Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 10.12.2008, Az.: S 38 VG 40/04

Antragsteller; Aussagekonsistenz; Aussagekonstanz; Aussagepsychologie; Beurteilung; Definition; Detailreichtum; Erlebnisbezug; erweckte Erinnerung; Erweckung; Genese; Gewaltopferentschädigung; Glaubhaftigkeit; Glaubhaftigkeit; Glaubhaftigkeitsgutachten; Klagevorbringen; Konsistenz; Kriterien; Motivation; Motivationsanalyse; Opferentschädigung; posttraumatische Belastungsstörung; Pseudoerinnerung; Realitätsbezug; Scheinerinnerung; suggestiv produzierte Vorstellung; suggestive Beeinflussung; therapeutische Beeinflussung; therapeutische Einflussnahme; Trauma; Unbilligkeit; Wiedererweckung; wissenschaftliche Erkenntnis; wissenschaftliche Maßstab; Zeugenaussage

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
10.12.2008
Aktenzeichen
S 38 VG 40/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 55024
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Glaubhaftmachung des Klagevorbringens ist in Verfahren nach dem OEG anhand der auch für die Beurteilung von Zeugenaussagen maßgeblichen wissenschaftlichen Kriterien der Aussagepsychologie zu prüfen (vgl. zu den Maßstäben der Aussagenpsychologie: Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. Juli 1999, Az. 1 StR 618/98, veröffentlicht u. a. in BGHST 45, S. 164 bis 182 und NJW 1999, S. 2746 bis 2751).
2. Bei der "Erweckung vermeintlicher Erinnerungen mit therapeutischer Hilfe ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob es sich um suggestiv produzierte Vorstellungen ohne Bezug zur Wirklichkeit handelt. Hierbei sind die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse Herbeiführen von Scheinerinnerungen (Pseudoerinnerungen) zu berücksichtigen (hierzu: Renate Volbert, Beurteilungen von Aussagen über Traumata, Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern, 1. Auflage 2004, insbesondere S. 105 bis 132 und 133 bis 141).
3. Glaubhaftigkeitsgutachten sind entbehrlich, wenn sich bereits aus dem Inhalt der Akten im Hinblick auf die Konstanz und die Genese der Aussage erhebliche Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Angaben der Antragsteller zum Sachverhalt ergeben.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

1

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1963 geborene Klägerin hat eigenen Angaben zufolge nach dem Realschulabschluss von1983 bis 1989 verschiedene ungelernte Beschäftigungen ausgeübt und ist seitdem arbeitslos. Eine Umschulung zur Bürokauffrau von 1992 bis 1994 hat nicht zur Arbeitsaufnahme geführt. Seit Juni 2001 erhält sie wegen ihrer psychischen Störungen Rente wegen voller Erwerbsminderung.

3

Am 05. April 1983 schloss die Klägerin die Ehe mit G.. 1988 lernte die Klägerin den Zeugen H. kennen und lebte ab Frühjahr 1989 zunehmend bei ihm (Darstellung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2008). Im Scheidungsantrag vom 18. Januar 1989 gab die Klägerin an, ihr Ehemann sei am 06. November 1988 plötzlich und ohne Angabe von Gründen unter Zurücklassung aller persönlichen Sachen aus der ehemals ehelichen Wohnung ausgezogen und mit einer neuer Lebenspartnerin zusammengezogen. Auf Nachfrage der Klägerin habe er mitgeteilt, er wolle auf keinen Fall in die eheliche Gemeinschaft zurückgehen und sehe die Ehe mit seinem Auszug als beendet an (Schriftsatz der Rechtsanwältin I. vom 18. Januar 1989). Der Ehemann der Klägerin trug hierzu im Scheidungsverfahren vor, die Ehe sei aus Gründen zerrüttet, die in der Person der Klägerin lägen. Sie habe sich einem anderen Mann namens H. zugewandt und halte die Beziehung zu ihm nach wie vor aufrecht (Schriftsatz der Rechtsanwältin K. vom 31. Januar 1989). Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts (AG) Braunschweig vom 29. November 1989 geschieden (Az.: 246 F 78/89). Mit Urteil vom 19. Dezember 1990 untersagte das AG Braunschweig dem Ehemann der Klägerin, die eheliche Wohnung ohne ihre ausdrückliche Zustimmung zu betreten (Az.: 246 F 1491/90). Die Klägerin hatte in diesem Verfahren erneut dargelegt, der Ehemann sei plötzlich und ohne Ankündigung am 06. November 1988 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Sie habe seitdem die Kosten der Wohnung allein getragen und ihn mehrfach aufgefordert, hierzu beizutragen. Er habe dies zugesagt, seine Zusage jedoch nicht eingehalten. Gewalttätiges Verhalten des Ehemannes erwähnte die Klägerin weder in diesem Rechtsstreit noch im Scheidungsverfahren. Im Jahre 2001 verstarb der Ehemann der Klägerin nach deren eigenen Angaben.

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Von 1993 bis 2000 befand sich die Klägerin mit Unterbrechungen in Behandlung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. und erwähnte zwar eine Vergewaltigung in ihrem 14. Lebensjahr. Von Gewalttaten durch den eigenen Ehemann berichtete sie jedoch nicht (Bericht der Ärztin vom 12. November 2002). Vom 30. September bis zum 05. Oktober 1994 wurde die Klägerin in der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik des Städtischen Klinikums M. wegen einer reaktiven Depression mit Selbstmordgefahr bei Partnerschaftskonflikt und einer Angsterkrankung behandelt und gab an, sie leide seit etwa eineinhalb Jahren an Angstzuständen, die bisher nicht psychotherapeutisch behandelt wurden. Vor einer Woche habe sie ihr sieben Jahre jüngerer Freund nach einer Beziehung von eineinhalb Jahren verlassen und eine neue Beziehung aufgenommen. Hierdurch sei sie depressiv und antriebslos geworden (Arztbrief des Leitenden Abteilungsarztes Dr. N. vom 19. Oktober 1994). Von 1998 bis 1999 war die Klägerin in ambulanter Therapie bei der Psychologischen Psychotherapeutin O. und gab in einem „Fragebogen zur Lebensgeschichte“ hinsichtlich der Ursachen für ihre psychischen Probleme an: "Mein traumatisches Erlebnis, meine Ehe, finanzielle Schwierigkeiten, schwierige Kindheit" (S. 95 der Medizinischen Akten). In dem acht Seiten langen Fragebogen beschrieb sie zwar diverse Erlebnisse und Befindlichkeitsstörungen, jedoch keine einzige Gewalttat des eigenen Ehemannes. Während einer erneuten stationären Behandlung von 09. bis zum 16. Mai 2000 in der Neurologisch-Psychiatrischen Klinik des Städtischen Klinikums M. im Rahmen einer Krisenintervention gab die Klägerin an, vor drei Wochen habe der Freund ihrer Schwester Selbstmord begangen. Die Trauer der Schwester habe sie sehr mitgenommen. Sie leide unter vermehrten Panikattacken. Die Klägerin erschien hektisch, belehrend, hysterieform und weniger mitgenommen durch den Tod des Freundes der Schwester als vielmehr durch den "Aufmerksamkeitsentzug" seitens der Familie (Bericht des Dr. N. vom 25. Mai 2000). Gewalttaten des Ehemannes wurden erneut nicht thematisiert. Vom 09. bis zum 14. März 2001 wurde die Klägerin abermals in derselben Klinik im Rahmen der Krisenintervention behandelt und schilderte die Zunahme diffuser Angstgefühle seit mehreren Tagen. Nach dem Bericht des Dr. N. vom 23. März 2001 bestand nach wie vor die chronifizierte Angsterkrankung mit Somatisierungstendenzen. Während eines Heilverfahrens in der P. in Q. in der Zeit vom 10. Mai bis zum 07. Juni 2001 bestätigten die Ärzte der Klinik die generalisierte Angststörung. Die Klägerin gab an, sie habe aus "einer posttraumatischen Belastungsstörung heraus" zunächst eine Platzangst entwickelt. Die Ängste hätten sich jetzt erweitert. 1989 sei sie nach einer Ehe von fünf Jahren Dauer geschieden worden. Sie habe die Ehe als "psychisch sehr belastend" erlebt und fühle sich familiär mit ihrer Krankheit als Außenseiterin. Mit 14 Jahren sei sie vergewaltigt worden und meine, dies zum Teil therapeutisch aufgearbeitet zu haben (Bl. 2 Seite 1 des Abschlussberichtes des Leitenden Arztes Dr. R. vom 05. Juli 2001). Eine Vergewaltigung oder weitere Gewalttätigkeiten des eigenen Ehemannes erwähnte die Klägerin auch jetzt nicht.

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Im November 2001 begab sich die Klägerin in Behandlung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S.. Nach eigener Darstellung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2008 konnte sich die Klägerin zu Beginn der Therapie "nur ganz wenig" an konkrete Taten ihres verstorbenen Ehemannes erinnern, weil sie dies alles "ausgelöscht" gehabt habe. Im Rahmen der Therapie seien dann einzelne Bilder „hochgekommen“. Die Erinnerung an die Taten ihres früheren Ehemannes sei im Laufe der Therapie immer plastischer und konkreter geworden. Auch die Vergewaltigung aus dem Jahre 1977 habe sie zunächst verdrängt und konkrete Erinnerungen an die Vergewaltigung erst während der Therapie bekommen. Es sei zwar früher auch schon "etwas" gewesen, aber es sei dann erst wieder im Verlauf "hochgekommen" (a. a. O). Im Bericht an den Beklagten vom 17. März 2003 bestätigte Frau S. eine ambulante "tiefenpsychologisch fundierte" Psychotherapie zur Traumabewältigung und gab an, die Klägerin leide unter posttraumatischen "flash-backs", also unter plötzlich aufsteigenden, überflutenden Erinnerungen an die Gewalterlebnisse. Diese Erinnerungen könnten durch ganz alltägliche Sinneseindrücke (bestimmte Situationen, Bilder, Worte etc.) ausgelöst werden und seien mit heftigen Gefühlen (Panik, Ohnmacht, Ekel, Wut) verbunden, so als ob das traumatische Erlebnis noch gegenwärtig sei. Als Diagnosen nannte die Ärztin eine somatoforme Störung (Globusgefühl) und ein agoraphobes Vermeidungsverhalten im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die psychologische Psychotherapeutin O. gab in einem von der Klägerin vorgelegten Attest vom 29. März 2003 nunmehr - ungeachtet der eigenen Darstellung der Klägerin bei Beginn der Behandlung im acht Seiten langen Fragebogen - an, sie habe die Klägerin in der Zeit von Juni 1998 bis Januar 1999 "wegen einer posttraumatischen Belastung (Vergewaltigung in der Jugend sowie psychischer und körperlicher Missbrauch in der Ehe)" behandelt. Im Rentengutachten für die Landesversicherungsanstalt (LVA) M. vom 10. April 2002 bestätigte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. U. die chronifizierte Angsterkrankung mit Panikattacken, Depressionen und somatoformen Störungen. Ihm gegenüber beschrieb die Klägerin die vermeintlichen Gewalttaten des verstorbenen Ehemannes, die sie neben der behaupteten Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren als Ursache ihrer psychischen Störungen ansah.

6

Im Antrag nach dem OEG vom September 2002 gab die Klägerin als Tatkomplexe eine Vergewaltigung im Jahre 1977 nachts in dem Ort V. durch unbekannte Täter und Misshandlungen durch den eigenen Ehemann von 1982 bis 1988 an und legte dar, Strafanzeigen habe sie nicht erstattet. In einem Telefonat vom 05. November 2002 teilte die Klägerin auf Anfrage des Beklagten mit, sie habe die Tat in V. lange Zeit verdrängt und sich insoweit niemandem anvertraut. Dies gelte auch für die ständigen Misshandlungen durch ihren Ehemann, der sie bedroht habe. Die als Zeugin benannte Schwester W. der Klägerin führte im Schreiben vom 12. November 2002 aus, sie könne zu den Tatvorwürfen der Klägerin keine Angaben machen. Sie sei nicht anwesend gewesen und habe auch keine Verletzungen bemerkt. Ihre Schwester X. erläuterte mit Schreiben vom 14 .November 2002, die Klägerin habe zunächst aus Angst und Scham geschwiegen, öfter blaue Flecken gehabt und sei verstört und ängstlich gewesen sowie in das Frauenhaus geflüchtet. Der verstorbene Ehemann habe sie durch Erpressung, Gewalt und seelische Grausamkeit unterdrückt. Der Zeuge H. gab unter dem 22. November 2002 an, er habe die Klägerin 1988 kennen gelernt. Damals sei bereits "die Scheidung gelaufen". Die Drohungen und Belästigungen des verstorbenen Ehemannes der Klägerin seien weitergegangen. Die Klägerin habe in dieser Zeit aus Angst vor ihrem gewalttätigen Ehemann ausschließlich bei ihm übernachtet.

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Der Beklagte wertete die Scheidungsakten aus und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. September 2003 ab, weil die behauptete Vergewaltigung im Jahre 1977 mangels genauer Angaben der Klägerin nicht nachgewiesen sei, zumal sie weder eine Anzeige erstattet habe noch Zeugen benennen könne. Der Tathergang sei letztlich nicht bewiesen. Dies gelte auch für die behaupteten Gewalttaten des früheren Ehemannes der Klägerin. Ihre Schwester X. habe zwar blaue Flecken und ein ängstliches Verhalten bestätigt. Auch habe H. angegeben, dass sie in der Zeit der Trennung vom Ehemann häufiger bei dem Zeugen übernachtet und ihr früherer Ehemann sie bedroht und belästigt habe. Über den Zeitraum von 1982 bis 1988 habe Herr H. jedoch keine Angaben machen können. Ungewöhnlich sei auch, dass eine Behandlung der psychischen Probleme erst ab 1994 erfolgt sei, obwohl sich die behaupteten Gewalttaten durch den Ehemann nur bis 1988 ereignet hätten. Zudem sei aus den beigezogenen Scheidungsakten nichts über die nunmehr geschilderten Gewalttätigkeiten während der Ehezeit zu entnehmen. Die Zerrüttung der Ehe sei von beiden Eheleuten lediglich auf die Zuwendung zu anderen Lebenspartnern gestützt worden. Im Ergebnis habe die Klägerin die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren vertrat der Bevollmächtigte der Klägerin im Schriftsatz vom 26. Januar 2004 die Auffassung, aus den bei ihr vorliegenden medizinischen Befunden müsse zwingend der Rückschluss auf gewalttätige Angriffe gezogen werden. Nach der Bescheinigung vom 14. Oktober 2003 habe sich die Klägerin auch vom 13. bis zum 15. Juli 1985 im AA. Frauenhaus aufgehalten. Dies sei ein Fluchtversuch aus der Ehe gewesen. Zur Zeit des Scheidungsverfahrens habe die Klägerin noch befürchtet, "dass ihr Ehemann sie töten werde und die Drohungen umsetzen würde". Daher seien die gewalttätigen Misshandlungen nicht in das Scheidungsverfahren eingeflossen. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 03. August 2004 aus den Gründen des angefochtenen Bescheides zurück.

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Hiergegen richtet sich die am 12. August 2004 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin die Auffassung vertritt, hinsichtlich der Vergewaltigung aus dem Jahre 1977 müsse ihr die Beweiserleichterungen des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVfG) zugute kommen, zumal sie den Tatort - ein Haus in V. - angeben könne. Auch die ständigen Misshandlungen durch ihren Ehemann seien zumindest glaubhaft gemacht durch die Aussagen des H. und ihrer Schwester X., die beide Verletzungsfolgen infolge massiver Gewalttaten des Ehemannes festgestellt hätten. Auch sei ihr Fluchtversuch aus der Ehe durch das Frauenhaus im Sommer 1985 belegt. Schließlich hätten die behandelnden Therapeuten keinen Zweifel daran, dass die Klägerin Opfer zahlreicher körperlicher und seelischer Misshandlungen durch ihren früheren Ehemann sowie Opfer einer Vergewaltigung im Jahre 1977 geworden sei.

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Die Klägerin beantragt,

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1. den Bescheid des Beklagten vom 23. September 2003 in der Gestalt des

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 Widerspruchsbescheides vom 03. August 2004 aufzuheben,

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2. den Beklagten zu verurteilen, zugunsten der Klägerin Schädigungsfolgen nach § 1 OEG in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung anzuerkennen und Versorgungsansprüche in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und beschreibt im Schriftsatz vom 16. Juni 2005 im Einzelnen diverse Widersprüche in den Angaben der Klägerin und die insoweit fehlende Aussagekonstanz.

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Die Klägerin hat eine handschriftliche Schilderung der Ereignisse aus dem Jahre 1977 eingereicht (Schreiben vom 16. Dezember 2004). Das Gericht hat die Stellungnahmen des H. vom 20. April 2006 und der X.vom selben Tage eingeholt. Die Beklagte hat Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen H. begründet (Schriftsatz vom 23. August 2006). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat vorgetragen, die Klägerin habe die von dem Zeugen geschilderten Drohbriefe vernichtet (Schriftsatz vom 06. Oktober 2006).

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Neben den Gerichtsakten haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist rechtmäßig. In zutreffender Rechtsanwendung hat der Beklagte den Antrag der Klägerin abgelehnt.

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Ein Anspruch auf Versorgung nach dem OEG setzt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG voraus, dass der Anspruchsberechtigte infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin nicht vor.

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1. Fehlende Beweise

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1.1. Misshandlungen durch den Ehemann

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Ein rechtswidriger tätlicher Angriff durch den verstorbenen Ehemann G.ist im Falle der Klägerin nicht feststellbar. Für einen solchen Angriff gegen die Klägerin fehlt jeder Nachweis. Tatzeugen sind nicht vorhanden. Die von der Klägerin benannten Zeugen haben hinsichtlich der behaupteten Angriffe keine eigenen Beobachtungen gemacht. Ihre Schilderungen rechtfertigen zudem keine zwingenden Rückschlüsse auf die behaupteten Misshandlungen der Klägerin durch den eigenen Ehemann. Schließlich kann insbesondere aus dem Krankheitsbild der Klägerin nicht hergeleitet werden, dass sie entsprechend ihrer eigenen Beschreibung durch ihren früheren Ehemann misshandelt worden sein muss.

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1.1.1. Beweisanforderungen

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Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG muss in vollem Umfang erwiesen sein. Mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit muss davon ausgegangen werden können, dass der im Antragsverfahren behauptete Angriff tatsächlich stattgefunden hat. Fehlt es daran, so geht dies im Rahmen der objektiven Beweis- und Feststellungslast zu Lasten des Anspruchsstellers (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Niedersachsen-Bremen vom 27. April 2005 - L 13 VG 4/04 -). Die von der Klägerin erstmalig Jahre nach Beendigung der Ehe und dem Tod des Ehemannes behauptete Gewalttaten des eigenen Ehemannes sind weder durch Zeugenaussagen noch durch sonstige Nachweise belegt. Insbesondere sind die schriftlichen Aussagen der X. und des Lebensgefährten H. der Klägerin nicht geeignet, die von ihr behaupteten Gewalttaten ihres früheren Ehemannes zu beweisen.

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1.1.2. Aussage X.

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Die Zeugin X. hat hinsichtlich der behaupteten Gewalttaten keine eigenen Beobachtungen gemacht, sondern sowohl in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2002 als auch in der Schilderung vom 20. April 2006 lediglich die Erzählungen der Klägerin wiedergegeben, die sich nach der letzten Darstellung der Zeugin erstmalig im Trennungsjahr 1988 hinsichtlich der Gewalttätigkeit des eigenen Ehemannes offenbart haben soll. Die einzige - nicht näher beschriebene - Beobachtung der Zeugin bezieht sich darauf, dass sie bei ihrer Schwester "öfters blaue Flecken" wahrgenommen haben will (Stellungnahme vom 14. November 2002), die sie entsprechend den Angaben der Klägerin mit den behaupteten Gewalttaten in Verbindung gebracht habe. Auch das Schreiben der Zeugin vom 20. April 2006 enthält insoweit nicht die Wiedergabe einer eigenen Beobachtung von Gewalttaten. Dies gilt insbesondere auch für die von ihr beantwortete Frage des Gerichts zu der vermeintlich durch den Ehemann herbeigeführten Fraktur. Im Ergebnis erschöpft sich die Darstellung der Zeugin in einer Wiedergabe der eigenen Schilderung der Klägerin.

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1.1.3. Aussage H.

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Auch der Zeuge H. kann zu den behaupteten Gewalttaten des Ehemannes der Klägerin nichts Wesentliches beitragen. Seine Stellungnahme vom 27. November 2002 ist insoweit gänzlich inhaltsarm. Soweit er darin ausführt, er habe die Klägerin 1988 kennen gelernt, damals habe sie sich bereits von ihrem Ehemann getrennt und die Drohungen und Belästigungen seien weitergegangen, schildert er keine einzige konkrete Gewalttat. Auch seine weiteren Ausführungen, die Klägerin habe seinerzeit aus Angst vor erneuter Gewalt des damaligen Ehemannes fast ausschließlich bei ihm übernachtet, erlaubt keine Rückschlüsse auf eine bestimmte Gewaltausübung. Umso erstaunlicher erscheint die schriftliche Darstellung des Zeugen vom 20. April 2006, der nunmehr einen Angriff des Ehemannes der Klägerin gegen ihn selbst und die Klägerin erlebt haben will und nach eigener Darstellung sogar mit der Klägerin zusammen von deren verstorbenem Ehemann zu Boden geworfen wurde. Diese Aussage ist unvereinbar mit der früheren Aussage des Zeugen. Seine Angaben sind mangels ausreichender Konstanz nicht glaubhaft (vgl. zur Bedeutung der Aussagekonstanz das Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - sowie unten Seiten 11 ff.). Selbst wenn diese angebliche Gewalttat tatsächlich stattgefunden hätte, wäre sie kein zwingendes Indiz für die von der Klägerin behaupteten früheren Gewalttaten in der Ehe und darüber hinaus für sich gesehen als Einzeltat objektiv ungeeignet gewesen, die bei der Klägerin bestehenden psychischen Störungen in dem nunmehr feststellbaren Ausmaß zu verursachen. Für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ist die von dem Zeugen erstmalig im April 2006 behauptete Gewalttat mithin nicht beweiserheblich. Schließlich hat die Klägerin selbst diese vermeintliche Tat zuvor nicht beschrieben und vor allem auch nicht als Ursache ihrer psychischen Störung erwähnt. Soweit der Zeuge zudem behauptet, er habe angebliche Drohbriefe des Ehemann selbst gelesen, kann die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht mehr geprüft werden, nachdem die Klägerin die Klägerin die Drohbriefe nach den Ausführungen ihres Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 06. Oktober 2006 vernichtet haben will.

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1.1.4. Entbehrlichkeit gerichtlicher Zeugenvernehmungen

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Nach alledem bestand für das Gericht kein Anlass, die Zeugin X. oder den Zeugen H. zu vernehmen, zumal die Zeugin X. gewalttätiges Verhalten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu keiner Zeit beobachtet hat, die einzige von dem Zeugen H. behauptete Gewalttat des Ehemannes der Klägerin nicht beweiserheblich ist sowie für sich gesehen als Ursache für die psychischen Störungen der Klägerin ohnehin nicht in Betracht kommt und sämtliche Drohbriefe vernichtet sind. Sonstige Zeugen für konkrete Gewalttaten ihres verstorbenen Ehemannes hat die Klägerin nicht benannt.

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1.2. Behauptete Vergewaltigung im Jahre 1977

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Die von der Klägerin angegebene Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren ist gleichermaßen nicht bewiesen. Zeugen sind insoweit nicht zu ermitteln. Insbesondere ist die Anschrift der von der Klägerin in der handschriftlichen Darstellung vom 16. Dezember 2004 erwähnten Frau "AH." nach den Ausführungen der Klägerin nicht feststellbar (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 22. März 2006). Ärztliche Hilfe hat die Klägerin nach der vermeintlichen Vergewaltigung nicht in Anspruch genommen. Auch die eigene Schilderung der Klägerin bietet keine weiteren Ansätze zur Sachaufklärung.

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2. Fehlende Glaubhaftigkeit

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2.1. Gewalttaten des Ehemannes

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Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff des verstorbenen Ehemannes der Klägerin lässt sich auch nicht gemäß § 6 Abs. 3 OEG in Verbindung mit dem Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) feststellen. Nach § 15 Abs. 1 KOVVfG sind die Angaben eines Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1). Nach ihrem Wortlaut bezieht sich die Bestimmung zwar lediglich auf den Verlust von Unterlagen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit wenden die Norm jedoch auch an, wenn andere Beweismittel - wie Zeugenaussagen - für einen schädigenden Vorgang nicht vorhanden sind (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/98 - veröffentlicht in Entscheidungen des BSG - BSGE - 65, 123 bis 126). Auch mit dieser Maßgabe setzt die Bestimmung indessen voraus, dass die Angaben der Antragsteller "nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen". Diese Voraussetzung liegt im Falle der Klägerin nicht vor.

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2.1.1. Definition der Glaubhaftigkeit

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Glaubhaft ist der Vortrag eines schädigenden Ereignisses dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass sich die beschriebenen Vorgänge entsprechend den Behauptungen der Antragsteller zugetragen haben (vgl. Beschlüsse des BSG vom 10. August 1989 - 4 BA 94/89 - und 08. August 2001 - B 9 V 23/01 B mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn der Beweismaßstab der „Glaubhaftmachung“ im Vergleich zum Vollbeweis und der Wahrscheinlichkeit der im Sozialrecht „mildeste“ Maßstab ist (Beschluss des BSG vom 08. August 2001 - B 9 V 23/01 - Leitsatz 2), setzt die Glaubhaftmachung voraus, dass eine von mehreren in Betracht kommenden Sachverhaltsalternativen am wahrscheinlichsten ist und unter Berücksichtigung aller Umstände keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der behaupteten Ereignisse bestehen (vgl. BSG a. a. O.). „Wie bei den anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen, und ist das Gericht grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht“ (BSG a. a. O. Rz 5 unter Hinweis auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung - § 128 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Im Falle der Klägerin überwiegen die Zweifel an der Richtigkeit der behaupteten Gewalttaten so weitgehend, dass von einer Glaubhaftmachung dieser Ereignisse unter Berücksichtigung aller Umstände - insbesondere des wechselhaften Vortrages der Klägerin, der wissenschaftlich anerkannten Maßstäbe der Glaubhaftigkeitsbeurteilung und der Erkenntnisse der Aussagepsychologie - nicht ausgegangen werden kann.

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2.1.2. Prüfungsmaßstäbe

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Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Klagevorbringens gelten im Bereich der Opferentschädigung dieselben Maßstäbe, die auch bei der Würdigung von Zeugenaussagen zu beachten sind. Dazu zählen insbesondere die wissenschaftlichen Grundsätze der Aussagepsychologie, die der Bundesgerichtshof - BGH - hinsichtlich der Bewertung von Zeugenaussagen fordert (vgl. hierzu: Urteil des BGH vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 mit zahlreichen wissenschaftlichen Nachweisen aus der Aussagepsychologie). Hiernach ist zunächst die inhaltliche Konsistenz der Aussage zu prüfen, also die Plausibilität der Aussage in sich ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren. Sodann ist die Konstanz der Aussage von erheblicher Bedeutung. Die Konstanzanalyse erfasst das Aussageverhalten einer Person insgesamt, insbesondere auch aussageübergreifende Qualitätsmerkmale, die sich aus dem Vergleich von Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben (a. a. O. Rz 26 f). Hinzu kommt die Aussagegenese (Entstehung und Entwicklung der Aussage). Schließlich erfordert eine Kompetenzanalyse die Bewertung der persönlichen Kompetenz der darstellenden Personen, insbesondere der allgemeinen und sprachlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit sowie der tatbezogenen Kenntnisse der Betroffenen. Schließlich kann im Rahmen der Motivationsanalyse geprüft werden, ob die Darstellung von fremdbestimmten und zweckgerichteten Beweggründen beeinflusst sein kann (a. a. O. Rz 28).

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2.1.3. Beurteilung des Klagevorbringens

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Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestehen gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Klägerin erhebliche Bedenken. In diesem Zusammenhang muss nicht entschieden werden, ob die Aussage in sich gesehen ungeachtet der weiteren Merkmale hinreichend konsistent erscheint oder speziell die Aussagekonsistenz nur durch die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens festgestellt werden kann. Auch die Aussagekompetenz der Klägerin kann unterstellt werden, zumal sie sich im Termin zur mündlichen Verhandlung als intellektuell präsent und sprachlich gewandt erwiesen hat. Erhebliche Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Klägerin ergeben sich aus der Genese (Entstehungsgeschichte) und der gänzlich fehlenden Konstanz (Stetigkeit im zeitlichen Verlauf) ihrer Schilderungen. Gerade der Wechsel und die zunehmende Dramatisierung der Darstellung lassen auch die Motivation im Ergebnis nicht unproblematisch erscheinen. Die Beurteilung der Genese und der Konstanz der Aussage sowie der möglichen Motivationen gehört - bei hinreichenden Anknüpfungstatsachen in den Akten - zu den Aufgaben des Gerichts. Die Abwägung des Gerichts kann unter diesen Voraussetzungen nicht durch ein Gutachten ersetzt werden.

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2.1.3.1. Aussagekonstanz und Genese der Aussage

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Angesicht der detaillierten und dramatischen Schilderung der vermeintlichen Gewalttätigkeiten des verstorbenen Ehemannes durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Klägerin angesichts ihrer vielfältigen stationären und ambulanten psychiatrischen Behandlungen in der Zeit seit 1993 bis zu ihrer Behandlung durch Frau S. im Jahre 2001 niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit durch ihren Ehemann auch nur angedeutet hat. Dies ist umso erstaunlicher, als sie nach dem Bericht der Frau Dr. L. vom 12. November 2002 im Verlauf der von 1993 bis 2000 andauernden ambulanten Behandlung jedenfalls im Jahre 1997 einmal ohne weitere Einzelheiten von einer Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren erzählt hat. Diese Erzählung ist wiederum nur dann verständlich, wenn im Rahmen der ambulanten Behandlung u. a. sexueller Missbrauch thematisiert worden ist. Hiernach hätte es auch aus der Sicht der Klägerin nahe liegen müssen, die weiteren (sexuellen) Misshandlungen seitens des Ehemannes ebenfalls zu erwähnen, wenn sie insoweit subjektiv eine Traumatisierung empfunden hätte. Auch anlässlich der stationären Behandlungen vom 30. September bis zum 05. Oktober 1994, 09. bis 16. Mai 2000, 09. bis 14. März 2001 und 10. Mai bis 07. Juni 2001 im Städtischen Klinikum M. und im Verlauf des Heilverfahrens vom 10. Mai bis zum 07. Juni 2001 in der P. in Q. hat die Klägerin zwar Beziehungsprobleme geschildert (z.B. Trennung von ihrem sieben Jahre jüngeren Freund, Bericht des Dr. N. vom 19. Oktober 1994), im Übrigen jedoch nur diffuse Angstgefühle und keine konkreten traumatischen Ereignisse erwähnt. Dies gilt auch für die Heilbehandlung in der AI. in Q. vom 10. Mai bis zum 07. Juni 2001, die unter der Diagnose einer generalisierten Angststörung verlief und während der die Klägerin erneut eine Vergewaltigung mit 14 Jahren angab, hinsichtlich ihrer Ehe jedoch lediglich hervorhob, sie habe "die Ehe als psychisch sehr belastend" erlebt (Blatt 2 Seite 1 des Abschlussberichtes des Leitenden Arztes Dr. R. vom 05. Juli 2001, S. 47 Medizinische Akte). Auch in diesem Zusammenhang hätte es aus der Sicht der Klägerin im Falle einer Traumatisierung durch Gewalttaten im therapeutischen Zusammenhang nahe liegend erscheinen müssen, das gewalttätige Verhalten durch den Ehemann zumindest anzusprechen. Angesichts der später geschilderten Gewalttätigkeiten erscheint die zurückhaltende Darstellung vermeintlicher Gewalttaten während des Heilverfahrens ebenso unverständlich wie das Verschweigen der Gewaltausbrüche während der Kriseninterventionen im Städtischen Klinikum M..

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Unvereinbar mit dem Vorbringen im anhängigen Verfahren sind auch die Sachverhaltsdarstellungen der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes im Verlauf des Scheidungsverfahrens bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Braunschweig (Az.. 246 F 79/89 -). Zutreffend hat der Beklagte in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die Ehescheidung seitens der Klägerin mit einem plötzlichen Auszug des verstorbenen Ehemannes am 06. November 1988 ohne Angabe von Gründen und unter Zurücklassung aller persönlichen Sachen aus der ehemaligen ehelichen Wohnung und dem Zusammenziehen mit einer neuen Lebenspartnerin begründet worden ist (Schriftsatz der Rechtsanwältin I. vom 18.Januar 1989), während der verstorbene Ehemann der Klägerin die Zerrüttung der Ehe infolge der Zuwendung der Klägerin zu H. als Grund für die Trennung angeführt hat (Schriftsatz der Rechtsanwältin K. vom 31. Januar 1989). Der Vortrag der Klägerin, sie habe im Scheidungsverfahren aus Angst vor ihren verstorbenen Ehemann keine Gewalttaten angeführt, ist nicht glaubhaft, zumal sie seinerzeit nach der ersten Darstellung des Zeugen H. bereits bei ihm gewohnt hat und unter diesen Voraussetzungen eine erhöhte Gefährdung durch mögliche Gewalt des Ehemannes nicht plausibel erscheint.

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2.1.3.2 "Erweckte" Erinnerungen

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Bemerkenswert ist das plötzliche Auftreten vermeintlicher Erinnerungen an die Gewalttätigkeit des Ehemannes während der ambulanten Therapie durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie S. seit November 2001. Der Hinweis der Ärztin, die Klägerin leide unter posttraumatischen "flash-backs", also unter plötzlich aufsteigenden, überflutenden Erinnerungen und Gewalterlebnissen, die durch alltägliche Sinneseindrücke ausgelöst würden, ist nicht geeignet, zur Glaubhaftigkeit der Aussage der Klägerin beizutragen. Die Beurteilung der Ärztin ist nicht vereinbar mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Neurologie und Psychiatrie hinsichtlich der Hirnfunktion und des Erinnerungsvermögens.

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Im Bericht vom 17. März 2003 gibt die Therapeutin zunächst zutreffend wieder, dass die Klägerin während des Verlaufs der Behandlung in der P. als traumatisches Ereignis lediglich die von ihr geschilderte Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren angegeben und gelernt habe, die dahin gehenden Erinnerungen therapeutisch aufzuarbeiten (Absatz 1 a. a. O.). Dies entspricht dem klinischen Behandlungsbericht. Abrupt und ohne Übergang schildert die Therapeutin im Anschluss an die Anamnese die so genannten posttraumatischen Erinnerungen an die Gewalterlebnisse der Klägerin mit dem eigenen Ehemann. Nach dem hier dargestellten Zusammenhang sind diese Erinnerungen offensichtlich erstmalig im Verlauf der Behandlung durch Frau T. aufgetreten bzw. "erweckt" worden. Mangels sämtlicher Anhaltspunkte in der Zeit zuvor lässt sich das plötzliche Auftreten von Erinnerungen lediglich durch den Verlauf der Therapie und damit dem Ergebnis durch therapeutische Beeinflussung erklären (vgl. zu dieser Problematik u. a. Renate Volbert, Beurteilungen von Aussagen über Traumata - Erinnerungen und ihre psychologische Bewertung - Verlag Hans Huber, Bern, 1. Auflage 2004, Kapitel 7, S. 117 bis 121; Thomas, Knecht, Psychiatrische Klinik Münsterlingen, Erfunden oder wiedergefunden? - Zum aktuellen Stand der "Recovered-Memory"- Debatte, Schweizer Medizinforum 2005, S. 1083 bis 1987). Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2008 anschaulich geschildert, in welchem Umfang die therapeutische Beeinflussung durch Frau S. zu "Erinnerungen" an vermeintliche Gewalttaten des Ehemannes und die geschilderte Vergewaltigung im Jahre 1977 geführt habe. Berücksichtigt man, dass die Klägerin nach eigener Darstellung vor der Therapie weder an das gewalttätige Verhalten des Ehemannes noch an die Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren konkrete Erinnerungen hatte (Sitzungsniederschrift vom 10. Dezember 2008, S. 2), die "Bilder" im Verlauf der Therapie "hochgekommen" sind und die "Erinnerung dann im Verlauf der Therapie immer plastischer und konkreter" wurde (a. a. O.), so sind erhebliche Bedenken gegen den Realitätsgehalt dieser vermeintlichen Erinnerung abgebracht.

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Die von der Klägerin beschriebene Art der Therapie ist nicht nur in Deutschland, sondern auch international in der Psychiatrie inzwischen stark umstritten und teils heftig bekämpft, zumal therapeutisch induzierte "Erweckungen" von Erinnerungen offenbar zu einer Vielzahl suggestiv induzierter Fehlvorstellungen geführt haben (vgl. zur regen Diskussion u. a. Thomas Knecht a. a. O.; Thomas Simmich, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum der Technischen Universität Dresden, Induziertes Trauma und unbewusste Opfersehnsucht - Zur Problematik wiederauftauchender Erinnerungen in der Psychotherapie, Sozialpsychiatrische Informationen, Heft 1/2004, S. 19 bis 22 mit zahlreichen Nachweisen). Als besonders problematisch sind vermeintlich wiederentdeckte Aussagen u. a. dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen wurden, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet werden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre und extreme Erfahrungen beinhalten (Renate Volbert, a. a. O, Kapitel 5.6 - Unterschiede zwischen tatsächlich wiederentdeckten und Pseudoerinnerungen - S. 123).

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Durch Simulationsuntersuchungen und Dokumentationen tatsächlicher Fälle ist belegt, dass Menschen Erinnerungen an komplexe persönlich bedeutsame Ereignisse, auch an extrem stressreiche Ereignisse entwickeln können, die sie nicht erlebt haben. Solche Scheinerinnerungen können sowohl im Rahmen von Fremd- wie auch von Autosuggestion entstehen. Zur Ausbildung von Scheinerinnerungen kommt es vor allem dann, wenn intensive mentale Bilder über das vermeintliche Ereignis generiert und häufig bearbeitet werden. Hierdurch werden diese Repräsentationen sehr lebhaft, vertraut und sind leicht abzurufen. Diese Charakteristika führen wiederum dazu, dass ein mentales Bild für die genuine Erinnerung gehalten wird. Innerhalb therapeutischer "Settings" besteht die Gefahr einer Pseudoerinnerung vor allem dann, wenn der Therapeut aufgrund von Symptomen eine bestimmte traumatische Erfahrung vermutet, zur Aufdeckung etwaiger Erinnerungen Techniken mit suggestiver Potenz benutzt und die aufkommenden Erinnerungen unkritisch als historische Wahrheit akzeptiert. Schließlich können Scheinerinnerungen auch ohne therapeutischen Einfluss entwickelt werden, und zwar vor allem dann, wenn sich Personen intensiv mit einer bestimmten möglichen traumatischen Erfahrung als Ursache für ihre psychischen Symptome, unter denen sie leiden, zu befassen, entsprechende Literatur lesen und an Gruppen mit anderen Betroffenen teilnehmen (Volbert a. a. O. S. 138). Im Ergebnis können Aussagen auf der Basis von Pseudoerinnerungen im Querschnitt eine hohe Aussagequalität aufweisen und mit einer hohen subjektiven Überzeugung über den Erlebnisbezug der Darstellungen verbunden sein (a. a. O.).

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Nachdem die Klägerin mehrfach durch eine hysterieforme Ausbildung von Phantasien und eine ausgeprägte Tendenz, sich in Ängste hineinzusteigern, aufgefallen ist (vgl. den Bericht des Dr. N. vom 25. Mai 2000 und das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. U. vom 10. April 2002 für die LVA Braunschweig, S. 7), kann nicht ausgeschlossen werden, dass die offensichtlich erstmalig im Rahmen der Therapie durch Frau S. aufgetretenen Erinnerungen von der Klägerin als Realität gedeutet werden und die Klägerin seit der Therapie entsprechend den Angaben gegenüber Dr. U. (S. 3 des Gutachtens) subjektiv davon überzeugt ist, dass sie von ihrem Ehemann bereits kurz nach der Hochzeit "geschlagen und sogar mit dem Messer und dem Tode bedroht" worden ist. Glaubhaft in Bezug auf tatsächlich vorgekommene Ereignisse ist diese Darstellung indessen nicht.

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Gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellungen der Klägerin sprechen auch ihre Angaben anlässlich der Behandlung durch die psychologische Psychotherapeutin O. im Jahre 1998, also zehn Jahre nach der Trennung vom Ehemann. Die Antwort der Klägerin in dem 8 Seiten langen Fragebogen auf die Fragen nach den Ursachen ihrer (psychischen) Probleme lässt deutlich erkennen, dass gewalttätiges Verhalten ihres Ehemannes jedenfalls nach der damaligen Vorstellung der Klägerin zu diesen Schwierigkeiten nicht wesentlich beigetragen hat. Die Fragen haben sich auf die inneren und äußeren Belastungen, Entbehrungen und Auffälligkeiten in der individuellen und familiären Entwicklung erstreckt und zudem die Aufforderung enthalten, bei der Beschreibung möglichst Zusammenhänge mit der familiären oder partnerschaftlichen Situation sowie der schulischen und beruflichen Entwicklung zu beschreiben und die nach Auffassung der Klägerin besonderen "Auslösebedingungen" für die Entstehung der Probleme aufzuzeigen. Wenn die Klägerin hierzu lediglich pauschal ihr "traumatisches Erlebnis, ihre Ehe, finanzielle Schwierigkeiten, schwierige Kindheit" anführt, so ist unter dem traumatischen Erlebnis offensichtlich nicht die - gesondert erwähnte - Ehe gemeint. Auch in diesem Zusammenhang hätte es der Klägerin nahe liegend erscheinen müssen, Gewalttaten und Morddrohungen des Ehemannes zumindest zu erwähnen, wenn es zu solchen Ereignissen gekommen wäre.

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2.1.3.3. Motivation

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Die Motivationsanalyse dient bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Aussagen der Feststellung möglicher fremdbestimmter und zweckgerichteter Beweggründe. Sie ist gerade bei dem Anstreben einer staatlichen Entschädigungsleistung von erheblicher Bedeutung und muss dem Umstand Rechnung tragen, dass im Vordergrund des Handelns bei jedem Antragsteller nach dem OEG jedenfalls auch das Motiv eines finanziellen Vorteils steht. Andernfalls wäre ein Verfahren nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG nicht angestrengt worden. Die staatliche Entschädigung dürfte gerade bei finanziell ungesicherten Verhältnissen ein ganz wesentliches, die finanziellen Grundlagen berührendes und für viele Antragsteller entscheidendes Motiv für den Antrag nach dem OEG sein. Die derzeitige wirtschaftliche Lage der Klägerin ist durch den Bezug von Rente wegen voller Erwerbsminderung seit Juni 2001 geprägt, Unter diesen Voraussetzungen ist eine Entschädigung nach dem OEG für die Klägerin objektiv von erheblichem wirtschaftlichem Interesse. Angesichts der nur kurzen Zeit der Erwerbstätigkeit der Klägerin (1983 bis 1989) und der hierdurch begrenzten Rentenhöhe muss eine starke Motivation zum Erwerb des angestrebten Entschädigungsanspruchs angenommen und als wesentlicher Gesichtspunkt in die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin einbezogen werden. Dieses bereits durch die Antragstellung offensichtlich gewordene Motiv der Klägerin spricht unter Berücksichtigung aller übrigen Umstände nicht für, sondern gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Darstellung.

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2.2. Behauptete Vergewaltigung 1977

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Die behauptete Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren ist gleichermaßen nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zwar hat die Klägerin ein solches Ereignis nach dem Bericht der Frau Dr. L. vom 12. November 2002 bereits 1997 angesprochen. Dieser Verlauf erweckt den Anschein einer allgemeinen Aussagekonstanz, die jedoch bei genauer Analyse nicht gegeben ist. Vor der Therapie durch Frau S. hat die Klägerin nie beschrieben, welche subjektiven Vorstellungen und Erinnerungen sie in diesem Zusammenhang hatte. Die Äußerung im Jahre 1997 lässt sich daher einem konkreten Ereignis nicht zuordnen. Alle Angaben der Klägerin nach der Therapie zu diesem Ereignis - insbesondere ihre Schilderungen im Schreiben vom 16. Dezember 2004 - beruhen ausschließlich auf therapeutischer Beeinflussung, zumal sie nach ihren eigenen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung (auch) die Vergewaltigung aus dem Jahre 1977 "verdrängt" und "konkrete Erinnerungen" an die Vergewaltigung "erst während der Therapie" erlangt haben will (Sitzungsniederschrift vom 10. Dezember 2008, S. 2). Auch hinsichtlich dieser vermeintlichen Entwicklung des Erinnerungsvermögens bestehen erhebliche Bedenken im Hinblick auf mögliche "Scheinerinnerungen" ohne Realitätsbezug (vg. hierzu oben 2.1.3.2.)

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3. Unbilligkeit der Entschädigung

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Selbst wenn die Aussage der Klägerin in vollem Umfang glaubhaft wäre und ihr Ehemann entsprechend der Darstellung bei der Untersuchung durch Dr. U. am 08. April 2002 tatsächlich bereits ein Jahr nach der Hochzeit gewalttätig geworden wäre, sie geschlagen und sogar mit dem Messer und mit dem Tode bedroht hätte (S. 3 des Gutachtens vom 10. April 2002), so würde ihr ein Anspruch nach dem OEG nicht zustehen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Diese Voraussetzungen liegen hier bei unterstellter Richtigkeit des Vorbringens der Klägerin vor. Wäre die Ehe der Klägerin entsprechend ihrer Darstellung ständig von der Gewalttätigkeit und den Drohungen ihres früheren Ehemannes geprägt gewesen, so wäre ihr die Aufgabe der Beziehung zumutbar gewesen. Mit dem Festhalten an der Beziehung hätte sich die Klägerin dann in einem solchen Ausmaß der Selbstgefährdung ausgesetzt, dass die Entschädigung aus Gründen, die im eigenen Verhalten der Klägerin gelegen hätten, unbillig wäre. Nach der Rechtsprechung des BSG kann keine staatliche Entschädigung beansprucht werden, wenn eine Frau in einer Lebensgemeinschaft verbleibt, die mit einer dauernden Gefahrenlage verbunden ist und in der sie stets mit einer schweren Misshandlung rechnen muss (Urteil des BSG vom 03. Oktober 1984 - 9a RVg 6/83 - mit weiteren Nachweisen). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen. Danach ist die Opferentschädigung ausgeschlossen, wenn sich Betroffene einer Gewalttat bewusst oder leichtfertig ausgesetzt haben. Gleich zu behandeln sind Geschädigte, die sich einer von ihnen erkannten oder leichtfertig verkannten Gefahr nicht entziehen, obwohl ihnen dies zumutbar und möglich wäre. Deshalb sind Verletzte von der Entschädigung als Gewaltopfer ausgeschlossen, soweit sie einer ständigen Gefahr zum Opfer fallen, aus der sie sich bei einem Mindestmaß an Selbstverantwortung hätten befreien können (Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30. April 2002 - L 5 B 305/01 VG; Urteil des BSG vom 21. Oktober 1998 - B 9 VG 6/97 R). Die unterlassene Trennung von gewalttätigen Partnern ist hiernach im Rahmen des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG nur dann unbeachtlich, wenn bei den Geschädigten eine "völlige Willenlosigkeit" vorgelegen hat, die es ihnen gänzlich unmöglich gemacht hätte, das Zusammenleben zu beenden (LSG Niedersachsen-Bremen a. a. O).

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Von einer derartigen Willenlosigkeit ist im Falle der Klägerin nicht auszugehen. Dies hat die Klägerin bereits in der Zeit vom 13. bis zum 15. Juli 1985 durch ihren Aufenthalt im AA. Frauenhaus belegt. Schließlich ist auch das Ausmaß der von der Klägerin im anhängigen Verfahren behaupteten Ängste vor den Drohungen und Gewalttätigkeiten des Ehemannes nicht glaubhaft. Vielmehr hat die Klägerin durch das Verfahren bei dem AG Braunschweig - Familiengericht - im Jahre 1990 mit dem Ziel, dem früheren Ehemann das Betreten der Wohnung zu versagen, gezeigt, dass sie durchaus fähig und auch bereit war, einen Rechtsstreit gegen ihn in Kauf zu nehmen. Berücksichtigt man, dass es der Klägerin nach dem Beschluss des AG Braunschweig vom 19. Dezember 1990 (246 F 1491/90 - 6) im Rechtsstreit vor allem um die Beteiligung ihres geschiedenen Ehemannes an den Kosten der früheren ehelichen Wohnung ging, so wäre die Durchsetzung dieses Klageziels nicht verständlich, wenn der Ehemann tatsächlich so bedrohlich und gewalttätig auf die Klägerin gewirkt hätte. Hätte sie sich in dem jetzt dargestellten Ausmaß vor ihm gefürchtet, so hätte sie damit rechnen müssen, dass er gerade die finanzielle Bedrängnis durch das Verfahren bei dem AG zum Anlass nehmen würde, erneut gewalttätig zu werden oder sie massiv zu bedrohen. Eine derartige Befürchtung hatte die Klägerin ersichtlich nicht. Eine rechtzeitige Aufgabe der Beziehung wäre ihr unter diesen Voraussetzungen zumutbar gewesen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.