Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 21.01.2008, Az.: S 6 KR 740/05
Bestehen eines Erstattungsanspruchs gegenüber der deutschen Krankenversicherung bei dem Ausbleiben einer in Deutschland vorgesehenen Leistung im Wohnausland
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 21.01.2008
- Aktenzeichen
- S 6 KR 740/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 49309
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2008:0121.S6KR740.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 1 SGB V
- § 13 Abs. 3 SGB V
- Art. 49 EGV
- Art. 28 VO Nr. 1408/71/EWG
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
- 3.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um ergänzende Kostenerstattung bei Auslandswohnsitz.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Rentner in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gesetzlich krankenversichert. Im Jahre 2002 zeigte er der Beklagten seine Wohnsitzverlegung von Deutschland nach Frankreich an. Die Beklagte sendete ihm im März 2003 das Formular E 121 F zur Vorlage beim örtlichen Krankenversicherungsträger zu, damit er in Frankreich Leistungen wie ein dort Krankenversicherter in Anspruch nehmen könne.
Am 05. Februar 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten ergänzende Kostenerstattung für die Jahre 2002 und 2003. Er habe in dieser Zeit für Hausarzt- und Facharztbesuche sowie für Arzneien 588,98 EUR ausgegeben. In Frankreich gelte nicht das Sachleistungsprinzip wie in Deutschland, sondern die Versicherten (so auch er) müssten jeweils für die Krankenversicherungsleistungen bezahlen und könnten die Rechnungen zur Erstattung beim örtlichen Krankenversicherungsträger einreichen. Die Erstattungssätze seien für die verschiedenen Arztgruppen und für Arzneimittel unterschiedlich. Durch die für ihn zuständige CPAM de Nanterre (L Assurance Maladie Sécurité sociale) habe er insgesamt 290,29 EUR erstattet bekommen, so dass ihm ein Restbetrag von 298,69 EUR verblieben sei. Er beantragte bei der Beklagten ergänzende Kostenerstattung bis zur Höhe der deutschen Vertragssätze.
Mit Bescheid vom 03. August 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger erhalte vom gesetzlichen Krankenversicherungsträger am Wohnort im Ausland alle Sachleistungen bei Krankheit wie ein Versicherter dieses Krankenversicherungsträgers. Das entspreche europäischem Recht.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er verwies auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Juni 1999. Danach bestehe ein Erstattungsanspruch gegenüber der deutschen Krankenversicherung, wenn im Wohnausland eine in Deutschland vorgesehene Leistung nicht erbracht werde. In seinem Fall werde in Höhe von ca. 50% die eigentlich geschuldete Sachleistung nicht erbracht. Außerdem habe die Beklagte ab 01. Januar 2004 Wahltarife anzubieten, was bisher noch nicht geschehen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ihrer Auffassung nach treffe das vom Kläger genannte BSG-Urteil nicht zu, da es hier nicht um einen Leistungsausschluss gehe sondern nur um unterschiedliche Leistungshöhe. Nach den Vorschriften der EWG-Verordnung 1408/71 sei allein das französische Krankenversicherungsrecht für den Kläger anwendbar.
Dagegen hat der Kläger am 21. November 2005 Klage erhoben. Das Kostenerstattungsprinzip in Frankreich entspreche ganz offensichtlich nicht dem Sach- und Dienstleistungsprinzip der deutschen Krankenversicherung. Die je nach in Anspruch genommene Leistung unterschiedlichen Erstattungssätze führten durchschnittlich zu einer Erstattung von nur ungefähr der Hälfte der aufgewendeten Kosten. Er ist der Auffassung, die Rechtslage müsse bei mangelhafter Kostenerstattung ebenso sein wie bei fehlender Erstattung. Der Kläger trägt vor, er müsse derzeit einen monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung an die Beklagte in Höhe von 509,77 EUR zahlen. Hinzu komme eine in Frankreich abgeschlossene Zusatzversicherung (welche den Eigenanteil an den Kosten übernehme) in Höhe von 80,88 EUR pro Monat. Auch müsse er in Frankreich die für alle geltende allgemeine Sozialsteuer auf seine Einnahmen abführen. Das seien weitere 233,76 EUR pro Monat. Insgesamt zahle er also pro Monat 824,41 EUR für Krankenversicherung. Das sei mehr als das doppelte der französischen Versicherten. Dennoch erhalte er nur die dort üblichen geringen Erstattungsleistungen. Das sei mit europäischem Gleichheitsrecht nicht zu vereinbaren. Die Beklagte habe ihm im Übrigen immer noch keine Wahltarife angeboten.
Mit Schreiben vom 31. Dezember 2007 (eingegangen bei Gericht am 07. Januar 2008) hat der Kläger die Klage hinsichtlich der ihm in den Jahren 2003 bis 2006 entstandenen Kosten erweitert. Ihm seien in dieser Zeit 2.238,37 EUR an Kosten entstanden, die CPAM des Nanterre habe ihm darauf nur 967,26 EUR erstattet, mithin verleibe ein Rest von 1.271,11 EUR.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 03.08.2004 in der Gestalt des Wider - spruchsbescheides vom 13.10.2005 aufzuheben;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 298,69 EUR zu zahlen,
hilfsweise
den Betrag zu zahlen, der sich als Differenz aus den Krankheitskostenerstattungen der französischen Krankenkasse und dem Betrag errechnet, den die Beklagte für die gleichen Leistungen in Deutschland hätte bezahlen müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Rechtsauffassung für mit europäischem Recht vereinbar. Der Kläger habe ausdrücklich Kostenerstattung nicht gewählt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist mit dem ursprünglichen Klagantrag zulässig.
Die Klageerweiterung vom Januar 2008 ist unzulässig. Sie ist nicht sachdienlich. Der dort geltend gemachte Anspruch betrifft einen anderen Zeitraum als den der ursprünglichen Klage. Es kommen dafür möglicherweise andere Rechtsgrundlagen in Betracht. So sind z.B. zum 01. Januar 2004 die Regelungen zur Wahl der Kostenerstattung (§ 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V)) geändert worden. Auch ist bisher ein Widerspruchsverfahren noch nicht durchgeführt worden. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2007 kann auch nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits gemacht werden, da er weder den Ursprungsbescheid ersetzt noch diesen abändert. Er betrifft vielmehr einen ganz anderen zeitlichen Streitgegenstand.
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung durch die Beklagte nicht zu.
Ein Anspruch nach deutschem Recht ist nicht gegeben. In Betracht kommt hier allenfalls ein Anspruch nach § 13 SGB V.
Gemäß § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der nach § 2 Abs. 2 SGB V grundsätzlich geschuldeten Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es im SGB V oder im SGB IX vorgesehen ist. Kostenerstattungsregeln außerhalb des § 13 SGB V sind weder im SGB V noch im SGB IX vorhanden.
§ 13 SGB V sah in der hier einschlägigen, bis zum 31. Dezember 2003 gültigen Fassung in Absatz 2 nur für freiwillige Mitglieder vor, dass diese anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung wählen dürfen. Erst in der ab dem 01. Januar 2004 geltenden Fassung dieser Norm ist vorgesehen, dass dieses Wahlrecht alle Krankenversicherten haben. Der Kläger hat jedoch von diesem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht. Es gilt deshalb für ihn grundsätzlich das Sachleistungsprinzip.
Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 SGB V. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich danach nur, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind. Die dabei geforderte Kausalität zwischen Ablehnung und Entstehung der Kosten ist hier nicht gegeben und eine unaufschiebbare Leistung ist nicht im Streit.
§ 13 Abs. 4 SGB V kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, da dieser erst ab 01. Januar 2004 in Kraft ist. Ein Anspruch des Klägers ließe sich hieraus aber auch nicht ableiten. Nach § 13 Abs. 4 SGB V in er ab 01. Januar 2004 geltenden Fassung sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen EG-Staaten anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten. Diese Ausnahme liegt hier vor. Gemäß Artikel 36 Abs. 2 der Verordnung (EWG) 1408/71 in Verbindung mit Artikel 95 der Verordnung (EWG) 574/72 zahlt die deutsche Krankenkasse an den französischen Krankenversicherungsträger einen Pauschbetrag für die in Frankreich krankenversicherungsrechtlich zu betreuenden deutschen versicherten Rentner.
Der Kläger kann auch keinen Anspruch aus der von ihm angeführten BSG-Rechtsprechung herleiten. Das BSG hat in seinem Urteil vom 16. Juni 1999 - B 1 KR 5/98 R - über den Fall eines in Spanien wohnenden, in der deutschen KVdR Versicherten entschieden, der sich in Deutschland eine Zahnbehandlung unterzogen hatte. Krankenversicherungsleistungen in Deutschland sind vorwiegend jedoch nicht strittig.
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus europäischem Gemeinschaftsrecht.
Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern regelt in Artikel 28 die krankenversicherungsrechtlichen Rechtsverhältnisse von Rentnern, die einen Rechtsanspruch aufgrund der Vorschriften eines einzigen oder mehrerer Staaten haben, falls ein Anspruch auf Leistungen im Wohnland nicht besteht. Diese Fallkonstellation ist beim Kläger gegeben. Es heißt dort, dass ein Rentner, der nach den Vorschriften eines Mitgliedsstaates zum Bezug einer Rente berechtigt ist und keinen Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats hat, in dessen Gebiet er wohnt, dennoch diese Leistungen für sich erhält, sofern nach den Rechtsvorschriften des Staates, aufgrund deren die Rente geschuldet wird, Anspruch auf Leistungen bestünde, wenn er im Gebiet des betreffenden Staates wohnte. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rente nach den Rechtsvorschriften des EG-Mitgliedsstaats Deutschland. Er hat keinen Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats Frankreich, in dessen Gebiet er wohnt. Er hätte allerdings Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen nach deutschem Recht, wenn er in Deutschland wohnen würde. In Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 wird der Anspruch aus Satz 1 konkretisiert. Es wird dort zwischen Sachleistungen und Geldleistungen unterschieden. Auch wenn hier um Kostenerstattung gestritten wird, handelt es sich nicht um Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift, sondern um Sachleistungen. Geldleistungen in diesem Sinne sind nur solche Ansprüche, die von Vornherein als Zahlungsansprüche gegen die Krankenkasse bestehen, also z.B. Krankengeldzahlungen. Vorliegend sind im Streit Erstattungsansprüche aus der Inanspruchnahme von Sach- bzw. Dienstleistungen. Es handelt sich dabei im Sinn der Verordnung um Sachleistungen. Solche gewährt gemäß Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 (a) der Träger des Wohnorts, als ob der Rentner nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet er wohnt, zum Bezug einer Rente berechtigt wäre und Anspruch auf Sachleistungen hätte. So wird hier verfahren: Der Kläger erhält durch den französischen Krankenversicherungsträger CPAM de Nanterre genau die gleichen Leistungen wie ein in Frankreich Versicherter.
Zu der für Arbeitnehmer geltenden Regelung in Artikel 22 EWGV 1408/91 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in einem Urteil vom 12. Juli 2001 (C-368/98 - Vanbraekel -) entschieden, dass dieser keine Erstattung zu den im Mitgliedsstaat der Versicherungszugehörigkeit geltenden Sätzen regeln soll und daher weder an der Gewährung einer ergänzenden Erstattung gemäß dem Unterschied zwischen der Beteiligungsregelung nach den Vorschriften dieses Staates und der für den Aufenthaltsmitgliedsstaat geltenden Regelung hindert noch eine solche Erstattung vorschreibe, wenn die erstere Regelung günstiger als die letztere ist und die Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaats der Versicherungszugehörigkeit eine solche Erstattung vorsehen. Da die deutschen Rechtsvorschriften (des Mitgliedsstaats der Versicherungszugehörigkeit) eine Kostenerstattung für den Kläger nicht vorsehen (siehe oben), kann sich der geltend gemachte Anspruch nicht unmittelbar aus Artikel 28 EWG V 1408/91 ergeben.
Allerdings hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im oben genannten Urteil weiterhin ausgeführt, Artikel 59 des EG-Vertrags (jetzt Artikel 49 EG) sei so auszulegen, dass dann, wenn die Erstattung von Kosten, die durch in einem Aufenthaltsmitgliedsstaat erbrachte Krankenhausdienstleistungen veranlasst worden sind, die sich aus der Anwendung der in diesem Staat geltenden Regelung ergibt, niedriger als diejenige ist, die sich aus der Anwendung der im Mitgliedsstaat der Versicherungszugehörigkeit geltenden Rechtsvorschriften im Fall einer Krankenhauspflege in diesem Staat ergeben würde, dem Sozialversicherten vom zuständigen Träger eine ergänzende Erstattung gemäß dem genannten Unterschied zu gewähren ist. Die Entscheidung betraf zwar einen Fall der Krankenhausbehandlung (einer belgischen Versicherten in Frankreich). Da jedoch sowohl die Krankenhausleistungen als auch die ärztlichen Leistungen Dienstleistungen im Sinne des Artikel 59 EG-Vertrag (bzw. jetzt 49 EG) sind, könnte sich die vom Kläger gewünschte Rechtsfolge ergeben, wenn die Kostenerstattung in Deutschland höher wäre als in Frankreich (in dem vom EuGH entschiedenen Fall waren die Kostenerstattungssätze in Belgien höher als in Frankreich). Das ist aber nicht der Fall, denn nach deutschem Recht ist (siehe oben) eine Kostenerstattung überhaupt nicht vorgesehen.
Auch eine grundgesetzwidrige Ungleichbehandlung des Klägers ist nicht zu erkennen. Eine Ungleichbehandlung mit einem vergleichbaren Personenkreis ist nicht gegeben. Der Kläger hat die gleichen Rechte und Ansprüche wie jeder andere in der deutschen KVdR Versicherte. Auf einen Vergleich mit in Frankreich versicherten Personen kann bei der Berufung auf das deutsche Grundgesetz nicht abgestellt werden.
Die Kostenerstattung ergibt sich aus § 193 SGG.