Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.10.2007, Az.: 9 LA 373/05

Bestehen einer Straßenreinigungsgebührenpflicht wegen Lage des Grundstücks an einer durch die geschlossene Ortschaft verlaufenden Straße

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.10.2007
Aktenzeichen
9 LA 373/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 43150
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2007:1029.9LA373.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück 1 A 299/05 vom 22.09.2005

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2008, 566-567 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zum Begriff der geschlossenen Ortslage bei der Heranziehung zu Straßenreinigungsgebühren.

Gründe

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Straßenreinigungsgebühren.

2

Sie ist Eigentümerin des Grundstücks mit der Flurstücksbezeichnung D. der Flur E., Gemarkung F., zur Größe von 57.966 qm, das mit seiner nördlichen Grundstücksgrenze in einer Ausdehnung von ca. 300 m an die "G.straße" angrenzt. Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus und Nebengebäuden bebaut, an die sich westlich und östlich - landwirtschaftlich genutzte - unbebaute Freiflächen anschließen. Bis auf diese Freiflächen ist die "G.straße" beidseitig bebaut. Die "G.straße" wird von der Beklagten gereinigt.

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Mit Bescheid vom 6. Mai 2005 setzte die Beklagte für das Grundstück der Klägerin u. a. Straßenreinigungsgebühren in Höhe von 72,38 EUR fest.

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Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 6. Mai 2005 - soweit gegenüber der Klägerin Straßenreinigungsgebühren erhoben worden sind - mit der Begründung aufgehoben, das Grundstück der Klägerin befinde sich nicht innerhalb der geschlossenen Ortslage. Die Zugehörigkeit des Grundstücks zur geschlossenen Ortslage sei aber Voraussetzung für die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren. Das Grundstück der Klägerin sei als Teil der großen südlich angrenzenden Außenbereichsfläche anzusehen, die mit einer Breite von über 300 m an den im Zusammenhang bebauten Ortsbereich angrenze.

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Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist das Grundstück der Klägerin der Straßenreinigungsgebührenpflicht unterworfen, weil die "G.straße" insgesamt, namentlich auch in Höhe des Grundstücks der Klägerin, innerhalb der geschlossenen Ortschaft verläuft. Diese Gebührenpflicht knüpft an den Verlauf der Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage und nicht an die Lage des Grundstücks innerhalb der geschlossenen Ortslage an. Dies folgt aus der in § 52 Abs. 1 NStrG normierten Reinigungspflicht, wonach Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage zu reinigen sind.

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Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten über die Reinigung der öffentlichen Straßen und über die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren vom 2. November 1999 i. d. F. vom 25. März 2003 wird für die Benutzung der Straßenreinigungsanstalt eine Gebühr erhoben (Straßenreinigungsgebühren), wobei nach § 7 dieser Satzung die Eigentümer von Grundstücken an öffentlichen Straßen, die von der Straßenreinigungsanstalt gereinigt werden, als Benutzer der Straßenreinigungsanstalt im Sinne des Kommunalabgabenrechts gelten. Alle an die Straßenreinigungsanstalt angeschlossenen Grundstücke unterliegen nach § 6 der Satzung dem Benutzungszwang. Nach § 1 der Satzung umfasst das Straßenreinigungsgebiet alle öffentlichen Straßen, Wege und Plätze (§ 2 NStrG) innerhalb der geschlossenen Ortslage (§ 4 Abs. 1 NStrG) einschließlich der Ortsdurchfahrten von Bundes-, Landes- und Kreisstraßen (§ 52 Abs. 1 NStrG) im Gebiet der Beklagten.

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§ 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG und - gleichlautend - § 2 Abs. 5 Satz 1 der Straßenreinigungssatzung der Beklagten definieren die geschlossene Ortslage als den Teil des Gemeindebezirks, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG (ebenso § 2 Abs. 5 Satz 2 Straßenreinigungssatzung) unterbrechen einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung den Zusammenhang nicht. Eine entsprechende Definition ist in § 5 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 FStrG enthalten. Der hiernach im Straßenreinigungsrecht maßgebliche Begriff der geschlossenen Ortslage deckt sich nicht mit dem in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verwendeten Begriff "der im Zusammenhang bebauten Ortsteile". Vielmehr ist auf einen weitläufigen Rahmen örtlicher Bebauung abzustellen, die sich nur nach den gröberen Umrissen des örtlichen Bebauungsbereiches gegenüber dem freien Gelände absetzen muss (Beschluss des Senats vom 20.7.2004 - 9 LA 161/04 - NVwZ-RR 2005, 61 = NdsRpfl 2004, 304 = NdsVBl 2005, 77 = NordÖR 2004, 411). Ob ein Gebiet zusammenhängend bebaut ist, lässt sich nur anhand einer weiträumigen, an objektiven Kriterien ausgerichteten Betrachtung der gesamten durch die Bebauung geprägten Situation in der Umgebung der Straße, nicht aber aufgrund einer isolierten Würdigung einzelner Umstände, wie etwa der einseitigen Bebauung einer Straße, entscheiden (BVerwG, Urteil vom 18.3.1983 - 4 C 10/80 - BVerwGE 67, 79 = NVwZ 1984, 39 = DÖV 1983, 682). § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 NStrG will wie § 5 Abs. 4 Satz 3 FStrG einer großräumigen Sicht gerade für die dort genannten typischen Zweifelsfälle den Weg ebnen: Einseitige Bebauung, ein einzelnes unbebautes Grundstück oder der Bebauung entzogenes Gelände sollen aus einem sonst in der Gesamtsituation sich abzeichnenden Bebauungszusammenhang nicht herausfallen. Das Vorliegen eines Bebauungszusammenhanges im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 NStrG bzw. § 2 Abs. 5 Satz 1 und 2 der Straßenreinigungssatzung ergibt sich im allgemeinen schon aus der einfachen Gegenüberstellung des örtlichen Bereichs baulicher und gewerblicher Nutzung und des davon freien, zumeist der land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung dienenden Geländes (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.3.1983 - 4 C 10/80 - a. a. O.). Entscheidend ist die Sicht von der Straße her mit Blickrichtung auf die sich in der Nähe befindliche Bebauung (BVerwG, Urteil vom 9.4.1981 - 4 C 41/77 - BVerwGE 62, 143 = DÖV 1981, 762; Schlosser in: Marschall/Schroeter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz (FStrG), 5. Aufl. 1998, § 5 Rdnr. 25).

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Beim Abstellen auf diese Maßstäbe kommt der Senat nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass die "G.straße" auf ganzer Länge innerhalb der geschlossenen Ortslage verläuft. Nach dem dem Senat zur Verfügung stehenden Kartenmaterial findet sich an der nördlichen Seite der "G.straße" auf den angrenzenden Grundstücken bis auf eine kleinere Grünfläche, die nach § 2 Abs. 5 Satz 3 der Straßenreinigungssatzung die geschlossene Ortslage nicht unterbricht, nahezu vollständig eine durchgehende Bebauung. Auch die südliche Seite weist bis zur westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks der Klägerin eine durchgehende Bebauung auf. Das Grundstück der Klägerin ist ebenfalls mit einem Wohnhaus und mit einigen landwirtschaftlichen Nebengebäuden bebaut und damit nicht als einzelnes unbebautes Grundstück im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG zu qualifizieren. Aber selbst ein einzelnes unbebautes Grundstück unterbricht den Bebauungszusammenhang nach der ausdrücklichen Wertung des Gesetzgebers nicht. Der hier festzustellende Bebauungszusammenhang wird auch nicht in Frage gestellt, wenn man die entlang der "G.straße" auf dem Grundstück der Klägerin befindlichen unbebauten Freiflächen wie das gesamte Grundstück dem Außenbereich zuordnet. Denn nach der ausdrücklichen Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 NStrG unterbricht ein Gelände, das - unter der Annahme der Lage im Außenbereich - der Bebauung entzogen ist, den Bebauungszusammenhang ebenfalls nicht. Dass das Grundstück der Klägerin sich weiter nach Süden in erheblicher Tiefe in den Außenbereich erstreckt, bleibt ohne Auswirkungen auf den Bebauungszusammenhang im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 NStrG. Denn maßgeblich ist, wie sich das Grundstück in Bezug auf die Straße darstellt, die zur Begründung der Straßenreinigungs- und damit der Gebührenpflicht der Eigentümer der anliegenden Grundstücke in der geschlossenen Ortslage liegen muss. Dafür sind regelmäßig in erster Linie die Teilflächen entlang der Straße in hinreichender Nähe zur Streckenführung (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.4.1981 - 4 C 41/77 - a. a. O.) von ausschlaggebender Bedeutung, nicht aber die Ausdehnung des Grundstücks in der Tiefe.

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Der Heranziehung der Klägerin zu Straßenreinigungsgebühren steht weiter nicht entgegen, dass ihr Grundstück möglicherweise dem Außenbereich zuzuordnen ist. Denn nach niedersächsischem Recht kommt es grundsätzlich nur darauf an, ob das im Außenbereich befindliche Grundstück - wie hier - innerhalb der geschlossenen Ortslage an der Straße anliegt. Eine Heranziehung der Eigentümer von angrenzenden Grundstücken zu Straßenreinigungsgebühren ist nur dann ausgeschlossen, wenn in Ausnahmefällen keine ausreichende sachliche Beziehung des Grundstücks zur Straße besteht. Eine solche ausreichende Beziehung zur Straße wird dann bejaht, wenn die Möglichkeit der Schaffung eines Zugangs oder einer Zufahrt vorhanden ist oder wenn die konkrete, nicht nur hypothetische Möglichkeit einer nicht völlig unerheblichen Straßenverschmutzung durch das Anliegergrundstück zu bejahen ist (Nds. OVG, Urteil vom 23.9.1987 - 14 A 162/85 - DNG 1988, 196 = NST-N 1988, 221). Für das Grundstück der Klägerin ist davon auszugehen, dass beide Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere auch eine Zufahrt von der "G.straße" besteht bzw. die Möglichkeit eröffnet ist, eine solche Zufahrt anzulegen.

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Insoweit bedarf es nach dem Niedersächsischen Straßengesetz bei im Außenbereich gelegenen Anliegergrundstücken innerhalb einer geschlossenen Ortslage nicht der Auseinandersetzung mit dem Begriff der "Erschließung" (Freese in: Rosenzweig/Freeese, NKAG, § 5, Rdnr. 390), wie er in Gesetzen anderer Bundesländer Verwendung findet (vgl. dazu für das sächsische Recht, Sächsisches OVG, Urteil vom 28.3.2007 - 5 B 45/05 - zitiert nach [...] m. w. N. unter Anschluss an OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.2.2003 - 9 A 2355/00 - NVwZ-RR 2004, 68).

11

Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).