Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.11.2006, Az.: 6 W 112/06
Erhöhte Anforderungen an die finanzielle Sorgfaltspflicht einer Partei bei konkreter Absehbarkeit eines Prozesses ; Pflicht eines Gewerbetreibenden zur Bildung von Rücklagen für Rechtsstreitigkeiten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.11.2006
- Aktenzeichen
- 6 W 112/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 35740
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:1113.6W112.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - AZ: 8 O 12/06
Rechtsgrundlage
- § 114 ZPO
Fundstellen
- FamRZ 2007, 485-486 (Volltext mit amtl. LS)
- JurBüro 2007, 95-96 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 2007, 421-422 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2007, 387-388
In dem Rechtsstreit
...
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die als sofortige Beschwerde anzusehende Beschwerde des Beklagten vom 19. September 2006
gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 17. August 2006
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......,
den Richter am Oberlandesgericht ....... und
den Richter am Amtsgericht .......
am 13. November 2006
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Landgericht angewiesen, den Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mit der Begründung zurückzuweisen, er habe es unterlassen, aus seinen Einnahmen aus selbstständiger Arbeit Rücklagen zu bilden, um Rechtsstreitigkeiten aus seiner gewerblichen Tätigkeit zu finanzieren.
Gründe
Die sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Anweisung an das Landgericht (§ 572 Abs. 3 ZPO).
I.
Der Senat vermag der in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht nicht zu folgen, wonach die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe aufgrund der Erwägung abgelehnt werden kann, dass Gewerbetreibenden zuzumuten ist, Rücklagen für Rechtsstreitigkeiten zu bilden, weil eine gewerbliche Tätigkeit vielfach die Durchsetzung auch berechtigter Forderungen unter Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe erfordere (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 1997, 681 [OLG Brandenburg 18.06.1996 - 10 WF 121/95]; OLG Nürnberg, MDR 2003, 593 [OLG Nürnberg 04.12.2002 - 6 W 3409/02], jeweils für werbende Unternehmen; OLG Celle Beschluss vom 18. Oktober 2002 zu 11 W 47/02; Beschluss vom 4. April 2005 zu 9 W 81/05).
Zwar ist anerkannt, dass von dem Grundsatz, für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Partei nur auf das Einkommen und das Vermögen abzustellen, welches im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag vorhanden ist, Ausnahmen in Betracht kommen, wenn die Partei trotz vorhersehbarer gerichtlicher Auseinandersetzung erhebliche Vermögensteile weggibt oder nicht lebensnotwendige Anschaffungen tätigt ( Senat, Beschluss vom 8. Juni 2005 zu 6 W 66/05; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 115 Rn. 72 ff). Denn bei konkreter Absehbarkeit eines Prozesses sind erhöhte Anforderungen an die finanzielle Sorgfaltspflicht einer Partei zu stellen und kann ein gleichwohl sorgloser Umgang mit vorhandenem Vermögen der Gewährung von Prozesskostenhilfe entgegenstehen (Musielak/Fischer, ZPO, 3. Aufl., § 115 Rn. 55), da "ein rechtsmissbräuchliches Herbeiführen der Voraussetzungen von Leistungen der öffentlichen Hand einen Anspruch auf eben diese Leistungen hindern kann" (BVerfG; Beschluss des vom 17. August 2005 zu 1 BvR 1516/05).
Doch folgt aus diesen Grundsätzen für den Umgang mit vorhandenem Vermögen keine Verpflichtung, aus (früherem) Einkommen Vermögen anzusparen, um die Kosten der Prozessführung selbst aufbringen zu können (OLG Jena, OLGR 2006, 198; Baumbach/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 115 Rn. 33 und 50, Musielak/Fischer, ZPO, 3. Aufl., § 115 Rn. 55; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 115 Rn. 72 f. m.w.N.; enger noch KG MDR 1999, S. 510; FamRZ 1988, S. 1078 f.; FamRZ 1998, S. 248 f.), und keine Verpflichtung, die Verwendung früheren Einkommens darzulegen. Etwas anderes kann weder dem Wortlaut des § 114 ZPO noch seinem Normzweck entnommen werden, weil diese Vorschrift nicht danach unterscheidet, ob die Rechtsstreitigkeit den privaten oder den gewerblichen Bereich einer Partei betrifft.
II.
Die Angabe des Beklagten in seiner Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 4. August 2006, zurzeit Nettoeinnahmen von monatlich 2.500 EUR aus nichtselbstständiger Arbeit bei laufenden monatlichen Unterhaltszahlungen in Höhe von 480 EUR für seine beiden Kinder und monatlichem Abtrag von Verbindlichkeiten seiner Gläubiger in Höhe von 300 EUR zu haben (Bl. 35 ff Prozesskostenhilfeheft), rechtfertigt nicht die Feststellung, dass er seit dem Zeitpunkt, zu welchem er annehmen musste, die Klagforderung nur mit gerichtlicher Hilfe abwehren zu können, seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, indem er keine Rücklagen für zu erwartende Prozesskosten gebildet hat. Auch ansonsten liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte bei Absehbarkeit der gerichtlichen Auseinandersetzung mit seinem vorhandenen Vermögen sorglos umgegangen wäre.
III.
Allerdings ist es Sinn einer jeden Prozesskostenhilfe, einer Partei, die dazu sonst aus finanziellen Gründen nicht in der Lage wäre, die Führung eines Rechtsstreits
- meist unter Hinzuziehung eines für sie tätigen Rechtsanwalts - zu ermöglichen. Hat eine Partei einen Rechtsstreit geführt und ist für sie ein Rechtsanwalt tätig geworden und wird ein Prozesskostenhilfeantrag erst im Laufe des Verfahrens gestellt, so kann der Zweck der Prozesskostenhilfe nicht erreicht werden, soweit die Partei für die Zukunft einen Rechtsanwalt nicht mehr benötigt. Es ist nämlich nicht Sinn der Prozesskostenhilfe, einer Partei, die ohne staatliche Hilfe das Verfahren geführt hat, nachträglich Verfahrenskosten zu erstatten oder einem Rechtsanwalt, der keinen Vorschuss von seiner Partei verlangt hat oder seinen Honoraranspruch gegen seine Partei nicht durchsetzen kann, nachträglich einen Anspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (OLG Karlsruhe, FamRZ 1996, 1287 f [OLG Karlsruhe 16.09.1994 - 16 WF 199/93]). Daher kann Prozesskostenhilfe frühestens von dem Zeitpunkt ab bewilligt werden, zu dem ein entsprechender Antrag bei Gericht gestellt ist. Für in dem Zeitraum davor angefallene Kosten gibt es keine Erstattung (OLG Zweibrücken, JurBüro 2000, 312; Zöller/Philippi, § 114 Rn. 15 und § 119 Rn. 37; Baumbach/ Hartmann, § 114 Rn. 46).
IV.
Das Landgericht wird deshalb zu beachten haben, dass dem Beklagten Prozesskostenhilfe nur seit dem Eingang seines Antrages bewilligt werden könnte und dass es vor seiner Entscheidung das Ergebnis der Beweisaufnahme abwarten kann, weil die Kosten der Beweisaufnahme bereits unabhängig von seiner Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von beiden Parteien aufgebracht worden sind.