Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 09.11.1995, Az.: 8 U 113/95
Anforderungen an die Zurückweisung verspäteten Vorbringens unter dem Aspekt eines wesentlichen Verfahrensmangels; Umfang der Überprüfung der Verspätungsvorschriften durch die Berufungsinstanz
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 09.11.1995
- Aktenzeichen
- 8 U 113/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 29059
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1995:1109.8U113.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 296 ZPO
- Art. 103 GG
Amtlicher Leitsatz
Im Falle der Zurückweisung verspäteten Vorbringens nach § 296 ZPO muss das Urteil erkennen lassen, ob die Zurückweisung auf Absatz 1 oder 2 gestützt wird. Andernfalls liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.
Gründe
Das Landgericht hat bei der Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 296 ZPO verfahrensfehlerhaft gehandelt. Dies begründet einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO, zumal die so erfolgte Zurückweisung des Vortrags der Beklagten in deren Schriftsatz vom 9.März 1995 ihr Recht aus Art. 103 GG auf Gewährung umfassenden rechtlichen Gehörs verletzt (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 19. Aufl., § 539Rndr. 13). Da die betroffenen Verteidigungsmittel der Beklagten nicht "zu Recht zurückgewiesen worden sind", ist deren Berücksichtigung im zweiten Rechtszug auch nicht gem. § 528 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen.
Die Verfahrensweise des Landgerichts ist für den Senat mangels ausreichender Begründung der getroffenen Zurückweisungsentscheidung nicht überprüfbar. Das Berufungsgericht darf die erstinstanzliche Anwendung der Verspätungsvorschriften lediglich einer Rechtskontrolle unterziehen und ist deshalb auch dann gehindert, eine fehlerhafte Begründung durch eine eigene zu ersetzen, wenn nach dem Akteninhalt die sachlichen Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach den Tatbeständen des § 296 Abs. 1 und / oder Abs. 2 ZPO gegeben sind (BGH NJW 1981,2255; 1990,1302, 1304 [BGH 13.12.1989 - VIII ZR 204/82]; 1992, 1965 [BGH 01.04.1992 - VIII ZR 86/91]; OLG Düsseldorf, NJW 1987, 507, 508 [OLG Düsseldorf 26.02.1986 - 19 U 44/85]; Zöller-Gummer, a.a.O., § 528 Rndnr. 32). Bei der angefochtenen Entscheidung fehlt die für eine Rechtskontrolle ausreichende Begründung schon deshalb, weil nicht zu erkennen ist, ob das Landgericht sich auf den eine Fristversäumung voraussetzenden Tatbestand der obligatorischen Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO stützen oder eine Ermessensentscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO mit dem Vorwurf grob nachlässigen Prozessverhaltens treffen wollte. Der Senat kann diese Frage auch nichtoffen lassen, weil sowohl die Wahl der anzuwendenden Regelung (BGH NJW 1982, 1708, 1710) [BGH 22.04.1982 - VII ZR 160/81] als auch die für die Zurückweisungsentscheidung erforderliche erstmalige Tatbestandskonkretisierung (namentlich die Ermessensentscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO) ausschließlich dem erstinstanzlichen Gericht obliegt.
Das angefochtene Urteil beruht auf dem vorbezeichneten Verfahrensfehler und lässt sich auch nicht aus anderen Gründen aufrechthalten. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass dem Vortrag der Beklagten in dem Schriftsatz vom 9. März 1995 prinzipiell entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt und hinsichtlich der nach dem nunmehr hinreichend konkretisierten Vortrag prozessual relevant gewordenen Streitfragen in tatsächlicher Hinsicht eine weitere Sachaufklärung geboten ist. Diese Einschätzung entspricht auch der Rechtsauffassung des Senats (... wird ausgeführt).
Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat ist nicht sachdienlich. Auf der Basis des bisherigen Sach- und Streitstandes ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Eine Entscheidung über einen Teil des Streitstoffs ist, soweit dies überhaupt nach Maßgabe der Rechtsprechung zu § 301 ZPO (Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 301 Rn. 7 ff.) zulässig wäre, jedenfalls nicht angemessen (§ 301 Abs.2 ZPO).
Der von der Zurückweisung betroffene Streitstoff ist umfangreich, der Aufklärungsaufwand voraussichtlich erheblich. Die Durchführung erstinstanzlich verfahrenswidrig unterlassener Sachverhaltsaufklärungen gehört zwar grundsätzlich auch zur Aufgabe des Berufungsgerichts. Im Streitfall ist jedoch auch unter Berücksichtigung der durch die Zurückverweisung bedingten Verzögerung und Verteuerung des Verfahrens das Interesse der Parteien an einer Wahrung des vollen Instanzenzuges vorrangig.