Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.10.2024, Az.: 7 ME 51/24

Verhinderung der Möglichkeit zum Aufstellen von Glücksspielgeräten durch das Betreiben sog. Mikrogastronomie

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.10.2024
Aktenzeichen
7 ME 51/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 23438
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:1001.7ME51.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 05.08.2024 - AZ: 5 B 43/24

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem kombinierten Betrieb aus Tankstelle einerseits und Schank-/Speisewirtschaft andererseits ist für die Beantwortung der im Rahmen der Betrachtung des SpielV § 1 I Nr. 1 zu stellenden Frage, welcher Betriebsteil den Betrieb insgesamt prägt, das Verhältnis der Anzahl der Verkaufsvorgänge der Betriebsteile zueinander ohne Bedeutung.

  2. 2.

    Die Anwendbarkeit des SpielV § 1 II Nr. 4 hängt nicht davon ab, ob der in Rede stehende Sachverhalt ein Bundesland betrifft, in dem das GastG des Bundes nach GG Art. 125a I fortgilt. Die Norm findet vielmehr auch dann Anwendung, wenn das Bundesland von seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Gaststättenrechtes Gebrauch gemacht hat.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 5. Kammer - vom 5. August 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 5. August 2024, mit dem dieses den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dessen Klage gegen einen eine Bestätigung im Sinne von § 33c Abs. 3 Satz 1 GewO aufhebenden und für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. September 2023 abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.

Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht - hinsichtlich der gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sprechenden Gründe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.11.2004 - 8 S 1870/04 -, NVwZ-RR 2006, 75) - nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern.

1. Ohne Erfolg wendet der Antragsteller ein, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung im angegriffenen Bescheid genüge entgegen den Gründen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, die Begründung sei floskelhaft und nicht tragfähig, sie bringe nicht das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung zum Ausdruck und sei vor diesem Hintergrund formell mangelhaft.

Das Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist zwar nicht bereits dann erfüllt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird; vielmehr kommt dem Erfordernis eine Warnfunktion zu, weshalb die Behörde in der Begründung schlüssig, konkret und substantiiert darzulegen hat, aufgrund welcher Erwägungen sie gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung als gegeben ansieht und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurücktreten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.09.2001 - 1 DB 26.01 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.05.2016 - 4 B 1360/15 -, juris; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 26.04.2013 - 5 ME 108/13 -, juris). Diesen - rein formellen - Anforderungen genügt die in Rede stehende Begründung allerdings.

Da der Antragsteller den von ihm angenommenen formellen Mangel der Begründung ausschließlich als solchen in den Blick nimmt und bis zum Ende seiner insoweitigen Argumentation auch allein von einem solchen spricht (Seite 4 der Beschwerdebegründung), versteht der Senat die Rüge des Antragstellers nicht dahingehend, dass er sich dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen trotz der in der formell-rechtlichen Prüfung aufgeworfenen Zweifel unterlassen hat, nach Feststellung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung der Frage nachzugehen, ob materiell-rechtlich ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, ob - mit anderen Worten - die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auch inhaltlich trägt. Diese Frage betrifft die gerichtliche Interessenabwägung, nicht die Betrachtung der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.05.2016 - 4 B 1360/15 -, juris).

Selbst wenn der Antragsteller die verwaltungsgerichtliche Entscheidung unter dem Aspekt der unterbliebenen materiell-rechtlichen Prüfung eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung rügen wollte, bliebe dieses Anliegen indes im Ergebnis ohne Erfolg. Mit der im Bescheid enthaltenen Begründung, es bedürfe der Anordnung der sofortigen Vollziehung deshalb, weil - erstens - der Antragsteller sein Gewerbe nicht ordnungsgemäß ausübe und - zweitens - dieser rechtswidrige Zustand nicht, insbesondere nicht für die Dauer eines möglicherweise langwierigen Rechtsstreits hingenommen werden könne, zeigt die Antragsgegnerin ein öffentliches Interesse auf, das ein ausnahmsweises Abweichen von dem in § 80 Abs. 1 VwGO geregelten Grundsatz zu rechtfertigen geeignet ist. Als in diesem Zusammenhang unschädlich einzustufen ist der Umstand, dass die Antragsgegnerin sich damit im Kern lediglich auf die tatbestandlichen Voraussetzungen ihrer Grundverfügung - der Aufhebung der Bestätigung nach § 33c Abs. 3 Satz 1 GewO - bezieht. Ob ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, ist auf Grundlage des jeweiligen Fachrechtes unter Berücksichtigung der betroffenen Rechtsgüter und deren Gewichtigkeit zueinander zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund besteht grundsätzlich die Möglichkeit und verhält es sich vorliegend so, dass das in der Existenz der Rechtsgrundlage der Grundverfügung zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Interesse am Erlass der Grundverfügung sich mit dem besonderen Vollziehungsinteresse deckt (vgl. Senatsbeschluss vom 20.05.2016 - 7 ME 50/16 -, juris; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Januar 2024, § 80, Rn. 209; konkret zum Vollziehungsinteresse mit Blick auf Suchtgefahren im Glücksspielrecht: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.03.2009 - 1 BvR 2410/08 -, juris).

2. Entgegen der Einschätzung des Antragstellers genügt die von ihm ausdrücklich eingeräumte "Kommunikation" mit den Mitarbeitern der Antragsgegnerin während der vor-Ort-Kontrollen am 10. Juli 2023 sowie am 24. August 2023 den Anforderungen des § 28 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG. Nach der Norm ist dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Ausweislich der Vermerke der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2023 (Blatt 9 BA001) sowie vom 31. August 2023 (hinsichtlich des Termins vom 24. August 2023, Blatt 10 f. BA001) wurde der Antragsteller mit der Einschätzung der Mitarbeiter der Antragsgegnerin konfrontiert, die zwei vorhandenen Spielgeräte befänden sich nicht in einer Schank- oder Speisewirtschaft im Sinne der SpielV, die in Rede stehende Fläche sei vielmehr Teil des Tankstellenbetriebes. Jedenfalls im Termin am 24. August 2023 hat der Antragsteller nach dem Inhalt des Vermerks, was von ihm auch nicht in Abrede gestellt wird, hierauf erwidert, die vorgefundene Situation bestehe bereits seit Jahren, er werde die Geräte nicht freiwillig entfernen und erwarte einen entsprechenden Bescheid der Antragsgegnerin. Damit hat sich der Antragsteller zum entscheidungstragenden Umstand - der Frage, ob die Spielgeräte in einer Schank- oder Speisewirtschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpielV aufgestellt sind - geäußert. Dass diese Äußerung im Rahmen einer Gesprächssituation stattgefunden hat, ist unschädlich; insbesondere ist das Anhörungserfordernis nach § 28 Abs. 1 VwVfG nicht an eine Schriftform gebunden.

3. Soweit der Antragsteller ausführt, die Räumlichkeiten, in denen die zwei Spielgeräte aufgestellt sind, erfüllten die Voraussetzungen einer Schank- oder Speisewirtschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpielV, ist sein Vortrag nicht geeignet, Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der entgegengesetzten Gründe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufzuwerfen. Da eine räumliche Trennung zwischen Tankstelle, Einzelhandel und Schank- und Speisebetrieb nicht gegeben ist, müsste der vorhandene Raum insgesamt die Prägung einer Schank- oder Speisewirtschaft aufweisen, in der Getränke und zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden. An einer solchen Prägung fehlt es mit Eindeutigkeit. Den vom Antragsteller zur Gerichtsakte gereichten Lichtbildern (Anlagenkonvolut 7 zur Antragsschrift) ist ohne Weiteres zu entnehmen, dass die Fläche nicht durch den Schank- und Speisebetrieb geprägt wird, sondern dieser lediglich untergeordnet als Bistrofläche in die Räumlichkeiten des Tankstellenbetriebes integriert ist. Die bestehenden Sitzgelegenheiten sind von typischerweise in Tankstellen angebotener Einzelhandelsware "umstellt". Auch die Außenansicht und -beschilderung gibt keinerlei Hinweis auf das Vorhandensein eines Schank- und Speisebetriebes, sondern entspricht gerade derjenigen einer Tankstelle.

Dem vom Antragsteller hervorgehobenen Verhältnis der Anzahl der Verkaufsvorgänge des Bistros zur Anzahl der Verkaufsvorgänge in Bezug auf Treibstoff kommt schon vor dem Hintergrund des Schutzzweckes des § 1 SpielV (vgl. § 33f Abs. 1 GewO) keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu: § 1 Abs. 2 SpielV verbietet das Aufstellen von Geldspielgeräten in bestimmten Schank- oder Speisewirtschaften selbst dann, wenn diese keinem Nebenzweck dienen, mithin sämtliche Verkaufsvorgänge auf den Getränkeausschank oder die Veräußerung von Speisen zurückgehen. Die Situation im Betriebsraum des Klägers gleicht nicht derjenigen, die in Schank- oder Speisewirtschaften oder Beherbergungsbetrieben i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 SpielV herrscht und die - wie das Verwaltungsgericht richtig feststellt - durch längere Aufenthalte eingeschränkter Nutzergruppen geprägt ist, sondern zeichnet sich durch eine hohe Kundenfrequenz aus. Zu den potentiellen Kunden gehören, schon aufgrund der Lage des Betriebes am Rande des Wohngebietes des Stadtteils F., auch Kinder und Jugendliche.

Im Übrigen lässt sich den Darstellungen in den Anlagen 5 und 6 zur Antragsschrift nicht entnehmen, dass die Anzahl der Verkäufe aus dem Bistrobereich - und insbesondere die insoweit maßgeblichen Verkäufe von Getränken und zubereiteten Speisen zum Verzehr vor Ort - die Anzahl der übrigen Verkäufe überstiegen.

Letztlich können all diese Erwägungen indes schon deshalb dahinstehen, weil der in Rede stehende Schank- und Speisebetrieb selbst unter Zugrundelegung der Perspektive des Antragstellers erlaubnisfrei gemäß § 2 Abs. 2 Nrn. 1, 3 GastG wäre und damit nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 SpielV als Aufstellungsort für Glückspielgeräte von vornherein nicht in Betracht käme. Die Anfügung der Nr. 4 in § 1 Abs. 2 SpielV mit Wirkung zum 11. November 2014 sollte gerade verhindern, dass durch das Betreiben sogenannter "Mikrogastronomie" die Möglichkeit zum Aufstellen von Glücksspielgeräten eröffnet wird (vgl. BR-Drs. 437/1/13, S. 3). Die Regelung findet mit ihrer Verweisung auf das GastG des Bundes (auch) in Niedersachsen Anwendung: Sie betrifft nicht das Gaststättenrecht, für das der Landesgesetzgeber im Jahr 2006 durch die Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG die Gesetzgebungskompetenz erhalten und von der das Land Niedersachsen auch Gebrauch gemacht hat, sondern sie bezieht sich vielmehr auf einen weiterhin dem Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG unterfallenden Teilbereich des Glücksspielrechtes und setzt eine Anwendbarkeit des GastG des Bundes nicht voraus, sondern stellt lediglich auf dessen Regelungsinhalt ab (vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 07.08.2023 - 1 B 56/23 -, juris; Heinze, ZfWG 2015, 312, 313).

4. Die Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist gewahrt. "Tatsachen" im Sinne der Norm sind nicht nur die eine Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit der aufzuhebenden Entscheidung begründenden sowie die weiteren entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände, sondern Tatsache im Sinne des § 48 Abs. 4 VwVfG ist auch die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der aufzuhebenden Entscheidung selbst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.1984 - GrSen 1.84 -, juris). Diesbezüglich hat sich die Antragsgegnerin erst durch den Vermerk des Fachdienstes Recht vom 11. September 2023 (Blatt 15 BA001) Gewissheit verschafft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11) und folgt der erstinstanzlichen Festsetzung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).