Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.03.2018, Az.: 1 LA 123/17

notwendige Einstellplätze; Stellplätze; erforderliche Stellplätze; verfahrensfreie Baumaßnahme

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.03.2018
Aktenzeichen
1 LA 123/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74121
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.07.2017 - AZ: 2 A 193/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Nr. 14.7 der Anlage zu § 60 Abs. 1 NBauO ist dahin zu verstehen, dass nicht notwendige Stellplätze nur dann genehmigungsfrei sind, wenn die Gesamtfläche der - notwendigen und nicht notwendigen - Stellplätze auf dem Grundstück 50 m² nicht überschreitet.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer (Einzelrichterin) - vom 20. Juli 2017 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 2.000 EUR festgesetzt; insoweit wird die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts geändert.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine Nutzungsuntersagung für eine Freifläche als Wohnmobilstellplatz; er hält diese Nutzung für genehmigungsfrei und materiell baurechtmäßig, jedenfalls aber ihr Verbot für ermessensfehlerhaft.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße im Stadtgebiet der Beklagten. Im Jahr 1993 beantragte sein Rechtsvorgänger die Erteilung einer Baugenehmigung für ein Vierparteienhaus mit zwei unmittelbar an die Straße grenzenden Carportanlagen zu je zwei Pkw Einstellplätzen auf dem Grundstück. Auf dem grüngestempelten Lageplan ist die südöstliche, an das Nachbargrundstück D. angrenzende Carportanlage durch Grüneintrag um rund 2,30 m in den rückwärtigen Grundstücksbereich versetzt und die Fläche zwischen Carportanlage und Straße mit der Bezeichnung „Pflanzstreifen“ versehen worden. Die Baugenehmigung wurde am 23.11.1993 unter Bezugnahme auf die so veränderten Bauvorlagen erteilt, Haus und Carport wurden entsprechend errichtet.

Im Sommer 2011 rügten die Eigentümer des Grundstücks D., dass der Kläger den als Pflanzstreifen vorgesehenen Bereich als Wohnmobilstellplatz nutze. Auf die Aufforderung des Beklagten vom 16.8.2011, den Pflanzstreifen wiederherzustellen, beantragte der Kläger am 6.9.2011, „die Baugenehmigung zu ändern und die Vorgabe Pflanzstreifen aufzuheben“. Diesen Antrag lehnte die Beklagte unter dem 27.10.2011 ab, wogegen der Kläger am 25.11.2011 Widerspruch und nachfolgend Klage erhob; gegen das diese Klage abweisende Urteil hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (Az. 1 LA 122/17) die Berufung zugelassen. Am 15.8.2012 beantragte der Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnmobilstellplatzes auf dieser Fläche. Den Bauantrag lehnte der Beklagte ab, die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Lüneburg mit rechtskräftigem Urteil vom 17.11.2014 – 2 A 18/14 – ab.

Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 27.7.2015 untersagte die Beklagte dem Kläger die Nutzung des fraglichen Bereichs als Wohnmobilstellplatz; den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 5.7.2016 zurück. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, die Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig, weil dem Kläger die für die Nutzung des Pflanzstreifens als Wohnmobilstellplatz erforderliche Baugenehmigung fehle und diese Nutzung auch nicht offenkundig genehmigungsfähig sei; dies ergebe sich aus den Gründen des Urteils vom 17.11.2014. Der Pflanzstreifen sei für das Abstellen eines Wohnmobils zu klein. Selbst wenn die Nutzung, wie der Kläger geltend mache, nach Nr. 14.7 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO genehmigungsfrei sein sollte, ergäbe sich nichts anderes, da das Vorhaben aus den genannten Gründen nicht genehmigungsfähig wäre. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Gegen eine rechtswidrige Nutzung habe die Bauaufsichtsbehörde im Regelfall einzuschreiten, ein Ausnahmefall liege hier nicht vor, zumal Nachbarbeschwerden zeigten, dass das Wohnmobil störe.

II.

Der hiergegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; das Zulassungsverfahren soll das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen. Diese Voraussetzungen darzulegen ist dem Kläger nicht gelungen.

Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die untersagte Nutzung formell baurechtswidrig sei. Zwar hat es sich mit dem Einwand des Klägers, die Nutzung sei gemäß Nr. 14.7 des Anhangs zu § 60 Abs. 1 NBauO verfahrensfrei, inhaltlich nicht auseinandergesetzt. Die Möglichkeit, dass sich dies auf das Entscheidungsergebnis ausgewirkt hat, besteht jedoch nicht, denn der Einwand ist – dies kann der Senat bereits ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens erkennen – nicht stichhaltig.

Nach Nr. 14.7 des Anhangs sind verfahrensfrei „Stellplätze für Personen-Kraftfahrzeuge mit nicht mehr als insgesamt 50 m² Nutzfläche je Grundstück sowie deren Zufahrten und Fahrgassen, ausgenommen notwendige Einstellplätze“. Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass die Gesamtfläche der auf dem Klägergrundstück vorhandenen Stellplätze jedenfalls unter Hinzurechnung der als Wohnmobilstellplatz genutzten Fläche 50 m² Nutzfläche überschreitet. Der Antragsteller hält dies deshalb für unerheblich, weil bei der Berechnung der Gesamtnutzfläche die Fläche notwendiger Einstellplätze außer Betracht zu bleiben habe. Diese Ansicht ist abzulehnen. Das Wort „insgesamt“ hat der Gesetzgeber im Zuge der NBauO-Novelle von 2013 in den Anhang eingefügt, um deutlich zu machen, dass es auf die Gesamtfläche der Stellplätze je Grundstück ankommt (LT-Drs. 16/3195 S. 117, vgl. auch Burzynska, in: Große/Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl. 2013, § 60 Rn. 89). Es sollte m.a.W. verhindert werden, dass durch eine Aufteilung der Stellplatzanlage in mehrere Einzelvorhaben das Genehmigungserfordernis für große Anlagen umgangen wird. Das ist sachgerecht, da mit der Gesamtgröße der Stellplatzflächen auf einem Grundstück auch das Bedürfnis nach einer Kontrolle u.a. von deren Nachbarverträglichkeit steigt. Dem entspricht es, die Flächenbegrenzung auf die Gesamtzahl der Einstellplätze, unabhängig von ihrer Notwendigkeit i.S.d. § 47 NBauO, zu beziehen. Die Herausnahme der notwendigen Einstellplätze aus der Freistellungsregelung durch deren letzten Halbsatz hat nicht den Zweck, diese Flächenbegrenzung zu relativieren, sondern den, die Schaffung notwendiger Einstellplätze auch dann der Kontrolle der Genehmigungsbehörde zu unterwerfen, wenn ihre Gesamtfläche unter 50 m² bleibt. Folgte man der Ansicht des Klägers, hätte dies zur Folge, dass die Ergänzung einer Stellplatzanlage von 49 m² um einen weiteren Stellplatz dann genehmigungsfrei wäre, wenn diese bislang mindestens einen notwendigen Einstellplatz umfasste, jedoch genehmigungspflichtig, wenn dies nicht der Fall war. Für eine solche Differenzierung ist ein Sachgrund nicht erkennbar.

Unabhängig davon wäre die untersagte Nutzung auch dann im Ergebnis formell baurechtswidrig, wenn sie für sich genommen genehmigungsfrei wäre. Denn die aktuell gültige und ausgenutzte Baugenehmigung für das Grundstück sieht eine Nutzung der in Rede stehenden Fläche als Pflanzstreifen vor. Das Argument des Klägers, er habe einen Anspruch auf Änderung der Genehmigungslage, ändert daran nichts. Die Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung könnte es lediglich begründen, wenn die Änderung offensichtlich genehmigungsfähig wäre. Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat einen Änderungsanspruch in seinem Urteil im Parallelverfahren 2 A 194/16 unter Berufung auf die Bestandskraft des entsprechenden Grüneintrags in der geltenden Baugenehmigung verneint. Der Senat hat zwar mit Beschluss vom heutigen Tag die Berufung gegen diese Entscheidung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel zugelassen. Offensichtlich ist ein Erfolg der Berufung jedoch nicht; vielmehr hängt dieser von einer näheren Prüfung der Entstehungsgeschichte der Baugenehmigung ab. Dass die Beklagte sich in ihrem Widerspruchsbescheid vom 5.7.2016 ausdrücklich nicht auf einen Widerspruch der Nutzung zur Pflanzstreifenvorgabe in der Baugenehmigung vom 23.11.1993 gestützt und daher die Begründung der formellen Baurechtswidrigkeit anders gefasst hatte, als es – käme es auf diesen Punkt an – das Gericht täte, ist unschädlich (Senatsbeschl. v. 9.3.2012 – 1 LA 254/09 -, juris Rn. 63).

Dass die Bauaufsichtsbehörde, wie sie es hier ausdrücklich getan hat, eine Nutzungsuntersagung nach ständiger Senatsrechtsprechung bereits auf die formelle Baurechtswidrigkeit der ausgeübten Nutzung stützen kann, hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt. Auf die Richtigkeit seiner Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Nutzung kommt es angesichts dessen nicht mehr an. Dass die Nutzungsuntersagung unter der Prämisse einer Genehmigungspflicht der Stellplatznutzung ermessensfehlerfrei ausgesprochen worden wäre, stellt auch der Kläger mit seiner Zulassungsantragsbegründung nicht überzeugend in Frage. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass bei festgestellter Baurechtswidrigkeit das Einschreiten den Regelfall, das Absehen davon die begründungsbedürftige Ausnahme ist. Die Rügen des Klägers laufen auf den Einwand hinaus, die Nutzung störe nicht, eine negative Vorbildwirkung sei nicht konkret dargelegt. Dass eine Nutzungsuntersagung wegen formeller Baurechtswidrigkeit regelmäßig tragende Interesse, dem Eindruck in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken, es sei nicht erforderlich und letztlich dumm, den Ausgang eines gesetzlich vorgesehenen Genehmigungsverfahrens abzuwarten bzw. – wie hier – zu respektieren, ist damit nicht in Frage gestellt.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 11b der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197). Danach entspricht der Streitwert eines gegen eine Nutzungsuntersagung gerichteten Klageverfahrens dem Jahresnutz- oder Mietwert, den der Senat hier in Anlehnung an Nr. 10g, 2f der genannten Streitwertannahmen auf 2000,- € schätzt. Der vom Verwaltungsgericht auf den Auffangstreitwert festgesetzte Streitwert ist angesichts dessen spürbar zu hoch und gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).