Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.07.2005, Az.: 7 LA 58/05
Aushang; Auslegung; Bekanntmachung; Planfeststellung; Präklusion; Samtgemeinde; Überraschungsentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.07.2005
- Aktenzeichen
- 7 LA 58/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50714
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.02.2005 - AZ: 5 A 54/03
Rechtsgrundlagen
- § 72 GemO ND
- § 38 NStrG ND
- § 5a VwVfG ND
- § 73 VwVfG
Gründe
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Lüneburg vom 18. März 2003 für den Bau eines Radweges an der L 215 zwischen Q. und B. als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin mit ihren erstmals im Klageverfahren erhobenen Einwendungen materiell präkludiert und deshalb nicht klagebefugt sei. Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung, dass es an einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung und Auslegung des Plans gefehlt habe; damit seien auch die Voraussetzungen für eine Präklusion nicht gegeben. Der Mangel liege darin, dass der Plan nicht in den Gemeinden, in deren Gebiet der Radweg liege, also in B.und H., sondern in der Samtgemeinde H. ausgelegen habe und die Auslegung von dieser bekannt gemacht worden sei.
Gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 NStrG dürfen Landesstraßen nur gebaut oder geändert werden, wenn der Plan vorher festgestellt ist. Zur Straße gehören auch Radwege (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG). Für das Planfeststellungsverfahren finden ergänzend zu § 38 Abs. 1 bis 3 NStrG die insoweit allgemein geltenden landesrechtlichen Vorschriften mit Maßgaben Anwendung. Damit verweist das Niedersächsische Straßengesetz auf das Niedersächsische Verwaltungsverfahrensgesetz, welches wiederum in § 1 Abs. 1 NVwVfG (mit Ausnahmen) die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes, darunter §§ 73 und 74 VwVfG, für anwendbar erklärt. Die Maßgabe in § 38 Abs. 4 Nr. 1 NStrG, wonach der Plan auf Veranlassung der Anhörungsbehörde in den Gemeinden, in deren Gebiet die Straße liegt, einen Monat zur Einsicht auszulegen ist, modifiziert § 73 Abs. 2 VwVfG, welcher formuliert, dass der Plan in den Gemeinden, in denen sich das Vorhaben auswirkt, ausgelegt wird. Weder § 38 NStrG noch § 73 VwVfG lässt sich indes entnehmen, welche Körperschaft zuständig ist, wenn Gemeinden einer Samtgemeinde und damit einem Kommunalverband angehören. Eine solche Konstellation ist nicht Regelungsgegenstand dieser Vorschriften. Diese Frage ist vielmehr aus kommunalrechtlicher Sicht zu beantworten.
Gemäß § 72 NGO erfüllen die Samtgemeinden neben bestimmten Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden (Abs. 1) die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden (Abs. 2). Zu den Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises gehört nach verbreiteter Auffassung auch die Auslegung von Plänen anderer Aufgabenträger, die den Gemeinden aufgrund z.B. der Vorschriften der §§ 73, 74 VwVfG, § 38 Abs. 4 NStrG obliegen (vgl. Thiele, NGO, 7. Aufl., § 72 Erl. 3; Göke, in: Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 72 NGO Rn. 39, jeweils zur a.F. des § 38 Abs. 5 NStrG). Selbst wenn man insoweit anderer Ansicht wäre, änderte dies nichts daran, dass die Samtgemeinde für die hier streitigen Aufgaben zuständig ist. § 5a NVwVfG bestimmt ausdrücklich, dass Aufgaben, die den Gemeinden nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. den §§ 73 und 74 VwVfG obliegen, von den Samtgemeinden wahrgenommen werden. Diese Vorschrift ist nach dem Willen des Gesetzgebers geschaffen worden, um die in der Vergangenheit bestehende Unsicherheit darüber, ob es sich bei den Mitwirkungsaufgaben der Gemeinden im Rahmen von Planfeststellungsverfahren um Aufgaben des eigenen oder des übertragenen Wirkungskreises handelt, zu beseitigen. Zu diesem Zweck ist mit Art. II des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes und anderer abgabenrechtlicher Vorschriften vom 2. Juli 1985 (Nds. GVBl S. 207) das damals noch sogenannte Vorläufige Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Niedersachsen geändert und mit Nr. 2 der zitierten Vorschrift § 5a in das Verwaltungsverfahrensgesetz klarstellend eingefügt worden (vgl. Nds. LT, 10. WP, Stenogr. Bericht, S. 7939 ff.). Diese Bestimmung ist im Anwendungsbereich des § 38 Abs. 4 NStrG mindestens entsprechend anwendbar (vgl. Thiele, aaO; Göke, aaO). Damit hat das von der Klägerin aufgeworfene Problem seither eine eindeutige, die Wahrnehmungszuständigkeit der Samtgemeinden begründende Regelung gefunden. Dass das Planfeststellungsverfahren für eine Landesstraße als solches nicht der Planungshoheit der Gemeinde unterliegt, ist offensichtlich (vgl. § 38 Abs. 5 Satz 1 NStrG).
Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch gegen die Bekanntmachung der Auslegung durch die Samtgemeinde H. nichts einzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat ferner zutreffend ausgeführt, dass die Bekanntmachung auch in ortsüblicher Weise, wie es § 13 Abs. 2 der Hauptsatzung in der seinerzeit maßgeblichen Fassung vorschreibt, vorgenommen worden ist. Mit dem danach vorgesehenen Aushang an der amtlichen Samtgemeindetafel des Rathauses der Samtgemeinde, welches im Übrigen auch Sitz der Gemeindeverwaltung H. ist und damit für den Ortsteil, in dem die Klägerin wohnt, zuständig ist, und nachrichtlich an den Bekanntmachungstafeln der Samtgemeinde in den Mitgliedsgemeinden ist die Bekanntmachung ordnungsgemäß erfolgt. Auch wenn zutrifft, dass sich die Aushangtafel der Samtgemeinde in deren Rathaus befindet, bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Bekanntmachung und deren Dauer ebenso wenig wie gegen die Auslegung des Plans selbst. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme ist nicht unzumutbar verkürzt worden. Insoweit wird auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils Bezug genommen, die ernstlichen Zweifeln nicht ausgesetzt sind.
Solche Zweifel ergeben sich auch nicht daraus, dass der Bürgermeister der Gemeinde B.die Grundeigentümer in der Brackeler Gemarkung vor einigen Jahren und bei Beginn der Planung mündlich informiert hat. Daraus kann die Klägerin, die nicht in dieser Gemeinde wohnhaft ist, zu ihren Gunsten nichts herleiten. Eine Notwendigkeit, ortsansässige Betroffene unmittelbar von der Auslegung zu benachrichtigen, besteht nicht (vgl. § 73 Abs. 5 S. 3 VwVfG).
Soweit die Klägerin unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 20.8.1990 - 4 B 146-148/89 -, NVwZ-RR 1990, 8 ff.) rügt, dass die Verpflichtung der Behörde zur Beachtung aller ohnehin von Amts wegen zu berücksichtigenden rechtlichen Voraussetzungen der Planfeststellung durch die Präklusion unberührt bleibe, verweist sie auf keinen im vorliegenden Zusammenhang erheblichen Gesichtspunkt. Diese Entscheidung bezeichnet als geklärt, dass die Genehmigung nach § 6 LuftVG Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für das Planfeststellungsverfahren ist und wirft die nicht beantwortete Frage auf, ob eine grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigende (objektive) Rechtmäßigkeitsvoraussetzung überhaupt der Verwirkung unterliegen kann. Um eine derartige oder vergleichbare Lage geht es hier nicht.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Die Klägerin legt insoweit bereits entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht dar, unter welchen Aspekten derartige Schwierigkeiten bestehen sollten. Überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten sind auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr lassen sich die aufgeworfenen Fragen im Zulassungsverfahren eindeutig beantworten.
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO verlangt insoweit die Bezeichnung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage, die für die angestrebte Berufungsentscheidung erheblich wäre, und eine nähere Erläuterung dazu, dass und inwiefern die Entscheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Frage führen könnte. Zu diesen Anforderungen verhält sich der Zulassungsantrag nicht einmal ansatzweise.
4. Schließlich liegt auch ein beachtlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht vor. Die Klägerin macht insoweit geltend, das Verwaltungsgericht habe eine Überraschungsentscheidung gefällt, weil es nicht auf die Vorschrift des § 5a NVwVfG hingewiesen und zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Damit wird jedoch eine Verletzung rechtlichen Gehörs auch unter dem Gesichtspunkt der Erörterungspflicht nach § 104 Abs. 1 VwGO nicht dargetan. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs bedeutet, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit geben muss, sich zu den in dem Verfahren stellenden Rechts- und Tatsachenfragen zu erklären. Daraus folgt indes keine allgemeine Hinweis- und Aufklärungspflicht des Gerichts, insbesondere auch nicht die Notwendigkeit, eigene Rechtsauffassungen, die abschließend erst in der Beratung gewonnen werden, den Beteiligten vorab umfassend mitzuteilen. Eine unzulässige, Art. 103 Abs. 1 GG und § 104 Abs. 1 und § 108 Abs. 2 VwGO verletzende Überraschungsentscheidung liegt regelmäßig nur dann vor, wenn das Gericht, ohne die Beteiligten vorher darauf hinzuweisen, seine Entscheidung auf Gesichtspunkte stützt, mit denen auch bei gewissenhafter Prozessführung nicht zu rechnen war. Davon kann hier aber nicht die Rede sein, mag auch die Vorschrift des § 5a NVwVfG nicht ausdrücklich benannt worden sein. Jedenfalls ist die Frage der Zuständigkeit der Samtgemeinde für die Bekanntmachung und Auslegung des Plans schriftsätzlich erörtert und das Thema der materiellen Präklusion auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Im Übrigen fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf dem - unterstellten - Verfahrensmangel beruhen kann. Hätte das Verwaltungsgericht ausdrücklich auf § 5a NVwVfG hingewiesen, hätte die Klägerin ergänzend allenfalls das vorgetragen, was sie zum Inhalt des Zulassungsantrages gemacht hat. Dieses Vorbringen ist aber - wie dargelegt - nicht geeignet, die Frage der Präklusion anders als geschehen zu beurteilen, und hätte auch das Verwaltungsgericht nicht zu einer anderen Bewertung veranlasst.