Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 22.09.2008, Az.: S 6 KR 669/06

Höhe des Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit einer Freistellung von der Arbeitsleistung vor Beginn der Passivphase einer Altersteilzeit

Bibliographie

Gericht
SG Braunschweig
Datum
22.09.2008
Aktenzeichen
S 6 KR 669/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 28647
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGBRAUN:2008:0922.S6KR669.06.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Der Streitwert wird auf 5.000,-EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zeit einer Freistellung von der Arbeitsleistung vor Beginn der Passivphase einer Altersteilzeit.

2

Bei der Klägerin, einer großen Aktiengesellschaft, gibt es die durch Tarifvertrag und mehrere Betriebsvereinbarungen geregelte Möglichkeit für ihre Beschäftigten, durch Ansparen von Zeitwertguthaben im Laufe ihres Beschäftigungslebens bei der Klägerin die Zeit der Freistellung erheblich vorzuverlagern. Auf die in der Gerichtsakte befindlichen Unterlagen wird verwiesen (Tarifvertrag über Altersteilzeit vom 04. Oktober 2000, gültig ab 01. August 2004; Betriebsvereinbarung über das Beschäftigungsscheckverfahren vom 25. Juni 1996, gültig ab 01. Juni 1996 nebst Protokollnotiz vom 23. Januar 2002; Betriebsvereinbarung individuelles Langzeitkonto vom 03. März 2006, gültig ab 01. März 2006; Betriebsvereinbarung individuelles Flexibilitätskonto vom 20. Januar 2005, gültig ab 01. Februar 2005; Betriebsvereinbarung Zeitrente - Ergänzung zum Tarifvertrag über Altersteilzeit - vom 04. September 2003, gültig ab 01. Januar 1998). Aus dem Zeitwertkonto der jeweiligen Beschäftigungen wird von der Klägerin der letzte Arbeitstag berechnet und verbindlich festgesetzt. Die vorgezogene Freistellung wird individuell in den jeweiligen Altersteilzeitverträgen geregelt. Die Betroffenen beziehen für die Dauer der Altersteilzeit (ab Beginn der Aktivphase bis zum Ende der Passivphase) ein Entgelt entsprechend der Regelung im Tarifvertrag über Altersteilzeit (4.2.2), durchschnittlich 85% des letzten Monatsnettoentgelts. Für Zeiten, in denen die so berechnete Freistellung noch vor Beginn der Altersteilzeit liegt, beträgt das Entgelt 100% des letzten Nettogrundgehalts.

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So verhielt es sich auch bei dem Beigeladenen. Der am 1.10.1949 geborene Beigeladene war und ist bei der Beklagten gesetzlich krankenpflichtversichert. Er war viele Jahre bei der Klägerin Vollzeit beschäftigt zum Tariflohn. Er nahm die tarifvertraglich geregelte Möglichkeit der Altersteilzeit im Blockmodell wahr. Die so genannte Aktivphase der Altersteilzeit dauerte vom 01. Oktober 2005 bis 30. September 2007. Die sich daran unmittelbar anschließende Passivphase (mit kompletter Freistellung von der Arbeitsverpflichtung) dauert noch an bis 30. September 2009. Der Beigeladene wird danach seine Arbeit bei der Klägerin nicht wieder aufnehmen, sondern unmittelbar Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Unter Anrechnung von Zeitwertguthaben aus Beschäftigungsscheck, Zeitwertpapier und Tarifurlaub war sein letzter Arbeitstag der 16. August 2005. Wegen der genauen Berechnung wird auf die Verwaltungsakte verwiesen.

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Die Klägerin beantragte bei der Beklagten, zur Berechnung der Krankenversicherungsbeiträge für den Beigeladenen für die Zeit ab 17. August 2005 (bis zum 30. September 2007) statt dem allgemeinen Beitragssatz (§ 241 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten) den ermäßigten Beitragssatz (§ 243 Abs. 1 Alternative 1 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten) zugrunde zu legen. Dies wies die Beklagte mit Bescheid vom 03. Mai 2006 ab. Zwar habe das Bundessozialgericht mit Urteil vom 25. August 2004 entschieden, dass der ermäßigte Beitragssatz für Versicherte in der Freistellungsphase bei Altersteilzeit im Blockmodell angewendet werden müsse. Dies gelte jedoch nicht für eine Freistellung vor Beginn der Altersteilzeitpassivphase. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2006 zurück.

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Dagegen hat die Klägerin am 14. Dezember 2006 Klage beim Sozialgericht Braunschweig erhoben. Sie ist der Auffassung, die Ausführungen des Bundessozialgerichts im Urteil vom 25. August 2004 (B 12 KR 22/02 R), bestätigt im Urteil vom 14. Dezember 2006 (B 1 KR 5/06 R) müssten auch für das hier strittige Freistellungsmodell gelten. Auch hier handele es sich um Zeiten der Freistellung gemäß § 7 Abs. 1 a Satz 1 SGB IV. Für diese Zeiten bestehe zwar (anders als dies § 243 Abs. 1 Alternative 1 SGB V verlangt) dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld. Er ruhe lediglich, wie sich aus § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V ergebe. Ein Krankengeldanspruch sei aber tatsächlich ausgeschlossen, denn der letzte Arbeitstag werde unwiderruflich geregelt. Der Betroffene (so auch der Beigeladene) habe unabhängig von Krankheit oder Urlaub etc. einen durchgehenden Entgeltanspruch von der Klägerin. Krankengeld müsse deshalb von der Beklagten tatsächlich nie gezahlt werden. Der strittige Beitragsanteil (Differenz zwischen allgemeinem Beitragssatz und ermäßigtem Beitragssatz) könne deshalb den dafür vorgesehenen Anspruch nicht auslösen. Das BSG habe deshalb in den beiden genannten Urteilen entschieden, dass sich daraus verfassungsrechtlich vor dem Hintergrund von Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz Probleme ergäben, die auf der Basis des einfachen Gesetzesrechts gelöst werden müssten. Dies könne nur durch die Erhebung des ermäßigten Beitragssatzes für die Freistellungsphase erfolgen.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 03. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2006 aufzuheben,

  2. 2.

    festzustellen, dass für den Beigeladenen in der Zeit vom 17. August 2005 bis 30. September 2007 der ermäßigte Krankenversicherungsbeitragssatz anstelle des allgemeinen Beitragssatzes Anwendung findet,

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig. Sie entspreche den Vorgaben des Gesetzes. Die rechtlichen Ausführungen des Bundessozialgerichts seien ausschließlich für die Passivphase im Blockmodell der Altersteilzeit ergangen.

9

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.

11

Der angefochtene Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2006 ist nicht rechtswidrig. Die Beklagte war nicht verpflichtet, für das dem Beigeladenen von der Klägerin in der Zeit vom 17. August 2005 bis 30. September 2007 gezahlte Entgelt den ermäßigten Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenpflichtversicherung anzuwenden. Das dem Beigeladenen in dieser Zeit gezahlte Entgelt war sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV). Zwar hat der Beigeladene in dieser Zeit tatsächlich bei der Klägerin keine Beschäftigung ausgeübt, sondern war freigestellt. § 7 Abs. 1 a Satz 1 SGB IV bestimmt jedoch, dass dann, wenn für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung Arbeitsentgelt fällig wird, das mit einer vor oder nach diesen Zeiten erbrachten Arbeitsleistung erzielt wird (Wertguthaben) auch während der Freistellung eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht. Voraussetzung dafür ist allerdings nach dem weiteren Wortlaut dieser Norm, dass die Freistellung aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung erfolgt und die Höhe des für die Zeit der Freistellung und des für die vorausgegangenen 12 Kalendermonate monatlich fälligen Arbeitsentgelts nicht unangemessen voneinander abweichen und diese Arbeitsentgelte 400,- EUR übersteigen. Alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 a SGB IV liegen vor. Der Beigeladene hat in der Zeit vom 17. August 2005 bis 30. September 2007 von der Klägerin Arbeitsentgelt erhalten. Er war in dieser Zeit von der Arbeitsleistung freigestellt aufgrund von vorher erbrachten Arbeitsleistungen in Form von Zeitwertguthaben. Die Freistellung erfolgte aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung, nämlich des Altersteilzeitvertrages zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin. Das Entgelt lag weit über 400,- EUR monatlich und war mit 100% bzw. 84% des letzten Grundgehalts nicht unangemessen niedrig. Für das in dieser Zeit gezahlte Arbeitsentgelt besteht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Versicherungspflicht.

12

Die Höhe der dabei in der gesetzlichen Krankenversicherung fälligen Beiträge ist in § 241 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit der Satzung der Beklagten geregelt. Dieser allgemeine Beitragssatz ist gemäß § 243 Abs. 1 SGB V nur zu ermäßigen, wenn kein Anspruch auf Krankengeld besteht.

13

Das ist hier nicht der Fall. Auch bei einer Freistellung gemäß § 7 Abs. 1 a SGB IV besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Krankengeld. Er ist weder durch Gesetz noch durch Satzung ausgeschlossen. Der Anspruch auf Krankengeld ruht lediglich gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V.

14

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch könnte deshalb allenfalls dann bestehen, wenn die einfach gesetzlichen Regelungen verfassungswidrig wären. Dies festzustellen steht allerdings nur dem Bundesverfassungsgericht zu.

15

Das Gericht sieht keine Veranlassung, das Verfahren gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. § 243 Abs. 1 SGB V und § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V sind nicht verfassungswidrig. Es ist nicht von Verfassung wegen geboten, den ermäßigten Beitragssatz auch dann anzuwenden, wenn ein Anspruch auf Krankengeld lediglich ruht. Es ist auch nicht von Verfassungs wegen geboten, für Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung gemäß § 7 Abs. 1 a SGB IV eine gesetzliche Sonderregelung zu finden. Der Gesetzgeber war nicht gehindert, diese Zeiten dem § 49 SGB V (Ruhen des Krankengeldanspruchs) zuzuordnen.

16

Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz ist nicht zu erkennen. Artikel 3 Grundgesetz gebietet lediglich, Gleiches gleich zu behandeln.

17

Der Beigeladene kann nicht für die hier strittige Zeit mit anderen Pflichtversicherten, bei denen der Krankengeldanspruch aus laufendem Arbeitsentgelt ausgeschlossen ist, verglichen werden. Solche gibt es nämlich nicht. Er ist hingegen zu vergleichen mit Pflichtversicherten, die beitragspflichtiges Arbeitsentgelt erhalten. Auch bei diesen ruht der Anspruch auf Krankengeld (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Die Regelungen in § 49 Abs. 1 Nr. 1 und § 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V sind identisch. Auch auf das Arbeitsentgelt für Zeiten der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist nicht der ermäßigte, sondern der allgemeine Beitragssatz zu entrichten. Wenn der Rechtsauffassung der Klägerin gefolgt würde, müsste aus Gründen der Gleichbehandlung der ermäßigte Beitragssatz auch immer dann zur Anwendung gekommen, wenn ohne Bezug zur Altersteilzeit sich wegen angespartem Urlaub oder Überstunden etc. eine verhältnismäßig kurze Freistellungsphase vor Beginn einer normalen Altersrente ergibt. Ein solches Ergebnis ist weder gesetzgeberisch gewollt noch verfassungsrechtlich geboten.

18

Über die Beitragshöhe in der Passivphase der Altersteilzeit, für die das BSG zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, war hier nicht zu entscheiden.

19

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Als Streitwert war mangels beitragsmäßigen Bescheides der Auffangstreitwert festzusetzen. Mit Beschluss im Anschluss an die Urteilsverkündung hat das Gericht wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssache die Sprungrevision zugelassen. Mit diesem Ergebnis waren die Anträge der Beteiligten beraten worden. Der Vorsitzende hat jedoch versäumt, dieses Ergebnis in den verkündeten Urteilstenor aufzunehmen.