Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.01.2009, Az.: 9 LA 212/06

Außenbereichsgrundstück; Bebauungszusammenhang; Gebührenpflicht; Ortslage, geschlossene; Straßenreinigung; Straßenreinigungsgebührenpflicht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.01.2009
Aktenzeichen
9 LA 212/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 45284
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2009:0105.9LA212.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg/Oldenburg - 27.04.2006 - AZ: 2 A 3050/03

Fundstellen

  • FStNds 2009, 228-231
  • NdsVBl 2009, 169-170
  • ZKF 2009, 188-190

Amtlicher Leitsatz

Das Vorliegen einer geschlossenen Ortslage ist anhand einer weiträumigen Betrachtungsweise, bei der den gröberen Umrissen des Bebauungsbereichs das freie Gelände gegenüberzustellen ist, zu beurteilen.

Für die Straßenreinigungsgebührenpflicht ist der Verlauf der Straße (und nicht die Lage des Grundstücks) innerhalb der geschlossenen Ortslage maßgebend.

Gründe

1

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass die Beklagte sie für ihr 3,4 ha umfassendes, unbebautes und landwirtschaftlich genutztes Grundstück zu einer Straßenreinigungsgebühr in Höhe von 246,10 EUR herangezogen hat. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage mit der Begründung abgewiesen, ihre Gebührenpflicht ergebe sich daraus, dass sich ihr Grundstück innerhalb der geschlossenen Ortslage befinde. Mit ihrem dagegen gerichteten und (jedenfalls sinngemäß) auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin geltend:

2

Ihr Grundstück sei Teil des - aus dem bebauten Bereich vollständig herausfallenden - Landschaftsschutzgebietes "C.". Dieses Gebiet sei die "grüne Lunge" von D.-E. und präge das Landschaftsbild vielfältig. Ein solcher Bereich könne - wie landwirtschaftlich genutzte Grundstücke im allgemeinen - nicht zur geschlossenen Ortslage gehören. Ihr Grundstück setze sich bereits von der straßenbaulichen Konzeption her (Hochbord nur auf der gegenüberliegenden Seite) von dem bebauten Bereich auf der anderen Straßenseite ab. Die gegenüberliegende bebaute Straßenseite bilde zusammen mit der Straße die geschlossene Ortslage, die vor ihrem Grundstück ende.

3

Die Beklagte hat die festgesetzte Straßenreinigungsgebühr während des Zulassungsverfahrens auf 124,12 EUR herabgesetzt und den Rechtsstreit hinsichtlich des Differenzbetrages von 121,98 EUR für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Klägerin hat sich trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderungen nicht der Erledigungserklärung angeschlossen.

4

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Dem Rechtsschutzbegehren der Klägerin fehlt das für die Zulässigkeit erforderliche Rechtsschutzinteresse, soweit sich das Begehren weiterhin gegen die - von der Beklagten bereits aufgehobene - Heranziehung zu einer Straßenreinigungsgebühr von mehr als 124,12 EUR richtet. Hinsichtlich der noch festgesetzten 124,12 EUR ist der Antrag auf Zulassung der Berufung unbegründet, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils insoweit nicht bestehen. Die Heranziehung der Klägerin zu einer Straßenreinigungsgebühr in dieser Höhe begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken:

5

Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 NStrG sind "die Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage" zu reinigen. Für die gereinigten Straßen gelten nach § 52 Abs. 3 Satz 1 NStrG "die Eigentümer der anliegenden Grundstücke als Benutzer einer öffentlichen Einrichtung im Sinne des kommunalen Abgabenrechts". Maßgeblich für die Straßenreinigungsgebührenpflicht ist also, dass die Straße (nicht das herangezogene Grundstück) innerhalb der geschlossenen Ortslage liegt. Ist dies der Fall, besteht nach der Legaldefinition in § 52 Abs. 3 Satz 1 NStrG für alle anliegenden Grundstücke grundsätzlich eine Verpflichtung zur Zahlung von Straßenreinigungsgebühren, und zwar selbst dann, wenn es sich bei ihnen um landwirtschaftlich genutzte Außenbereichsgrundstücke handelt (so z.B. Beschl.d. Sen. v. 29.10.2007 - 9 LA 373/05 -). Wegen der Notwendigkeit, für die Gebührenpflicht auf die Lage der Straße und nicht des herangezogenen Grundstücks abzustellen, spricht die Argumentation der Klägerin, derzufolge die vor ihrem Grundstück gereinigte Straße sowie die gegenüberliegende Straßenseite, nicht aber ihr Grundstück zur geschlossenen Ortslage gehörten, schon vom Ansatz her nicht gegen, sondern gerade für ihre Pflicht zur Entrichtung von Straßenreinigungsgebühren.

6

Die Prüfung des Vorhandenseins einer geschlossenen Ortslage muss somit von der Straße her ansetzen und in diesem Rahmen auch die in der Nähe befindliche Bebauung berücksichtigen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 3. April 1981 (4 C 41.77, BVerwGE 62, 143 ) insoweit ausgeführt:

7

Bei einem solchen Ansatz ergibt sich die Feststellung des erforderlichen Bebauungszusammenhangs im Allgemeinen schon aus der einfachen Gegenüberstellung des örtlichen Bereichs baulicher oder gewerblicher Nutzung und des davon freien, zumeist der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung dienenden Geländes. Typisch ist dafür nicht nur die Situation, dass die bisher auf freier Strecke verlaufende Bundesstraße auf die örtliche (Anlieger-)Bebauung stößt, von ihr im Ortsbereich durchgehend begleitet wird und am Ende des Ortes wieder in das freie Gelände hinaustritt. "Innerhalb der geschlossenen Ortslage" verläuft die Bundesstraße vielmehr auch dann, wenn sie nach bisher freier Strecke in einem weitläufigeren Rahmen von der örtlichen Bebauung umschlossen wird, sofern nur der Unterschied zum Verlauf im freien unbebauten Gelände deutlich wird. In solchen Fällen sind die Grenzen der Ortsdurchfahrt regelmäßig nach den gröberen Umrissen des örtlichen Bebauungsbereichs zu bestimmen, wo er sich gegenüber dem "freien Gelände" absetzt. ...

8

Demgegenüber ist es nicht von maßgeblicher Bedeutung, dass die Bebauung in Höhe des hier umstrittenen Teilstücks stärker aufgelockert ist als an anderen Stellen der Ortsdurchfahrt und dass insofern vor allem im Süden des Teilstücks und beiderseits der Straße auch größere unbebaute Flächen vorhanden sind. Auf diese Einzelheiten kommt es nicht an, wenn sich Beginn und Ende der Ortsdurchfahrt - wie dargelegt - in einem größeren Rahmen dadurch abzeichnen, dass der örtliche Bebauungsbereich sich in seiner Gesamtheit deutlich gegenüber dem freien Gelände absetzt. Durch diesen äußeren Rahmen sind Beginn und Ende der Ortsdurchfahrt festgelegt, so dass nicht noch innerhalb der Gesamtstrecke diese und jene Teilstrecke auf ihre Qualität als Ortsdurchfahrt überprüft werden müsste. Das entspricht dem Sinn des Gesetzes, die Unterhaltungslast zwischen Staat und Gemeinde in einfacher, klarer und praktikabler Weise zu verteilen. Wollte man innerhalb des bebauten Gemeindegebietes auf Besonderheiten einzelner Teilstrecken abstellen, so liefe das auf eine Aufstückelung der Ortsdurchfahrt in einzelne Abschnitte hinaus mit entsprechend wechselnden Trägern der Straßenbaulast und den daraus folgenden verwaltungspraktischen, technischen und finanziellen Komplikationen. Das kann nicht Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sein. Wie auch § 5 Abs. 4 Satz 3 FStrG zum Ausdruck bringt, sollen sich, was den Bebauungszusammenhang angeht, keine Unterbrechungen der Ortsdurchfahrt durch einzelne unbebaute Grundstücke, unbebaubares Gelände oder (nur) einseitige Bebauung ergeben. Diese Regelung dient offensichtlich dazu, in Situationen der bezeichneten Art Aufstückelungen und Abschnittsbildungen innerhalb der Gesamtstrecke einer Ortsdurchfahrt zu vermeiden, um nicht die Unterhaltungslast entsprechend zu zerstückeln. Dadurch ist - ebenso wie durch die pauschale Abgrenzung nach einer bestimmten Einwohnerzahl (vgl. § 5 Abs. 2 FStrG) - zum Ausdruck gebracht worden, dass der Gesetzgeber die Verteilung der Straßenbaulast nicht so sehr bis in die letzten Einzelheiten "gerecht", sondern vor allem möglichst klar und eindeutig hat abgrenzen wollen. ...

9

Diese Rechtsprechung, die auch in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 1983 vertreten wird (4 C 10/80 - BVerwGE 67, 79 = NVwZ 1984, 39 = DÖV 1983, 682 [BVerwG 18.03.1983 - 4 C 10.80]), gilt entsprechend für den Begriff der geschlossenen Ortslage im Bereich des niedersächsischen Landesrechts. Auch nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG unterbrechen einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung nicht deren Zusammenhang und heben eine geschlossene Ortslage im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG (der Teil des Gemeindebezirks, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist) daher nicht auf. Damit ist ebenfalls eine weiträumige Betrachtung der gesamten durch die Bebauung geprägten Situation, nicht aber eine isolierte Würdigung einzelner Umstände vorgegeben. Das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 NStrG ergibt sich im Allgemeinen schon aus der einfachen Gegenüberstellung des örtlichen Bereichs baulicher und gewerblicher Nutzung und des davon freien, zumeist der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung dienenden Geländes (vgl. Beschl.d. Sen. v. 29.10.2007 - 9 LA 373/05 -). Die örtliche Bebauung muss sich nur nach den gröberen Umrissen des Bebauungsbereichs gegenüber dem freien Gelände absetzen (vgl. Beschl.d. Sen. v. 20.7.2004 - 9 LA 161/04 - Nds.VBl. 2005, 77 = NVwZ-RR 2005, 61 = NSt-N 2004, 228 = ZKF 2004, 307 [OVG Niedersachsen 20.07.2004 - 9 LA 161/04]; ebenso z.B. Rosenzweig/Freese, NKAG, Stand: August 2007, § 5 Rn. 367).

10

Nach der somit gebotenen weiträumigen und gröberen Betrachtungsweise ist davon auszugehen, dass sowohl die F. Straße als auch der G. - jedenfalls im hier interessierenden Bereich - nicht als Strecken im freien Gelände, sondern als Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage anzusehen sind. Denn die F. Straße ist gegenüber dem Grundstück der Klägerin durchgehend (einseitig), sodann nach Nordwesten hin beidseitig und im weiteren Verlauf wiederum einseitig bebaut und verläuft daher - zumal eine einseitige Bebauung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG den Bebauungszusammenhang nicht unterbricht - durch einen Bereich zusammenhängender Bebauung innerhalb des Gemeindegebiets. Letzteres gilt auch für den G., der gegenüber dem Grundstück der Klägerin nach Nordosten hin ebenfalls (einseitig) bebaut ist und in südwestlicher Richtung - nach einer relativ kurzen unbebauten Teilstrecke - in einen Bereich beidseitiger Bebauung eintritt. Für die Zugehörigkeit beider Straßen zur geschlossenen Ortslage ist es wegen der gebotenen Gesamtbetrachtung (Gegenüberstellung von freiem Gelände und gröberen Umrissen des Bebauungsbereichs) unerheblich, dass an einzelnen Teilstrecken innerhalb der Ortslage von E. Außenbereichsgrundstücke an die Straßen angrenzen.

11

Aus der Zugehörigkeit beider Straßen zur geschlossenen Ortslage folgt, dass die Straßenreinigungspflicht der Beklagten obliegt und die Kosten der Straßenreinigung auf die Eigentümer aller anliegenden Grundstücke - auch solcher, die dem Außenbereich zuzuordnen sind - verteilt werden müssen. Da es auf den Verlauf der Straße (und nicht der Lage des Grundstücks) innerhalb der geschlossenen Ortslage ankommt, ist es für die Gebührenpflicht der Klägerin unerheblich, ob - was sie bestreitet - ihr Grundstück noch zur geschlossenen Ortslage gehört oder sich von der Bebauung auf der gegenüberliegenden Straßenseite deutlich absetzt. Die Auffassung der Klägerin, dass landwirtschaftlich genutzte Grundstücke nicht zur geschlossenen Ortslage gehören könnten, trifft ohnehin nicht zu.