Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.11.2006, Az.: 16 W 102/06
Haftentschädigung bei Abschiebehaft; Beanspruchung nach europarechtlichen Grundlagen; Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Verwaltungshandelns; Sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss des Einzelrichters
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.11.2006
- Aktenzeichen
- 16 W 102/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 34659
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:1103.16W102.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 25.08.2006 - AZ: 14 O 49/06
Rechtsgrundlagen
- § 112 StPO
- § 8 Abs. 1 S. 1 FEG
- § 7 Abs. 3 StrEG
- Art. 5 Abs. 5 EMRK
In der Prozesskostenhilfesache
...
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
die Richter am Oberlandesgericht ..., ... und ...
am 3. November 2006
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 25. August 2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Angehöriger des Staates S. Im Juni 1998 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach Ablehnung seines Asylantrags tauchte er unter. Im Februar 1999 wurde er in G. festgenommen und im Juni 2002 nach Deutschland überstellt. Unmittelbar nach seiner Ankunft am 10. Juni 2002 wurde er am Flughafen festgenommen und am 11. Juni 2002 dem Haftrichter vorgeführt, der auf Antrag der Stadt W. Haftbeschluss erließ. Am 5. September 2002 wurde er aus der Haft entlassen.
Mit Beschluss vom 11. Februar 2004 stellte der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle fest, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen in der Zeit von seiner Festnahme am 10. Juni bis zum Erlass des Haftbeschlusses am 11. Juni 2002 rechtswidrig war (17 W 109/03). Im Verfahren 17 W 106/03 stellte es mit Beschluss vom 11. Februar 2004 fest, dass auch die aufgrund des Haftbeschlusses vom 11. Juni 2002 vollzogene Haft rechtswidrig gewesen sei, weil der Antragsteller haftunfähig gewesen sei.
Der Antragsteller hat gegen die Stadt W. als antragstellende Ausländerbehörde einen Ausgleich für den entstandenen immateriellen Schaden für die Zeit vom 10. Juni 2002 bis zu 5. September 2002 geltend gemacht. Das Oberlandesgericht Braunschweig bewilligte dem Antragsteller mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 (3 W 59/05) Prozesskostenhilfe, soweit er ein Schmerzensgeld von der Ausländerbehörde für die Freiheitsentziehung bis zur richterlichen Haftanordnung verlangt hatte, und zwar in Höhe von 60 EUR, welche die Stadt W. am 9. Februar 2006 zahlte (Bl. 59).
Im vorliegenden Verfahren verlangt der Antragsteller wegen der rechtswidrigen richterlichen Haftermächtigung einen angemessenen Ausgleich für den Freiheitsentzug vom 11. Juni 2002 bis zum 5. September 2002 (87 Tage). Dabei hält er ein Schmerzensgeld von 200 EUR je Tag für angemessen (Bl. 18).
Der Antragsgegner hat den Anspruch dem Grunde nach anerkannt, sich bereit erklärt, an den Antragsteller eine Entschädigung von 14,63 EUR pro Hafttag zu zahlen (Bl. 55) und diesen Betrag (1.272,81 EUR) an ihn schließlich gezahlt (Bl. 97).
Das Landgericht hat einen weitergehenden Entschädigungsanspruch verneint und den Prozesskotenhilfenantrag zurückgewiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat dem Antragsteller die beantragte Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu recht nicht bewilligt. Die beabsichtigte Klage hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (zuletzt BGH, Urteil vom 18. Mai 2006, III ZR 183/05 = DVBl. 2006, 1186) hat derjenige, der aufgrund eines rechtswidrigen richterlichen Haftbeschlusses in Abschiebungshaft genommen worden ist, einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Ersatz des erlittenen immateriellen Schadens unmittelbar aus Art. 5 Abs. 5 EMRK. Der Haftbeschluss war nach der Entscheidung des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Februar 2004 rechtswidrig. Diese - der materiellen Rechtskraft fähige (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2004 in NVwZ-RR 2005, 181 [OLG Celle 29.10.2004 - 16 W 158/04] zum Recht der Gefahrenabwehr) - Entscheidung bindet die Parteien dieses Verfahrens und damit das erkennende Gericht. All das zieht der Antragsgegner, der die geltend gemachte Forderung für den vollen Zeitraum dem Grunde nach ausdrücklich anerkannt und darauf 1.272, 81 EUR gezahlt hat, nicht in Zweifel.
Streit besteht zwischen den Parteien lediglich darüber, wie hoch ein angemessener Ausgleich zu sein hat, ob an den Antragsteller 200 EUR pro Tag als angemessener Ausgleich zu zahlen sind oder lediglich die bereits gezahlten 14,63 EUR pro Hafttag.
Mit der Zahlung ist der immaterielle Schaden des Antragstellers ausgeglichen. Ein weitergehender Anspruch besteht nicht.
Insbesondere bestehen entgegen der Auffassung des Antragstellers auch keine Bedenken, sich bei der Bemessung des angemessenen Ausgleichs für eine Freiheitsentziehung über § 7 Abs. 3 StrEG zu nähern. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es sich bei der Entschädigung nach § 7 StrEG um einen besonders ausgestalteten Aufopferungsanspruch für rechtmäßige Freiheitsentziehungen handelt, was zutreffend ist, der Schadensersatzanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK hingegen an eine rechtwidrige Freiheitsentziehung anknüpfe, die höher entschädigt werden müsse.
Auch das Strafrechtsentschädigungsgesetz geht nämlich davon aus, dass eine vollzogene Strafverfolgungsmaßnahme im Ergebnis nicht gerechtfertigt war, mag die Anordnung zunächst auch rechtmäßig gewesen sein (BGHZ 103, 113; BGHSt 36, 236[BGH 23.08.1989 - StB 29/89]) und der Betroffene letztlich Opfer der im Allgemeininteresse liegenden Strafverfolgung geworden ist. Im Ergebnis macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob der bei Anordnung der Untersuchungshaft bejahte dringende Tatverdacht (§ 112 StPO) später wegfällt und das Ermittlungsverfahren eingestellt wird oder ob sich im Laufe der Abschiebehaft, die vielfach schon vor Eintritt der formellen Rechtskraft des Haftbeschlusses vollzogen wird (§ 8 Abs. 1 Satz 1 FEG), herausstellt, dass die Haft nicht hätte angeordnet werden dürfen.
Letztlich ist die gezahlte Entschädigung als Ausgleich für den immateriellen Schaden jedenfalls deshalb ausreichend, weil insbesondere ein Verschulden bei Erlass des Haftbeschlusses, das eine höhere angemessene Entschädigung rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich ist und der Antragsteller wegen der Nichtoffenbarung seiner Haftunfähigkeit ein erhebliches Mitverschulden an seiner Inhaftierung trägt.
Es ist weder vortragen noch aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 11. Februar 2004 ersichtlich, dass und warum der Haftrichter Zweifel an der Haftfähigkeit des Antragstellers hätte haben und von einer Ermächtigung zur Inhaftnahme hätte absehen müssen. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners hat der Antragsteller auf seine Erkrankung nicht hingewiesen, nicht einmal in seiner Anhörung vor dem Haftrichter am 11. Juni 2002. Dieser Hinweis erfolgte erstmals mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 17. August 2002.