Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.06.2001, Az.: L 8 B 95/01
Anspruch auf höheres Kindergeld; Familienlastenausgleich im Hinblick auf Steuerfreistellung des Existenzminimums eines Kindes; Anforderungen an Nachzahlungen gemäß § 21 BKKG
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 18.06.2001
- Aktenzeichen
- L 8 B 95/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 25343
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0618.L8B95.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 02.04.2001 - S 2 KG 2/01
Rechtsgrundlagen
- § 21 BKGG
- § 173 SGG
- § 172 SGG
- § 73a SGG
- § 114 ZPO
- § 53 S. 6 EStG
- § 44 SGB X
Prozessführer
A.
Prozessgegner
Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, vertreten durch den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen, Altenbekener Damm 82, 30173 Hannover
Der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen
in Celle hat
am 18. Juni 2001
durch die Richter
C.
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 2. April 2001 wird zurückgewiesen.
Gründe
Der vom Sozialgericht (SG) Oldenburg nicht abgeholfenen Beschwerde der Klägerin vom 11. April 2001, eingegangen am 17. April 2001, gegen den Beschluss vom 2. April 2001 ist statthaft, frist- und formgerecht erhoben worden (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zur Durchführung des Klageverfahrens wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt (§ 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Die Klägerin begehrt rückwirkend ab 1. Januar 1986 höheres Kindergeld (Kg). Dieses Begehren beurteilt sich nach § 21 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) in der Fassung des Art 2 Nr 9 des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S 2552), gültig ab 1. Januar 2000. Danach kommt in den Fällen, in denen die Entscheidung über die Höhe des Kg-Anspruchs für die Monate in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1983 und dem 31. Dezember 1995 noch nicht bestandskräftig geworden ist, eine von den §§ 10 und 11 BKGG in der jeweils geltenden Fassung abweichende Bewilligung von Kg nur in Betracht, wenn die Einkommensteuer formell bestandskräftig und hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge nicht vorläufig festgesetzt sowie das Existenzminimum des Kindes nicht unter der Maßgabe des § 53 Einkommensteuergesetz steuerfrei belassen worden ist (§ 21 Satz 1 BKGG). Dies ist vom Kg-Berechtigten durch eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes nachzuweisen (§ 21 Satz 2 BKGG). In diesen Fällen hat die Familienkasse nach Vorlage der Bescheinigung den vom Finanzamt ermittelten Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Einkommensteuer und der fiktiven Einkommensteuer nach § 53 Satz 6 Einkommensteuergesetz als zusätzliches Kg zu zahlen (§ 21 Satz 3 BKGG).
Die gesetzliche Regelung basiert auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. November 1998 (BVerfGE 99, 246, 268 [BVerfG 10.11.1998 - 2 BvL 42/93] und 273), welches den Familienlastenausgleich im Hinblick auf die Steuerfreistellung des Existenzminimums eines Kindes in den Veranlagungszeiträumen 1983 bis 1995 als nicht ausreichend angesehen hat. Das BVerfG hat den Gesetzgeber gleichzeitig aufgefordert, eine Nachbesserung für die Fälle zu beschließen, in denen die Entscheidungen über die Höhe des Kg oder den Kinderfreibetrag noch nicht bindend geworden bzw hinsichtlich der Kinderfreibeträge nur vorläufig erfolgt waren.
Erforderlich für eine Nachzahlung von Kg für den Zeitraum von 1983 bis 1995 sind gemäß § 21 BKGG:
- 1.
Noch nicht bestandskräftige Bescheide über Kg,
- 2.
bestandskräftige Entscheidung der Finanzverwaltung über die jeweilige Einkommensteuer einschließlich der Höhe der Kinderfreibeträge und
- 3.
Unterschreitung des Existenzminimums eines Kindes, das nach Maßgabe des § 53 Einkommensteuergesetz steuerfrei belassen werden musste.
Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt.
Für die Zeit vor Stellung des Überprüfungsantrages vom 15. Oktober 1990 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) scheitert das Begehren der Klägerin schon daran, dass die Bewilligungsentscheidungen über Gewährung von Kg ab 1. Januar 1986 bestandkräftig geworden sind. § 21 Satz 1 BKGG entspricht insoweit § 79 BVerfG-Gesetz sowie für das Arbeitsförderungsrecht § 330 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III -. Diese Vorschriften schließen eine Korrektur von bestandskräftigen Verwaltungsentscheidungen für die Vergangenheit vor der maßgeblichen Entscheidung des BVerfG aus. Dadurch wollte der Gesetzgeber dem Gedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens Vorrang vor dem Rechtsschutzbegehren des Einzelnen geben.
Aber auch für die Zeit nach Eingang des Überprüfungsantrages vom 15. Oktober 1999 ist nach Aktenlage nicht mit einem Obsiegen der Klägerin zu rechnen. Ob der Überprüfungsantrag vom 15. Oktober 1990 für die dann folgenden Kg-Zahlungen als antizipierter Widerspruch angesehen werden kann bzw ob die Beklagte sich auf die Bestandskraft der Kg-Bewilligungen nach Treu und Glauben berufen kann, nachdem sie der Klägerin zugesagt hatte, unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückzukommen, braucht der Senat nicht abschließend zu klären. Denn die Klägerin muss die weiteren Nachzahlungsvoraussetzungen gemäß § 21 Satz 2 BKGG durch eine Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes nachweisen. Eine derartige Bescheinigung liegt nicht vor. Die Klägerin hat auch nicht behauptet und schlüssig dargelegt, ob und für welches Kalenderjahr zwischen 1990 und 1995 das Existenzminimum eines Kindes nach Maßgaben des § 53 Satz 1 Einkommensteuergesetz nicht steuerfrei belassen wurde und aus welchen Gründen eine steuerrechtliche Rückabwicklung nicht möglich ist. Mangels konkreter Anhaltspunkte ist das SG nicht verpflichtet, "ins Blaue hinein” zu ermitteln.