Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.09.2012, Az.: 7 LB 84/11
Rechtmäßigkeit einer in Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns erlassenen und zur faktischen Enteignung des privaten Eigentümers eines Wegestücks unter Missbrauch der Bestimmungen über die Bestandskraft von Verwaltungsakten führenden Widmungsverfügung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.09.2012
- Aktenzeichen
- 7 LB 84/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 27042
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0913.7LB84.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 14.08.2009 - AZ: 5 A 1884/07
Rechtsgrundlage
- § 44 Abs. 1 VwVfG
Fundstellen
- DVBl 2013, 56
- DVP 2013, 350
- DÖV 2013, 123
- NVwZ-RR 2013, 5
- NVwZ-RR 2013, 129-131
Amtlicher Leitsatz
Eine in Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns erlassene Widmungsverfügung, die den privaten Eigentümer eines Wegestücks unter Missbrauch der Bestimmungen über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und Umgehung der gesetzlichen Regelungen des Straßengesetzes faktisch enteignet, ist nichtig (§ 44 I VwVfG).
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Widmung von Teilen ihres Grundstücks als öffentliche Verkehrsfläche durch die Beklagte.
Sie ist Eigentümerin des Flurstücks ... der Flur ..., Gemarkung F., Blatt ... des Grundbuchs von F.. Die Klägerin betreibt auf dem Grundstück eine Gaststätte mit Biergarten. Sie erwarb das Grundstück im Wege der öffentlichen Versteigerung auf Grundlage des Zuschlagsbeschlusses des Amtsgerichts Aurich vom 02.04.1998. Ein zugunsten der Beklagten am 01.03.1989 eingetragenes Überwegungsrecht für die jeweiligen Eigentümer der Flurstücke ... und ... der Flur ..., Gemarkung F., wurde am 18.08.1998 aufgrund des Zuschlagsbeschlusses aus dem Grundbuch gelöscht.
Die Beklagte ist Trägerin der Straßenbaulast in ihrem Gemeindegebiet. Nachdem sie davon Kenntnis erlangt hatte, dass das Überwegungsrecht infolge des Zuschlagsbeschlusses nicht mehr bestand, veranlasste sie am 15.02.2001 einen Ratsbeschluss, mit dem die im Tenor bezeichneten Teile des Grundstücks als öffentliche Verkehrsfläche (Gehweg) rückwirkend zum 16.01.2001 gewidmet wurden. Aufgrund der fehlenden Zustimmung der Klägerin machte sie die Widmung zunächst nicht bekannt und erörterte intern, ob diese "auf kaltem Wege" (durch Bekanntmachung) erfolgen oder zunächst eine einvernehmliche Regelung mit der Klägerin gesucht werden solle. Mit Schreiben vom 01.02.2002 trat sie an die Klägerin heran, teilte ihr den Widmungsbeschluss des Rates mit und unterbreitete den Vorschlag, entweder das Grundstück zu verkaufen, der Widmung zuzustimmen oder einen öffentlich-rechtlichen Vertrag für die Übertragung des Besitzes zu schließen.
Die Klägerin erklärte der Beklagten im Februar/März 2002 mündlich ihre grundsätzliche Bereitschaft, einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zuzustimmen, und teilte im Januar 2005 ihr Interesse am Abschluss eines Pachtvertrages mit. Die Beklagte war indes nicht bereit, auf die Vorstellungen der Klägerin einzugehen, und entschloss sich daher die Widmung auch ohne die erforderliche Zustimmung der Eigentümerin öffentlich bekannt zu machen, was durch Bekanntmachung in den Ostfriesischen Nachrichten vom 14.03.2005 sowie mit Aushang vom selben Tag erfolgte. In dem dazu bei den Verwaltungsakten befindlichen Vermerk heißt es, es bleibe "... dann abzuwarten, ob innerhalb der Rechtsbehelfsfrist (...) Widersprüche eingehen werden."
Nachdem die Klägerin am 07.06.2007 Kenntnis von der Bekanntmachung der Widmung erlangt hatte, hat sie am 04.07.2007 Klage erhoben und die Auffassung vertreten, die Widmung sei nichtig. Die beklagte Stadt sei weder Eigentümerin noch dinglich Berechtigte des Grundstücks, sie als Eigentümerin habe der Widmung nicht zugestimmt. Ferner sei kein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen worden. Sie habe im Jahr 1999 Einwendungen gegen den Bebauungsplan 213 der Beklagten erhoben, in dem das Grundstück als öffentliche Verkehrsfläche dargestellt gewesen sei. Hierauf sei keine Reaktion der Beklagten erfolgt. Für das gesamte Flurstück müsse sie Abgaben entrichten, obwohl ein erheblicher Anteil dieses Flurstücks als öffentliche Verkehrsfläche gewidmet sei. Dies stelle ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten dar. Außerdem sei die Rückwirkung der Widmung unzulässig. Der auf dem Grundstück errichtete Biergarten habe erweitert werden sollen, was jedoch aufgrund der Widmung unmöglich geworden sei. Eine von der Beklagten ursprünglich beabsichtigte Umlegung sei bislang nicht erfolgt. Die Beklagte habe ohne ihre Zustimmung mittlerweile eine Fahrradsperre auf dem Grundstück errichtet.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widmung der Straße E. gang (Flurstück ... der Flur ... der Gemarkung F.), bekanntgemacht durch Veröffentlichung vom 14. März 2005 in den Ostfriesischen Nachrichten, aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass im Grundbuch eine Dienstbarkeit eingetragen gewesen sei, die rechtswidrig nach Erteilung des Zuschlagsbeschlusses gelöscht worden sei und deshalb fortbestehe. Als dinglich Berechtigte sei sie daher befugt gewesen, eine Widmung durchzuführen. Sie sei bereit, der Klägerin - auch rückwirkend - eine Nutzungsentschädigung zu zahlen, wenn im Gegenzug eine Dienstbarkeit zu ihren Gunsten in das Grundbuch eingetragen werde.
Ein in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geschlossener Vergleich ist aufgrund Widerrufs der Klägerin nicht zustande gekommen.
Mit Urteil vom 14.08.2009 hat das Verwaltungsgericht Oldenburg die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe die einmonatige Klagefrist versäumt. Die Widmung sei am 29.03.2005 bekanntgegeben worden, die Klagefrist am 29.04.2005 abgelaufen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, da die Klägerin kein Hindernis geltend mache, das sie an einer fristgerechten Klageerhebung gehindert habe; zudem sei die Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses keinesfalls gewahrt. Die Klägerin habe spätestens ab dem 07.06.2007 Kenntnis von der Widmung gehabt und keinen Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb der Zweiwochenfrist gestellt. Die Widmung habe gegenüber der Klägerin auch nicht gesondert bekannt gemacht werden müssen. Schließlich sei die Widmung nicht nichtig, weshalb die Klagefrist des § 74 Satz 2 VwGO maßgeblich bleibe. Die Voraussetzungen einer Nichtigkeit der Widmung seien nicht erfüllt. Die Zustimmung stelle keine Mitwirkung an einem Verwaltungsakt, sondern eine besondere, dem öffentlichen Recht angehörende Willenserklärung dar.
Gegen diese Entscheidung führt die Klägerin die vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht am 03.05.2012 zugelassene Berufung.
Sie führt aus, die Widmung sei nicht nur rechtswidrig, sondern nach § 44 VwVfG nichtig. Die Beklagte habe sie in Kenntnis ihrer nicht gegebenen Zustimmung als Eigentümerin vorgenommen. Die Zustimmung sei nach dem Niedersächsischen Straßengesetz nicht bloß Rechtmäßigkeits-, sondern Wirksamkeitsvoraussetzung der Widmung. Die Beklagte habe sich bewusst über die Zustimmungsvoraussetzung hinweggesetzt, so dass ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie eine faktische Enteignung vorliege. Dadurch leide die Widmung an einem schwerwiegenden und offensichtlichen Mangel.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 5. Kammer - vom 14. August 2009 zu ändern und festzustellen, dass die am 14. März 2005 in den Ostfriesischen Nachrichten veröffentlichte Widmung des Gehwegs "E. gang" nichtig ist, soweit er auf dem Flurstück ... der Flur ..., Gemarkung F., verläuft.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Klage für unzulässig und vertritt die Auffassung, die Widmung sei wirksam und nicht nichtig. Die fehlende Zustimmung der Klägerin stelle keinen besonders schwerwiegenden und darüber hinaus keinen offensichtlichen Fehler der Widmung dar. Ferner wirke sich die Widmung nicht als faktische Enteignung aus: Auf dem Grundstück der Klägerin finde bereits seit Jahrzehnten ein reger Publikumsverkehr statt, es handele sich um einen der am stärksten frequentierten Fußwege in ihrem Stadtgebiet. Eine Sperrung des Weges werde bewirken, dass Hindernisse teilweise mit Gewalt überwunden werden würden. Die Klägerin selbst nutze den Weg für ihr Lokal. Eine Sperrung des Weges für den öffentlichen Verkehr mindere den Wert von Grundstück und Lokal. Wegen ihrer Bebauungspläne Nr. 49 und 123 "E. gang" habe eine Widmung als Gehweg zwingend zu erfolgen. Sie könne nach bestandskräftiger Widmung auch nach § 13 Abs. 1 NStrG vorgehen, mithin im Falle einer mangelnden Einigung der Parteien über den Eigentumsübergang oder die Einräumung eines dinglichen Rechts zugunsten der Beklagten die Durchführung eines Enteignungsverfahrens beantragen. Das ursprünglich im Grundbuch eingetragene Überwegungsrecht sei ein öffentliches Wegerecht gewesen und durch Zufall gelöscht worden. Die Klägerin versuche deshalb in nicht schutzwürdiger Weise, eine zufällig erworbene formale Rechtsposition zu nutzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
I. Die Klage ist als Nichtigkeitsfeststellungsklage, worauf die Klägerin in der Berufungsinstanz ihren Klageantrag umgestellt hat, gem.§ 43 Abs. 1, 2 VwGO zulässig.
Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist gegenüber einer Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 2 VwGO nicht subsidiär. § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGO macht für die Nichtigkeitsfeststellungsklage eine Ausnahme von dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Feststellungsklage gegenüber der Anfechtungsklage. Diese muss daher nicht vorrangig erhoben werden, insbesondere nicht, wenn die Erfolgsaussichten eines Anfechtungsantrages wegen Ablaufs der Anfechtungsfrist gem. § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO zweifelhaft sind (OVG Koblenz, Beschl. v. 12.05.1998 - 12 A 12501/97 - NVwZ 1999, 198; Sodan, in: ders./Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 23).
II. Die Klage ist auch begründet.
Die am 14.05.2005 bekanntgemachte Widmung des Flurstücks ... der Flur ..., Gemarkung F., als öffentlicher Gehweg ist gem. § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig. Nach diesen Rechtsvorschriften ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Dass ist hier der Fall.
Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Widmung ist § 6 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 2, 3Niedersächsisches Straßengesetz (NStrG) in der Fassung vom 24.09.1980 (Nds. GVBl 1980, 359), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.09.1989 (Nds. GVBl. S. 345). Danach ist Voraussetzung für die Widmung einer nicht im Eigentum des Landes oder einer sonstigen Gebietskörperschaft stehenden Straße für den öffentlichen Verkehr, dass der Träger der Straßenbaulast Eigentümer des der Straße dienenden Grundstücks ist oder der Eigentümer und ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt haben oder der Träger der Straßenbaulast den Besitz durch Vertrag, durch Einweisung nach § 41a NStrG oder in einem sonstigen gesetzlich geregelten Verfahren erlangt hat.
Die streitgegenständliche Widmung erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die nach § 6 Abs. 2 NStrG erforderliche Zustimmung der Klägerin als Eigentümerin des Flurstücks ... der Flur ..., Gemarkung F., lag zu keinem Zeitpunkt vor. Außergerichtliche Verhandlungen über die Erteilung der Zustimmung scheiterten vor und nach Bekanntgabe der Widmung.
1. Dieser rechtliche Mangel der Widmungsverfügung ist im vorliegenden Fall als besonders schwerwiegend i.S.v. § 44 Abs. 1 VwVfG zu beurteilen.
Ein Rechtsfehler gilt dann als besonders schwerwiegend, wenn er von solchem Gewicht und solcher Bedeutung ist, dass er mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar ist (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. A., § 44 Rn. 103). Hierfür genügt ein bloßer Verstoß auch gegen Rechtsnormen von herausragender Bedeutung wie die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG nicht, weil Art. 20 Abs. 3 GG keine Fehlerfolge normiert, sondern sich diese nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz richtet (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1983 - 8 C 174.81 - NJW 1984, 2113, 2114 [BVerwG 21.10.1983 - BVerwG 8 C 174.81]). Der Fehler muss schlechthin unerträglich für die Rechtsordnung sein und die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem solchem Maß verletzen, dass der Verwaltungsakt keine Geltung beanspruchen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.07.1970 - VIII C 23/68 - NJW 1971, 578; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.1985 - 7 B 22/85 - OVGE 39, 370, 371 f.; OVG Lüneburg, Urt. v. 12.09.1997 - 1 L 5585/96 - NJW 1998, 1168, 1169; OVG Berlin, Beschl. v. 28.10.1999 - 2 N 9/99 - NVwZ-RR 2000, 649; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O, § 44 Rn. 104 m.w.N.).
Ob bereits die fehlende Zustimmung des Grundstückseigentümers dazu führt, dass ein schwerwiegender Fehler der Widmung vorliegt, wird nicht einheitlich beurteilt (für Nichtigkeit: Zippelius, DÖV 1958, 838 ff.; Groebe, BayVBl 1959, 181; Zeitler, in: ders., Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 6 BayStrWG, Rn. 33; für bloße Anfechtbarkeit: OVG Berlin, Urt. v. 06.05.1977 - II B 124.75 - BauR 1977, 416; Wendrich, Niedersächsisches Straßengesetz, § 6, Rn. 6; Prandl/Gillesen Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 6, Anm. 4; Nedden, in: Bartelsperger/Blümel/Schroeter, Ein Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, S, 74; Grupp, in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, § 2 Rn. 35; Krämer, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, Kap. 7, Rn. 18.52; gegen Nichtigkeit im Falle der gutgläubigen Annahme, die Zustimmung sei erteilt und bei der Überzeugung, rechtmäßig zu handeln, BGH, Urt. v.12.07.1967 - V ZR 61/64 - BGHZ 48, 239; BayObLG, Urt. v. 05.05.1961 - BWReg 4 St 87/1960 - DÖV 1961, 832). Jedenfalls für den Fall der bewusst rechtswidrig ohne Zustimmung des Eigentümers vorgenommenen Widmung - wie hier - ist von einem gravierenden Fehler auszugehen:
Die ohne Zustimmung erfolgende Widmung stellt einen erheblichen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht des Grundstückseigentümers ausArt. 14 Abs. 1 GG dar, die einem enteignungsgleichen Eingriff ähnlich ist (vgl. Zeitler, a.a.O., Art. 6 BayStrWG, Rn. 33). Mit der Widmung eines Grundstücks bzw. von Teilen eines Grundstücks zum öffentlichen Gebrauch wird die Verfügungsmacht des Eigentümers über dieses Grundstück bzw. die von der Widmung umfassten Grundstücksteile faktisch aufgehoben. Die öffentliche Widmung bewirkt, dass die gewidmete Sache in den Gemeingebrauch überführt wird. Der Eigentümer kann die gewidmete Sache weder herausverlangen, noch die Freistellung von der Nutzung, die die Widmung vorsieht, durchsetzen. Darüber hinaus hat er alle Maßnahmen zu dulden, die die Gesetze der öffentlichen Sachherrschaft zuordnen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2007 - 12 ME 95/07 - NJOZ 2007, 1742, 1747, mit Verweis auf Krämer, in: Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl. 1999, Kap. 5 Rn. 23.1, 26.4). Deshalb setzt § 6 Abs. 2 NStrG die Zustimmung des Eigentümers oder sonst dinglich Berechtigten zu der Widmung voraus. Eine in Kenntnis der fehlenden Zustimmung erfolgte Widmung umgeht zudem den Werterhaltungsanspruch des Grundstückseigentümers (vgl. §§ 13, 42 Abs. 4 NStrG i.V.m. §§ 11 ff. NEG). Lässt sich die Zustimmung des Grundstückseigentümers zur Widmung über einen längeren Zeitraum nicht erreichen, kann die Behörde gem. § 13 Abs. 1 S. 2 NStrG nach Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren den Weg des Enteignungsverfahrens beschreiten, das die Gewährung einer angemessenen Entschädigung vorsieht. Der vorsätzliche faktische Entzug einer Eigentumsposition unter Umgehung des Enteignungsverfahrens ist ein besonders schwerwiegender Fehler, der eine Willkürmaßnahme darstellt (vgl. zur Nichtigkeit von willkürlichen Maßnahmen: Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 44 Rn. 106 m.w.N.).
Den handelnden Amtswaltern der Beklagten war die Rechtswidrigkeit ihres Handelns bewusst. Bereits in der Ratsvorlage wurden die Mitglieder des Rates der Beklagten über die mangelnde Zustimmung der Eigentümerin des zu widmenden Flurstücks und die sich daraus ergebende Rechtswidrigkeit einer Widmung im Unklaren gelassen. Im Anschluss an den Ratsbeschluss vom 15.02.2001 wurde die öffentliche Bekanntmachung vier Jahre lang hinausgezögert, bevor die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten dann - in voller Kenntnis der Rechtswidrigkeit ihres Handelns - die Widmung bekanntmachten und damit deren Wirksamkeit im Außenverhältnis herbeiführten. Bereits in einem internen Vermerk vom 02.10.2001 wird darauf hingewiesen, dass die Widmung rechtswidrig sei, da keine Zustimmung der Klägerin vorliege. In dem Vermerk heißt es u.a., dass das"... Verfahren der Widmung natürlich fortgesetzt werden (könnte) mit der öffentlichen Bekanntmachung mit dem Versuch, die Widmung erfolgreich "im kalten Wege" zu erreichen. (...) Natürlich wäre es auch möglich, dass Herr [S...] die öffentliche Bekanntmachung nicht sieht. Dann würde der rechtswidrige Verwaltungsakt nach einem Jahr Bestandskraft erlangen. Ich würde von diesem Weg dringend abraten." (Bl. 59. d. Beiakte A). Nachdem die Einigungsbemühungen mit der Klägerin gescheitert waren, entschied die Bürgermeisterin der Beklagten, "... öffentliche Bekanntmachung veröffentlichen und Reaktion von Frau K. abwarten!" (Vfg. vom 16.02.2005, Bl. 76 d. Beiakte A). Diese Entscheidung basierte auf der Empfehlung der Bauverwaltung der Beklagten vom 04.02.2005: "Der Unterzeichner sieht im Moment keine Möglichkeit, sowohl mit Frau [K...] als auch insbesondere mit Frau [B...] (wer sie kennt, weiß das) eine realistische Regelungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 2 NStrG im Sinne der Stadt zu erreichen. Sofern Frau [K...] bis zum 21.08.2005 ihre konkreten Konditionen für den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung nicht mitgeteilt haben sollte, beabsichtigt der Unterzeichner, nach Ablauf dieser Erklärungsfrist die Widmung auf Grundlage des vorliegenden Ratsbeschlusses vom 15.02.2001 öffentlich bekannt zu machen und dann abzuwarten, ob innerhalb der Rechtsbehelfsfrist sowohl von Frau [K...] als auch von Frau [B...] Widersprüche eingehen werden. Sofern ja, muss dann eben neu entschieden werden, wie hinsichtlich dieser eventuellen Widersprüche verfahren wird" (Bl. 78 d. Beiakte A).
2. Die besondere Schwere des Fehlers ist auch offensichtlich i.S.v. § 1 NVwVfG i.V.m. § 44 Abs. 1 VwVfG.
Der Fehler selbst und seine besondere Schwere müssen "evident" sein (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 44, Rn. 123). Dies ist der Fall, wenn die schwere Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts für einen unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist und sich geradezu aufdrängt (OVG Lüneburg, Urt. v. 11.06.1985 - 9 A 5/82 - DÖV 1986, 382 [OVG Niedersachsen 11.06.1985 - 9 A 5/82]; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 13. A., § 44 Rn. 12). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Beklagte hat - wie dargelegt - in voller Kenntnis der Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens gehandelt, um unter Missbrauch der Regelungen über die Bestandskraft von Verwaltungsakten und Umgehung der gesetzlichen Regelungen des Straßengesetzes die Klägerin faktisch entschädigungslos zu enteignen. Ein derartig gravierender Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten keinesfalls akzeptabel, auch wenn der Gesetzgeber bisher - anders als für die richterliche Tätigkeit (vgl. § 339 StGB) - keinen Straftatbestand geschaffen hat, der vorsätzlich rechtswidriges Handeln von öffentlich Bediensteten in Ausübung ihres Amtes unter Strafe stellt. Er ist jedenfalls als so schwerwiegend zu bewerten, dass er die Rechtfolge der Nichtigkeit auslöst.
Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob der dolos rechtswidrig erlassene Verwaltungsakt, der außerhalb des gesetzlichen Enteignungsverfahrens in das private Eigentum eines Bürgers eingreift, gegen die guten Sitten verstößt und bereits deshalb gem. § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG nichtig ist (vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 44 Rn. 47).