Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.11.2006, Az.: 3 W 126/06
Wirksamkeit der Kündigung eines Verbraucherdarlehensvertrages durch den Darlehensgeber ohne vorherige Fristsetzung mit Kündigungsandrohung ; Sinn und Zweck einer Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung ; Voraussetzung für eine Vertragsliquidierung wegen Schuldnerverzuges
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 09.11.2006
- Aktenzeichen
- 3 W 126/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 32602
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:1109.3W126.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 28.09.2006 - AZ: 6 O 236/06
Rechtsgrundlagen
- § 326 Abs. 2 BGB a.F.
- § 323 Abs. 2 BGB
- § 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB
- Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB
Fundstellen
- EWiR 2007, 587 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- Kreditwesen 2007, 911-912
- MDR 2007, 388-389 (Volltext mit red. LS)
- NZG 2007, VI Heft 4 (Kurzinformation)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 905-907
- RdW 2007, III Heft 5 (Kurzinformation)
- VP 2007, 74
- WM 2007, 71-73 (Volltext mit amtl. LS)
- WuB 2007, 179-180
- ZAP EN-Nr. 0/2007
- ZAP EN-Nr. 540/2007
- ZBB 2007, 67-68 (red. Leitsatz)
- ZGS 2007, 119-120 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 2007, 1053-1054 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Eine Kündigung des Verbraucherdarlehensvertrages durch den Darlehensgeber ohne vorherige Fristsetzung mit Kündigungsandrohung nach § 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB ist unwirksam. § 326 Abs. 2 BGB a.F. ist ebensowenig anwendbar wie § 323 Abs. 2 BGB.
In der Beschwerdesache ...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die - sofortige - Beschwerde der Beklagten vom 18. Oktober 2006
gegen
den Beschluss des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim
vom 28. September 2006,
mit dem der Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten vom 15. September 2006
in der Hauptsache zurückgewiesen worden war,
am 9. November 2006
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 28. September 2006 wird teilweise abgeändert; der Beklagten wird für die Durchführung des Rechtsstreits erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A. J..., V..., bewilligt.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem gekündigten Darlehensvertrag in Anspruch.
Die Beklagte und ihr Ehemann schlossen mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin (zukünftig: Klägerin) unter dem 28. August 2000 einen Darlehensvertrag.
Wegen Zahlungsverzugs kündigte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 30. Januar 2006 den Kredit "mit sofortiger Wirkung", stellte eine Gesamtforderung von 8.451,98 EUR fällig und verlangte, dass dieser Gesamtbetrag innerhalb von 14 Tagen bei ihr eingehen müsse.
Die Beklagte hat demgegenüber gemeint, auf Grund einer Vereinbarung der Klägerin mit ihrem Ehemann, von dem sie getrennt lebt, sei der Darlehensvertrag aufgehoben worden. Zahlungsaufforderungen oder Mahnungen hätten weder sie noch ihr Ehemann erhalten.
Das Landgericht hat der Beklagten mit Beschluss vom 28. September 2006 Prozesskostenhilfe insoweit bewilligt, als sie sich gegen den geltend gemachten Zinsanspruch wendet und ihren Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Die Vereinbarung der Klägerin mit dem Mitdarlehensnehmer berühre die Verpflichtung der Beklagten nicht. Der Darlehensvertrag sei auch wirksam gekündigt worden. Jedenfalls in der der Beklagten zugestellten Anspruchsbegründung vom August 2006 sei eine wirksame Kündigung zu sehen.
Gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde vom 18. Oktober 2006. Eine wirksame Kündigung könne auch nicht in der Zustellung der Anspruchsbegründung gesehen werden.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 19. Oktober 2006 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht vorgelegt.
II.
Die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde der Beklagten ist zulässig, namentlich fristgerecht eingelegt worden (§§ 127 Abs. 2 S. 2, 3, 567 ff. ZPO). Sie ist auch begründet; die Rechtsverteidigung der Beklagten bietet die von § 114 ZPO geforderte hinreichende Aussicht auf Erfolg, da es an einer wirksamen Kündigung des Darlehensvertrages fehlt.
1.
a)
Allerdings ergibt sich für die Beklagte nichts aus ihrem Vortrag, die Klägerin habe eine Stundungs oder andere Änderungsvereinbarung allein mit ihrem Ehemann, von dem sie mittlerweile getrennt lebt, geschlossen. Dieser Vortrag kann als richtig zugrunde gelegt werden; die Klägerin hat mittlerweile auch eine mündliche Stundungsvereinbarung mit dem Ehemann der Beklagten bestätigt. Der Klägerin blieb es unbenommen, eine Abrede allein mit dem Ehemann der Beklagten zu treffen. Eine Stundungsabrede mit dem Ehemann der Beklagten hat lediglich Wirkung diesem gegenüber, § 425 BGB; § 423 BGB ist demgegenüber nicht anwendbar. Die Aufzählung der Umstände, die nur Einzelwirkung haben, ist in § 425 Abs. 2 BGB lediglich beispielhaft. Solche Umstände, für die das Gesetz nicht ausdrücklich eine Gesamtwirkung anordnet, haben im Zweifel nur Einzelwirkung (s. a. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, AT, 14. Aufl., S. 640 f.). Die Annahme der Beklagten, durch die Vereinbarung mit ihrem Ehemann sei der Vertrag mit der Klägerin aufgehoben worden, ist demgegenüber unzutreffend.
b)
Weiter ist ohne Bedeutung, ob allein der Ehemann der Beklagten Leistungen auf den Vertrag erbracht hat. Der Vortrag der Beklagten erhellt nicht, aus welchem Grund sie entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Vertrages, der Ausgangspunkt der Vertragsauslegung ist (vgl. BGH, WM 2004, 1083, 1084 [BGH 23.03.2004 - XI ZR 114/03]; WM 2005, 418, 419) [BGH 25.01.2005 - XI ZR 325/03], nicht Mitverpflichtete aus dem Vertrag sein sollte.
c)
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass Verjährung eingetreten wäre (§ 497 Abs. 3 S. 3 BGB).
2.
Es fehlt aber an einer wirksamen Kündigung des Darlehensvertrages.
Auf vorliegenden Sachverhalt findet das BGB i.d.F. des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Anwendung, Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB. Gemäß § 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB kann der Darlehensgeber einen Verbraucherdarlehensvertrag nur kündigen, wenn er dem Darlehensnehmer erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrages mit der Erklärung gesetzt hat, dass er bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlange.
Dem hat die Klägerin nicht entsprochen. Sie hat auf den Hinweis des Senats vom 30. Oktober 2006 mit Schriftsatz vom 7. November 2006 zwar vorgetragen, dass die Beklagte mehrfach zur Zahlung aufgefordert worden sei. Dass der Beklagten eine Frist mit Kündigungsandrohung gesetzt worden sei, hat aber die Klägerin selbst nicht behauptet. Ihre Auffassung, die Wirksamkeit der Kündigung könne dahin stehen, da eine weitere Kündigung konkludent mit der Erhebung der Klage auf Rückzahlung des Darlehens erklärt worden sei, ist unzutreffend. Zwar trifft es durchaus zu, dass in einer Klage möglicherweise eine Kündigung gesehen werden kann. Um die Kündigung als solche geht es hier aber nicht. Die Klägerin verkennt, dass nach § 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB der Kündigung eine Fristsetzung mit Kündigungsandrohung vorauszugehen hat. Diese "soll dem Verbraucher eindeutig die gefährliche Situation des Kredits vor Augen führen. Innerhalb der zweiwöchigen Nachfrist gewährt somit der Kreditgeber dem Verbraucher eine letzte Chance zur Rettung des Kredits" (Begründung des Regierungsentwurfs zum Verbraucherkreditgesetz, BTDrucks. 11/5462, S. 27). Insoweit entspricht die Vorschrift § 326 Abs. 1 S. 1 BGB a.F., der für den Regelfall als Voraussetzung für die Vertragsliquidierung wegen des Verzugs des Schuldners eine Nachfristsetzung des Gläubigers verbunden mit der Androhung, dass er die Annahme der Leistung nach dem Ablauf der Frist ablehnen werde, verlangte. Nach § 326 Abs. 2 BGB a.F. konnte der Gläubiger bei Verzug des Schuldners sofort zu den sogenannten Totalrechten gemäß § 326 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. übergehen, wenn die Vertragserfüllung gerade in Folge des Verzugs für ihn kein Interesse mehr hatte, oder, über den Wortlaut der Vorschrift hinaus, von vornherein fest stand, dass der Schuldner selbst während einer angemessenen Nachfrist nicht mehr leisten würde und die Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung damit als sinnlose, weil zwecklose Formalität erscheinen müsste (s. a. § 323 Abs. 2 BGB n.F.). Ob eine vergleichbare Situation hier zu bejahen wäre, kann dahingestellt bleiben, zum einen, weil § 326 Abs. 2 BGB den Gläubiger nur von der Notwendigkeit der Nachfristsetzung, nicht dagegen von dem Erfordernis einer Ablehnungsandrohung befreite; zum anderen, weil es sich bei § 326 Abs. 2 BGB a.F. um einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand handelte (vgl. BGH, WM 2006, 2055, 2056; NJWRR 1997, 622, 623 f.; PalandtHeinrichs, BGB, 61. Aufl., Rn. 20 a zu § 326, m.w.N.), und insbesondere, weil der Verbraucherschutzcharakter in § 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB den Rückgriff auf diese Grundsätze verbietet (so die jedenfalls überwiegende Meinung, vgl. MükoHabersack, BGB, 4. Aufl., Rn. 17 zu § 498; StaudingerKessalWulf, BGB, 13. Bearb. 2004, Rn. 20 zu § 498, je m.w.N.). Gegen die entsprechende Anwendung der zu § 326 Abs. 2 BGB a.F. entwickelten Grundsätze spricht auch, dass dann im Einzelfall eine Prüfung nötig wäre, ob in der Nichterbringung der Darlehensraten bereits eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung zu sehen wäre.
Die Ansicht der Klägerin, in der Erhebung der Klage sei regelmäßig eine konkludente Kündigung zu sehen, und es könne dann auf die Erfüllung der Vorgaben des § 498 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB verzichtet werden, müsste demgegenüber zum vollständigen Leerlaufen der Vorschrift führen. Kein Kreditgeber müsste sich noch veranlasst sehen, gemäß den gesetzgeberischen Anforderungen zu handeln. Der o. g. Zweck der Vorschrift wäre nicht mehr zu erreichen, das Gesprächsangebot (§ 498 Abs. 1 S. 2 BGB) von vornherein entwertet.
Der Senat hat bereits im Beschluss vom 26. Oktober 2004 (3 W 96/04, MDR 2005, 800/WM 2005, 1750) betont, dass zum Schutze des Verbrauchers der Gesetzgeber in § 498 Abs. 1 BGB dem Darlehensgeber klare Vorgaben gemacht hat, von denen nicht zu Gunsten des Darlehensgebers abgewichen werden darf, und es keine übertriebene Förmelei darstellt, wenn einer Bank aufgegeben wird, den Gesetzeswortlaut abzuschreiben.
III.
Die Entscheidung über die Beiordnung der Rechtsanwältin beruht auf § 121 ZPO. Der Senat durfte die Beiordnung selbst vornehmen (vgl. Senat, 3 W 115/01, Beschluss vom 6. Dezember 2001; 3 W 119/05, Beschluss vom 24. August 2005; OLG Köln, MDR 1983, 324), was zur Vereinfachung des weiteren Verfahrens auch angezeigt erschien.