Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.12.2021, Az.: 5 MC 157/21

Beamter; Beihilfe; einstweilige Anordnung; Ratenzahlung; vorläufiger Rechtsschutz; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.12.2021
Aktenzeichen
5 MC 157/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Begehrt ein Beihilfeberechtigter (Beamter) vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich seines Begehrens auf Bewilligung von Beihilfe, kommt wegen der damit verbundenen (teilweisen) Vorwegnahme der Hauptsache der Erlass einer einstweililgen Anordnung nur ausnahmsweise aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre, weil ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglichen Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

Entsprechend diesen Anforderungen ist ein für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlicher Anordnungsgrund für die vorläufige Bewilligung von Beihilfe nur dann gegeben, wenn es dem Beihilfeberechtigten nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die anteiligen Aufwendungen zunächst selbst aufzubringen oder im Wege einer Ratenzahlung zu decken. Diese Voraussetzungen hat der Antragsteller glaubhaft zu machen.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf 1.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Beihilfe für die Anschaffung eines Elektrodreirades.

Er ist im November 1950 geboren und beihilfeberechtigt. Er beantragte am 18. Oktober 2018 die anteilige Übernahme der Kosten für die Anschaffung des Elektro-Dreirades nebst Gehstockhalter in Höhe von 5.000 EUR. Ihm wurde ärztlich bescheinigt, seit vielen Jahren an einer schwer ausgeprägten Herzinsuffizienz (NYHA III-IV) zu leiden, bei ihm sei eine Arteriosklerose in der Peripherie stark ausgeprägt, er leide ferner an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) Stadium IV und bei ihm läge aufgrund von degenerativen und traumatisch bedingten Veränderungen der Wirbelsäule schwere Rückenschmerzen vorlägen; er sei multimorbide und in seiner Mobilität hochgradig eingeschränkt.

Nachdem der Antrag abgelehnt worden war, wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers durch Widerspruchsbescheid vom 22. November 2018 zurück. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus: Bei dem betreffenden Produkt „Pfiff Scoobo“ handle es sich um ein mit einem Elektrofahrzeug vergleichbares Produkt. Elektrofahrzeuge seien laut Anlage 8 zu § 20 Abs. 1 NBhVO ausdrücklich von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück - 3. Kammer - hat der Klage des Antragstellers vom 10. Dezember 2018 durch Urteil vom 10. November 2020 (3 A 407/18) stattgegeben und den Antragsgegner unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für den Erwerb des Elektro-Dreirades „Pfiff Scoobo“ in Höhe von 5.000 EUR zu einem Beihilfebemessungssatz in Höhe von 70 vom Hundert anzuerkennen und die Beihilfe in Höhe von 3.500 EUR nach Vorlage einer entsprechenden Rechnung auszukehren. Es hat bei seiner Entscheidung maßgeblich darauf abgestellt, dass es sich bei den Aufwendungen für das beantragte Elektro-Dreirad um notwendige und angemessene Aufwendungen für die Anschaffung von Hilfsmitteln im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 NBhVO handele.

Der Antragsgegner hat am 17. Dezember 2020 den Antrag gestellt, die Berufung gegen das vorgenannte Urteil zuzulassen. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 5 LA 1/21 geführt.

Am 7. Dezember 2021 hat der Antragsteller bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel ge-stellt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufige zu verpflichten, die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für den Erwerb eines Elektro-Dreirades in Höhe von 5.000 EUR zu einem Beihilfesatz von 70 v. H. anzuerkennen und die Beihilfe in Höhe von 3.500 EUR nach Vorlage einer entsprechenden Rechnung auszukehren.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist abzulehnen.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Derartige Anordnungen, die - wie hier - durch vorläufige Befriedigung des erhobenen Anspruchs die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumindest teilweise vorwegnehmen, kommen nur ausnahmsweise aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre, weil ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträgliche Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund - vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.9. 2017 - BVerwG 1 WDS-VR 4.17 -, juris Rn. 15; Beschluss vom 13.10.2008 - BVerwG 1 WDS-VR 14.08 -, juris Rn. 19; OVG NRW, Beschluss vom 11.2.2021 - 6 B 1769/20 -, juris Rn. 4; Beschluss vom 9.2.2011 - 1 B 1130/10 -, juris Rn. 7; Sächs. OVG, Beschluss vom 3.11.2019 - 2 B 392/08 -, juris Rn. 4). Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Daran fehlt es hier.

Der Antragsteller macht zur Begründung eines Anordnungsgrundes allein geltend, er sei jetzt 71 Jahre alt und habe Bedarf am Elektro-Dreirad noch zu Lebzeiten. Es sei nicht zu erkennen, wann er mit einer Entscheidung in der Hauptsache rechnen dürfe.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, einen Anordnungsgrund nach den vorstehenden Anforderungen glaubhaft zu machen. Allein durch den Verweis auf sein Alter ergibt sich nicht, dass schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträgliche Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Denn letztlich beschränkt sich das Begehren des Antragstellers auf eine finanzielle Beihilfe für Aufwendungen für ein medizinisches Hilfsmittel. Insoweit hat der Antragsteller weder im Einzelnen dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass es für ihn nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, die anteiligen Aufwendungen für die Anschaffung des Elektro-Dreirades, für die er eine Beihilfe beansprucht, zunächst selbst aufzubringen oder im Wege einer Ratenzahlung zu decken. Sollte er letztlich mit seiner Klage obsiegen, erhielte er den zunächst verauslagten Betrag erstattet. Im Falle der rechtkräftigen Abweisung der Klage hätte er ohnehin keinen Anspruch auf eine Beihilfe und müsste den nunmehr geltend gemachten Betrag selbst tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Dieser Wert ist in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).