Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.06.2001, Az.: L 4 KR 16/01

Möglichkeit von Anfechtung und Widerruf einer (übereinstimmend) abgegebenen Erledigungserklärung im sozialgerichtlichen Verfahren; Nichtigkeitsklage; Restitutionsklage

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
28.06.2001
Aktenzeichen
L 4 KR 16/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 15938
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0628.L4KR16.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 12.12.2000 - AZ: S 2 KR 159/00

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

AOK-Die Gesundheitskasse für Niedersachsen - Landesdirektion -, Kolumbusstraße 2, 30519 Hannover,

hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2001

durch

die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,

den Richter Wolff und den Richter Schreck sowie

die ehrenamtliche Richterin Sand und

den ehrenamtlichen Richter Stiegen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Fortführung des durch übereinstimmende Erledigungserklärung vom 14. und 26. August 1996 beendeten Rechtsstreits vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim - Az.: S 2 Kr 116/94 -.

2

Der Kläger war stellvertretender Geschäftsführer der früheren AOK Hann. Münden. Der Vorstand dieser AOK beschloss am 2. Juni 1993, den Kläger von seinem Amt zu entbinden, und erließ den Bescheid vom 30. Juni 1993, der dem Kläger am 1. Juli 1993 zugestellt wurde. Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 20. Dezember 1994 erhobenen Klage. Er begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des Amtsentbindungsbescheides und die Einsichtnahme in seine Personalakte. Mit Schreiben vom 19. Dezember 1995 hat der Kläger die Klage dahingehend erweitert, dass festgestellt werden soll, die Beklagte habe als Träger der freiwilligen Krankenversicherung des Klägers den Datenschutz verletzt, sowie die Beklagte solle verpflichtet werden, den Datenschutz/das Sozialgeheimnis des Klägers zu wahren und durch entsprechend gesicherten Organisationsablauf zu gewährleisten.

3

Die Beteiligten schlossen am 17. Mai 1996 eine außergerichtliche Vereinbarung. Sie haben darin unter Ziffer 6d vereinbart, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich verpflichten, den Rechtsstreit vor dem SG Hildesheim zum Az.: S 2 Kr 116/94 für erledigt zu erklären. In der Übereinkunft heißt es ua wie folgt:

Ziffer 8:
Der Arbeitgeber gewährleistet die Einhaltung des Sozialdatenschutzes des Arbeitnehmers.

Ziffer 9:
Aus den Vorkommnissen der Vergangenheit wird der Arbeitgeber keine weiteren rechtlichen Schritte gegen den Arbeitnehmer einleiten. Auch der Arbeitnehmer wird aus den Vorkommnissen der Vergangenheit keine weiteren Maßnahmen gegen den Arbeitgeber, dessen Organe und die dort beschäftigten natürlichen Personen einleiten und sämtliche anhängige Verfahren beenden.

4

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag auf Bl 262 ff der Gerichtsakte verwiesen.

5

Mit Schreiben vom 11. August 1996, eingegangen beim SG Hildesheim am 14. August 1996, hat der Kläger folgende Erklärung abgegeben, die von ihm persönlich unterzeichnet ist:

"...wird entsprechend der Vereinbarung vom 17.05.1996 Erledigung zur Hauptsache erklärt, nachdem sich die Beklagte zur Rücknahme des Bescheides über die Amtsentbindung und ausdrücklich zur Wahrung des Sozialdatenschutzes verpflichtet hat. Im übrigen wird beantragt, der Beklagten die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen."

6

Mit Schreiben vom 22. August 1996, eingegangen beim SG Hildesheim am 26. August 1996, hat die Beklagte ebenfalls den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

7

Das Gericht hat aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten den Rechtsstreit für beendet angesehen.

8

Mit Schreiben vom 4. Oktober 1996, eingegangen beim SG Hildesheim am 8. Oktober 1996, hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt, dass sie das Mandat niedergelegt habe und den Kläger nicht mehr vertrete.

9

Mit Schreiben vom 6. Oktober 1996, eingegangen beim SG Hildesheim am 7. Oktober 1996, hat der Kläger folgende Erklärung abgegeben:

"... erkläre ich Widerruf meiner Erklärung vom 11.08.1996. Die Erklärung vom 11.08.1996 wurde nur unter dem Druck der rechtswidrigen Kündigung des Dienstverhältnisses abgegeben. Im übrigen beantrage ich baldmöglichst Akteneinsicht. Danach erfolgen weitere Einlassungen/Anträge."

10

Das Schreiben ist erneut vom Kläger persönlich verfasst und unterzeichnet.

11

Das Gericht hat daraufhin den Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen S 2 KR 159/00 fortgeführt.

12

Mit Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2000 hat das SG Hildesheim festgestellt, dass das Verfahren S 2 Kr 116/94 durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen des Klägers vom 14. August 1996 (Schreiben vom 11. August 1996) und der Beklagten vom 26. August 1996 (Schreiben vom 22. August 1996) in der Hauptsache beendet sei. Bei der Erledigungserklärung handele es sich um eine Prozesserklärung, die nicht angefochten werden könne.

13

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde zugesandt und am 20. Dezember 2000 beim Postamt D., Filiale 1, niedergelegt worden.

14

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 15. Januar 2001, eingegangen beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen am 19. Januar 2001, Berufung eingelegt.

15

Er ist unter anderem der Ansicht: Er sei sowohl von seiner eigenen Anwältin als auch von den Anwälten der Beklagten arglistig getäuscht worden. Das gegen ihn eingeleitete Amtsentbindungsverfahren sei unter der willkürlichen Unterstellung einer psychischen Erkrankung erfolgt. Diese Unterstellung sei falsch. Die Beklagte habe in unzulässiger Weise seine Sozialdaten benutzt. Die Beklagte müsse deshalb offenlegen, woraus sie bzw deren Amtsträger, die mit derartiger Tragweite verbundene Unterstellung einer psychischen Erkrankung ableiten würden. Zu der Erledigungserklärung sei es durch bewusst falsche Handlungsweisen/Beratungen gekommen, die sowohl sittenwidrig als auch arglistig durch die gegnerischen und seine eigene Anwältin herbeigeführt worden seien. Es lägen die Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Das SG lasse die Wirkung der Unabdingbarkeit (§ 84a Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X)) unberücksichtigt. Das SG habe fälschlicherweise keinen Anlass zur Einholung einer verfassungsrechtlichen Entscheidung gesehen.

16

Im Übrigen hat der Kläger im einzelnen ausgeführt, wie er durch Juristen und andere Personen und Einrichtungen getäuscht und betrogen worden sei.

17

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 12. Dezember 2000 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 2 Kr 116/94 aufgrund des Widerrufs der Erledigungserklärung vom 6. Oktober 1996 nicht beendet ist,

  2. 2.

    Wiedereinsetzung in den vorigen Stand,

  3. 3.

    Aussetzung des Verfahrens, bis die Akten der Staatsanwaltschaft dem Kläger und dem Landessozialgericht Niedersachsen vorgelegt werden,

  4. 4.

    die Akten des Sozialministeriums beizuziehen,

  5. 5.

    die aktuellen Akten der Arbeitsgerichtsbarkeit beizuziehen,

  6. 6.

    die bereits benannten Zeugen, die zum Amtsenthebungsverfahren beigetragen haben E. zu hören,

  7. 7.

    festzustellen, dass die Rechtsanwältin F. Prozessbetrug begangen hat, in dem sie falsche Erklärungen abgibt,

  8. 8.

    das Verfahren nach Art 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, damit es feststellen kann, dass die Juristen ihre Standespflicht verletzt haben und dass die Berufsordnung die Juristen zum Rechtsbruch zwingt.

18

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des LSG Nds - L 4 B 10/01 KR, Akten des SG Hildesheim - S 2 Kr 102/97, Akten des SG Hildesheim - S 2 Kr 57/98 ER/L 4 KR 179/98 ER, Akten des SG Hildesheim - S 2 Kr 160/00, Akten des ArbG Göttingen - 3 Ca 17/96, Akten des AG Witzenhausen - 2 C 723/95/2 S 656/96 und die Personalakten des Klägers verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

22

Der Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 12. Dezember 2000 ist zutreffend und nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass das Verfahren S 2 Kr 116/94 durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen des Klägers und der Beklagten in der Hauptsache beendet ist. Als Prozesserklärung ist die Erledigungserklärung weder anfechtbar noch kann sie widerrufen werden. Ein Widerruf wäre nur unter den Voraussetzungen des § 179 Sozialgerichtsgesetz (SGG) möglich, die hier jedoch nicht gegeben sind.

23

Die Voraussetzungen des § 179 Abs 1 SGG iVm §§ 578 bis 591 Zivilprozessordnung (ZPO) liegen nicht vor. Denn weder wäre im vorliegenden Fall eine Nichtigkeitsklage nach § 579 zulässig, noch eine Restitutionsklage nach § 580 ZPO. Da kein Beteiligter strafrechtlich verurteilt worden ist, scheidet auch § 179 Abs 2 SGG aus.

24

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren vorträgt, dass er von seiner eigenen Anwältin und den Anwälten der Beklagten arglistig getäuscht worden sei, so ist das Gericht an einer Überprüfung dieser Behauptung gehindert. Durch die nicht anfechtbare Erledigungserklärung des Klägers und deren Zustimmung durch die Beklagte, ist der Rechtsstreit endgültig zu Ende. Die Rechtshängigkeit ist beendet. Beiderseitige Erledigungserklärungen führen dazu, dass sich das Gericht mit dem Rechtsstreit nicht mehr befassen darf.

25

Aus diesen Gründen konnte keiner der Anträge des Klägers Erfolg haben.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.