er weder aufgenommen, noch geschnitten oder selbst verbreitet. Die Aufzeichnungen Dritter seiner Predigten und deren Verbreitung habe er nicht zu vertreten. Das ihm in der Predigt zugeschriebene Zitat "Möge Allah dann alle Feinde vom Islam dann sterben lassen. Entweder gibt er ihm die Rechtleitung oder dass sie alle sterben dann. Möge Allah uns als Muslime dann leben lassen, als ergebene Leute dann sterben lassen, dass wir die höchste Stufe vom Paradies dann erreichen. Möge Allah unsere Sünden vergeben." sei in einer ihm vorliegenden Version der Videos nicht enthalten und im Übrigen kein Hinweis auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung. Entsprechende Passagen zur Erwählung Rechtgläubiger enthalte auch die Bibel im Alten wie im Neuen Testament.

Ihm sei mehr als ein Jahr nach der Predigt vom 8. Januar 2016 eine Niederlassungserlaubnis erteilt worden. Das Innenministerium habe auch seine Zuverlässigkeit für die Tätigkeit im Sicherheitsgewerbe bejaht. Die Predigt, die dem Verfassungsschutz bekannt gewesen sei, sei offenbar erst später als verfassungsfeindlich eingestuft worden.

Daneben habe er besonders schwerwiegende Bleibeinteressen. Er halte sich seit fast 20 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet auf und sei im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Aufgrund seines langjährigen Aufenthalts sei er in Deutschland fest verwurzelt. Seine Töchter seien deutsche Staatsangehörige. Seine Ehefrau besitze eine Niederlassungserlaubnis. Seine 2010 geborene Tochter sei geistig behindert und könne sich weder alleine anziehen noch waschen. Er leiste gemeinsam mit seiner Ehefrau die Pflege und Betreuung seines Kindes zu gleichen Teilen. Seine Tochter habe ihr gesamtes Leben in seiner Gegenwart verbracht und sei wie die anderen Kinder auf seine Sorge und in besonderem Maße auf seine Anwesenheit angewiesen. Er sei auch wirtschaftlich integriert. Seine Arbeitsstelle als Fachkraft für Schutz und Sicherheit habe er erst verloren, als die Beklagte gegenüber seinem Arbeitgeber die Untersagung seiner Weiterbeschäftigung als Wachperson in Aussicht gestellt habe. Gegenwärtig bemühe er sich um eine Ausbildung zum Lokrangierführer und habe eine Beschäftigung bereits in Aussicht. Er sei auch sozial engagiert und habe etwa einen Verein gegründet, der die Kommunikation zwischen Muslimen und Nichtmuslimen fördern wolle und sozial benachteiligten Menschen helfe. Der Verein habe zum Beispiel an Betroffene der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 über 10.000 EUR gespendet.

Der Kläger beantragt,

die Ausweisungsverfügung vom 26. Juli 2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die Ausweisungsverfügung. Der Einwand des Klägers, er habe um die salafistische Ausrichtung des J. I. nicht gewusst, sei unglaubhaft. Der Verein sei stark durch dessen hauptamtlichen Imam "K." geprägt gewesen, der als zentrale Figur des "IS" in Deutschland gelte. Der Kläger selbst habe regelmäßig gepredigt, so dass es kaum plausibel sei, dass er die Ausrichtung des Vereins erst aus den Medien erfahren haben wolle. Seine Predigttätigkeit ordne sich vielmehr in eine Reihe weiterer Aktivitäten ein, wegen derer das Nds. Landesamt für Verfassungsschutz ihn selbst als Protagonisten des salafistischen Spektrums betrachte. Er sei nicht zufällig in die Nähe des J. I. geraten.

Auch die Predigt des Klägers selbst am 8. Januar 2016 und die dem Kläger im Einbürgerungsverfahren vorgehaltenen Zitate rechtfertigten diesen Schluss. Der Kläger versuche dieses Zitat zwar durch den Verweis auf ähnliche Zitate aus der Bibel zu relativieren, verkenne dabei aber, dass solche Zitate bei einem modernen Religionsverständnis in einen kritischen Kontext gesetzt würden. Der Kläger habe sich von seinen Unterstützungshandlungen nicht glaubhaft distanziert. Im Gegenteil sehe auch die Satzung des von ihm gegründeten Vereins "N. e.V." vor, dass das Vermögen des Vereins bei dessen Auflösung an den Verein "O. e. V." falle, der wiederum enge Verbindungen zur Muslimbruderschaft aufweise, die der Verfassungsschutz als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet einstufe. Auch die nach dem Verwendungszweck der Überweisung für Betroffene der Flutkatastrophe 2021 gespendeten Beträge seien auf ein Konto des "O. e. V." geflossen.

Die Beklagte habe die Bleibeinteressen des Klägers und insbesondere seine Aussicht auf eine konkrete Arbeitsstelle und seine familiären Belange ausreichend gewürdigt. Sie habe dabei zu seinen Lasten berücksichtigen dürfen, dass die gesamte Familie des Klägers die tunesische Staatsangehörigkeit innehabe und Besuchskontakte im Ausland dadurch begünstigt würden.

Der Kläger erwidert, dass die Gefahr künftiger Unterstützungshandlungen zugunsten des J. I. schon deshalb ausgeschlossen sei, weil dieser Verein verboten und aufgelöst sei. Auch seine Tätigkeit für die Moschee in der Asternstraße in B-Stadt könne keine Gefahr begründen, nachdem der Vorstand dieser Moschee zweimal gewechselt habe, seit er dort 2016 zum letzten Mal gepredigt habe. Die Beklagte beziehe sich lediglich auf vergangene Handlungen, ohne eine konkrete Wiederholungsgefahr aufzuzeigen. Auch seine vergangenen Predigten könnten ihm nicht vorgehalten werden. Er habe den J. I. nur für die jeweiligen Predigten besucht und keinerlei Einblicke in die Ausrichtung der dort verkehrenden Gläubigen erhalten. Er habe auch keine Kenntnis darüber, welche Prediger sonst noch dort eingeladen worden seien oder welche Botschaften diese vermittelten. Es sei ein Zirkelschluss, aus seiner Tätigkeit für den Verein eine identische Gesinnung zu schließen und zugleich nicht weiter zu ermitteln, ob er "K." persönlich gekannt habe, weil er dessen Gesinnung teile. Er wisse nicht einmal, wer ihn eingeladen habe. Ob er durch den Vorstand eingeladen worden sei, sei ebenso durch Beweisaufnahme zu klären wie die Frage, ob "K." tatsächlich seiner Predigt beigewohnt habe, und was er dort gepredigt habe. Seine Predigt am 8. Januar 2016 habe keine verfassungsfeindlichen Inhalte oder Aufrufe zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes in Syrien enthalten. Das dahingehende Behördenzeugnis des Nds. Landesamts für Verfassungsschutz sei kein taugliches Beweismittel, zur Beweiserhebung seien die Informanten oder anwesenden Mitarbeiter des Verfassungsschutzes namhaft zu machen und zu vernehmen.

Die Unterscheidung in Gläubige und Ungläubige sei nicht das alleinige Merkmal extremistischer oder archaischer religiöser Ansichten, sondern liege im Wesen der Religion als solcher und sei, wie seine konkreten Aussagen, von der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gedeckt. In seinen Predigten habe er einen moderaten tradierten Islam vertreten, der auf den friedlichen Ausgleich zwischen den Religionen gerichtet sei.

Es sei ihm nicht vorzuhalten, dass er in Organisationen gepredigt habe, die vom Verfassungsschutz beobachtet würden. Wenn er solche Organisationen durch seine Predigten unterstützt habe, habe er dies ohne Vorsatz getan. Ihm könne nicht jede zufällige Unterstützungshandlung zugerechnet werden. Die Teilnahme von Extremisten an den von ihm gehaltenen Gebeten mache ihn nicht selbst zu einem Extremisten; im Übrigen seien auch Extremisten Grundrechtsträger der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit.

Auch dass der von ihm initiierte Verein "N. e.V." den Verein "O. e. V." als Anfallsberechtigten nenne und mit Zuwendungen begünstigt habe, sei kein Hinweis auf seine verfassungswidrige Gesinnung. Der Verein "O. e. V." sei nicht im Verfassungsschutzbericht erwähnt und werde dort auch nicht in Zusammenhang mit der Muslimbruderschaft gebracht. Etwaige Aktivitäten dieses Vereins seien ihm nicht zuzurechnen. Falls der Verein einmal im Verfassungsschutzbericht erwähnt werde, werde er die Zusammenarbeit beenden.

Selbst wenn in seinen Predigten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit verwirklicht würde, sei die Ausweisung übermäßig, weil das mildere Mittel zur Verfügung stehe, ihm gem. § 47 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG die politische Tätigkeit zu untersagen.

Seine privaten Belange seien weiterhin vorrangig. Er bestreite den Lebensunterhalt seiner Familie allein, seine Ehefrau sei nicht berufstätig und durch die Betreuung und Pflege der jüngeren Tochter an der Aufnahme einer Berufstätigkeit gehindert. Soweit die Beklagte ihn auf Besuche in Tunesien verweise, sei angesichts der dortigen wirtschaftlichen Lage nicht ersichtlich, wie er im Falle einer Ausreise die Kosten für Flugreisen der ganzen Familie erwirtschaften können sollte. Auch die Behinderung der ältesten Tochter mache Besuchsreisen kaum möglich.

Mit Beschluss vom 24. Januar 2022 hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsverfügung wiederhergestellt. Zur Begründung führt die Kammer aus, dass zwar Überwiegendes dafür spreche, dass der Kläger das in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG normierte besonders schwere Ausweisungsinteresse verwirklicht, dieses aber möglicherweise verbraucht sei, weil die Beklagte dem Kläger in Kenntnis seiner Bestrebungen und nach mehrfacher Rückfrage beim Nds. Landesamt für Verfassungsschutz eine Niederlassungserlaubnis erteilt hatte. Zugleich sei offen, ob das ebenfalls besonders schwere Bleibeinteresse des Klägers das Ausweisungsinteresse überwiege.

Der Kläger hat daraufhin sein Vorbringen wiederholt, dass er sich nur anlässlich seiner Predigten in der Moschee aufgehalten habe. Soweit die Kammer sein Vorbringen im Einbürgerungsverfahren zugrunde gelegt habe, dass er den Teilnehmern am Freitagsgebet für zwei bis drei Stunden zur Verfügung gestanden habe, sei das ein Übertragungsfehler seines früheren Bevollmächtigten. Tatsächlich sei er mit Wegzeiten zwei bis drei Stunden unterwegs gewesen. Anderes lasse sein Beruf gar nicht zu. Falls weiter Zweifel daran bestünden, dass er sich nur anlässlich der Predigten in der Moschee aufgehalten habe, müssten die Beklagte und der Verfassungsschutz namentlich bekannte Teilnehmer als Zeugen benennen. Er selbst kenne keine Teilnehmer an seinen Predigten.

Dem Vorhalt der Kammer, dass der Kläger mitbekommen haben müsse, dass "K." Imam der Moschee gewesen sei und dort Seminare und Predigten gehalten habe, hält der Kläger entgegen, dass "K." als "Hassprediger ohne Gesicht" der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nicht identifizierbar bekannt gewesen sei. Er sei außerdem nur zu seinen eigenen Predigten in der Moschee gewesen, also denknotwendig dann, wenn "K." gerade nicht da gewesen sei. Ob die Moschee im jihadistisch-salafistischen Spektrum einen überregionalen Ruf gehabt habe, könne er nicht beurteilen, weil er diesem Spektrum selbst nicht angehöre. Dass er bereits in der Vergangenheit eine dem salafistischen Spektrum zugeordnete Moschee in Münster besucht habe, liege allein an deren Lage zwischen seinem Studentenwohnheim und der Universität. Die Moschee sei außerdem eine von lediglich zwei deutsch- bzw. arabischsprachigen Moscheen in Münster gewesen. Er habe dort keine salafistischen Bestrebungen wahrgenommen und sei allein aufgrund routinemäßig eingeleiteter Ermittlungen gegen alle Besucher der Moschee in den Fokus der Behörden geraten.

Wenn die Kammer ihm seine Erklärung, dass er nunmehr die Verfassungsschutzberichte lese, bevor er zu einer Moschee Kontakt aufnehme, und dass er die Begünstigung des "O. e. V." durch den von ihm initiierten Verein beenden werde, wenn ersterer Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht finde, nur soweit verstehe, dass er Institutionen meide, die bereits im Fokus der Behörden stehen, nicht aber dahingehend, dass er eigene Erkundigungen anstellte sich ein eigenes Bild mache und auch solche Moscheegemeinden und Vereine meide, die noch nicht im öffentlich gemachten behördlichen Fokus stünden, laufe das darauf hinaus, dass er andere Muslime einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen habe, bevor er mit ihnen Kontakt aufnehme. Er dürfe nicht von deren grundsätzlicher Verfassungstreue ausgehen, sondern müsse alle Muslime unter Generalverdacht stellen, bis sie diesen Verdacht widerlegten. Diese Sichtweise laufe fundamentalen Verfassungswerten zuwider.

Das Ausweisungsinteresse sei verbraucht, weil die Beklagte in Kenntnis einer am 8. Januar 2016 gehaltenen Predigt, die der Verfassungsschutz als extremistisch bewerte, eine Niederlassungserlaubnis erteilt habe.

Die Beklagte erwidert, dass die genannte Predigt zu einem späteren Zeitpunkt gehalten worden sei, und legt eine Videoaufzeichnung der Predigt vor. Sie legt außerdem eine politikwissenschaftliche Studie über den J. I. und das Protokoll einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vor, in der zwei Zeugen beschrieben haben, dass (und wie) sie eine Radikalisierung des J. I. wahrgenommen haben, bis sie den Verein verlassen hätten. Aus den Zeugenaussagen ergebe sich, dass der Radikalisierungsprozess auch einfachen Besuchern nicht verborgen geblieben sein könne.

Der Kläger wendet dagegen ein, dass einer der Zeugen ausdrücklich gesagt habe, dass es keinen festen Imam gegeben habe. Jeder, der den Koran lesen und vorbeten konnte, habe dort predigen können, wenn er gewollt habe. Das bestätige seine Darstellung, dass er einer unter vielen Predigern gewesen sei. Eine an extremistischen Auffassungen orientierte Auswahl der Prediger hätten die Zeugen gerade nicht bestätigt. Wenn bereits die Ausweisung eines Mitglieds aufgehoben worden sei, der die Radikalisierung erkannt und versucht habe, "das Rad zurückzudrehen", müsse dies erst recht für ihn selbst gelten, der die Radikalisierung gar nicht wahrgenommen habe.

Aus der von der Beklagten vorgelegten Studie ergebe sich, dass die die Radikalisierung maßgeblich befördernden Seminare von K. bewusst klandestin, mit abgeschalteten Mobiltelefonen und Verschwiegenheitsdrohungen gegen die Teilnehmer durchgeführt worden seien. Er habe diese Seminare nicht besucht und daher auch nichts davon mitbekommen können. Er habe keine Telegram-Chats geführt und lediglich in der Moschee gepredigt, wenn K. dort nicht gepredigt habe. Er sei weder K. noch einer seiner Gefolgsleute, die ausweislich der Studie in der Moschee als einzige Hasspredigten gehalten hätten. Der Verein sei nach außen um ein gemäßigtes Bild bemüht gewesen, das viele Gläubige außerhalb des Vereins getäuscht habe. Nur die politische Öffentlichkeit habe einen Kern von einer Handvoll extremistischer Personen mit dem gesamten Verein gleichgesetzt. Die Gefolgsleute K. s seien Profis, die genau gewusst hätten, wie sie den ursprünglich harmlosen Verein hätten kapern können, indem sie sich geschickt von der Öffentlichkeit und den einfachen Betenden abgeschottet hätten. Der Kläger ergänzt, dass, wenn schon die einfachen Teilnehmer an den Predigten die wahren Absichten von K. nicht hätten erkennen können, ihm dies noch weniger möglich gewesen sei, weil er die Moschee nur für kurze Aufenthalte als Gastprediger aufgesucht habe. Als der Verfassungsschutz eine erwiesene Radikalisierung erstmals angenommen habe, die auch Anlass für das Einschreiten der Behörden gewesen sei, habe er seine Tätigkeit für den J. I. bereits eingestellt gehabt. Er habe, anders als die Beklagte unter Berufung auf den Verfassungsschutz behaupte, nie zum Vorgehen gegen die Russen in Syrien oder zu Spenden an syrische Kämpfer aufgerufen, sondern nur zu Spenden an seinen eigenen Verein.

Die von der Beklagten vorgelegte Aufzeichnung einer Predigt zeige keine verfassungsfeindlichen Inhalte. Es zeige eine typische Predigt, die sich in Koranrezitation und -auslegung erschöpfe. Die Wiedergabe religiöser Quellentexte sei von der Religionsfreiheit geschützt. Auch sein Schlussgebet "Mögest Du uns unsere Sünden vergeben und mögest Du uns als Unschuldige sterben lassen und mögest Du unsere Gebete erhören und uns dadurch von unseren Sünden erlösen" sei ein typisches sunnitisches Schlussgebet und mit dem christlichen Vaterunser vergleichbar. Der Wunsch, als Unschuldiger zu sterben, sei auf ein Leben in Unschuld gerichtet, das den Weg ins Paradies eröffne. Das Verhältnis von Schuld und Sühne, Leben und Tod, Paradies und Hölle sei das Wesen aller Religion und stelle den Kernbereich der Religionsfreiheit dar. Weder der Islam noch das Christentum seien verfassungsfeindlich. Auch das Christentum sei von Extremismus durchzogen (wird ausgeführt).

Der Rückschluss, dass er als "Salafist" die jihadistisch-salafistischen Bestrebungen des J. I. habe erkennen müssen, greife zu kurz. Innerhalb des Salafismus existierten verschiedene Strömungen, innerhalb derer sich die Anhänger deutlich voneinander abgrenzten. Wenn sich der Kläger in als "salafistisch" oder sogar konkret "legalistisch-salafistisch" eingestuften Moscheen betätige, bedeute das daher nicht, dass er auch jihadistisch-salafistische Moscheen erkenne, ohne sich längere Zeit mit den dort verkehrenden Gläubigen zu unterhalten und ihre Einstellungen zu erfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Gerichtsakte in dem Verfahren 10 A P. /20 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

I. Die Ausweisung des Klägers erweist sich einschließlich der Nebenentscheidungen als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Der Aufenthalt eines Ausländers stellt zum einen eine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dar, wenn eine (erneute) Verletzung der dort genannten Schutzgüter durch den Ausländer selbst droht (spezialpräventives Ausweisungsinteresse), zum anderen aber auch dann, wenn zwar vom Ausländer selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam von vergleichbaren Verhaltensweisen abgehalten würden (generalpräventives Ausweisungsinteresse) (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 17; Urteil vom 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17 -, juris Rn. 16).

Der Kläger verwirklicht zwar ein besonders schweres (1.) und zugleich ein generalpräventives (2.) Ausweisungsinteresse, das auch fortbesteht und nicht verbraucht ist (3.). Das Ausweisungsinteresse überwiegt jedoch nicht das ebenfalls besonders schwere Bleibeinteresse des Klägers (4.), sondern steht diesem bestenfalls gleichwertig gegenüber (5.).

1. Die Schutzgüter des § 53 Abs. 1 AufenthG der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der sonstigen erheblichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland überschneiden sich teilweise. Die Tatbestandsmerkmale der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49; BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 23). Die freiheitliche demokratische Grundordnung erfasst die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind, wie die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG; vgl. BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13 -, juris Rn. 535 ff.).

Vor diesem Hintergrund kann eine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vorliegen, wenn zur Erreichung religiöser Ziele zu Hass und Gewalt auf einzelne Bevölkerungsgruppen oder auch unterschiedslos aufgerufen wird. Dergleichen Verhaltensweisen werden teilweise von § 54 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 AufenthG erfasst und können Strafvorschriften und damit die öffentliche Sicherheit verletzen. Die Ablehnung staatlicher Normen zugunsten religiöser Gebote sowie die Herabwürdigung etwa von Frauen oder von Menschen, die sich aus Sicht der Anhänger extremistisch-religiöser Ideologien nicht an dergleichen Gebote halten, gefährdet regelmäßig die freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.6.2021 - 11 S 19/21 -, juris).

Eine Gefahr kann auch dadurch entstehen, dass der Ausländer Personen oder Personenvereinigungen unterstützt oder unterstützt hat, die selbst die Schutzgüter des § 53 Abs. 1 AufenthG gefährden. Die Unterstützung anderer als gefahrbegründendes Verhalten ist in den Fällen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich als mögliches Ausweisungsinteresse normiert. Hat der Ausländer bereits einen der in § 54 AufenthG normierten Tatbestände verwirklicht, kann eine spezialpräventive Gefahrenprognose maßgeblich auf diese Tatsache gestützt werden, wenn die Umstände des Einzelfalls eine Wiederholung nahelegen, wie dies etwa bei der mehrfachen Begehung von Straftaten, bei Straftaten aufgrund einer Suchtmittelerkrankung oder bei besonderen persönlichen Veranlagungen der Fall sein kann (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 8.6.2021 - 11 S 3759/20 -, juris Rn. 9 f., und vom 2.3.2020 - 11 S 2293/18 -, juris Rn. 14 f.).

a. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Kläger das in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG normierte besonders schwere Ausweisungsinteresse verwirklicht.

Ausreichend sind insofern Tatsachen, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er eine Vereinigung unterstützt hat, die den Terrorismus unterstützt. Der Gesetzgeber hat mit diesem herabgesetzten Beweismaß zum Ausdruck gebracht, dass er bei diesem Ausweisungsgrund die Sicherheitsgefährdung als besonders hoch einstuft (vgl. BT-Drs. 14/7386, S. 56 zu der durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz eingefügten Vorläufervorschrift in § 47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG; vgl. BVerwG, Urteil vom 15.3.2005 - BVerwG 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114, 126 ff.) und deshalb - auch mit Rücksicht auf die Erscheinungsformen des international organisierten Terrorismus und die damit verbundenen Nachweisschwierigkeiten - geringere Anforderungen an die behördliche und gerichtliche Überzeugungsbildung hinsichtlich der Verwirklichung des Ausweisungsgrundes ausreichen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.1.2011 - BVerwG 1 B 17.10 u. a. -, juris [zu § 54 Nr. 11 AufenthG a. F]).

Solche Tatsachen liegen hier darin, dass der Kläger in den Jahren 2015 und 2016 mehrfach als Gast für den J. I. gepredigt hat. Auch in der Vergangenheit liegende Unterstützungshandlungen sind nach dem ausdrücklichen Wortlaut ("...oder unterstützt hat") geeignet, den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verwirklichen.

aa. Bei dem J. I. handelt es sich um eine verfassungsfeindliche Bestrebung im oben beschriebenen Sinne. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c) des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Nachweis, dass eine Organisation solche Ziele verfolgt, gilt als geführt, wenn und sobald sie vereinsrechtlich verboten worden ist (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 22.2.2016 - 19 E 6426/15 -, juris Rn. 9 m. w. N.). Dies ist mit Blick auf den J. I. der Fall. Der J. I. ist am 14. März 2017 u. a. mit der Begründung, dass sich der Verein mit seiner dem jihadistischen Salafismus zuzurechnenden Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet habe und seine Tätigkeit Strafgesetzen zuwidergelaufen sei, verboten worden. Dessen verfassungsfeindliche Einstellung bestreitet auch der Kläger nicht (mehr).

bb. Die Predigten des Klägers in der Moschee sind als aktive Unterstützungshandlungen für den J. I. zu bewerten. Sein Auftreten in der Moschee war für den J. I. vorteilhaft. Da er auch eigenen Angaben zufolge nicht nur einmal dort gepredigt hat, ist sein Beitrag geeignet, eine Identifikation mit der Bestrebung des J. I. zu indizieren. Bereits durch seine Predigten und seine Anwesenheit dort hat er zu erkennen gegeben, dem J. I. offen gegenüber zu stehen und so dazu beizutragen, ihn zu legitimieren (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14.10.2020 - 13 ME 278/20 -, juris). Es ist darüber hinaus nicht erforderlich, dass er in dem J. I. ein offizielles Amt oder eine (weitere) besondere Position bekleidet hat.

cc. Es ist zur Überzeugung der Kammer für den Kläger auch erkennbar gewesen und ihm deshalb zurechenbar, dass sein Handeln die Bestrebungen des J. I. unterstützt hat. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Klägers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwGE 147, 261 = NVwZ 2014, 294 Rn. 15 u. 18 mwN).

Die Aussage des Klägers, er habe nur als Gastprediger in der Moschee gepredigt und von der Verbreitung der salafistischen Ideologie und der Radikalisierung durch den Verein nichts mitbekommen, hält die Kammer weiterhin für unglaubhaft. Schon seine Behauptung, er habe die Moschee ausschließlich für die Predigten aufgesucht und danach sofort wieder verlassen und sich bei zehn Predigten von ca. einer Stunde kaum mehr als zehn Stunden überhaupt in den Vereinsräumen aufgehalten, deckt sich nicht mit seinen Ausführungen im Einbürgerungsverfahren, dass er vor seinen Predigten den Besuchern für zwei bis drei Stunden "zur Verfügung gestanden habe". Der Kläger hat seine Behauptung, er habe sich außer zum Predigen nie in der Moschee aufgehalten, auch in der mündlichen Verhandlung noch dadurch relativiert, dass er erklärt hat, dass er bisweilen nach der Predigt von Personen begrüßt worden sei oder kurze islamische Fragen beantwortet habe. Bereits solche kurzen Begrüßungen und Gespräche, die dabei erörterten Fragen und die damit einhergehende Verweildauer geben Aufschluss über die Ausrichtung der Gläubigen. Dass solche Begegnungen nur in anderen Moscheen aufgetreten sind, in denen der Kläger gepredigt hat, nicht aber im J. I., hält die Kammer für lebensfremd.

Die detaillierten Angaben seines Bevollmächtigten im Einbürgerungsverfahren sind auch nicht mit einfachen Übertragungsfehlern oder Missverständnissen zu erklären, die der Kläger im Übrigen erst geltend gemacht hat, nachdem ihm dieses Vorbringen vorgehalten worden ist. Seinem Beweisantrag über die Tatsache, dass die Ankunft häufig sehr knapp war und die Abreise kurz nach Ende der Predigt erfolgte, brauchte die Kammer nicht nachzugehen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen insgesamt unerheblich sind; sie sind aber auch im Besonderen nicht geeignet, jede noch so naheliegende Möglichkeit auszuschließen, die Ausrichtung der Moschee zu erkennen.

Der Schluss des Klägers, dass es "ausgeschlossen" sei, dass ihm die von "einigen Mitgliedern vertretene Ideologie hätte auffallen können", ist danach schon tatsächlich nicht gerechtfertigt und weist deutliche Tendenzen auf, die eigenen Beiträge zur Arbeit des J. I. zu verharmlosen. So enthält die von der Beklagten vorgelegte Studie "Der ,Q. I. ' das Fazit, dass die J. -Moschee schon vor dem Wirken K. s als Hauptimam salafistisch geprägt gewesen sei. In der Gemeinde sei bereits von Beginn an gepredigt worden, den eigenen Lebensstil möglichst vollständig am Vorbild der ersten drei Generationen des Islam, den "Salaf aṣ-ṣaliḥ", auszurichten und sich nicht nur von Nicht-Muslim:innen abzugrenzen, sondern auch von Moscheegemeinden, die den Islam vermeintlich nicht in reiner Form praktizierten. Die salafistische Präferenz der J. -Moschee sei auch für Außenstehende an der Kleiderwahl vieler Moscheebesucher erkennbar gewesen - so trugen etwa viele Männer die Ǧallabiya, ein traditionelles arabisches Gewand.

Soweit die Studie gleichwohl feststellt, dass die Tendenzen für die Unterstützung des IS aus den Reihen der Moschee manchen Akteur:innen im Stadtviertel ebenso nicht bewusst gewesen sei wie manchen Muslim:innen, die die Moschee nur unregelmäßig besuchten, folgt daraus aus Sicht der Kammer nicht, dass auch der Kläger diese Unwissenheit für sich in Anspruch nehmen könnte. Er war nicht nur gelegentlicher Besucher der Moschee, sondern hat dort gepredigt und schon dadurch eine herausgehobene Stellung eingenommen, die in der Regel eine gewisse Erfahrung und Beurteilungskompetenz mit sich bringt.

Der Kläger hat sich auch vor der Kontaktaufnahme zum J. I. im salafistischen Spektrum bewegt, was sich an früheren Aktivitäten in einer Moschee in Münster und seinen Predigten für Moscheen in Herford, Bremen und B-Stadt zeigt, die von den Sicherheitsbehörden ebenfalls dem salafistischen Spektrum zugeordnet werden. Nach der Mitteilung des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen vom 1. April 2009 an die damalige Ausländerbehörde war er schon 2007 regelmäßiger Besucher eines Anlaufpunkts des islamistischen Spektrums und es ist durch die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen ihn geführt worden. Die Kammer hat angesichts dessen - und unabhängig von der Einstellung jenes Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO - auch weiterhin keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Kläger auch 2014, 2015 oder 2016 noch grundsätzlich in der Lage war, die Ausrichtung einer Moschee im Allgemeinen und die salafistische Ausrichtung des J. I. im Besonderen zu erkennen, wenn sie nicht sogar entgegen seiner Beteuerungen sein eigentliches Auswahlkriterium war. Dass der Kläger von der Ausrichtung des J. I. erst aus Medienberichten und dem Verfassungsschutzbericht erfahren haben will, erachtet die Kammer auch angesichts seiner weiteren Einwände als ebenso unglaubhaft wie die Annahme, dass er wie ein gelegentlicher Besucher Anzeichen wie die Kleidung der Besucher der Gebete nicht hätte decodieren können.

Insoweit ist die Kammer überzeugt, dass schon die von dem Kläger selbst behauptete - von der Beklagten bezweifelte - strikte Abgrenzung der salafistischen Strömungen untereinander die bewusste Betrachtung und Einordnung einer Moschee nicht nur ermöglicht (weil die Abgrenzung voraussetzt, den Gegenstand der Abgrenzung zu (er)kennen), sondern geradezu veranlasst. Die Kammer geht weiter davon aus, dass es möglich und selbstverständlich ist, sich bereits vor der Übernahme einer Predigt ein Bild darüber zu machen, ob die eigenen Inhalte mit den Erwartungen und Haltungen der Gemeinde übereinstimmen. Dass der Kläger gleichzeitig klar gegen den jihadistischen Salafismus positioniert gewesen und ungeprüft jedweden Predigtauftrag auf Zuruf angenommen und wahrgenommen haben will, erachtet die Kammer weiterhin als lebensfremd.

dd. Der Kläger hat sich auch nicht erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln distanziert. Bei vorherigen Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert eine glaubhafte Abkehr das Vorliegen objektiver, äußerlich feststellbarer Umstände, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und auf Grund dessen künftig von ihm keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mehr ausgeht. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Ausländer in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.4.2018 - BVerwG 1 B 11.18 -, juris, BeckRS 2018, 8954 Rn. 12).

Solche äußerlich feststellbaren Umstände sind bei dem Kläger nicht zu erkennen. Er greift unter Auslassung früherer eigener Äußerungen isolierte Vorhalte an, relativiert und verharmlost seine Beiträge und lässt danach keine innere Abkehr von seinen Handlungen erkennen. Im Gesamtbild seines Vorbringens können auch seine Erklärungen, dass er nunmehr die Verfassungsschutzberichte lese, bevor er zu einer Moschee Kontakt aufnehme, und dass er die Begünstigung des "O. e. V." durch den von ihm initiierten Verein beenden werde, wenn ersterer Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht finde, nur soweit verstanden werden, dass der Kläger Institutionen meidet, die bereits im Fokus der Behörden stehen, nicht aber dahingehend, dass er eigene Erkundigungen anstellt, sich ein eigenes Bild macht und auch solche Moscheegemeinden und Vereine meidet, die noch nicht im öffentlich gemachten behördlichen Fokus stehen.

Soweit der Kläger diesem Verständnis der Kammer entgegenhält, dass er dadurch gezwungen werde, sämtliche Muslime unter Generalverdacht zu stellen, liegt auch darin eine suggestive Verdrehung der Umstände. Dem Kläger wird kein Generalverdacht abverlangt, sondern die Betätigung des eigenen Urteilsvermögens unabhängig von der Erwähnung einer Moscheegemeinde oder eines Vereins im Verfassungsschutz. Solange der Kläger salafistische Bestrebungen erst dann für problematisch hält, wenn sie den Sicherheitsbehörden bekannt und von diesen veröffentlicht werden, liegt dem gerade keine glaubhafte Abkehr von derartigen Bestrebungen zugrunde.

Insoweit können auch die Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er sei naiv gewesen und folge lediglich einem politischen Salafimus, nicht dem jihadistischen Salafismus, nicht mehr überzeugen.

b. Soweit die Beklagte dem Kläger weiterhin entgegenhält, er habe im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 AufenthG zu Gewaltausübung aufgerufen und im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgerufen, sieht die Kammer diese Ausweisungsgründe jedenfalls in den Äußerungen, die der Beklagten und dem Gericht bekannt sind, nicht erfüllt.

2. Darüber hinaus ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Ausweisung auch generalpräventiv durch die Gefahr von weiteren sicherheitsgefährdenden Aktivitäten ähnlichen Gewichts durch andere Ausländer begründet hat. Der Gesetzgeber wollte diese Möglichkeit der Ausweisung aus generalpräventiven Gründen auch für das reformierte Ausweisungsrecht mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (vom 27. Juli 2015, BGBl. I S. 1386) beibehalten (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 34; VGH München, Beschluss vom 19.9.2016 - 19 CS 15.1600 -, juris; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, zu § 53 AufenthG, Rn. 53). Voraussetzung für eine generalpräventive Begründung ist, dass die Ausweisung insoweit ein geeignetes und erforderliches Mittel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Von ihr muss eine angemessene Wirkung der generalpräventiven Absicht zu erwarten sein. Das ist der Fall, wenn nach der Lebenserfahrung damit gerechnet werden kann, dass sich andere Ausländer mit Rücksicht auf eine kontinuierliche Ausweisungspraxis ordnungsgemäß verhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.11.1979 - BVerwG 1 C 100.76 -, juris). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können unter anderem Straftaten aus generalpräventiven Gründen eine Ausweisung von Ausländern rechtfertigen, wenn durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung solcher Straftaten abgehalten werden sollen. Gleiches gilt für die Ausweisung aufgrund der Unterstützung von Vereinigungen, die den Terrorismus unterstützen. Angesichts der langjährigen und überregionalen Aktivität des Klägers in als salafistisch oder anderweitig extremistisch eingestuften Moscheegemeinden in Münster, Herford, Bremen, B-Stadt und I. und der herausragenden Bedeutung des von ihm unterstützten J. I. innerhalb der salafistischen Szene ist seine Ausweisung geeignet, andere Ausländer von der Unterstützung der terroristischen Vereinigung "IS" oder ähnlicher terroristischer Vereinigungen abzuschrecken.

3. Das Ausweisungsinteresse ist auch noch aktuell. Es ist weder durch den bloßen Zeitablauf noch durch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis seitens der Beklagten "verbraucht".

Dass nicht schon der bloße Zeitablauf das Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entfallen lässt, folgt schon daraus, dass das Ausweisungsinteresse nach dem klaren Wortlaut der Norm auch durch vergangene Unterstützungshandlungen begründet wird. Das zeitlich begrenzende Moment ergibt sich insofern einzig aus der möglichen glaubhaften Abwendung des Betroffenen, die seit der Unterstützungshandlung eingetreten sein kann, im Fall des Klägers aber - wie oben ausgeführt - nicht eingetreten ist.

Das Ausweisungsinteresse ist auch nicht dadurch verbraucht, dass die Beklagte dem Kläger in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis der Ausweisungsgründe eine Niederlassungserlaubnis erteilt hat.

Zwar ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat. Aus der Ableitung dieser Rechtsprechung aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt (jedoch), dass zum Verbrauch des Ausweisungsinteresses die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss außerdem ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers selbst schützenswert sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, BVerwGE 157, 325-356, Rn. 39).

Hieran fehlte es in der von dem Bundesverwaltungsgericht beurteilten Konstellation, weil die Ausländerbehörde dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitgeteilt hatte, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt hat. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

Im Fall des Klägers hat zwar die Beklagte noch das Ergebnis der Sicherheitsabfragen mitgeteilt, indem sie dem Bevollmächtigten des Klägers schrieb "um über den Antrag Ihres Mandanten auf eine NE abschließend entscheiden zu können, musste uns die Antwort der Anfrage nach § 73 Abs. 2 AufenthG vorliegen. Diese ist mittlerweile eingetroffen. Da auch von dieser Seite keine Versagungsgründe bestehen, können wir nun Ihrem Mandanten die NE erteilen."

Diese Mitteilung geht allerdings vom Erkenntniswert nicht wesentlich über die kommentarlose Erteilung der Niederlassungserlaubnis hinaus. Auch aufgrund dieser Auskunft konnte der Kläger weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher konnte auch der Kläger aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

4. Dem Ausweisungsinteresse steht ein besonders schweres Bleibeinteresse gegenüber, weil der Kläger zum einen im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist und sich mehr als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und er außerdem in familiärer Lebensgemeinschaft mit zwei minderjährigen Kindern deutscher Staatsangehörigkeit lebt und die Personensorge für sie ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).

Sowohl die gemeinsame Fortsetzung der Familiengemeinschaft als auch eine alleinige Beendigung des Aufenthalts des Klägers greifen zugleich in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK ein. Der Begriff des "Privatlebens" i. S. v. Art. 8 EMRK umfasst die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen ansässigen Zuwanderern und der Gesellschaft, in der sie leben (EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 - Üner./. NL, juris Rn. 59; OVG Bremen, Beschluss vom 17.1.2019 - 1 B 333/18 -, juris Rn. 19). Darüber hinaus schützt Art. 8 EMRK mit dem Begriff des "Familienlebens" die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern und unter bestimmten Voraussetzungen auch von nichtehelichen Lebensgefährten zueinander (vgl. Meyer-Ladewig/ Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/ Nettesheim/ von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 8 Rn. 54, 56 m. w. N.). Der Kläger lebt seit etwa zwanzig Jahren in Deutschland. Er unterhält soziale Kontakte zumindest zu seiner Familie. Schon damit führen er und seine Familie in Deutschland ein von Art. 8 EMRK geschütztes Privat- und Familienleben.

Eine Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist jedoch nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen. Dem Kindeswohl kommt weder nach Europäischen Grund- und Menschenrechten noch nach Verfassungsrecht ein unbedingter Vorrang vor den entgegenstehenden Interessen zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.2015 - BVerwG 1 B 26.15 -, juris Rn. 5 m. w. N.). Eine Ausweisung ist vielmehr zulässig, wenn die Ausweisungsgründe im Einzelfall schwerer wiegen und die Anwesenheit des Ausländers nicht weiter hingenommen werden kann (BVerwG, Urteil vom 11.6.1975 - BVerwG I C 8.71 -, juris Rn. 20 und Urteil vom 30.7.2013 - BVerwG 1 C 9.12 -, juris Rn. 22 ff.). Im Rahmen dieser Betrachtung kommt ein Vorrang des Ausweisungsinteresses insbesondere dann in Betracht, wenn die Geburt eines Kindes keine "Zäsur" in der Lebensführung des betroffenen Ausländers in dem Sinne darstellt, dass er in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, bei legalisiertem Aufenthalt keine weitere Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, juris Rn. 23). Zugunsten des Bleibeinteresses kann unter anderem von Bedeutung sein, ob in der Persönlichkeit oder den Lebensverhältnissen des Ausländers positive Änderungen eingetreten sind, welche die Annahme rechtfertigen, er werde künftig nicht mehr straffällig (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.2.2021 - 12 S 3852/20 -, juris Rn. 20) bzw. - im Fall des Klägers - keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr begründen.

Eine in diesem Sinne günstige Prognose kann die Kammer in der Person des Klägers auch im Hauptsacheverfahren nicht treffen, weil weiterhin die Tendenzen des Klägers allfällig sind, seine Unterstützung des J. I. zu verharmlosen und als zufällige und arglose Ausübung der Religionsfreiheit darzustellen, und er gerade keine nachhaltige innere Abkehr von seinen Unterstützungshandlungen glaubhaft gemacht hat. Es besteht angesichts dessen weiterhin die Besorgnis, dass seine Predigertätigkeit allein aus taktischen Gründen während der laufenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren um seine Einbürgerung und die Ausweisung eingestellt hat, und diese jederzeit wieder aufnehmen könnte.

Schließlich hat der Kläger auch weder glaubhaft von seiner Unterstützung Abstand genommen, noch nach der Geburt seiner Kinder seine Aktivitäten im Hinblick auf die Belange seiner Familie eingestellt.

Auch auf eine Rechtsstellung als "faktischer Inländer" kann sich der Kläger nicht berufen. Im Hinblick auf den Schutzbereich des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung eine Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann, er mithin ein "faktischer Inländer" ist. Fehlt es hieran, liegt schon kein Eingriff in die Rechte des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor; einer Rechtfertigung nach den Maßgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK bedarf es in diesem Fall nicht. Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension "Verwurzelung") und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland (Dimension "Entwurzelung") ab. Hier fehlt es jedenfalls an der Dimension der Entwurzelung in seinem Heimatland, das der Kläger erst im Erwachsenenalter verlassen hat. Er ist auch nicht infolge seines langjährigen Aufenthalts in einer Weise "verwestlicht", dass ihm die Reintegration in Tunesien nicht gelingen könnte.

5. Die Ausweisung erweist sich jedoch bei Abwägung des Ausweisungs- und der Bleibeinteressen als unverhältnismäßig. Das Ausweisungsinteresse überwiegt nicht das schon normativ besonders schwere, im Einzelfall noch gesteigerte Bleibeinteresse.

Normativ stehen Ausweisungs- und Bleibeinteressen als jeweils besonders schwere Interessen einander formell gleichwertig gegenüber.

Zugunsten des Ausweisungsinteresses spricht abstrakt, dass dieses zwar normativ gleichwertig neben den anderen in § 54 Abs. 1 AufenthG genannten Ausweisungsinteressen steht, durch die weitere Rechtsfolge eines verlängerten Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 5a AufenthG aber eine systematisch hervorgehobene Stellung bekommt.

Weiteres Gewicht bekommt das Ausweisungsinteresse durch die herausragende Bedeutung des von ihm unterstützten J. I. innerhalb der salafistischen Szene, die sich einen an dem überregionalen Einzugsbereich des Vereins und seiner Moscheegemeinde, an der Ausrichtung des Vereins auf den Imam K. und dessen Predigten und Seminare und schließlich an der auffällig hohen Zahl an Ausreisen zum bewaffneten Kampf in Syrien zeigt, die die Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Vereins registriert haben. Diese Umstände begründen zugleich - wie ausgeführt - ein besonderes generalpräventives Ausweisungsinteresse.

Auch diese Aspekte des Ausweisungsinteresses knüpfen allerdings an die Eigenschaften des J. I. an. Mit dem Kläger sind sie erst durch den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verbunden, der an objektive Unterstützungshandlungen zugunsten des J. I. anknüpft und an subjektiver Vorwerfbarkeit nur voraussetzt, dass der Kläger dessen Bestrebungen hat erkennen können. Obwohl die Kammer davon überzeugt ist, dass der Kläger diese subjektive Voraussetzung erfüllt, bleibt es eine Zuschreibung eines Kennenmüssens, nicht einer billigenden inneren Haltung. Für die Zuschreibung einer solchen Haltung fehlen der Kammer hinreichende Anhaltspunkte. Auch in der Verbotsverfügung gegen den J. I. wird der Kläger nur mit denjenigen Zitaten erwähnt, die die Kammer als nicht ausreichend für die Annahme eines Aufrufs zur Gewalt und zu Hass gegen Teile der Bevölkerung erachtet hat. Die weitere Beschreibung in dem Behördenzeugnis, der Kläger habe "wie ein Einpeitscher gewirkt", vermag für sich genommen eine solche Zuschreibung nicht zu tragen.

Wenngleich diese Umstände für die Annahme eines besonders schweren Ausweisungsinteresses - wie ausgeführt - genügen, sind sie aus Sicht der Kammer nicht geeignet, ein weiteres, in der Abwägung mit den besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen des Klägers ausschlaggebendes Gewicht zu begründen.

Gegen ein überwiegendes Ausweisungsinteresse spricht zunächst der Umstand, dass die Beklagte - in Kenntnis oder nach Beteiligung der obersten Landesbehörde zurechenbarer Unkenntnis der Unterstützungshandlungen - dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis erteilt hat. Das führt - wie ausgeführt - nicht zum vollständigen Verbrauch des Ausweisungsinteresses, lässt dieses jedoch zumindest verblassen, weil darin deutlich wird, dass an einer früheren Aufenthaltsbeendigung kein Interesse bestand oder kein Bedarf dafür gesehen wurde.

Zugunsten des Bleibeinteresses spricht, dass der Kläger gleich zwei Regelbeispiele besonderer Bleibeinteressen erfüllt. Diese sind zwar nicht einfach zu addieren, knüpfen jedoch an unterschiedliche Lebenssachverhalte an, die mit eigenem Gewicht in die Abwägung eingehen. Der Kläger hält sich zudem weit länger als von § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gefordert rechtmäßig im Bundesgebiet auf und übt die Personensorge für zwei Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit aus.

Diese bestehende familiäre Beziehung würde durch eine Trennung des Klägers von seiner Familie infolge der Beendigung seines Aufenthalts im Bundesgebiet absehbar schwer und dauerhaft beeinträchtigt. Auch die Vater-Kind-Beziehung hat dabei eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes und wird nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritte Personen entbehrlich.

Die familiäre Lebensgemeinschaft kann zwar grundsätzlich auch im Ausland aufrechterhalten werden, weil die Ehefrau des Klägers und seine Kinder ebenfalls im Besitz der tunesischen Staatsangehörigkeit sind. Aus der deutschen Staatsangehörigkeit zweier Kinder des Klägers folgt für sich genommen nicht, dass ihnen eine Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland ohne Hinzutreten besonderer Umstände stets unzumutbar wäre. Dasselbe gilt auch für den durch Art. 8 EMRK vermittelten Schutz (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 -, juris Rn. 22 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR). Ob ein Fall der Unzumutbarkeit vorliegt, hängt vielmehr davon ab, welche Folgen eine - ggf. bis zur Volljährigkeit andauernde, aber jedenfalls vorübergehende - Fortführung der Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und dem Kläger im Ausland für die beiden deutschen Kinder hätte, ob und ggf. welche Alternativen denkbar wären und wie sich ein derartiger Aufenthalt im Ausland ggf. auf ihre - rechtlich gesicherte - Möglichkeit einer späteren Rückkehr und Reintegration in Deutschland auswirken würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - BVerwG 1 C 15.12 -, BVerwGE 147, 278-292, Rn. 17). Wie bei allen aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist dabei maßgeblich - und hier ausschlaggebend - auch auf die Sicht des Kindes abzustellen.

Sowohl die Trennung von dem Kläger als auch die gemeinsame Fortsetzung der Familiengemeinschaft in Tunesien - obschon möglich - wären nach Auffassung der Kammer mit schweren Beeinträchtigungen und Härten verbunden. Diese Härten sind jedenfalls bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Kinder zwar von absehbarer Dauer; sie können indes auch nicht durch eine Verkürzung des gegen den Kläger ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemindert werden, das gem. § 11 Abs. 5a AufenthG grundsätzlich 20 Jahre dauern soll und nur ausnahmsweise und selbst dann kaum auf einen Zeitraum befristet werden könnte, der vor dem Eintritt der Volljährigkeit des jüngsten Kindes endet.

Während in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann, wirft die (auch vorübergehende) Fortsetzung der Familiengemeinschaft außerhalb des Bundesgebiets eher für ältere Kinder besondere Schwierigkeiten auf, die letztlich infolge einer durch die Aufenthaltsbeendigung erzwungenen Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ihrer Eltern ihre sozialen Bindungen, ihr gewohntes Umfeld und die schulische Ausbildung in einer Phase aufgeben müssen, in der sie ihre Persönlichkeit entwickeln und festigen und sich vom Elternhaus zu lösen beginnen.

Im Fall der jüngsten Tochter des Klägers tritt zusätzlich die größere Abhängigkeit von einem gewohnten Umfeld und eine deutlich schlechtere Versorgung im Ausland in den Vordergrund. Eine dem deutschen Niveau vergleichbare Förderschulbildung und weitere individualisierte Förderung wie Ergotherapie u. ä. wird sie kaum erhalten können. Das Verlassen des Bundesgebiets, um die familiäre Lebensgemeinschaft aufrechtzuerhalten, ist ihr deshalb aufgrund ihrer Behinderung nicht zumutbar. Bei einem Verbleib im Bundesgebiet unter Trennung von dem Kläger kann von ihr dagegen auch im fortgeschrittenen Kindesalter nicht ohne weiteres erwartet werden, die Abwesenheit ihres Vaters über längere Zeit als örtliche Abwesenheit und nicht als Totalverlust wahrzunehmen.

Eine erzwungene Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet und die damit einhergehende Trennung von der Klägerin würde zugleich Belange der Tochter des Klägers berühren, die zu schützen sich die Bundesrepublik durch den Beitritt zum Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BRK -) völkerrechtlich verpflichtet hat. Darin gewährleisten die Vertragsstaaten unter anderem, dass ein Kind nicht aufgrund seiner Behinderung gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird (Art. 23 Abs. 4 UN-BRK).

Zwar begründet die UN-Behindertenrechtskonvention keine subjektiven Rechte und daher auch keinen unmittelbaren Anspruch der Tochter des Klägers oder des Klägers selbst auf dessen Verbleib im Bundesgebiet, weil sie der Abwehr spezifisch an die Behinderung anknüpfender Diskriminierungen dient, nicht aber ein Sonderrecht für Menschen mit Behinderungen schafft. Insoweit untersagt auch Art. 23 Abs. 4 UN-BRK nur eine Trennung von Kindern und Eltern gerade aufgrund einer Behinderung des Kindes, steht aber einer Trennung infolge einer ordnungspolitisch motivierten und aufenthaltsrechtlich begründeten Aufenthaltsbeendigung nicht zwingend entgegen.

Gleichwohl sind die UN-Behindertenrechtskonvention und die in ihr erwähnten Belange als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite Grundrechte der Tochter des Klägers heranzuziehen. Daraus folgt, die Belange der Tochter des Klägers mit eigenem Gewicht in die Abwägung des Bleibeinteresses gegen das Ausweisungsinteresse einzustellen.

Im Ergebnis wirken zugunsten des Ausweisungsinteresses erschwerende und mildernde Faktoren, die einander aufheben oder das Ausweisungsinteresse nur insoweit erschweren, dass es das seinerseits erheblich gesteigerte besonders schwere Bleibeinteresse und das Kindeswohl seiner Tochter mit einer geistigen Behinderung allenfalls aufwiegt, jedoch nicht im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG überwiegt.

6. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind infolge der Rechtswidrigkeit der Ausweisungsverfügung rechtswidrig, weil die Niederlassungserlaubnis des Klägers fortgilt; die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbot setzt ihrerseits die rechtmäßige Ausweisung voraus und ist deshalb ebenfalls rechtswidrig.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

IV. Die Kammer sie keinen Grund, die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4, § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen. Insoweit sieht die Kammer zwar in der Annahme, dass das Ausweisungsinteresse nicht durch die Erteilung der Niederlassungserlaubnis verbraucht ist, eine mögliche Divergenz von der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, nach der ein schutzwürdiges Vertrauen (möglicherweise erst dann) nicht besteht, wenn der Titel mit einem Hinweis auf die weiter mögliche Ausweisung erteilt worden ist (vgl. Beschlüsse vom 14.6.2019 - 13 ME 92/19 - und vom 16.6.2022 - 13 ME 367/21 -). Die Entscheidung beruht indes nicht auf dieser Divergenz. Soweit die Kammer auf die individuelle Abwägung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen abstellt, hat der Rechtsstreit auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.