Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.12.2021, Az.: 5 ME 92/21

Beamter; Umsetzung; Vorwegnahme der Hauptsache; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.12.2021
Aktenzeichen
5 ME 92/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 17.06.2021 - AZ: 5 B 27/21

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer - vom 17. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine ihm gegenüber verfügte Umsetzung.

Er steht im Statusamt eines Ersten Kriminalhauptkommissars (Besoldungsgruppe A 13) im Polizeivollzugsdienst des Landes Niedersachsen. Unter dem 28. Oktober 2019 beantragte er, seinen Eintritt in den Ruhestand um ein Jahr bis zum Ablauf des Monats Februar 2022 hinauszuschieben. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27. Mai 2020 ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, dass dem Begehren dienstliche Interessen entgegenstünden. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg Klage, über die noch nicht entschieden worden ist. Mit Antrag vom 12. Januar 2021 suchte der Antragsteller dort um vorläufigen Rechtsschutz nach. Das Verwaltungsgericht Lüneburg - 8. Kammer - lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 28. Januar 2021 (Az.: 8 B 1/21) ab. Auf die Beschwerde des Antragstellers gab der Senat durch Beschluss vom 23. Februar 2021 (5 ME 20/21) der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung auf, den Eintritt des Antragstellers in den Ruhestand bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens jedoch bis zum 28. Februar 2022, vorläufig hinauszuschieben. Die Antragsgegnerin händigte dem Antragsteller, der bis zum 26. Februar 2021 einschließlich erkrankt war, am 1. März 2021 eine mit „Umsetzung - Dienstpostenübertragung“ überschriebene Verfügung vom 26. Februar 2021 aus, nach der er mit Wirkung vom 1. März 2021 bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren, längstens jedoch bis zum 28. Februar 2022, von der Zentralen Kriminalinspektion C-Stadt zur Polizeistation D. mit dem Dienstort E. umgesetzt und ihm der Dienstposten „Leitung Polizeistation D.“, bewertet nach Besoldungsgruppe A 13, übertragen wird.

Am 1. März 2021 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht mit dem Ziel, der Antragsgegnerin vorläufig zu untersagen, die angeordnete Umsetzung zu vollziehen. Aus der erheblichen Entfernung zwischen der bisherigen Dienststätte und der neuen Dienststätte ergäben sich für ihn unzumutbare Nachteile, die sich bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht ausgleichen ließen und somit die Annahme eines Anordnungsgrundes rechtfertigten. Ferner sei ein Anordnungsanspruch gegeben. Die Umsetzung sei bereits formell rechtswidrig, weil sie nicht begründet worden und die gebotene Anhörung unterblieben sei. Außerdem seien weder der Personalrat, die Gleichstellungsbeauftragte noch die Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung beteiligt worden. Die Umsetzung sei auch materiell rechtswidrig, weil nicht ersichtlich sei, ob die Antragsgegnerin das ihr obliegende Ermessen erkannt und ausgeübt habe. Die mit dem Ortswechsel verbundenen Konsequenzen, eine tägliche Fahrzeit von mehr als 2,5 Stunden, hätten bei den im Rahmen der Umsetzungsentscheidung anzustellenden Ermessenserwägungen eine Rolle spielen müssen. Diese seien hier wegen der bei ihm vorliegenden und der Antragsgegnerin bekannten Erkrankungen besonders zu beachten gewesen.

Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Umsetzungsverfügung vom 26. Februar 2021 gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch Beschluss vom 17. Juni 2021 abgelehnt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe einen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die geltend gemachten Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Maßnahme griffen nicht durch. Auch sei die Umsetzung materiell rechtmäßig, insbesondere habe die Antragsgegnerin das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 17. Juni 2021 bleibt ohne Erfolg. Die von ihm dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, vermögen eine Änderung der angefochtenen Entscheidung nicht herbeizuführen.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Derartige Anordnungen, die - wie hier - durch vorläufige Befriedigung des erhobenen Anspruchs die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorwegnehmen, kommen nur ausnahmsweise aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre, weil ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglichen Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund - vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.9. 2017 - BVerwG 1 WDS-VR 4.17 -, juris Rn. 15; Beschluss vom 13.10.2008 - BVerwG 1 WDS-VR 14.08 -, juris Rn. 19; OVG NRW, Beschluss vom 11.2.2021 - 6 B 1769/20 -, juris Rn. 4; Beschluss vom 9.2.2011 - 1 B 1130/10 -, juris Rn. 7; Sächs. OVG, Beschluss vom 3.11.2019 - 2 B 392/08 -, juris Rn. 4). Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, mithin im Beschwerdeverfahren der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Denn allein eine zu diesem Zeitpunkt (noch) bestehende Dringlichkeit rechtfertigt es bei Vorliegen der weiteren Erfordernisse, eine solche Regelung zu treffen oder zu bestätigen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.2.2011, a.a.O., Rn. 7 m.w.N.). Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Daran fehlt es hier.

Der Antragsteller macht zur Begründung eines Anordnungsgrundes geltend, die für ihn unzumutbaren Nachteile ergäben sich aus der erheblichen Entfernung zwischen der bisherigen Dienststätte und der neuen Dienststätte. Ein täglicher Arbeitsweg von zusammen fast 170 km bzw. zusammen 2 Stunden 40 Minuten stelle einen unzumutbaren Nachteil dar, der sich auch bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht ausgleichen lasse. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen drohten ihm ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere, unzumutbare Nachteile, die sich auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen ließen. Die Umsetzungsverfügung sei sowohl formell als auch materiell offensichtlich rechtswidrig. Auch wenn seine restliche Dienstzeit begrenzt sei, habe er Anspruch darauf, dass er auf einem leidensgerechten Dienstposten eingesetzt werde. Dabei müsse sowohl seine Stoffwechselerkrankung als auch die psychische Erkrankung berücksichtigt werden.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, einen Anordnungsgrund nach den vorstehenden Maßgaben glaubhaft zu machen. Allein der Umstand, dass ohne die beantragte einstweilige Anordnung ein nach Auffassung des Antragstellers rechtswidriger Zustand bis zur Entscheidung über die Hauptsache aufrechterhalten würde, begründet noch keinen unzumutbaren Nachteil, sondern ist regelmäßige Folge des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.2.2021 - 6 B 1769/20 -, juris Rn. 7; Beschluss vom 7.10.2014 - 6 B 1021/14 -, juris Rn. 5 jeweils m.w.N.).

Hinsichtlich der Frage der Zumutbarkeit der angegriffenen Maßnahme ist zunächst mit einzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Beamter keinen Anspruch auf Beibehaltung und unveränderte Ausübung des ihm einmal übertragenen konkret-funktionellen Amtes (Dienstpostens) hat, sondern Änderungen seines dienstlichen Aufgabenbereichs durch Umsetzung oder sonstige organisatorische Maßnahmen des Dienstherrn hinnehmen muss. Dabei kann der Dienstherr den Aufgabenbereich aus jedem sachlichen Grund verändern, solange der neue Dienstposten dem statusrechtlichen und abstrakt-funktionellen Amt des Beamten entspricht. Die Entscheidung zur Übertragung eines anderen konkret-funktionellen Amtes (Dienstpostens) liegt im weiten Ermessen des Dienstherrn. Besonderheiten des dem Beamten bisher übertragenen Dienstpostens, wie z. B. der Umfang einer Vorgesetztenfunktion, Leitungsaufgaben, Beförderungsmöglichkeiten oder ein etwaiges gesellschaftliches Ansehen, entfalten keine das Ermessen des Dienstherrn einschränkende Wirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.5.1980 - BVerwG 2 C 30.78 -, juris Rn. 23 f.; Urteil vom 28.11.1991 - BVerwG 2 C 41.89 -, juris Rn. 19; Beschluss vom 4.7.2014 - BVerwG 2 B 33.14 -, juris Rn. 7 - 10; vgl. auch Sächs. OVG, Beschluss vom 14.10.2020 - 2 B 271/20 -, juris Rn. 10; BVerfG, Beschluss vom 30.1.2008 - 2 BvR 754/07 -, juris Rn. 10).

Soweit der Antragsteller auf einen täglichen Arbeitsweg von fast 170 km bzw. von zwei Stunden 40 Minuten (Hin- und Rückfahrt) hinweist, vermag der Senat hierin eine Unzumutbarkeit der Umsetzung schon deshalb nicht zu erkennen, weil eine Vielzahl von Beamten täglich einen nicht kürzeren Arbeitsweg oder mit nicht geringerer Dauer tatsächlich bewältigen.

Soweit der Antragsteller zur Begründung einer Unzumutbarkeit auf seine Schwerbehinderung, seine Stoffwechselerkrankung sowie seine psychische Erkrankung verweist, hat er nicht durch Vorlage (fach-)ärztlicher Gutachten glaubhaft gemacht, dass es ihm nicht möglich und zumutbar wäre, aufgrund der angeführten Umstände den Arbeitsweg zur neuen Dienststätte zu bewältigen. Allein seine Behauptung genügt nicht zur Glaubhaftmachung.

Gegen eine Unzumutbarkeit spricht ferner, dass sich die geltend gemachten Belastungen auf einen sehr kurzen Zeitraum von wenigen Wochen beschränkten. Denn der Antragsteller tritt mit Ablauf des Monats Februar 2022 in den Ruhestand, wobei er zumindest 41 Tage wegen Anspruchs auf Erholungsurlaub und Freistellung nach der Nds. ArbZVO dienstbefreit ist. Unter Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen Dienstunfähigkeit bis einschließlich 12. Dezember 2021 verblieben lediglich noch zwölf Tage, an denen er Dienst auf dem neuen Dienstposten zu leisten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt dem Beschluss des Verwaltungsgerichts und beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Eine Halbierung kommt nicht in Betracht, weil der Antragsteller in der Sache eine Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung begehrt hat (vgl. zur Umsetzung: Nds. OVG, Beschluss vom 31.10.2013 - 5 ME 205/13 -; Beschluss vom 25.1.2018 - 5 ME 232/17 -).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).