Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 07.10.2022, Az.: 12 B 3546/22

Bewachte Zentren für Ausländer; Dublin III-VO; Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung; Gewahrsamseinrichtungen; Inhaftierung; Marcin Wiacek; Polen; Pro Asyl; systemische Schwachstellen

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.10.2022
Aktenzeichen
12 B 3546/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59654
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Schreiben des polnischen Ombudsmanns für die Einhaltung der Menschenrechtsstandards vom 25.01.2022 lässt befürchten, dass sich die Unterbringungssituation in den Gewahrsamseinrichtungen für Asylbewerber in Polen als unmenschlich und erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta darstellt.

Tenor:

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers 12 A 3545/22 gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2022 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage 12 A 3545/22 gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2022 anzuordnen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht gestellt.

Der Antrag ist auch begründet.

Das Gericht kommt im Rahmen seiner nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Abwägungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass das private Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung im Klageverfahren im Bundesgebiet bleiben zu dürfen und nicht nach Polen abgeschoben zu werden, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Abschiebungsanordnung überwiegt. Die Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus, weil nach der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zumindest offen ist, ob die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 25.07.2022 einer Prüfung im Hauptsacheverfahren standhalten wird und die Folgen einer sofortigen Vollziehung möglicherweise schwerwiegende Nachteile für den Antragsteller hätten, die nicht oder nur schwer rückgängig zu machen wären.

Die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung ist auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützt. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Für das Asylverfahren des Antragstellers war nach Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) zunächst Polen zuständig. Der Antragsteller hatte sich vor seiner Einreise nach Deutschland zuletzt in Polen aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt. Polen hat mit Schreiben vom 20.07.2022 erklärt, den Antragsteller gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO wiederaufzunehmen.

Es spricht jedoch vorliegend Einiges dafür, dass die Zuständigkeit Polens nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen ist. Eine Überstellung des Antragstellers nach Polen könnte gegenwärtig unzulässig sein, weil es im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn dort systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta mit sich bringen.

Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung bzw. dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gilt zwar zunächst die Vermutung, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Behandlung von Asylbewerbern mit den Erfordernissen der EMRK und der EU-Grundrechte-Charta in Einklang steht. Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine Vermutung, welche durch den substantiierten Vortrag von Umständen widerlegt werden kann, die eine besondere Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Die Anforderungen hieran sind allerdings hoch. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-Grundrechte-Charta droht. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf der Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und darf sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris Rn. 6; VGH BaWü, Urt. vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 -, juris Rn. 41; EuGH, Urt. vom 21.12.2011 - C- 411/10, C-493/10 -, juris Rn. 80). Diese Grundsätze konkretisierend hat der Europäische Gerichtshof in seiner „Jawo“-Entscheidung ausgeführt, dass Schwachstellen im Asylsystem nur dann als Verstoß gegen Art. 3 EMRK und Art. 4 EU-Grundrechte-Charta zu werten sind, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Die hohe Schwelle der Erheblichkeit kann nach dem Europäischen Gerichtshof dann erreicht sein, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese – Situationen – nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund derer sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. dazu insgesamt EuGH, Urt. vom 19.03.2019 - C-163/17 -, juris Rn. 91 ff.).

Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-Grundrechte-Charta kann allerdings auch in der Inhaftierung eines Asylbewerbers liegen (vgl. VG Hannover, Beschl. vom 23.02.2022 - 12 B 6475/21 -, juris Rn. 8). Art. 3 EMRK verpflichtet die Mitgliedstaaten unter anderem, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind. Die Beurteilung des Vorliegens eines Mindestmaßes an Schwere ist der Natur der Sache nach relativ. Sie hängt von allen Umständen des Falles ab, wie der Dauer der Behandlung, ihren physischen und mentalen Auswirkungen und in einigen Fällen dem Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Rufen die Haftbedingungen in ihrer Gesamtheit Gefühle der Willkür und die damit oft verbundenen Gefühle der Unterlegenheit und der Angst sowie die tiefgreifenden Wirkungen auf die Würde einer Person hervor, verstoßen sie gegen Art. 3 EMRK (vgl. EGMR, Urt. vom 21.01.2011 - 30696/09 -, juris Rn. 216, 219, 221, 233). Für die Frage, ob die angegriffenen Haftbedingungen als erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK anzusehen sind, fällt der extreme Mangel an persönlichem Raum stark ins Gewicht. Daneben sind andere Aspekte der physischen Haftbedingungen – etwa der Zugang zu Bewegung im Freien, natürliches Licht oder Luft, die Verfügbarkeit von Belüftung und die Einhaltung grundlegender sanitärer und hygienischer Anforderungen – relevant (vgl. EGMR, Urt. vom 11.03.2021 - 6865/19 -, Rn. 82 f., vom 20.10.2016 - 7334/13 -, Rn. 103 ff., vom 10.01.2012 - 42525/07 und 60800/08 -, Rn. 143 ff. und vom 21.01.2011 - 30696/09 -, Rn. 222).

Nach diesen Maßgaben liegen inzwischen ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Polen seit dem vergangenen Sommer systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen könnten.

Als Reaktion auf den massiven Anstieg der Anzahl von Asylbewerbern (ausgelöst durch die Grenzübertritte von Migranten aus Belarus kommend) hat Polen im letzten Jahr die Zahl der „bewachten Zentren für Ausländer“ von 6 auf 9 und die Zahl der Plätze von 628 auf 2.256 bzw. 2.308 erhöht (European Council on Refugees an Exiles (ecre), Asylum Information Database (AIDA), Country Report 2021: Poland, Update May 2022, S. 88 und 104; Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022). Nach den Regularien Polens werden Asylbewerber in einer solchen Gewahrsamseinrichtung untergebracht, wenn Alternativen nicht in Betracht kommen und ein Grund für die Inhaftierung vorliegt (vgl. zu den einzelnen Gründen AIDA, Country Report 2021: Poland, Update May 2022, S. 90f.). Es besteht jedoch der Eindruck, dass die Inhaftierung nicht als letztes Mittel eingesetzt und oft automatisch angewandt oder verlängert wird (AIDA, Country Report 2021: Poland, Update May 2022, S. 91; US State Departement vom 12.04.2022,https://www.ecoi.net/de/dokument/2071352.html). So hat der seit Juli 2021 amtierende, vom polnischen Parlament gewählte Ombudsmann Marcin Wiącek, der für die Einhaltung der Menschenrechtsstandards in Polen zuständig ist, in einem Schreiben vom 25.01.2022 an den Präsidenten des Bezirksgerichts Krosno ausgeführt, dass „trotz der im polnischen Recht vorhandenen Alternativen zur Inhaftierung von Ausländern, die internationalen Schutz suchen, in der Regel diese ultima ratio-Maßnahme angewandt“ werde (Marcin Wiącek, https://bip.brpo.gov.pl/sites/default/files/2022-02/RPO_sad_25.1.2022.pdf, Übersetzung aus dem Polnischen durch Deepl.com). Zuständig ist der polnische Grenzschutz, der die Gewahrsamseinrichtungen leitet und die örtlichen Bezirksgerichte um Anordnung zur Unterbringung unter Haftbedingungen ersucht und damit in der Regel Erfolg hat (Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022). Auch eine Verlängerung über die ersten drei Monate Unterbringung hinaus erfolgt von den Gerichten „automatisch“ (US State Departement vom 12.04.2022,https://www.ecoi.net/de/dokument/2071352.html), was dazu führt, dass viele Asylbewerber monatelang in diesen Einrichtungen untergebracht sind (Pro Asyl, Wer ein Asylgesuch stellt, wird eingesperrt (Interview mit der polnischen Rechtsanwältin Maria Poszytek), 16.08.2022; Pro Asyl, Im Flüchtlingsgefängnis von Białystok, 20.07.2022). Zudem ist zu erwarten, dass auch Asylbewerber wie der Antragsteller, die nach der Dublin III-Verordnung nach Polen rücküberstellt werden, in solchen Gewahrsamseinrichtungen untergebracht werden (AIDA, Country Report 2021: Poland, Update May 2022, S. 90f.; Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022).

Das oben angeführte Schreiben des polnischen Ombudsmanns Marcin Wiącek vom 25.01.2022 lässt befürchten, dass sich die Unterbringungssituation in den Gewahrsamseinrichtungen als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 EU-Grundrechte-Charta darstellt. Anlass für eine gezielte Recherche zu dem nur in polnischer Sprache abrufbaren Schreiben hat für die Kammer erst der Bericht von Pro Asyl vom 28.07.2022 gegeben, weshalb sie ihre Rechtsprechung zu Rückführungen nach Polen nun ändert (vgl. zuvor die Beschl. vom 25.02.2022 - 12 B 124/22 - n.v., und 15.06.2022 - 12 B 2204/22 - n.v.; vgl. zur jüngeren Rechtsprechung im Übrigen VG Minden, Beschl. vom 05.09.2022 - 12 L 599/22.A - und 02.08.2022 - 12 L 548/22.A -, beide in juris; VG Köln, Beschl. vom 31.08.2022 - 22 L 913/22.A -, juris insb. Rn. 38; VG Düsseldorf, Beschl. vom 10.08.2022 - 12 L 1303/22.A -, juris; VG Dresden, Beschl. vom 27.06.2022 - 3 L 397/22.A -, juris).

In dem Schreiben führt Wiącek aus, dass nach unangekündigten Besuchen in bewachten Zentren für Ausländer Anlass zu ernsten Bedenken im Zusammenhang mit möglichen Verstößen gegen den Grundsatz der Achtung der Menschenwürde bestünde. „Die Überbelegung der Zentren, die schlechten Lebens- und Hygienebedingungen und die unzureichende Durchsetzung der Rechte der dort inhaftierten Personen“ könnten seiner Meinung nach „zu einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“. Weiter weist Wiącek darauf hin, dass die Mindestfläche pro Person in einem bewachten Zentrum derzeit 2 qm betrage und dies internationalen Standards nicht entspreche. In manchen Gewahrsamseinrichtungen genügten zudem die Sanitäranlagen nicht für die Zahl der untergebrachten Asylbewerber. Im Zentrum von Kętrzyn seien in Containern untergebrachte Personen zudem dazu gezwungen, im Freien mehrere hundert Meter zu Fuß zurückzulegen, um zur Toilette zu gelangen. Wiącek hebt hervor, dass auch Ausländer mit Gewalt- und Traumaerfahrungen sowie Personen in schlechtem psycho-physischem Zustand inhaftiert seien, obwohl in deren Personaldokumenten auf diese Gründe hingewiesen und diese die Unterbringung in einem bewachten Zentrum nach dem Ausländergesetz Polens ausgeschlossen hätten. Dazu bestünden schwerwiegende Mängel in der psychologischen und medizinischen Betreuung der inhaftierten Ausländer, welche bereits vor der Krise an der polnisch-weißrussischen Grenze festgestellt worden seien. Die benannte Krise habe zu einer Überbelegung der Haftanstalten für Ausländer geführt, die „diesen ohnehin schon schlechten Zustand noch dramatisch verschlimmert habe“. Aus den Ergebnissen der Besuche seiner Vertreter in den Zentren gehe hervor, dass „die Häufung zusätzlicher Nachteile, die sich aus den Haftbedingungen und der Dauer der Haft ergeben“ würden, „die Definition einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erfüllen“ könne (Marcin Wiącek, https://bip.brpo.gov.pl/sites/default/files/2022-02/RPO_sad_25.1.2022.pdf, Übersetzung aus dem Polnischen durch Deepl.com).

Die Ausführungen des vom polnischen Parlament gewählten Ombudsmannes Wiącek basieren nicht nur auf Überprüfungen der Gewahrsamseinrichtungen vor Ort durch den Ombudsmann und dessen Vertreter, sondern stimmen auch mit weiteren Erkenntnissen überein. So ist die Feststellung Wiąceks, dass in manchen Einrichtungen für jede Person nur noch zwei Quadratmeter zur Verfügung stehen, was in Polen seit August 2021 in „Krisenfällen“ gesetzlich zugelassen ist, aber EU-Standards widerspricht, mehreren weiteren Quellen ebenfalls zu entnehmen (vgl. Pro Asyl, Wer ein Asylgesuch stellt, wird eingesperrt (Interview mit der polnischen Rechtsanwältin Maria Poszytek), 16.08.2022; Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022; DW, Verloren im Niemandsland: Flüchtlinge an der belarussisch-polnischen Grenze, 07.07.2022, https://www.dw.com/de/verloren-im-niemandsland-fl%C3%BCchtlinge-an-der-belarussisch-polnischen-grenze/a-62349252; taz, „Sie behandeln uns wie Tiere“, 07.06.2022, www.taz.de/Streik-in-polnischen-Internierungslagern; Global Detention Project, März 2022, https://www.ecoi.net/de/dokument/2072891.html; Children and torture-victims in Polish detention, MEPs told, https://euobserver.com/migration/154320). Darüber hinaus ist bekannt geworden, dass Asylbewerber in manchen Gewahrsamseinrichtungen für ihr Essen zu jeder Jahreszeit im Freien anstehen müssen (Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022). Dies hat auch der Antragsteller angegeben, der in Białystok untergebracht war. Er hat zudem berichtet, dass sie ihr Essen zurück in ihren Raum hätten tragen müssen, weshalb das warme Essen je nach Wegeslänge beim Verzehr bereits wieder kalt gewesen sei. Dazu erweckt die bauliche Gestaltung einiger Zentren mit dicken Mauern, Gittern an den Fenstern und auf den Fluren und umschlossen von mit Stacheldraht bewehrten hohen Mauern den Eindruck einer sehr gefängnisähnlichen Umgebung (AIDA, Country Report 2021: Poland, Update May 2022, S. 104f.; Pro Asyl, Im Flüchtlingslager von Białystok, 20.07.2022). In der Gewahrsamseinrichtung Białystok sind die einzelnen Stockwerke eines Gebäudes verschlossen und können nur vom Sicherheitspersonal geöffnet werden (Pro Asyl, Im Flüchtlingslager von Białystok, 20.07.2022). Die stellvertretende Kommissarin für Menschenrechte in Polen, Hanna Machińska, hat in einer Anhörung vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des EU-Parlaments Anfang Februar 2022 die Zustände in der Gewahrsamseinrichtung in Wędrzyn als unhaltbar bezeichnet (Children and torture-victims in Polish detention, MEPs told, https://euobserver.com/migration/154320; vgl. Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022).

Auch die Aussage Wiąceks, dass die medizinische und psychologische Betreuung in den Einrichtungen bei weitem nicht ausreiche, wird anderweitig gestützt: Psychologen, medizinisches Personal und Angehörige von NGOs werden nur beschränkt oder gar nicht in die Gewahrsamseinrichtungen gelassen, kranke Asylbewerber jedoch auch nicht an örtliche Ärzte oder Krankenhäuser überwiesen (Pro Asyl, Dublin-Abschiebungen nach Polen müssen gestoppt werden, 28.07.2022; taz, „Sie behandeln uns wie Tiere“, 07.06.2022, taz.de/Streik-in-polnischen-Internierungslagern). Der Bruder des Antragstellers hat in dessen Anhörung beim Bundesamt angegeben, er sei insgesamt fünfmal in Polen gewesen, um zu erreichen, dass eine Wunde am Kopf des Antragstellers medizinisch versorgt werde. Selbst das Angebot von 5.000 Euro als Bürgschaft habe nicht dazu geführt, dass der Antragsteller in einem Krankenhaus behandelt worden sei. Dem Antragsteller waren von einem Arzt der Gewahrsamseinrichtung zur Behandlung der offenen Wunde lediglich Schmerzmittel verabreicht worden. Die in den Einrichtungen Białystok und Lesznowola untergebrachten Asylbewerber werden schließlich nicht mit ihrem Namen, sondern mit einer Nummer angesprochen, was von ihnen als erniedrigend empfunden wird (Pro Asyl, Im Flüchtlingslager von Białystok, 20.07.2022; taz, „Sie behandeln uns wie Tiere“, 07.06.2022, taz.de/Streik-in-polnischen-Internierungslagern).

Angesichts der im Hauptsacheverfahren mindestens offenen Erfolgsaussichten für die Klage gegen die Abschiebungsanordnung und der Schwere der dem Antragsteller möglicherweise drohenden Rechtsbeeinträchtigungen, die nicht oder nur schwer rückgängig zu machen wären, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtkostenfrei.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 80 AsylG).