Sozialgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.08.2008, Az.: S 32 SO 176/08 ER
Sozialrechtliche Ausgestaltung des Anspruchs auf Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Schulmaterialien; Sozialrechtliche Ausgestaltung der vorläufigen Gewährung eines Darlehens zur Anschaffung von Schulmaterialien
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 20.08.2008
- Aktenzeichen
- S 32 SO 176/08 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 37994
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2008:0820.S32SO176.08ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 1 SGB II
- § 73 SGB XII
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Braunschweig - 32. Kammer -
am 20. August 2008
durch
die stellvertretende Vorsitzende, Richterin B.,
beschlossen:
Tenor:
Die Beigeladene wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsstellerin vorläufig ein Darlehen in Höhe von 333,19 EUR zur Anschaffung von Schulmaterialen zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Beigeladene hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsstellerin zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsstellerin begehrt im Namen Ihrer Kinder die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Schulmaterialien.
Die Antragsstellerin, die mit ihren drei Kindern eine Bedarfsgemeinschaft bildet, bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, zweites Buch (SGB II) von der Beigeladenen in Höhe von monatlich 1.039,65 EUR. Die Kinder der Antragsstellerin besuchen die 3., die 5. und die 6. Klasse und benötigen zum Beginn des neuen Schuljahres am 21. August 2008 verschiedene nicht ausleihbare Unterrichtsmaterialien (siehe die Auflistungen Bl. 19, 22 und 27 der Gerichtsakte) und Schulmaterialien wie Schreibhefte, Stifte etc. Am 28. Juli 2008 stellte die Antragsstellerin bei dem Antragsgegner den Antrag auf Übernahme dieser mit dem Schulbesuch verbundenen Kosten. Mit Schreiben vom 31. Juli 2008 teilte der Antragsgegnerin ihr daraufhin mit, dass eine Übernahme der Kosten nicht möglich sei. Dies bestätigte er erneut mit Schreiben vom 12. August 2008 und führte zur Begründung aus, dass eine Übernahme dieser Kosten nach §73 SGB Sozialgesetzbuch, zwölftes Buch (SGB XII) das Vorliegen eines atypischen Bedarfs voraussetze. Ein solcher sei aber vorliegend nicht gegeben, da hiervon alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen betroffen seien. Darüber hinaus umfasse der Regelbedarf nach §28 SGB XII Aufwendungen zum typischen Schulbedarf wie Bücher, Schreibwaren, Zeichenmaterialien und sonstige Gebrauchsgüter. Eine abschließende Entscheidung stelle dieses Schreiben jedoch nicht da, die Antragsstellerin habe die Möglichkeit, sich innerhalb von vier Wochen zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Am 15. August 2008 hat die Antragsstellerin das erkennende Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht und trägt zur Begründung vor, dass sie die benötigten Materialien nicht aus ihren SGB II-Leistungen beschaffen könne.
Die Antragsstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Schulkosten für ihre Kinder in Höhe von insgesamt 333,19 EUR zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, dass über die Anträge der Antragsstellerin noch nicht abschließend entschieden worden sei. Die Voraussetzungen des §73 SGB XII seien jedoch vorliegend nicht erfüllt, da der jährliche Schulbedarf keine atypische oder besondere Bedarfslage darstelle, Bedarfe, die wie Aufwendungen für den Schulbedarf zum Regelbedarf gehörten, seien hiervon nicht umfasst.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, die Gegenstand der Entscheidungsfindung war, verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat teilweise Erfolg.
Gemäß §86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. §86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung soll die endgültige Entscheidung der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen werden dürfen. Auf Grund des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
Der Antrag der Antragsstellerin ist unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen teilweise begründet. Zwar hat sie keinen Anordnungsanspruch bezüglich eines Zuschusses nach §73 SGB XII gegen den Antragsgegner glaubhaft gemacht, da nicht von dem Vorliegen einer "sonstigen Lebenslage" im Sinne der Vorschrift auszugehen ist. Doch ist ein Anordnungsanspruch bezüglich der Gewährung eines Darlehens für einen von den Regelleistungen umfassten unabweisbaren Bedarf, der von dem Leistungsempfänger nicht auf andere Weise gedeckt werden kann, nach §23 Abs. 1 SGB II gegen die Beigeladene glaubhaft gemacht.
Auch wenn die Antragsstellerin ausdrücklich einen Zuschuss beantragt hat, ist die weniger umfassende Gewährung eines Darlehens für die benötigten Materialien als von ihrem Antrag mit umfasst anzusehen, vgl. §123 SGG.
Nach §23 Abs. 1 SGB II erbringt der zuständige Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen, wenn ein im Einzelfall von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder durch das Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Bei der Beschaffung von Lernmitteln und Schreibmaterialien für den Schulunterricht handelt es sich grundsätzlich um einen von der Regelleistung umfassten Bedarf. Dieser ist vorliegend auch unabweisbar, da morgen das neue Schuljahr beginnt und die benötigten Materialen erforderlich sind, um am Unterricht teilzunehmen und Hausaufgaben zu erledigen.
Nach summarischer Prüfung hat die Antragsstellerin auch nicht die Möglichkeit, diesen Bedarf aus dem Vermögen oder auf andere Weise zu decken.
Die Höhe des Bedarf ermittelt sich aus den genannten Listen, so benötigt der Sohn der Klägerin C., der die 5. Klasse besucht, nicht ausleihbare Unterrichtsmaterialien im Wert von 80,55 EUR sowie Schreibmaterialien in Höhe von 35,- EUR, der Sohn der Klägerin D., der die 6. Klasse besucht, benötigt nicht ausleihbare Unterrichtsmaterialien im Wert von 115,75 EUR sowie Schreibmaterialien in Wert von 35,- EUR und die Tochter der Klägerin E. benötigt für die 3. Klasse Schulmaterialien im Wert von 66,89 EUR.
Diesbezüglich ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da auf Grund des unmittelbar bevorstehenden Unterrichtbeginns ein Abwarten bis zu einer endgültigen Entscheidung des Antragsgegners und auch bis zu einer Entscheidung der Beigeladenen nicht zugemutet werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus §193 SGG analog.