Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.10.2020, Az.: 10 ME 199/20

Eignung; Erlaubnis zur Kindertagespflege; Pflichtverletzung; Zuverlässigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.10.2020
Aktenzeichen
10 ME 199/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71952
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 31.08.2020 - AZ: 3 B 4086/20

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 3. Kammer - vom 31. August 2019 geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid des Antragsgegners vom 15. Juli 2020 wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Aufhebung ihrer Erlaubnis zur Kindertagespflege durch den Antragsgegner.

Die Antragstellerin übte zuletzt mit am 23. Januar 2020 erteilter Tagespflegeerlaubnis Kindertagespflege in der Großtagespflegestelle „C.“ in A-Stadt aus. Zunächst war ihr am 4. November 2019 rückwirkend zum 1. Oktober 2019 eine entsprechende Erlaubnis erteilt worden, die es ihr gestattete, „in den Räumen D. Str. 19, A-Stadt (GTP C.) 5 Kinder gleichzeitig zu betreuen“. Diese Passage war durch Fettdruck hervorgehoben. Der Ursprungs- sowie der Folgebescheid enthielten zudem den Hinweis, dass eine gesetzliche Verpflichtung bestehe, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe umgehend über wichtige Ereignisse zu informieren, die für die Betreuung der Kinder bedeutsam sind und nennt als Beispiel für ein derartiges Ereignis u.a. den Wechsel der Räumlichkeiten, in denen die Tagespflege stattfindet.

Nachdem bei der Antragsgegnerin am 15. Juli 2020 ein anonymer Hinweis, dass die Antragstellerin seit dem 13. Juli 2020 die ihr zugewiesenen Kinder und ihren eigenen Sohn bei sich zuhause und nicht in der Großtagespflegestelle betreue, eingegangen war, führte die Antragsgegnerin am gleichen Tag einen unangekündigten Hausbesuch bei der Antragstellerin durch. Hierbei wurde die Antragstellerin mit drei Tageskindern sowie ihrem Sohn unter ihrer Wohnadresse angetroffen. Die Mitarbeiterinnen der Antragsgegnerin befragten die Antragstellerin zu der vorgefundenen Situation und stellten verschiedene Missstände bezüglich der Sicherheit der betreuten Kleinkinder in den Wohnräumen und dem Garten der Antragstellerin fest. Daraufhin teilte der Antragsgegner der Antragstellerin zunächst durch die anwesenden Mitarbeiterinnen mündlich den sofortigen Entzug ihrer Pflegeerlaubnis mit und bestätigte dies unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 15. Juli 2020 unter Hinweis auf die nunmehr festgestellte fehlende Eignung der Antragstellerin für die Ausübung der Tagespflege auf Grund der ungenehmigten Betreuung der Tagespflegekinder in ihren privaten Räumen. Die Missachtung der Grenzen der bestehenden Erlaubnis begründe eine persönliche Ungeeignetheit, da die Antragstellerin die Interessen und Bedürfnisse der ihr anvertrauten Tageskinder und damit das Kindeswohl nicht hinreichend achte und schütze. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 18. Juli 2020 Klage, die unter dem Aktenzeichen 3 A 4084/20 beim Verwaltungsgerichts anhängig ist, und ersuchte um vorläufigen Rechtsschutz.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag der Antragstellerin mit der Begründung abgelehnt, dass sich die von dem Antragsgegner verfügte Aufhebung der Erlaubnis zur Kindertagespflege bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig erweise und auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung keinen rechtlichen Bedenken unterliege. Zunächst könne nicht davon ausgegangen werden, dass der angefochtene Bescheid auf Grund eines Anhörungsmangels rechtswidrig sei, da aus dem Vermerk über den Hausbesuch am 15. Juli 2020 hervorgehe, dass der Antragstellerin Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei. Zudem sei eine möglicherweise fehlende Anhörung durch den Austausch inhaltlicher Argumente während des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens jedenfalls gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X geheilt. Die Aufhebung der Erlaubnis zur Kindertagespflege könne voraussichtlich auf § 48 Abs. 1 SGB X gestützt werden, da in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes in Bezug auf die Antragstellerin vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sein dürfe. Denn die Eignung der Antragstellerin zur Ausübung der Kindertagespflege dürfe nachträglich entfallen sein, da sie die ihr anvertrauten Tagespflegekinder - wiederholt - zuhause und damit in nicht genehmigten und darüber hinaus nicht geeigneten Räumen betreut habe. Ihr Einwand, sie habe die Kinder am 15. Juli 2020 nicht im rechtlichen Sinne betreut, sondern sie hätten sich nach Absprache mit den Eltern zum privaten Spielen bei ihr getroffen, betreffe nur den genannten Tag. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Kinder bereits zuvor und wiederholt bei sich zuhause betreut habe. Auch dann, wenn sie sich - was das Gericht auf Grund der vorliegenden Indizien nicht für glaubhaft erachte - erstmals am 15. Juli 2020 zum privaten Spielen mit ihren Tageskindern zu Hause getroffen hätte, hätte die Antragstellerin die sich aus der Ausübung der Kindertagespflege ergebenden Pflichten verletzt, da sie den durch das Gesetz indizierten und in dem ihr erteilten Bescheid konkretisierten Bezug der Erlaubnis allein auf die Räume der Großtagespflegestelle in unzulässiger Weise umgangen hätte. Die Räume des Hauses der Antragstellerin sowie das dazugehörige Grundstück seien für die Ausübung der Kindertagespflege nach dem derzeitigen Sachstand zudem auch nicht „kindgerecht“ im Sinne des § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII gewesen. Der Antragstellerin hätte darüber hinaus bewusst sein müssen, dass eine Betreuung der Kinder in ihrem eigenen Haus mit dem Inhalt der ihr erteilten Tagespflegeerlaubnis nicht in Einklang zu bringen sei. Das Verhalten der Antragstellerin zeige bei der gebotenen summarischen Prüfung des Eilverfahrens, dass sie die im Rahmen ihrer Tätigkeit geforderte Sorgfalt im Umgang mit den ihr anvertrauten Tageskindern nicht aufbringe. Hierfür spreche, dass sie ausweislich der von ihr begangenen Pflichtverletzungen ihr eigenes Interesse, die Kinder zu Hause betreuen zu wollen, über den sich gerade in den gesetzlichen Pflichten manifestierenden Schutz des Kindeswohls gestellt habe. Hinzu komme, dass sie die unter dreijährigen Kinder in ihrem Haus und auf dem Grundstück erheblichen Gefahren ausgesetzt habe.

Hiergegen hat die Antragstellerin fristgemäß Beschwerde erhoben und vorgetragen, dass es nicht zu einer wiederholten Betreuung von Tageskindern in ihrem Haus gekommen sei. Am 13. und 14. Juli 2020 habe sie frei gehabt. Am 15. Juli 2020 habe sie die rechtliche Betreuung abgebrochen, da sich ihr Sohn auf Grund einer akuten Erkrankung in Folge seiner Hundehaar-Allergie nicht wohlgefühlt habe. Sie habe den Eltern ihrer Tageskinder angeboten, diese stattdessen bei sich zuhause privat spielen zu lassen, da die Kinder befreundet seien. Es sei vom Verwaltungsgericht trotz der Vorlage verschiedener eidesstattlicher Versicherungen unzutreffend unterstellt worden, dass sie die Betreuung in der Großtagespflege offiziell abgebrochen und die Betreuung im Rahmen der „Arbeitszeit“ zuhause fortgeführt habe. Sich in ihrer Freizeit mit Freunden und deren Kindern zu treffen, könne keine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen. Am 18. Mai 2020 habe sie entgegen der auf die Behauptung von Frau E. gestützte Annahme des Verwaltungsgerichts die Kinder nicht bei sich zuhause betreut, sondern mit diesen einen Ausflug gemacht, da ihr Nachbar einen Bagger ausgeliehen gehabt habe. Den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, dass die Räume ihres Hauses sowie das dazugehörige Grundstück den gesetzlichen Anforderungen für die Ausübung der Kindertagespflege nach dem derzeitigen Sachstand nicht genügten, werde widersprochen. Darauf komme es jedoch nicht an, da sie dort keine Kinder im Rahmen ihrer „Arbeitszeit“ betreut habe. Somit könne auch keine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, so dass unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine gleich wirksame, aber ihre berufliche Existenz nicht zunichtemachende Entscheidung hätte getroffen werden können.

Der Antragsgegner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Juli 2020 erhobenen Klage (Aktenzeichen: 3 A 4084/20).

Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, kann in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, besonders angeordnet wurde, ganz oder teilweise gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederhergestellt werden. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aussetzungsinteresse einerseits und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen der Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes Bedeutung erlangen. Lässt sich bei der gebotenen summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, bedarf es in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde im Einzelfall angeordnet wurde, noch eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung, das mit dem Interesse am Erlass eines Verwaltungsaktes in der Regel nicht identisch ist, sondern vielmehr ein qualitativ anderes Interesse ist. Insbesondere in Fällen der Gefahrenabwehr kann dieses besondere Vollzugsinteresse mit dem Interesse am Erlass des Bescheides selbst jedoch identisch sein. Lässt sich die Rechtmäßigkeit bei summarischer Prüfung nicht eindeutig beurteilen, bedarf es schließlich einer allgemeinen Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen gegenüberzustellen, die einerseits eintreten, wenn dem Antrag stattgegeben wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweist bzw. die andererseits eintreten, wenn der Antrag abgelehnt wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist.

In den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Beschwerdegericht eine eigene Abwägung des privaten Aufschubinteresses einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des in Rede stehenden Verwaltungsaktes andererseits vorzunehmen und dabei dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend eine vorläufige Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wesentliches Element der Interessenabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzug zu treffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.03.2010 - 7 VR 1/10 -, juris Rn. 13; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 04.07.2018 - 7 ME 32/18 -, juris Rn. 15).

Nach diesen Maßstäben überwiegt vorliegend unter Berücksichtigung ihres Beschwerdevorbringens das Interesse der Antragstellerin an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Es kann nach der im Rahmen dieses Verfahrens allein vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht festgestellt werden, dass der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 15. Juli 2020 offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Bei der deshalb unabhängig von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorzunehmenden allgemeinen Interessenabwägung überwiegt zurzeit das Interesse der Antragstellerin, ihren Beruf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ausüben zu können, das öffentliche Interesse an der Vollziehung der streitgegenständlichen Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis der Antragstellerin.

Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, dass die Eignung der Antragstellerin für die Ausübung der Tagespflege i.S.d. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII nachträglich entfallen sei und damit eine die Aufhebung der Erlaubnis nach § 48 Abs. 1 SGB X rechtfertigende wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erteilung der Erlaubnis vorgelegen haben, eingetreten sei, im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Antragstellerin die ihr anvertrauten Tageskinder wiederholt zuhause in nicht genehmigten und darüber hinaus nicht geeigneten Räumen betreut habe.

Die Frage, ob es tatsächlich zu einer wiederholten Betreuung von Tageskindern in den - was soweit unstreitig ist - ungenehmigten Räumen der Antragstellerin gekommen ist, kann jedoch nach summarischer Prüfung unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und insbesondere der vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht eindeutig beantwortet werden und muss demnach dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Bezüglich des 13. und 14. Juli 2020 hat die Antragstellerin im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung widerlegt, dass es zu einer Betreuung von Tageskindern im Sinne von §§ 23, 43 SGB VIII innerhalb der von ihr bewohnten Räumlichkeiten gekommen ist, da sie an diesen Tagen nicht gearbeitet hat. Bezüglich dieser Tage ist es auch nicht zu einer Abrechnung gegenüber dem Antragsgegner gekommen.

Eine wiederholte Betreuung der Tageskinder in den Räumlichkeiten der Antragstellerin ist auch nicht dadurch belegt, dass die Tageskinder und auch ihre Eltern mit den Räumlichkeiten der Antragstellerin nach den Feststellungen der Mitarbeiterinnen des Antragsgegners am 15. Juli 2020 vertraut wirkten, denn nach den eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin (Bl. 31 der Gerichtsakte) sowie der Mütter ihrer Tageskinder (Bl. 42-44 der Gerichtsakte) sind die jeweiligen Kinder und Eltern auch privat mit der Antragstellerin und ihrem Sohn befreundet und treffen sich regelmäßig. So waren das Tageskind F. und seine Mutter zuletzt am 12. Juli 2020 vor dem Hausbesuch bei der Antragstellerin zu Besuch, so dass eine Vertrautheit mit den entsprechenden Räumlichkeiten anzunehmen ist.

Es kann zur Überzeugung des Senats auf Grund der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nur angenommen werden, dass die Antragstellerin am 18. Mai 2020 die ihr anvertrauten Tageskinder (auch) in ihren Räumlichkeiten betreut hat. Dies ergibt sich aus der von der Antragstellerin am frühen Morgen des 18. Mai 2020 versandten Nachricht: „Guten Morgen. Ich betreue heute meine Kinder bei mir zu Hause. Wenn du Lust hast kannst du mit deinen Kindern auch kommen. G. hat sich heute einen Bagger ausgeliehen. Die kleinen können ihn sich anschauen und mitfahren“(s. Bl. 135 Beiakte 001). Die Antragstellerin hat zwar insoweit vorgetragen, dass ein Ausflug mit den Tageskindern zu dem von dem Nachbarn ausgeliehenen Bagger stattgefunden habe und zum Beweis die Vernehmung zweier Mütter von Tageskindern angeregt. Der Ausflug zu dem Bagger, der von dem Senat nicht in Frage gestellt wird, steht aber einer Betreuung in den Räumlichkeiten der Antragstellerin vor und nach dem Ausflug nicht entgegen. So hat die Antragstellerin auch nicht vorgetragen, dass sie sich mit den Kindern zunächst an der Großtagespflegestelle getroffen habe und dann von dort zu dem Bagger aufgebrochen sei oder sich ausschließlich mit den Kindern und deren Eltern bei dem Bagger aufgehalten zu haben. Ein Ausflug mit den Tageskindern und deren Eltern über die gesamte Betreuungszeit würde zudem im Widerspruch zu der Abrechnung des Tages als normalen Betreuungstag gegenüber dem Antragsgegner stehen.

Die Betreuung der Tageskinder in anderen als den genehmigten Räumlichkeiten stellt einen Verstoß gegen die aus der Tätigkeit als Tagespflegeperson folgenden Pflichten dar. Der Antragstellerin musste nach dem eindeutigen Wortlaut ihrer Tagespflegeerlaubnis auch bewusst sein, dass sich diese ausschließlich auf die Betreuung der Tageskinder in den Räumen der Großtagespflegestelle bezog. Nach Auffassung des Senats stellt dieser einmalige Verstoß am 18. Mai 2020 jedoch für sich genommen noch keine derart schwerwiegende Pflichtverletzung dar, die eine Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis rechtfertigen könnte.

Eine Aufhebung der Erlaubnis zur Tagespflege nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat zwingend zu erfolgen, wenn eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des entsprechenden Bescheides vorgelegen haben, eingetreten ist. In Anbetracht der hohen Bedeutung des Kindeswohls bzw. des Schutzbedarfs von Kindern sind die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Erlaubnis zur Kindertagespflege nicht nur bei gravierenden Änderungen der Rahmenbedingungen, sondern auch regelmäßig bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen durch die Betreuungsperson erfüllt (vgl. Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 43 Rn. 39b). So kommt eine Aufhebung der Erlaubnis in Betracht, wenn eine von der Betreuungsperson begangene Pflichtverletzung nahelegt, dass die Eignung als Tagespflegeperson i.S.d. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII entfallen ist (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.05.2014 - 4 B 48/14 -, juris Rn 17, 18).

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII sind Personen für die Ausübung der Tagespflege geeignet, die sich durch ihre Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Tagespflegepersonen auszeichnen (Nr. 1) und über kindgerechte Räumlichkeiten (Nr. 2) verfügen. Der in § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII verwendete Begriff der Eignung einer Tagespflegeperson ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegt (Senatsbeschluss vom 02.10.2019 - 10 ME 184/19 - nicht veröffentlicht; Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.01.2015 – 12 C 14.2846 –, juris Rn. 15; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.10.2014 – 7 D 10243/14 –, juris Rn. 6; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.06.2011 – 12 B 507/11 –, juris Orientierungssatz 2 und Rn. 6; OVG Bremen, Beschluss vom 17.11.2010 – 2 B 256/10 –, juris Rn. 21). Bei nicht speziell ausgebildeten Kindertagespflegepersonen ist hierbei auf das Gesamtbild der Persönlichkeit, deren Sachkompetenz sowie soziale und kommunikative Kompetenz abzustellen (Senatsbeschluss vom 02.10.2019 - 10 ME 184/19 - nicht veröffentlicht; Bayrischer VGH, Beschluss vom 31.05.2010 – 12 BV 09.2400 –, juris Rn. 18). Mit Blick auf die Zielrichtung der Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VIII, die in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII normierten Grundsätze der Förderung zu verwirklichen, sollen über das Merkmal der Eignung der Tagespflegeperson Qualitätsstandards gesetzt und eine kindgerechte Pflege der zu betreuenden Kinder sichergestellt werden (Senatsbeschluss vom 02.10.2019 - 10 ME 184/19 - nicht veröffentlicht; Lakies in Münder/Meysen/Trenczeck, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 7. Auflage 2013, § 43 Rn. 15; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.09.2018 – 12 B 503/18 –, juris Rn. 3; Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.01.2015 – 12 C 14.2846 –, juris Rn. 16; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.10.2014 – 7 D 10243/14 –, juris Rn. 6). Danach gehört zu den erforderlichen charakterlichen Eigenschaften einer Pflegeperson eine ausreichende psychische Belastbarkeit und Zuverlässigkeit, um in der Bewältigung auch unerwarteter Situationen flexibel reagieren zu können, sowie ausreichendes Verantwortungsbewusstsein und hinreichende emotionale Stabilität, damit das Kind und seine Rechte voraussichtlich unter allen Umständen geachtet werden (Senatsbeschluss vom 02.10.2019 - 10 ME 184/19 - nicht veröffentlicht; OVG Sachsen, Beschluss vom 27.05.2015 – 4 B 48/14 –, juris Rn. 18). Dementsprechend sind schwere Pflichtverletzungen, die eine Aufhebung der Tagespflegeerlaubnis wegen nachträglich entfallener Eignung zur Tagespflege rechtfertigen, insbesondere Verhaltensweisen, die - unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalles und situativer Besonderheiten - auf eine mangelnde Sorgfalt der Tagespflegeperson im Umgang mit den betreuten Kindern schließen lassen (vgl. Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 43 Rn. 39b; Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.10.2012 - 12 B 12.1048 -, juris Leitsatz 3. und Rn. 37).

Vorliegend ist der hier nur festzustellende einmalige Verstoß gegen die räumliche Beschränkung der Tagespflegeerlaubnis, der aus einem an den Interessen und Bedürfnissen der Tageskinder orientierten und pädagogisch sinnvollen Grund (möglicher Zugriff auf einen Bagger) erfolgte, nicht als derartig schwerwiegende Pflichtverletzung anzusehen, der bereits nahelegt, dass die Antragstellerin ihre persönlichen Interessen den Interessen und Bedürfnissen der Tageskinder und damit dem Kindeswohl überordnet. Ein solch einmaliger, aus dem genannten Grund „menschlich“ zwar nachvollziehbarer, aber rechtlich nicht gerechtfertigter Verstoß lässt noch nicht den Schluss auf mangelnde Sorgfalt im Umgang mit den Kindern zu.

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin ihre aus der Ausübung der Kindertagespflege erwachsenden Pflichten auch dann verletzt hätte, wenn sie sich am 15. Juli 2020 - was das Verwaltungsgericht nicht als glaubhaft angesehen hat - erstmals zum privaten Spielen mit ihren Tagespflegekindern in ihren privaten Räumlichkeiten getroffen hätte. Angesichts der durch die eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 30. Juli 2020 (Bl. 31 der Gerichtsakte) glaubhaft gemachten nicht-ansteckenden Erkrankung ihres Sohnes infolge eines allergischen Vorfalles am Vortrag und der ferner vorgelegten „eidesstattlichen Versicherungen“ der Eltern der Kinder, die ihre Angaben bestätigen, erscheint es plausibel und für das vorliegende Verfahren hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie an diesem Tag die rechtliche Betreuung der Tageskinder beendet und aus persönlicher Verbundenheit die anwesenden Tageskinder privat zu sich nach Hause eingeladen hat. Eine Umgehung der auf die Räume der Großtagespflegestelle beschränkten Erlaubnis zur Tagespflege kann in einer solchen Verabredung, die auch nicht zur Geltendmachung von Kosten gegenüber dem Antragsgegner geführt hat, nicht erkannt werden. Denn auf eine besondere private Situation wie eine Erkrankung des eigenen Kindes zu reagieren, in dem die berufliche Betreuung in Absprache mit den Eltern der Tageskinder abgebrochen wird, kann nicht als Widerspruch zu den sich aus der Tagespflegeerlaubnis ergebenden Pflichten angesehen werden.

Zweifel an der Eignung der Antragstellerin als Tagespflegeperson im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII könnten jedoch dann begründet sein, wenn sie entgegen ihrer Schilderung die Tageskinder am 15. Juli 2020 erneut in ihren Räumlichkeiten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Tagespflegeperson betreut hätte und sich damit zum wiederholten Mal über die räumliche Beschränkung der ihr erteilten Tagespflegeerlaubnis hinweggesetzt hätte. Ob dies der Fall war, kann vorliegend jedoch nicht abschließend beurteilt werden. So deuten die Mitteilungen der Antragstellerin an Frau E. bezüglich ihrer Aussage gegenüber dem Antragsgegner (s. Bl. 137-139 Beiakte 001) sowie die Reaktion ihrer ehemaligen Kollegin „Ich lüge nicht tut mir leid“ (Bl. 139 Beiakte 001) darauf hin, dass die Ereignisse durch die Antragstellerin im Nachhinein anders dargestellt wurden als sie sich zugetragen haben. Würde sich der Vortrag der Antragstellerin als unwahr herausstellen, könnte auch gerade dieser Austausch von Nachrichten mit ihrer ehemaligen Kollegin als „Versuch der Verschleierung“ gegen ihre Zuverlässigkeit sprechen. Eine abschließende Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vortrags der Antragstellerin, der sich mit den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Mütter ihrer Tageskinder deckt, kann ohne weitere Beweiserhebung jedoch nicht getroffen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.07.2008 - 9 B 41/07 -, juris Leitsatz 2. und Rn. 7). Dies gilt auch für die von der Antragstellerin bestrittene Ungeeignetheit der Räumlichkeiten der Antragstellerin, über die keine Lichtbilder vorgelegt wurden.

Da die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Erlaubnis zur Kindertagespflege wesentliche Frage, ob eine Betreuung der Tageskinder im Widerspruch zu der auf die Räumlichkeiten der Großtagespflegestelle „C.“ beschränkten Erlaubnis am 15. Juli 2020 in den Wohnräumen der Antragstellerin stattgefunden hat, erst abschließend in einem Hauptsacheverfahren beurteilt werden kann, sind die Erfolgsaussichten der Klage im vorliegenden Eilverfahren als offen zu bewerten. Dies führt zu einer von dem Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängigen Interessenabwägung.

Diese Interessenabwägung geht zum derzeitigen Zeitpunkt zu Lasten des Antragsgegners aus. Denn die Folgen für die berufliche Existenz der Antragstellerin in dem Fall, dass ihr Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt wird und sich der Aufhebungsbescheid später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist, wiegen schwerer als die zu befürchtenden Folgen, wenn dem Antrag stattgegeben würde, sich der angefochtene Bescheid aber später als rechtmäßig erweisen würde. Der Senat ist sich hierbei des herausragenden Schutzgutes des Kindeswohls bewusst, legt jedoch seiner Einschätzung zu Grunde und geht bei realistischer Betrachtung davon aus, dass die Antragstellerin zukünftig ausschließlich Betreuung in den kindgerechten Räumen der Großtagespflegestelle „C.“ durchführen wird und dort Gefährdungen der von ihr betreuten Kinder nicht zu befürchten sind. Hierbei berücksichtigt der Senat auch, dass der Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt vorgeworfen wurde, die betreffenden Kinder in den Räumlichkeiten der Großtagespflegestelle unangemessen zu beaufsichtigen und die Eltern der vier von ihr betreuten Kinder ausnahmslos sehr zufrieden mit der Betreuung durch die Antragstellerin waren (s. Schreiben von Familie H., Familie I., Familie J. und Familie K., Bl. 141 Beiakte 001).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).