Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 23.11.1995, Az.: 2 U 133/94

Annahme grober Fahrlässigkeit bei Rotlichtverstößen; Augenblicksversagen als Entschuldigungsgrund

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
23.11.1995
Aktenzeichen
2 U 133/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 29076
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:1123.2U133.94.0A

Amtlicher Leitsatz

Grobe Fahrlässigkeit bei Rotlichtverstößen; "Augenblicksversagen" ist ohne Hinzutritt weiterer Umstände regelmäßig kein Entschuldigungsgrund.

Gründe

1

Die Beklagte berühmt sich zu Recht eines Anspruchs gegen die Klägerin. Diese ist der Beklagten nach den §§ 67 VVG, 823 Abs. I, II BGB i.V.m. §§ 18, 37 StVO zum Ersatz der an die Mutter der Klägerin ausgezahlten Versicherungsleistung verpflichtet, da sie den zum Versicherungsfall führenden Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat.

2

Die Klägerin hat den Unfall dadurch schuldhaft herbeigeführt, dass sie das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage nicht beachtet hat. Die Klägerin hat den Rotlichtverstoß zwar zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten; da sie nach eigenen Angaben nicht auf die Lichtzeichenanlage geachtet hat, ist das Rotlicht nicht Gegenstand ihrer Wahrnehmung gewesen. Der Rotlichtverstoß ergibt sich jedoch zur Überzeugung des Senats aus der schriftlichen Zeugenvernehmung des anderen Unfallbeteiligten H. in der zum Verhandlungsgegenstand gemachten Akte der Staatsanwaltschaft, welche das Gericht im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat. Dieser hat angegeben, bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren zu sein. Da objektive Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit dieser Angabe nicht ersichtlich sind, steht damit ein Rotlichtverstoß der Klägerin fest.

3

Auf Grund des Unfalls vom 13. 9. 1993 war die Beklagte wegen der von der Mutter der Klägerin abgeschlossenen Fahrzeug-Vollversicherung dieser zum Ersatz des Unfallschadens verpflichtet. Da für eine Repräsentantenstellung der Klägerin nichts vorgetragen ist, konnte sich die Beklagte gegenüber der Mutter der Klägerin selbst bei grob fahrlässiger Verursachung des Unfalls durch die Klägerin als Fahrerin nicht auf eine Leistungsfreiheit nach § 61 VVG berufen.

4

Nach erfolgter Schadensersatzleistung der Beklagten an die Mutter der Klägerin ist jedoch gem. § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG der Schadensersatzanspruch der Mutter der Klägerin gegen diese auf die Beklagte kraft Gesetzes übergegangen.

5

Die Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruchs ist nicht gem. § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen, weil die Klägerin mit ihrer Mutter nicht in häuslicher Gemeinschaft lebte.

6

Auch § 15 Abs. 2 AKB steht der Geltendmachung dieser Regressforderung durch die Beklagte nicht entgegen. Die Klägerin war zwar zur Führung des verunfallten Fahrzeugs berechtigt. Sie hat entgegen dem angefochtenen Urteil den Unfall jedoch in grob fahrlässiger Weise herbeigeführt.

7

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Der Tatrichter kann dabei im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO vom äußeren Geschehensablauf oder vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstosses auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit schließen (BGH VersR 1989, 582 m.w.N.).

8

Das Überfahren eines Rotlichts stellt einen objektiv besonders groben Verstoß gegen die Regeln des Straßenverkehrs dar (BGH VersR 1992, 1085; OLG Hamburg VersR 1994, 211 [OLG Hamburg 25.05.1993 - 7 U 43/93]; OLG Karlsruhe VersR 1994, 211 [OLG Karlsruhe 17.12.1992 - 12 U 208/92] m.w.N.); denn es gehört zu den essenziellen Grundregeln des Straßenverkehrs, die Lichtzeichen von Ampelanlagen zu befolgen. Da das Missachten des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage mit größter Gefährlichkeit für die anderen Verkehrsteilnehmer verbunden ist, muss sich jeder Verkehrteilnehmer einer durch Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung in jedem Fall mit der Aufmerksamkeit nähern, die es ihm ermöglicht, die Lichtzeichen der Ampel zu beachten und bei Rotlicht den Querverkehr nicht zu gefährden (OLG Hamm VersR 1988,1260). Gegen diese grundlegende Anforderung des Straßenverkehrs an die Verkehrsteilnehmer hat die Klägerin objektiv verstoßen.

9

Dieser grobe Verkehrsverstoß war auch subjektiv nicht zu entschuldigen. Die Klägerin kann sich nicht damit entlasten, dass es sich bei ihrem Verkehrsverstoß um ein entschuldbares "Augenblicksversehen" handele. Der BGH hat seine diesbezügliche Rechtsprechung erheblich eingeschränkt und ausdrücklich klargestellt dass ein Augenblicksversagen für sich allein ohne Hinzutreten weiterer besonderer Umstände kein Grund sein kann, eine grobe Fahrlässigkeit zu verneinen (BGH VersR 1992, 1085).

10

Die Klägerin kann sich deshalb grundsätzlich nicht damit entschuldigen, dass ein solcher Verkehrsverstoß jedem Kraftfahrer "schon einmal passieren kann". Die empirische Wahrscheinlichkeit eines solchen Verkehrsverstoßes kann die Wertung seiner Vorwerfbarkeit angesichts der oben dargelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung allein nicht beeinflussen; ansonsten wäre kein Verkehrsverstoß jemals grob fahrlässig, denn jede Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt kann einem Fahrer bei auch nur kürzester Unaufmerksamkeit einmal passieren.

11

Konkrete entlastende besondere persönliche Umstände sind bei der Klägerin nicht gegeben.

12

Sie wird insbesondere nicht dadurch entlastet, dass sie in A., wo sich der Unfall ereignete, ortsfremd war. Gerade die Unkenntnis der örtlichen Gegebenheiten zwingt zu ganz besonderer Vorsicht. Es ist auch nicht zutreffend, dass an der Unfallstelle eine verwirrende Vielzahl von Verkehrzeichen vorhanden waren. An der Unfallkreuzung selbst befand sich für den Verkehr aus der Fahrtrichtung der Klägerin lediglich ein weiteres Verkehrszeichen, das die vorgeschriebenen Fahrtrichtungen angab. Im Übrigen war die Sicht auf die Ampel nicht verdeckt, sondern diese war für die Klägerin frei einsehbar.

13

Der somit einzige zu Gunsten der Klägerin sprechende besondere Umstand, dass trotz dreispuriger Straßenführung aus Sicht der Klägerin lediglich eine Ampel an der rechten Geradeausspur vorhanden war, die zumeist übliche zusätzliche zweite Ampel über der Kreuzung jedoch fehlte, ist allein nicht so bedeutsam, als dass er den Verkehrsverstoß der Klägerin als subjektiv entschuldbar erscheinen lassen könnte.