Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.08.2024, Az.: 14 ME 118/24

Zurückverweisung eines Verfahrens zur Bestellung eines Vormunds für einen Minderjährigen an das erstinstanzliche Gericht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.08.2024
Aktenzeichen
14 ME 118/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 19783
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0802.14ME118.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 19.07.2024 - AZ: 4 B 34/24

Amtlicher Leitsatz

Ein Verfahren kann nach begründeter Beschwerde eines verfahrensfehlerhaft erfassten Antragstellers gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO zur erstmaligen Entscheidung über den Antrag des eigentlichen Antragstellers zurückzuverwiesen werden.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer - vom 19. Juli 2024 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur Entscheidung über den Antrag des minderjährigen G. an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 19. Juli 2024 hat Erfolg. Sie ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Die Antragstellerin ist insbesondere befugt, sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu wenden. Sie wurde von dem Verwaltungsgericht als Beteiligte entsprechend § 63 Nr. 1 VwGO, nämlich als Antragstellerin erfasst und im Rubrum benannt. Das Verwaltungsgericht hat in der Sache über diesen Antrag entschieden und seine ablehnende Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe.

2. Die Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin rügt zu Recht, dass sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht im Sinne des § 63 Nr. 1 VwGO (analog) zu beteiligen gewesen wäre, weil sie den bei dem Verwaltungsgericht am 17. Juli 2024 eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht gestellt hat. Der Antrag ist ohne jeden Zweifel von dem minderjährigen G., vertreten durch das Jugendamt der Stadt F. als Vormund, gestellt worden. Mit Beschluss vom 7. Februar 2023 hat das Amtsgericht D-Stadt dem Jugendamt der Stadt F. als Vormund das Sorgerecht über den minderjährigen G. übertragen (siehe auch die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Bescheinigung des Amtsgerichts D-Stadt vom 13. Dezember 2019, wonach das Jugendamt der Stadt F. - Fachbereich Vormundschaften/Pflegschaften - Vormund des minderjährigen G. ist).

Für den minderjährigen G. hat der Vormund am 14. Mai 2024 bei der seit dem 1. Februar 2024 zuständigen Stadt H. (Bereich Jugend - Allgemeiner Sozialdienst), der Antragsgegnerin, erneut einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27ff. SGB VIII in Form einer stationären Hilfe beantragt, über den die Antragsgegnerin nach Aktenlage bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch nicht entschieden hat. Aufgrund dessen und im Hinblick darauf, dass ein Platz in einer von dem Vormund bevorzugten Einrichtung nur bis zum 19. Juli 2024 zur Verfügung gestanden habe und der minderjährige G. zum Schuljahr 2024/2025 in eine - aufgrund der Meinungsverschiedenheiten über die örtliche Unterbringung - noch nicht ausgewählte Grundschule eingeschult werden soll, hat das Jugendamt der Stadt F., genauer der Fachbereich für Kinder, Jugendliche und Familien - Vormundschaften -, den Eilantrag vom 17. Juli 2024 für sein Mündel bei dem Verwaltungsgericht gestellt. Der - nach eigenen Angaben in dem Schriftsatz vom 19. Juli 2024 - aus dem besonderen Behördenpostfach des Fachbereichs Vormundschaften (...) an das Verwaltungsgericht übermittelte - Schriftsatz nennt im Briefkopf eindeutig (nur) diesen Fachbereich. Die Formulierung in dem Schriftsatz "Als Vormund beantrage ich" sowie der Umstand, dass der Schriftsatz von der Teamleitung des Fachbereichs und dem Vormund unterschrieben worden ist, belegen eindeutig, dass der ebenso in dem Schreiben namentlich benannte Antragsteller der minderjährige G., vertreten durch seinen Vormund, sein sollte.

Hingegen hat das Verwaltungsgericht in verfahrensfehlerhafter Weise die Stadt F., vertreten durch die Oberbürgermeisterin, als Antragstellerin erfasst und gerade nicht den minderjährigen G., vertreten durch seinen bestellten Vormund - das Jugendamt der Stadt F.. Dies folgt sowohl aus der Eingangsmitteilung vom 17. Juli 2024 als auch dem Rubrum des angefochtenen Beschlusses vom 19. Juli 2024, welche die "Stadt F." eindeutig benennen.

Der Umstand, dass sowohl die Eingangsmitteilung ausweislich der elektronischen Eingangsbestätigung vom 17. Juli 2024 als auch - nach den Ausführungen in der Beschwerdeschrift vom 24. Juli 2024 - der angefochtene Beschluss an das besondere Behördenpostfach (...) des Jugendamtes der Antragstellerin übermittelt worden sind, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Beschwerdeführerin, die Stadt F., vertreten durch ihren Fachbereich Recht und Datenschutz, weist insofern in ihrer Beschwerdebegründung zu Recht darauf hin, dass nach § 55 Abs. 5 SGB VIII die Aufgaben der Pflegschaft und Vormundschaft funktionell, organisatorisch und personell von den übrigen Aufgaben des Jugendamts zu trennen sind. Aus diesem Grund ist es auch dem Gericht verwehrt, verfahrensbezogene Schriftsätze eines minderjährigen Antragstellers, dessen Vormund das Jugendamt einer Kommune ist, an das besondere Behördenpostfach dieses Jugendamtes zu übermitteln. Um der in § 55 Abs. 5 SGB VIII normierten funktionellen und organisatorischen Trennung gerecht zu werden, hat es stattdessen das besondere Behördenpostfach des Vormundes - hier des Fachbereichs für Kinder, Jugendliche und Familien - Vormundschaften -zu nutzen. Dies gilt umso mehr, wenn der Antrag aus eben diesem besonderen Behördenpostfach an das Gericht übermittelt wurde.

Dieser Verfahrensfehler, auf dem der angefochtene Beschluss beruht, weil er den Antrag der Stadt F. als Antragstellerin im Hinblick auf einen nicht bestehenden Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ablehnt, führt zur Aufhebung des Beschlusses.

Der Senat macht von dem ihm nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch, das Verfahren zur erstmaligen Entscheidung über den Antrag des minderjährigen G. zurückzuverweisen. Nach dieser Vorschrift, deren Anwendbarkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren allgemein anerkannt ist (NdsOVG, Beschl. v. 26.4.2013 - 5 ME 108/13 -, juris Rn. 14 m.w.N.) kann das Beschwerdegericht in Fällen, in denen es die Beschwerde für begründet erachtet, dem Gericht, von dem die beschwerende Entscheidung erlassen war, die erforderliche Anordnung übertragen. Das Verwaltungsgericht hat nunmehr über den Antrag des minderjährigen G., über den es bislang noch nicht entschieden hat, nach zutreffender Erfassung des Rubrums zu befinden.

Grundsätzlich stehen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren einer Zurückverweisung in die erste Instanz regelmäßig Gründe der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung entgegen (HessVGH, Beschl. v. 17.1.2013 - 1 B 2038/12 -, juris Rn. 3 m.w.N.). In diesem besonderen Einzelfall ist eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht jedoch geboten, weil anderenfalls der Rechtsschutz des minderjährigen G. in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise verkürzt würde. Denn das Verwaltungsgericht hat sich aufgrund der verfahrensfehlerhaften Annahme, dass dieser nicht Antragsteller des erstinstanzlichen Verfahrens sei, obgleich der Antrag eindeutig von ihm gestellt worden ist (s.o.), bisher noch überhaupt nicht mit dessen Antrag befasst (vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 7.5.2014 - 9 CS 14.220 -, juris Rn. 17; zur Zurückverweisung in Prozesskostenhilfeverfahren: Senatsbeschl. v. 21.2.2022 - 14 PA 97/22 -, juris Rn. 9). Eine erstmalige Entscheidung durch das Beschwerdegericht würde dem Antragsteller zum einen eine Instanz nehmen und begegnet zum anderen im Hinblick darauf, dass der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, zusätzlichen Bedenken (vgl. zur Zurückweisung bei einem Verfahrensfehler: NdsOVG, Beschl. v. 26.4.2013 - 5 ME 108/13 -, juris Rn. 13).

Das Verwaltungsgericht wird - nach Berichtigung des Rubrums - zum einen zu prüfen haben, ob es weitere Sachverhaltsermittlungen anstellt, insbesondere zur derzeitigen Unterbringung des Kindes. Zum anderen wird es erstmals zu überprüfen haben, ob vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin über den Antrag auf Hilfe zur Erziehung vom 14. Mai 2024 nach hier bekannter Aktenlage noch nicht entschieden hat, dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf die nahende Einschulung und die Ausführungen seines Vormundes in der Antragsbegründung vom 17. Juli 2024, denen die Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt entgegengetreten ist, stattzugeben wäre. Ob das Verwaltungsgericht insoweit auch maßgeblich auf die Möglichkeit der Kostenerstattung zwischen der Antragsgegnerin und der Antragstellerin abstellen dürfte, obgleich letztere weder am Verfahren zu beteiligen wäre und ihr Fachbereich für Kinder, Jugendliche und Familien - Vormundschaften - lediglich in der Rolle des Vormundes des minderjährigen Kindes auftritt, erscheint aufgrund der hier bekannten - und sehr dürftigen - Aktenlage jedenfalls zweifelhaft. Trotz der nahenden Einschulung am 10. August 2024 (siehe Nr. 3 der Ferienordnung für die Schuljahre 2024/2025 bis 2029/2030, RdErl. d. MK v. 18.11.2022 - 36.3-82011 - VORIS 22410), steht dieser Umstand - unabhängig von der Frage, ob dieser allein einen Anordnungsgrund begründen kann - der Zurückverweisung nicht entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es gibt keine gesetzliche Vorschrift, die es ermöglichen würde, im Falle unrichtiger Sachbehandlung durch das Gericht entstandene außergerichtliche Kosten der Staatskasse zu überbürden (BVerwG, Beschl. v. 4.6.1991 - 4 B 189/90 -, juris Rn. 2). Die Vorschrift des § 21 GKG bezieht sich ausschließlich auf Gerichtskosten. Diese werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).