Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.09.2012, Az.: 4 LA 181/11
Zulassung der Berufung im Zusammenhang mit einem Streit über die Angliederung eines Grundstückes an einen Eigenjagdbezirk unter dem Blickwinkel der Europäischen Menschenrechtskonvention
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.09.2012
- Aktenzeichen
- 4 LA 181/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 22932
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0904.4LA181.11.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerfG - 27.07.2015 - AZ: 1 BvR 2095/12
Rechtsgrundlagen
- § 11 Nr. 2 VwVfG
- § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
- § 6 BJagdG
Fundstelle
- NordÖR 2012, 552-554
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zur Vereinbarkeit einer jagdrechtlichen Angliederungsverfügung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.
- 2.
Eine jagdrechtliche Angliederungsverfügung ist nicht an die Erbengemeinschaft als solche, sondern an ihre Mitglieder zu richten.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine gegen die Angliederung eines in seinem Miteigentum stehenden Grundstücks an den Eigenjagdbezirk der Beigeladenen durch die Verfügung des Beklagten vom 20. März 2009 gerichtete Klage abgewiesen hat, hat keinen Erfolg.
Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.
Entgegen der Annahme des Klägers ergeben sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht die genannte Verfügung des Beklagten und die dieser zu Grunde liegenden jagdrechtlichen Vorschriften als mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar angesehen hat.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - Große Kammer - hat in seinem Urteil vom 26. Juni 2012 (9300/07) festgestellt, dass für die Eigentümer, die die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen, die Verpflichtung, die Jagd auf ihren Grundstücken zu dulden, geeignet ist, den zwischen dem Schutz des Eigentumsrechts und den Erfordernissen des Allgemeininteresses herbeizuführenden gerechten Ausgleich zu stören, und eine unverhältnismäßige Belastung darstellt, die Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt.
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Denn der Kläger lehnt die Angliederung seines Grundstückes an den Eigenjagdbezirk der Beigeladenen nicht aus ethischen Gründen ab, sondern aus Gründen der Sicherheit der sich auf dem Grundstück aufhaltenden Menschen und der im Nordosten des 6,8444 ha großen Grundstücks stehenden zwei Häuser und nach seinem Vorbringen zur Begründung des Zulassungsantrages ferner im Hinblick darauf, dass "das Vertrauensverhältnis zur Person des Jägers" für ihn von "größter Wichtigkeit" sei, er auch bestimmen wolle, wer auf seinem Grundstück die Jagd durchführe, das "Vertrauensverhältnis" zu der Beigeladenen aber gestört sei. Hinsichtlich dieser von dem Kläger geltend gemachten Belange ist weder ein Verstoß gegen das deutsche Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention ersichtlich, soweit der Beklagte das Grundstück des Klägers unter Berücksichtigung des "Störungs- und Gefährdungssachverhalts" mit der Verfügung vom 20. März 2009 an den Eigenjagdbezirk der Beigeladenen angegliedert hat. Es bestehen insofern insbesondere keine Anhaltspunkte, aus denen sich ergeben könnte, dass der Grundstückseigentümer bestimmen können muss, wer auf seinem Grundstück die öffentlichen Belange der Hege des Wildes und einer gewissenhaften Bejagung wahrnimmt.
Entgegen der Auffassung des Klägers hätte die an ihn und die Beigeladene gerichtete Angliederungsverfügung des Beklagten vom 20. März 2009 auch nicht gegenüber der Erbengemeinschaft, zu der der Kläger gehört, erlassen werden müssen.
Nach § 11 Nr. 2 VwVfG sind Vereinigungen, d.h. Personenmehrheiten, die nicht selbst rechtsfähig sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 11 Rn. 9), fähig, am Verwaltungsverfahren beteiligt zu sein, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Es kommt insofern darauf an, ob das in Frage stehende Recht der Vereinigung als solcher zukommt (Knack, VwVfG, § 11 Rn. 10; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 11 Rn. 9).
Eine Erbengemeinschaft besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit und ist grundsätzlich weder rechts- noch parteifähig (BGH, Urteil vom 11.9.2002 - XII ZR 187/00 -, NJW 2002, 3389; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1.7.2008 - 4 O 305/08 -, NVwZ-RR 2008, 748; Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 2032 Rn. 1; Palandt,BGB, Einf. v. § 2032 Rn. 1). Folglich ist die Erbengemeinschaft als solche in der Regel auch nicht fähig, am Verwaltungsverfahren beteiligt zu sein. Es genügt insoweit auch nicht, dass das durch eine Verfügung betroffene Eigentumsrecht sämtlichen Mitgliedern der Erbengemeinschaft zusteht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 11 Rn. 9, und Knack, VwVfG, § 11 Rn. 10, zu dem Fall der Enteignung eines Grundstücks). Zielt das Verwaltungsverfahren jedoch auf ein Handeln der Erbengemeinschaft, das sich beispielsweise als Verwaltung des Nachlasses gemäß § 2038 BGB darstellt, so steht der Erbengemeinschaft als solcher das dadurch betroffene Recht zu, ist sie insoweit gemäß § 11 Nr. 2 VwVfG beteiligungsfähig und ist ein entsprechender Verwaltungsakt an die Erbengemeinschaft zu richten (Knack, VwVfG, § 11 Rn. 10). Hier geht es allerdings nicht um Maßnahmen der Erbengemeinschaft bzw. um Rechte, die der Erbengemeinschaft als solcher zustehen, sondern um das Miteigentumsrecht des Klägers und der anderen Mitglieder der Erbengemeinschaft, das durch die Angliederungsverfügung des Beklagten berührt ist. Die Angliederungsverfügung des Beklagten vom 20. März 2009 ist daher zu Recht nicht an die Erbengemeinschaft als solche, sondern an den Kläger als eines der Mitglieder der Erbengemeinschaft gerichtet worden.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Verfügung ist es entgegen der Meinung des Klägers ferner unerheblich, dass nach seinem Vorbringen zur Begründung des Zulassungsantrages noch nicht alle Mitglieder der Erbengemeinschaft einen entsprechenden Bescheid erhalten haben und die Angliederung des Grundstücks an den Eigenjagdbezirk der Beigeladenen daher noch nicht wirksam geworden ist. Soweit der Kläger diesbezüglich behauptet, dass der Rechtsschutz der übrigen Mitglieder der Erbengemeinschaft durch diese Verfahrensweise verkürzt werde, ist der Kläger nicht in eigenen Rechten berührt und ist dieser Vortrag im Übrigen auch unzutreffend, da die anderen Mitglieder der Erbengemeinschaft in ihren Rechten nicht betroffen sind, solange sie noch nicht eine entsprechende Verfügung des Beklagten erhalten haben, und sie nach deren Erhalt ebenso wie der Kläger gegen diese vorgehen können, ohne in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten eingeschränkt zu sein.
Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Verwaltungsgericht seine Sicherheitsbedenken zutreffend berücksichtigt. Denn allein daraus, dass sich auf dem überwiegend bewaldeten, 6,8444 ha großen Grundstück im Nordosten zwei Häuser befinden, die mit ihren Gärten als befriedete Bezirke im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 NJagdG gemäß § 6 BJagdG von der Jagd ausgenommen sind, und sich dort Erholungssuchende aufhalten, auf die bei der Jagdausübung wie in jedem Waldgebiet, das (auch) Erholungszwecken dient, Rücksicht zu nehmen ist, ergibt sich ebenso wenig wie aus dem Umstand, dass das Vertrauensverhältnis des Klägers zu der Beigeladenen gestört sein soll, ein Gesichtspunkt, der der Eingliederung des Grundstückes an den Eigenjagdbezirk der Beigeladenen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die Jagdausübung und der Hege des Wildes zu einer erheblich verbesserten Grenzziehung führt, entgegenstehen und die von dem Beklagten getroffene Entscheidung als ermessensfehlerhaft darstellen könnte. Entgegen dem nicht weiter begründeten Einwand des Klägers ist angesichts des insoweit klaren Sachverhalts auch kein Grund ersichtlich, der das Verwaltungsgericht hätte veranlassen müssen, eine Inaugenscheinnahme des Grundstücks durchzuführen. Auch unter diesen Gesichtspunkten bestehen daher keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor, da die hier entscheidungserheblichen Fragen nach dem oben Gesagten ohne besondere, d.h. überdurchschnittliche Schwierigkeiten beantwortet werden können.
Die Berufung kann auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7.4.2011 - 4 LA 98/10 -, 8.10.2009 - 4 LA 234/09 - und 24.2.2009 - 4 LA 798/07 -; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 Rn. 30 ff. m.w.N.). Daher ist die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 a Rn. 103 ff. m.w.N.).
Die von dem Kläger zur Begründung dieses Zulassungsgrundes angeführte Frage, "ob durch eine jagdrechtliche Angliederungsverfügung und dem damit verbundenen Jagdzwang das durch Art. 1 Zusatzprotokoll EMRK geschützte Eigentumsrecht der Grundstückseigentümer verletzt wird", ist durch das oben wieder gegebene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geklärt und verleiht der Rechtssache daher keine grundsätzliche Bedeutung.
Die weitere, von dem Kläger angeführte Frage, "ob ein belastender Verwaltungsakt, der sich auf ein Grundstück bezieht, einheitlich gegenüber der Erbengemeinschaft erlassen werden muss, der das Grundstück gehört, oder ob der Verwaltungsakt auch an ein Mitglied der Erbengemeinschaft persönlich gerichtet sein kann, wenn dieser nicht als Vertreter der Erbengemeinschaft auftritt", ist in dieser Form nicht entscheidungserheblich, da diese Frage nach dem oben Gesagten nicht einheitlich für sämtliche belastenden Verwaltungsakte, die sich auf ein Grundstück beziehen, entschieden werden kann. Denn nach § 11 Nr. 2 VwVfG ist maßgeblich, ob durch den jeweiligen Verwaltungsakt ein Recht betroffen ist, das der Erbengemeinschaft als solcher zustehen kann. Es stellt sich hier deshalb allein die Frage, ob eine jagdrechtliche Angliederungsverfügung an die Erbengemeinschaft als solche zu richten ist. Diese Frage ist nach dem oben Gesagten zu verneinen.
Der Kläger hat daher mit den von ihm angeführten Fragen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt.
Schließlich liegt auch ein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht vor. Insoweit kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 2011 gestellten und möglicherweise nach § 94 VwGO analog zu beurteilenden Aussetzungsantrag des Klägers (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 94 Rn. 4a) ermessensfehlerhaft abgelehnt hat, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts jedenfalls nicht hierauf beruhen kann. Denn das inzwischen vorliegende Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dem Verfahren 9300/07, bis zu deren Entscheidung der Kläger die Aussetzung des erstinstanzlichen Verfahrens beantragt hatte, enthält nach dem oben Gesagten keine Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung des Verwaltungsgerichts hätten begründen können.