Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.09.2012, Az.: 5 LA 247/11

Notwendigkeit eines postoperativen Eintritts des Verlustes der Zeugungsfähigkeit für die Übernahme der Kosten der Aufbewahrung präoperativ konservierter Samenzellen als Leistung der Heilfürsorge

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.09.2012
Aktenzeichen
5 LA 247/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 22912
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0910.5LA247.11.0A

Fundstelle

  • ZBR 2012, 396

Amtlicher Leitsatz

Die Übernahme der Kosten für die weitere Aufbewahrung präoperativ konservierter Samenzellen als Leistung der Heilfürsorge setzt jedenfalls voraus, dass postoperativ ein Verlust der Zeugungsfähigkeit eingetreten ist. Erektionsstörungen reichen hierfür nicht aus.

Gründe

1

Der Kläger ist Polizeibeamter im Dienst des Landes Niedersachsen und begehrt nach einer radikalen Prostatektomie die Übernahme der Kosten für die weitere Aufbewahrung kryokonservierter Samenzellen als Leistung der Heilfürsorge.

2

Einen entsprechenden Antrag lehnte die Beklagte zunächst ab. Auf den Widerspruch des Klägers übernahm die Beklagte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht die Kosten für die Gewinnung, Aufbereitung und Konservierung der Samenzellen und das erste Jahr ihrer Aufbewahrung. Die Übernahme der Kosten für die weitere Aufbewahrung lehnte die Beklagte ab.

3

Die Klage wies das Verwaltungsgericht nach Erlass eines Gerichtsbescheids durch Urteil ab. Die Aufbewahrung von Samenzellen sei weder Heil- noch Hilfsmittel. Auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Beihilfesachen lasse sich ein entsprechender Anspruch des Klägers nicht herleiten. Die langfristige Lagerung stehe in keinem direkten Zusammenhang mehr zu der erfolgten Heilbehandlung. Dem Kläger sei auch wirtschaftlich zumutbar, die Kosten selbst zu tragen.

4

Hiergegen wendet sich der Kläger mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht.

5

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, denn die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

6

1. Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

7

Ernstliche Zweifel sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

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Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger hat keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.

9

Der Einwand des Klägers, die Beklagte müsse die Aufwendungen für die dauerhafte Lagerung der kryokonservierten Samenzellen schon deshalb übernehmen, weil sie die Kosten für deren Gewinnung, Aufbereitung und erstmalige Einlagerung übernommen habe, geht fehl. Eine entsprechende Selbstbindung der Beklagten scheidet aus, weil die Beklagte die Kosten ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernommen hat.

10

Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Beihilfesachen. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Kosten für die Gewinnung, Aufbereitung und erstmalige Einlagerung von Samenzellen als Maßnahmen zur Wiedererlangung der Gesundheit des Patienten und dem Ausgleich erworbener körperlicher Beeinträchtigungen beihilfefähig sein können. Einem entsprechenden Anspruch stehe auch nicht entgegen, dass im dortigen Fall bei Entnahme der Samenzellen die Zeugungsfähigkeit des Patienten noch bestand und noch nicht absehbar war, ob sie durch die Operation oder die eventuell erforderlich werdende nachfolgende Chemotherapie beeinträchtigt oder ganz beseitigt würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.11.2006 - BVerwG 2 C 11.06 -, [...]).

11

Daraus ergibt sich aber nicht der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch. Während die Einlagerung der Samenzellen vor einem die Zeugungsfähigkeit potentiell gefährdenden Eingriff der Abwendung eines nach ärztlicher Erfahrung drohenden Risikos droht, bedarf es nach der Operation einer dauernden Aufbewahrung der Samenzellen nur, wenn der als Folge des Eingriffs befürchtete Verlust der Zeugungsfähigkeit tatsächlich eingetreten ist. Nur dann kann deshalb die weitere Aufbewahrung der Samenzellen eine Linderung krankheitsbedingter körperlicher Beeinträchtigung darstellen, deren Kosten als Leistung der Beihilfe oder Heilfürsorge übernommen werden könnten. Ist dagegen infolge der Operation kein Verlust der Zeugungsfähigkeit eingetreten, mag es zwar im Zuge einer umsichtigen Familienplanung sinnvoll und naheliegend sein, die einmal gewonnenen Samenzellen weiter aufzubewahren. Dies dient dann jedoch nicht der Linderung krankheitsbedingter körperlicher Beeinträchtigungen, sondern der allgemeinen Vorsorge gegenüber einem späteren Verlust der Zeugungsfähigkeit aus anderen Gründen.

12

Dass der Kläger infolge der bei ihm durchgeführten Prostatektomie seine Zeugungsfähigkeit dauerhaft verloren hat, ist weder mit dem Zulassungsvorbringen dargelegt noch sonst ersichtlich. Soweit der Kläger anführt, an einer Azoospermie zu leiden, ist sein Vorbringen so unsubstantiiert wie unerheblich. Der hierzu vorgelegte Laborbogen vom 8. Mai 2009 stellt schon keine ärztliche Diagnose einer Azoospermie dar, sondern bescheinigt lediglich Laborbefunde, die ohne ärztliche Interpretation keine Aussage über einen etwaigen Krankheitswert treffen. Insbesondere wäre erläuterungsbedürftig, ob der geringe Anteil motiler Spermatozoen durch die überdurchschnittlich hohe Anzahl an Spermatozoen im Ejakulat des Klägers kompensiert wird. Vor allem aber betrifft der vorgelegte Laborbogen augenscheinlich genau diejenige Spermienprobe, die der Kläger vor der Operation zur Sicherung seiner Familienplanung hat konservieren lassen. Daraus folgt zum einen, dass jedenfalls die begutachteten Spermien grundsätzlich zur künstlichen Befruchtung geeignet sein dürften; zum anderen ergibt sich aus einem vor der Operation angefertigten Spermiogramm gerade nicht der Verlust der Zeugungsfähigkeit durch die Operation.

13

Ein postoperativ erstelltes Spermiogramm hat der Kläger ebenso wenig vorgelegt wie eine ärztliche Bescheinigung darüber, dass die Gewinnung untersuchungsfähiger Spermien nicht mehr möglich wäre. Das vorgelegte Attest des Urologen Dr. B. vom 17. November 2009 verhält sich lediglich zu einer medikamentös behandelten erektilen Dysfunktion. Darin liegt keine Aussage über die Fähigkeit des Klägers, Spermien zu produzieren, die zum Zwecke einer künstlichen Befruchtung erforderlichenfalls auch direkt aus dem Hoden entnommen werden könnten.

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2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

15

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die in diesem Sinne zu verstehende grundsätzliche Bedeutung muss durch die Formulierung mindestens einer konkreten, sich aus dem Verwaltungsrechtsstreit ergebenden Frage dargelegt werden. Dabei ist substantiiert zu begründen, warum die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig gehalten wird, das heißt worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll, weshalb die Frage entscheidungserheblich und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, Rn. 54 zu § 124 a).

16

Zwar könnte der Frage, ob der Anspruch auf Heilfürsorge bei einem operationsbedingten Verlust der Zeugungsfähigkeit die Aufwendungen für die weitere Aufbewahrung präoperativ konservierter Samenzellen als Minderung der Krankheitsfolgen umfassen kann, grundsätzliche Bedeutung zukommen. Der Fall des Klägers wirft diese Frage jedoch nicht auf, weil schon der postoperative Verlust der Zeugungsfähigkeit - wie ausgeführt - weder dargelegt noch ersichtlich ist.

17

3. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).